Stanislaw Lem : Der Schnupfen

Der Schnupfen
Originalausgabe: "Katar", 1976 Übersetzung: Roswitha Buschmann Verlag Volk und Welt, Berlin 1977 Der Schnupfen Übersetzung: Klaus Staemmler Insel Verlag, Frankfurt/M 1977 Süddeutsche Zeitung / Kriminalbibliothek Band 37, München 2006, 157 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Ein ehemaliger amerikanischer Astronaut, der inzwischen für eine Privatdetektei in New York arbeitet, reist nach Italien, um dort gewissermaßen als Lockvogel und Ermittler zugleich eine Serie mysteriöser Erkrankungen von Ausländern aufzuklären, die in fast allen Fällen tödlich endeten.
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Kritik

Reflexionen über die Themen Zufall und Kausalität können die formalen und inhaltlichen Schwächen des Kriminalromans "Der Schnupfen" von Stanislaw Lem nicht ausgleichen.
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Als die von Samuel Ohlin-Gaar geführte Privatdetektei Elgin & Thorn in New York beauftragt wird, den Tod des Amerikaners Arthur T. Adams II. im „Hilton“-Hotel von Rom zu untersuchen, wird der aus Kanada stammende ehemalige Astronaut John nach Italien geschickt. Unter der falschen Identität George L. Simpson, Makler aus Boston, trifft der Allergiker in Neapel ein und fährt genau wie Adams mit dem Wagen nach Rom. Allerdings hat er sich Elektroden auf die Brust geklebt, und die per Funk übertragenen Daten über wichtige Körperfunktionen werden von Kollegen kontrolliert, die ihm unauffällig mit einem anderen Auto folgen. Während er in dem Zimmer übernachtet, in dem Adams starb, geschieht jedoch nichts Besonderes.

Am nächsten Tag bucht John einen Flug von Rom nach Paris. Das Sicherheitssystem des Flughafens beruht darauf, dass die Passagiere auf den Rolltreppen mit verschiedenen technischen Methoden überprüft werden. Hinter John schlägt das Alarmsystem an. Ein Japaner holt eine Handgranate aus einer Kamera, reißt mit den Zähnen den Zünder heraus und stürzt sich rückwärts über die Stufen, als John nach dem Sprengkörper greift. Daraufhin hechtet der Privatdetektiv mit dem Mädchen, das sich zwischen ihm und dem Japaner befand, über das Geländer ins Dunkle. In dem Augenblick, in dem die Granate detoniert, landen sie in einem mit Flüssigkeit gefüllten Behälter und überleben auf diese Weise die verheerende Explosion. Das Mädchen heißt Annabella und ist die Tochter eines Weinhändlers aus Clermont.

Obwohl der Flughafen sofort abgeriegelt wird, gelingt es John, von einer Telefonzelle aus seinen Kontaktmann Randolph („Randy“) Loers anzurufen. Wie befürchtet, werden John und Annabella unter dem Verdacht festgenommen, Komplizen des Attentäters zu sein. Die Polizei führt die beiden ab. Am Ausgang treffen sie auf Randy, der mit Bois Fenner, dem Ersten Sekretär der US-Botschaft in Rom, und einem Dolmetscher herbeigeeilt ist. Fenner sorgt dafür, dass John und Annabella freigelassen werden und mit einer Sondermaschine nach Paris fliegen können.

In Paris sucht John den Elektroniker Dr. Philippe Barth auf und berichtet ihm von Arthur T. Adams II. und anderen Ausländern, die seit dem 27. Juni des vorletzten Jahres unter ähnlichen Umständen in Italien ums Leben kamen. Es handelte sich ausschließlich um männliche Allergiker Mitte fünfzig. Jedes Mal stellten sich nach einer Phase der Erregung und Aggressivität Wahnvorstellungen ein, und darauf reagierten die Betroffenen mit Flucht oder Selbstmord. Von den elf Männern, über die John spricht, kamen zwei mit dem Leben davon; einer gilt als verschollen. Zum Schluss bittet Barth um eine Kurzzusammenfassung:

„Wären Sie jetzt so freundlich, mir das Ganze, aber reduziert auf die Typologie der Todesarten, zu wiederholen.“
„Bitte. Coburn ist ertrunken, unwillkürlich oder mit Absicht. Brunner ist aus dem Fenster gesprungen, aber nicht gestorben.“
„Entschuldigung, was ist jetzt mit ihm?“
„Er wohnt in den Staaten, ist krank, aber er lebt. Im Groben erinnert er sich an die Vorfälle, aber er will damit nichts mehr zu tun haben. Er hat einen Kellner für einen Angehörigen der Mafia gehalten und fühlte sich verfolgt. Mehr konnte er nicht sagen. Soll ich fortfahren?“
„Aber ja doch.“
„Osborn wurde überfahren. Den Unfallschuldigen hat man nicht gefunden. Er hat Fahrerflucht begangen. Emmings hat zweimal versucht, sich umzubringen. Er hat sich erschossen. Leyge, der Schwede, fuhr nach Rom und fiel vom Colosseum. Schimmelreiter starb eines natürlichen Todes im Krankenhaus, an einem Lungenödem nach einem schweren Anfall von Wahn. Heyne ertrank fast und schnitt sich im Krankenhaus die Pulsadern auf. Man rettete ihn. Er starb an Aspirationspneumonie. Swift kam davon. Mittelhorn versuchte ebenfalls zweimal sich umzubringen, erst mit einem Schlafmittel, dann mit Jodtinktur. Er starb an Magenverätzung. Titz kam bei dem Zusammenstoß auf der Autobahn um. Schließlich Adams, im römischen ‚Hilton‘, im Schlaf, wie erstickt, aus ungeklärtem Grund. Von Brigg weiß man nichts.“ (Seite 90f)

Bei einer Party am vierten Tag seines Aufenthalts in Barths Haus hat John Gelegenheit, auch mit Mathematikern und dem Pharmakologen Dr. Lapidus über die mysteriösen Todesfälle in Italien zu reden.

Dann werden Barth und sein Besucher von Inspektor Pingaud eingeladen, sich eine Bandaufnahme des inzwischen pensionierten Kommissars Leclerc anzuhören. Der bearbeitete vor zwei Jahren einen seltsamen Fall. Es ging um Dieudonné Proque, einen Juden aus Deutschland, der 1937 mit seinen Eltern nach Frankreich gekommen war. Nach dem Krieg hatte er sich als Optiker niedergelassen. Im Herbst des vorletzten Jahres veränderte sich der inzwischen Einundsechzigjährige auffällig: er randalierte, griff nach der Festnahme dem Polizisten ins Steuer und verursachte dadurch einen Verkehrsunfall, bei dem er verletzt wurde. Im Krankenhaus schnitt er sich die Pulsadern auf, aber man konnte ihn retten. Einige Tage später starb er durch einen Herzkollaps. Bei den Ermittlungen stieß Kommissar Leclerc auf den Chemiker Dr. Jérôme Dunant, einen Kunden des Optikers. Dunant, der mit einer „X“ genannten Substanz experimentierte, hatte dem Optiker kurz vor dessen Tod dreimal seine Brille zur Reparatur gebracht und äußerte selbst den Verdacht, dass Proques Erkrankung durch Spuren der „Substanz X“ an der Brille verursacht worden war.

John beabsichtigt, nach Rom zurückzufliegen, doch aufgrund eines Streiks fällt der gebuchte Flug aus und er bekommt erst für den nächsten Morgen einen Platz in einer anderen Maschine.

Im Hotelzimmer isst John gebrannte Mandeln aus Neapel. Kurz darauf merkt er, wie er von Wahnvorstellungen heimgesucht wird und kettet sich mit einer Handschelle an einem Heizungsrohr an. Mit der freien Hand versucht er, sich zu erwürgen und verliert schließlich das Bewusstsein. Am anderen Morgen wird er gefunden und in ein Krankenhaus eingeliefert, wo er nach dreißig Stunden wieder zu sich kommt.

Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.

Jetzt weiß er, wie die Männer gestorben sind. Weil sie – bis auf Dieudonné Proque – an Haarausfall litten, nahmen sie ein Hormonpräparat, das seit zwei Jahren von einem Schweizer Pharmaunternehmen nach US-Lizenz hergestellt wird. Um es wirkungsvoller als das Originalprodukt zu machen, hatten die Schweizer die Zusammensetzung modifiziert. Dieses veränderte Präparat verwandelt sich jedoch durch starke Sonneneinstrahlung und die gleichzeitige Einnahme von „Ritalin“ gegen Müdigkeit in die „Substanz X“, die in hohen Dosen oder bei Vorhandensein entsprechender Katalysatoren schwere Depressionen auslösen kann. Als Katalysator wirken Rhodanide, wie sie beispielsweise entstehen, wenn in einer neapolitanischen Mandelbrennerei ein schwefelhaltiges Desinfektionsmittel gegen Schaben verwendet wird und sich der Schwefel bei hohen Temperaturen mit dem Zyanid der Mandeln verbindet. Die Wirkung der „Substanz X“ steigert sich noch weiter, wenn jemand ein Schwefelbad nimmt – etwa weil er an einem allergischen Schnupfen leidet.

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Einem Vergleich mit „Solaris“ hält der Kriminaloman „Der Schnupfen“ nicht stand, denn Stanislaw Lem tischt uns hier eine abstruse Geschichte auf und kann auch formal nicht überzeugen. Der Ich-Erzähler, ein ehemaliger amerikanischer Astronaut, der im Auftrag einer Privatdetektei in New York mysteriöse Todesfälle von Ausländern in Italien aufklären soll und dabei zugleich als Lockvogel und Ermittler fungiert, überlebt vor dem Abflug von Rom nach Paris nur knapp den Sprengstoffanschlag eines japanischen Selbstmordattentäters, der allerdings überhaupt nichts mit den zu untersuchenden Fällen zu tun hat, über die er dann mit französischen Wissenschaftlern räsoniert, ohne dabei zu einem Ergebnis zu kommen. Gegen alle Regeln der Kunst verstößt Stanislaw Lem, wenn er den Ich-Erzähler 25 Seiten lang (Seiten 50 bis 75) nacheinander über elf ähnliche Fälle berichten lässt und einige Zeit später (Seiten 114 bis 128) den langen Monolog eines Kriminalkommissars über einen weiteren ungeklärten Todesfall einschiebt. Diese Schwächen werden durch Reflexionen über die Themen Zufall und Kausalität nicht ausgeglichen.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2006
Textauszüge: © Insel Verlag

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