Aimée & Jaguar

Aimée & Jaguar

Aimée & Jaguar

Originaltitel: Aimée & Jaguar - Regie: Max Färberböck - Drehbuch: Max Färberböck und Rona Munro, nach dem Roman "Aimée und Jaguar" von Erica Fischer - Kamera: Tony Imi - Schnitt: Barbara Hennings - Musik: Jan Kaczmarek - Darsteller: Maria Schrader, Juliane Köhler, Johanna Wokalek, Heike Makatsch, Elisabeth Degen, Detlev Buck, Inge Keller, Kyra Mladeck, Peter Weck, Dani Levy, Peer Jäger, Rosel Zech, Desirée Nick, Hans-Christoph Blumenberg u.a. - 1999; 125 Minuten

Inhaltsangabe

Im November 1943 besucht Felice ein Konzert in Berlin. Eine Blondine kommt zu spät und muss erst durch eine Sitzreihe schlüpfen, bis sie zu ihrem Platz neben einem Wehrmachtsoffizier gelangt. Felice erfährt, dass es sich um Lilly Wust und einen ihrer Geliebten handele. Wegen des Fliegeralarms wird die Aufführung abgebrochen. Im Gedränge fällt Lilly die Brille zu Boden. Felice hebt sie auf. So lernen sie sich kennen. Es ist der Beginn einer tragischen Liebesgeschichte.
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Kritik

Nach der Wende erzählte Lilly Wust ihr Leben der Schriftstellerin Erica Fischer. Deren 1994 veröffentlichtes Buch "Aimée & Jaguar" erwies sich als Bestseller. Max Färberböck drehte darüber mit hervorragenden Schauspielerinnen einen zwar gefühlsbetonten aber unsentimentalen Film.
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1997: Während ein Immobilienmakler eine interessierte Familie durch eine verwahrloste Wohnung in Berlin führt, kauert die bisherige Mieterin (Inge Keller) in einem Sessel. „Der Stuhl und die Fotos gehören mir“, betont die 84 Jahre alte Dame. Lilly Wust heißt sie. Eine Pflegerin aus einem Altersheim holt sie ab. Zufällig lebt dort auch Ilse (Kyra Mladeck). Sie sorgte 1943/44 als dienstverpflichtetes Hausmädchen für Lilly und deren vier Kinder.

Im November 1943 besucht Ilse (Johanna Wokalek) mit ihrer knapp 30-jährigen Freundin Felice Schragenheim (Maria Schrader) ein Konzert in Berlin. Eine etwa gleichaltrige Blondine (Juliane Köhler) kommt zu spät und muss erst durch eine Sitzreihe schlüpfen, bis sie zu ihrem Platz neben einem Wehrmachtsoffizier gelangt. Tuschelnd macht Ilse ihre Begleiterin darauf aufmerksam, dass es sich um Lilly Wust und einen ihrer Geliebten handele. Günther Wust kämpfe als Hauptmann an der Ostfront. Gleich darauf heulen die Sirenen. Wegen des Fliegeralarms wird die Aufführung der 9. Sinfonie von Ludwig van Beethoven abgebrochen. In dem Gedränge fällt Lilly die Brille zu Boden. Felice hebt sie auf. So lernen sie sich kennen.

„Ihr Vater war ein guter Arzt“, raunt jemand Felice zu. „Nehmen Sie sich in Acht!“ Die brünette junge Frau ist Jüdin. In der Straße beobachtet sie, wie Juden abgeholt und auf Lastwagen verladen werden. Statt sich zu verstecken, arbeitet sie unter falschem Namen für eine nationalsozialistische Zeitung – und insgeheim für eine Widerstandsorganisation.

Unbekümmert schreibt sie Lilly einen anonymen Liebesbrief, den sie mit „Jaguar“ unterzeichnet. Aufgeregt liest Lilly die schwärmerischen Sätze. Wer hat sie wohl geschrieben? Auf den Gedanken, eine Frau könne die Absenderin sein, kommt sie nicht.

Vier kleine Söhne sorgen in der Wohnung der Mutterkreuzträgerin – die auch eine Hitlerbüste auf der Kommode stehen hat – immer wieder für Unordnung, bis sie ihnen droht: „Wenn ihr jetzt nicht aufhört, schicke ich euch zu den Menschenfressern nach Bayern!“ Um ungestört Liebhaber empfangen zu können, schickt sie Ilse mit den Kindern häufig in den Zoo. Verzweifelt sehnt sie sich nach Liebe, aber die Männer, die sie stolz auf ihren erigierten Penis aufmerksam machen und dann ihre Lust befriedigen, achten nicht darauf, dass sie auf Zärtlichkeit wartet.

Im Hotel Adlon, wo Felice und ihre drei Freundinnen Ilse, Lotte (Elisabeth Degen) und Klärchen (Heike Makatsch) von Soldaten zu einem Glas Wein eingeladen werden, sehen sich Lilly und Felice wieder. Zu fünft ziehen sie in Lillys Wohnung und feiern dort weiter. Für Felice ist es zunächst nur ein Spiel, die blonde Deutsche zu verführen, die behauptet, Juden am Geruch zu erkennen, doch Ilse spürt, dass sie sich in Lilly verliebt hat und reagiert mit einer heftigen Eifersuchtsszene. Felices Vater (Peer Jäger), der unbeabsichtigt Zeuge des Streits wird, erfährt auf diese Weise, dass seine Tochter lesbisch ist und wirft sie aus der Wohnung. Ilse bringt sie bei Lilly unter.

Die Nationalsozialisten sperren ertappte Lesbierinnen in KZs; bei Lotte und Klärchen handelt es sich – wie bei Felice – außerdem um Jüdinnen. Gemeinsam stehen sie halbnackt Modell für Fotos, die sich gut an Frontsoldaten verkaufen lassen. Als Gegenleistung verspricht der mit Felice befreundete Fotograf, gefälschte Papiere besorgen, damit sie aus Deutschland fliehen können. Auf dem Heimweg bleibt Lotte etwas zurück. Ihren drei Freundinnen gelingt es, unbehelligt an zwei Polizisten in Zivil vorbeizukommen. Lotte wird aufgefordert, sich auszuweisen. Als sie wegläuft, zieht einer der Beamten seine Pistole und erschießt sie.

Für Silvester hat Hauptmann Günther Wust (Detlev Buck) Heimaturlaub bekommen. In seiner Wohnung trifft der verblüffte Frontoffizier seine Frau mit Felice, Inge und deren Freundinnen an. Nachdem die Gäste gegangen sind, entdeckt Lilly ihren Mann und das Hausmädchen eng umschlungen in einer Ecke. Da zieht Felice die Freundin an sich und versucht sie zu küssen, aber Lilly wehrt sich heftig. „Spinnt ihr denn jetzt alle?“, fragt sie verwirrt.

Doch sobald ihr Mann wieder abgereist ist, sinkt sie Felice in die Arme. Vor Angst und Erregung zittert die ebenso naive wie lebensgierige Frau. Und der unverzagte Wildfang, dessen Liebkosungen sie sich hingibt, erklärt ihr: „Du bist Aimée; ich bin Jaguar.“

Durch ein Foto in Lottes Brieftasche kommt die Polizei auf Felices Spur und sucht sie in der Wohnung ihrer Eltern.

Um Lillys Geburtstag zu feiern, nimmt Günther Wust noch einmal Urlaub. Seine Frau hat mit ihren neuen Freundinnen bereits in der Nacht gefeiert. Als er eintrifft, schlafen sie pärchenweise. Lilly findet er neben Felice im Ehebett. Da begreift er: Seine Frau ist lesbisch! Im Verlauf des Streits gesteht sie ihm, sie habe ihn nie geliebt und verlange die Scheidung. Danach kehrt sie erleichtert und froh über ihre neu gewonnene Unabhängigkeit zu ihren Gästen zurück, aber die teilen ihre Freude nicht: Wenn Günther Wust zur Polizei geht und sie als Lesbierinnen anzeigt, sind sie in großer Gefahr, ganz besonders die beiden Jüdinnen Felice und Klärchen.

Während die Gestapo nach ihr fahndet, folgt Felice am 20. Juli 1944 einer Einladung ihres Chefredakteurs Keller (Peter Weck) zu einem Empfang im Reichssicherheitshauptamt. Da platzt die Nachricht über ein Attentat auf den „Führer“ herein. Glücklich läuft Felice am späten Abend zu Lilly. Die sitzt am Volksempfänger und hört erleichtert die Ansprache, die Hitler hält, um zu beweisen, dass er den Anschlag überlebt hat. Da wird Felice bewusst, dass der Abgrund, der sie als Jüdin von der Mitläuferin trennt, weiter existiert.

Mit den gefälschten Papieren wollen Felice, Ilse und Klärchen Berlin verlassen. Der Widerstandskämpfer Fritz Borchert (Dani Levy), der mit Felice konspiriert hat, soll sie zum Zug bringen. Felice kommt zum Treffpunkt, doch nur, um sich zu verabschieden: Sie bleibt bei Lilly in Berlin.

Als sie wieder bei Lilly auftaucht, macht ihr diese eine Szene. Tagelang hat sie auf Felice gewartet. Voller Angst und Eifersucht empfindet sie es demütigend, durch ihre Liebe an sie gebunden zu sein. „Aimée“ befürchtet, für „Jaguar“ nur ein Abenteuer zu sein und schimpft sich selbst dumm und leichtgläubig. Da verrät Felice ihrer verzweifelten Geliebten: „Ich bin Jüdin, Lilly.“ Entgeistert starrt die blonde deutsche Mitläuferin sie an. Auch Lillys Eltern sind entsetzt, als sie erfahren, mit wem ihre Tochter so eng befreundet ist. Dem Vater fehlen die Worte – aber er schließt Felice in die Arme.

Nach einem vergnügten Badeausflug kehren die beiden Freundinnen im August 1944 in die Wohnung zurück. Da warten bereits Geheimpolizisten auf sie und führen Felice ab.

Mehr als 50 Jahre später erinnern sich Ilse und Lilly im Park des Altersheims an die Ereignisse während des Kriegs. Günther fiel an der Ostfront. Niemand weiß, was mit Felice geschehen ist. Vermutlich kam sie bei einem Todesmarsch der Häftlinge von Theresienstadt ums Leben. Das Amtsgericht Berlin-Charlottenburg erklärte sie 1948 für tot. „Das Schicksal hat mich betrogen“, klagt Lilly, doch Ilse entgegnet trocken: „Früher der Führer. Jetzt das Schicksal. Immer etwas Großes!“ Sie hat sich damit abgefunden, dass sie nichts anderes mehr als „zwei Mahlzeiten täglich“ zu erwarten hat. Während sich Ilse nach dem Krieg auf mehrere erotische Beziehungen einließ, hat Lilly immer nur an „Jaguar“ gedacht und sich dabei gefragt, ob Felice ihretwegen nicht geflohen und deshalb ums Leben gekommen war.

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Nach der Wende erzählte Lilly Wust (geboren 1913) ihr Leben der Schriftstellerin Erica Fischer. Deren 1994 veröffentlichtes Buch „Aimée & Jaguar“ erwies sich als Bestseller. Basierend auf diesem Material und anderen Dokumenten schrieben Max Färberböck und die britische Autorin Rona Munro das Drehbuch für den Film, mit dem am 10. Februar 1999 die 49. Berlinale eröffnet wurde.

Während Nachrichten von der Front jede Hoffnung auf ein rasches Ende des Krieges zunichte machen, gefährden Bombenangriffe das Leben vor allem der Stadtbewohner. Die Jüdin Felice muss außerdem jeden Augenblick damit rechnen, dass sie von Nationalsozialisten umgebracht wird. Aber die Existenzbedrohung hält sie nicht davon ab, den Augenblick zu genießen: Für die Liebe riskiert sie ihr Leben. Im Schlussbild sehen wir in einer Rückblende, wie sie auf die Frage ihrer Freundinnen, was sie sich vom Leben erwarte, antwortet: „Ich? Ich will euch, euch alle – alles. Aber ich benüge mich mit einem Moment, so vollkommen, dass er für das ganze Leben reicht.“ Durch sie lernt auch die unbedarfte Lilly die Liebe kennen.

Max Färberböck inszenierte diesen Tanz auf dem Vulkan in zwar gefühlsbetonten aber unsentimentalen, ästhetisch komponierten Bildern. Er erhielt dafür den Bayerischen Filmpreis. Maria Schrader und Juliane Köhler wurden für ihre hervorragende schauspielerische Leistung mit Silbernen Bären geehrt.

So eine Konfrontation mit Einzelschicksalen zeigt den Wahnsinn des NS-Regimes eindringlicher als jede abstrakte Aufzählung von Millionen Opfern.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2002/2003

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