Stanislaw Lem : Solaris

Solaris
Originalausgabe Solaris, 1961 Übersetzung: Irmtraud Zimmermann-Göllheim Marion von Schröder Verlag, Hamburg / Düsseldorf 1972 Übersetzung: Kurt Kelm Verlag Volk und Welt, Berlin 1983
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Als der Psychologe Kris Kelvin auf der Raumstation eintrifft, die zu Forschungszwecken um den fernen Planeten Solaris kreist, findet er zwei überlebende Besatzungsmitglieder vor, die verstört wirken und offenbar Angst haben. Plötzlich glaubt Kris, seine Ehefrau Hari wahrzunehmen. Aber das kann nicht sein, denn sie nahm sich vor zehn Jahren das Leben! ...
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Kritik

Mit trivialen Science-Fiction-Romanen hat "Solaris" nichts gemeinsam. Stanislaw Lem verwendet das Genre, um erkenntnistheoretische Fragen in eine spannende Geschichte kleiden zu können.
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Die Menschen haben eine Raumstation in eine Umlaufbahn des fernen Planeten Solaris geschossen, um den geheimnisvollen Himmelskörper zu erforschen, der von Polytheria eingehüllt ist, einem gallertartigen Plasma-Ozean mit unerklärlichen Eigenschaften. An der wabernden Oberfläche bilden sich fortwährend neue Formen, wobei unklar ist, ob es sich um Zufallserscheinungen oder sinnvolle Ausdrücke einer außerirdischen Intelligenz handelt. Manche Forscher halten Solaris für ein riesiges Gehirn. Inzwischen füllen die Bücher, die über Solaris geschrieben wurden, eine ganze Bibliothek, und für die neue Wissenschaft wurde der Begriff Solaristik eingeführt.

Eines Tages wird der Psychologe Kris Kelvin, der seine Diplomarbeit über ein Thema aus der Solaristik schrieb und sich seither damit beschäftigt, von der Erde zu Solaris gerufen. Niemand heißt ihn dort willkommen. Vorsichtig dringt er in die Raumstation vor, bis er auf zwei verstörte Besatzungsmitglieder trifft, die sich in ihren Räumen verbarrikadiert haben. Der kürzliche Selbstmord ihres Kollegen Gibarian scheint die beiden Kosmonauten kaum zu berühren, denn ihre Aufmerksamkeit wird vollständig von mysteriösen „Besuchern“ in Anspruch genommen, zu denen sie sich hingezogen fühlen, die sie jedoch zugleich fürchten.

Es dauert nicht lang, da erhält auch Kris Besuch, und zwar von seiner seit zehn Jahren toten Ehefrau Hari, für deren Suizid er sich verantwortlich fühlt. Obwohl die Erscheinung ganz real wirkt, versucht Kris zunächst, sich nicht täuschen zu lassen, sondern das Geheimnis mit naturwissenschaftlicher Sachlichkeit zu ergründen.

Bei den „Gästen“ scheint es sich um Träume und Erinnerungen zu handeln, die durch die Wirkung von Solaris materialisiert werden, sodass die Kopie von Hari genauso aussieht, wie Kris sie in Erinnerung hat. Die drei Menschen an Bord der Raumstation begreifen schließlich, dass sie selbst Objekte für Experimente der außerirdischen Intelligenz auf Solaris sind. Können Sie sich dagegen wehren?

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Mit dem 1961 veröffentlichten Roman „Solaris“ initiierte der vielseitige polnische Schriftsteller Stanislaw Lem (1921 – 2006) eine philosophische Ausrichtung des Science-Fiction-Genres. Es geht in „Solaris“ um die erkenntnistheoretische Frage, ob Menschen fähig sein würden, mit einer andersartigen extraterrestrischen Intelligenz zu kommunizieren. Stanislaw Lem befürchtete offenbar, dass die Menschheit damit überfordert wäre. Die Wissenschaft – in diesem Fall die Solaristik – ist nicht in der Lage, extraterristrische Intelligenzen wie auf Solaris zu ergründen, weil dafür keine Begriffe vorhanden sind. Den Forschern ist es nur möglich, das Unbekannte nach ihren eigenen Erfahrungen und Maßstäben einzuschätzen; sie können also kaum etwas finden, was sie nicht selbst mitbringen. Es gibt weder eine unvoreingenommene Betrachtung noch eine letzte Erkenntnis. Das erinnert an Immanuel Kant (1724 – 1804). Der Philosoph nahm an, dass wir von einem in seinem eigentlichen Sein nicht erkennbaren „Ding an sich“ nur einen Teil wahrnehmen können – und auch den nur in vorgegebenen Anschauungs- und Denkformen. Kant ging davon aus, dass alles Erkennen aus zwei Quellen stammt: Die Inhalte werden sukzessiv von außen gewonnen, die Formen aber, in denen diese Erfahrungen bewusst werden, stammen aus dem überindividuellen menschlichen Geist. Stanislaw Lem zeigt, dass es unmöglich ist, zwischen real und unwirklich zu unterscheiden. Die Erforschung des Anderen ist immer nur die Suche nach uns selbst.

Mit Ausnahme der materialisierten Erinnerung eines Mannes an Hari kommen in „Solaris“ zwar keine Frauen vor, aber das Weibliche ist durchaus vorhanden, und zwar in Form des Anderen: Die Beschreibung des Solaris-Ozeans ist an mehreren Stellen assoziativ mit der Vulva verknüpft („Lippen, die sich zusammenkrampfen wie lebende, muskulöse, schließende Krater“), und der Bericht des Kosmonauten Berton, den Kris Kelvin liest, lässt die Vorstellung von einer Penetration aufkommen. Auf diese Weise erhält „Solaris“ eine weitere Dimension: Das Ewig-Weibliche als Herausforderung des Mannes.

Obwohl Stanislaw Lem die intelligente, spannende Geschichte aus der Ich-Perspektive erzählt, bleibt er sachlich und zurückhaltend: „Solaris“ hat mit actionreichen Science-Fiction-Romanen nicht viel gemeinsam.

Andrej Tarkowskij („Solaris“, 1972) und Steven Soderbergh („Solaris“, 2002) haben den Roman von Stanislaw Lem verfilmt.

 

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2006

Stanislaw Lem (Biografie / Bibliografie)

Stanislaw Lem: Der Schnupfen

Andrej Tarkowskij: Solaris
Steven Soderbergh: Solaris

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