Kazuo Ishiguro : Was vom Tage übrigblieb

Was vom Tage übrigblieb
Originalausgabe: The Remains of the Day, 1989 Was vom Tage übrigblieb Übersetzung: Hermann Stiehl Rowohlt Verlag, Reinbek 1990 Taschenbuch: Btb, München 2005 ISBN: 344273309X, 287 Seiten Karl Blessing Verlag, München 2018 ISBN: 978-3-89667-640-5, 288 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Stevens, der seit 30 Jahren als Butler auf dem Landsitz Darlington Hall tätig ist, fährt 1956 mit dem Wagen des neuen Besitzers nach Weymouth zu Miss Kenton, die früher als Wirtschafterin mit ihm zusammengearbeitet hatte und die er nun nach Darlington Hall zurückholen möchte. Während der mehrtätigen Reise zieht er die Bilanz seines wegen Pflichterfüllung und Selbstverleugnung versäumten Lebens ...
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Kritik

Kazuo Ishiguro ist es vortrefflich gelungen, den Lesern die tragische Romanfigur des Butlers Stevens nahezubringen, aus dessen traurigen Erinnerungen und Gedanken der vielschichtige, sensible und differenzierte Roman "Was vom Tage übrigblieb" besteht.
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Stevens, der seit dreißig Jahren als Butler auf dem englischen Landsitz Darlington Hall tätig ist, fährt 1956 mit dem Wagen des neuen Besitzers nach Weymouth zu Miss Kenton, die früher als Wirtschafterin mit ihm zusammengearbeitet hatte und die er nun nach Darlington Hall zurückholen möchte.

Während der sechstägigen Reise denkt Stevens über sein Leben nach.

Von Anfang an unterdrückte Stevens seine persönlichen Bedürfnisse und zog sich ganz auf die Rolle des pflichtbewussten, pedantisch-korrekten und auf die Etikette bedachten Butlers zurück. Freiraum für ein eigenes Leben gestattete er sich nicht. Sogar als sein Vater im Sterben lag, ging er erst zu ihm, nachdem er seine gerade anliegenden Aufgaben als Butler erledigt hatte. Doch da war sein Vater bereits tot.

Es ist also durchaus möglich, dass mein Dienstherr eine Erwiderung in gleicher Weise erwartet, wenn er in scherzendem, neckendem Ton mit mir spricht, und die Tatsache, dass ich mich nicht so verhalte, als eine Form von Nachlässigkeit einstuft. Dies ist, wie gesagt, ein Umstand, der mir einige Sorge bereitet. Aber ich muss gestehen, dass dieser scherzhafte Umgangston zu den Pflichten gehört, deren ich mich niemals mit Begeisterung entledigen könnte. Es ist recht schön und gut, seine Arbeit in diesen sich wandelnden Zeiten der Entwicklung anzupassen und Aufgaben in die Tätigkeit zu integrieren, die traditionsgemäß nicht Bestandteil derselben sind, aber dieser scherzende Ton ist eine Sache für sich. Denn wie könnte man je ganz sicher sein, ob in einer bestimmten Situation eine Erwiderung von der scherzhaften Art wirklich das ist, was erwartet wird? Man braucht kaum näher auf die katastrophale Möglichkeit einzugehen, dass man eine scherzende Bemerkung macht, die wie man dann feststellt, völlig unangebracht ist. (Seite 24)

Miss Kenton, die er in den Dreißigerjahren als Wirtschafterin einstellte, brachte seine Welt gleich am ersten Arbeitstag durcheinander, indem sie einen frischen Blumenstrauß arrangierte. Als sie ihn mit einem Buch (einem Liebesroman!) ertappte und wissen wollte, was er las, war er sprachlos über diesen Einbruch in seine Privatsphäre. Stevens verleugnete die aufkeimende Liebe, übersah die dezenten Andeutungen der etwas jüngeren Frau und hielt sie durch Anordnungen und nicht immer gerechte Zurechtweisungen auf Distanz. Respekt für ihre Arbeit war alles, was er sich ihr gegenüber erlaubte.

Inzwischen begreift er, dass er durch seine Selbstverleugnung sein Leben versäumte und hofft, die Fehler von damals wieder gutmachen zu können.

In seiner perfektionierten Dienerrolle sah er auch darüber hinweg, dass Lord Darlington konspirative Treffen zwischen britischen und nationalsozialistischen Politikern auf seinem Landsitz organisierte, für ein autoritäres Regime in England eintrat und zwei deutsche Hausmädchen entließ, weil es Jüdinnen waren.

Nach dem Krieg starb Lord Darlington, zermürbt von einer Pressekampagne und einem Gerichtsverfahren. Das Personal zerstreute sich. Nur Stevens blieb und verwaltete den verfallenden Landsitz wie ein Hausmeister, bis der reiche Amerikaner Lewis Darlington Hall kaufte und das Gut wieder herrichten ließ.

Miss Kenton hatte vor Jahren geheiratet, ihren Mann jedoch nach einiger Zeit wieder verlassen. Als sie in einem Brief andeutete, an einer erneuten Anstellung in Darlington Hall interessiert zu sein, brach Stevens auf, um sie abzuholen.

Seine Hoffnungen erfüllen sich nicht: Miss Kenton hat inzwischen erfahren, dass ihre Tochter ein Kind erwartet und deshalb beschlossen, zu ihrem Mann und der Familie zurückzukehren. Als sie Stevens andeutet, dass sie sich damals ein gemeinsames Leben mit ihm hätte vorstellen können, schmerzt ihn das Versäumte noch mehr. Es bleibt ihm nur noch, das Beste aus dem zu machen, „was vom Tage übrigblieb“.

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In seinem vielschichtigen Roman „Was vom Tage übrigblieb“ (Schreibweise des Verlags; nach neuer Rechtschreibung sollte es eigentlich heißen: „Was vom Tage übrig blieb“) porträtiert Kazuo Ishiguro auf sehr sensible und differenzierte Weise einen unglücklichen alten Mann, der während einer mehrtägigen Autofahrt Bilanz zieht und dabei zu spät begreift, dass er durch seine Selbstverleugnung als Butler sein Leben und seine Liebe versäumte. Kazuo Ishiguro ist es vortrefflich gelungen, den Lesern diese tragische Romanfigur nahezubringen. Er kritisiert zugleich lebensfeindliche gesellschaftliche Konventionen und selbstgerechte Menschen, die ihre Pflicht erfüllen und glauben, es sei nicht ihre Aufgabe, sich um das Fehlverhalten von Autoritäten zu kümmern.

Kazuo Ishiguro beginnt seinen Roman „Was vom Tage übrigblieb“ mit einem Prolog, der 1956 auf dem Landsitz Darlington Hall spielt. In den folgenden sieben Kapiteln schildert er die sechstägige Reise des Protagonisten. Oberflächlich betrachtet, geschieht da recht wenig, weil es sich im Grunde um eine Reise des Butlers Stevens zu sich selbst handelt: Seine melancholischen Erinnerungen und Gedanken stehen im Mittelpunkt des meisterhaften Romans.

James Ivory verfilmte den Roman: „Was vom Tage übrig blieb“ (1993).

 

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2005
Textauszüge: © Rowohlt Verlag

James Ivory: Was vom Tage übrig blieb

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Mehr als zwei Jahrzehnte lang las ich rund zehn Romane pro Monat und stellte sie dann mit Inhaltsangaben und Kommentaren auf dieser Website vor. Zuletzt dauerte es schon zehn Tage und mehr, bis ich ein neues Buch ausgelesen hatte, und die Zeitspanne wird sich noch verlängern: Aus familiären Gründen werde ich das Lesen und die Kommunikation über Belletristik deutlich reduzieren.