Emerenz Meier
Emerenz Meier wurde am 3. Oktober 1874 in Schiefweg bei Waldkirchen nördlich von Passau als eines von acht Kindern des Ehepaars Josef und Emerenz Meier geboren. Ihr Vater besaß eine Gastwirtschaft in Schiefweg, außerdem bewirtschaftete er einen Bauernhof und handelte mit Vieh. In der Schule tat sich das aufgeweckte Mädchen leicht, aber mehr als fünf Klassen durfte Emerenz nicht besuchen, und die höheren Schulen waren ohnehin bis 1903 Jungen vorbehalten. Sie las viel – vor allem Goethe, Schiller, Heine, Dante, Homer – und schrieb schon als zehnjähriges Kind Gedichte und Geschichten. Dabei zeigte sich, dass sie das Leben im Dorf genau beobachtete. Aber dafür hatten die ungebildeten Eltern kein Verständnis; sie hielten die „Verslmacherei“ ihrer Tochter für Zeitverschwendung und forderten sie auf, lieber den Gästen im Wirtshaus das Bier an den Tisch zu bringen.
Als 1891 Emerenz‘ Schwester Petronilla heiratete, übernahm deren Ehemann Hans Egerer das Anwesen in Schiefweg. Josef Meier erwarb im benachbarten Oberndorf einen kleineren Hof, und Emerenz durfte sich dort eine Dichterstube einrichten, obwohl man sie weiterhin verspottete.
Zwei Jahre später veröffentlichte die Passauer Donau-Zeitung die Erzählung „Der Juhschroa“ von Emerenz Meier, und weitere sieben Erzählungen folgten. Nachdem Hans Carossa (1878 – 1956) ihr 1896 in Königsberg erschienenes (einziges) Buch gelesen hatte – eine Sammlung von Erzählungen mit dem Titel „Aus dem bayrischen Wald“ –, besuchte er sie 1898. Der aus Löbau stammende Passauer Hoffotograf Alphons Adolph (1853 – 1934), der 1877 erstmals eine Postkarte mit einem Urlaubsmotiv bedruckt hatte und deshalb als Erfinder der Ansichtskarte gilt, bot ab 1898 eine Karte „Gruß aus Waldkirchen“ an, auf der Emerenz Meier in einem Trachtenkleid und ihr Geburtshaus in Schiefweg abgebildet waren. Ihre Gedichte und Kurzgeschichten erschienen in Zeitungen, Zeitschriften und Kalendern. Emerenz Meier wurde zwar von Therese Prinzessin von Bayern (1850 – 1925) empfangen, die nicht nur als Ethnologin und Biologin, sondern auch als Reiseschriftstellerin tätig war, aber das erhoffte Stipendium bekam sie nicht.
Emerenz Meier, ein Naturtalent, erzählte vom dörflichen Leben und von skurrilen Figuren. In ihren volkstümlichen, naturalistischen Geschichten zeigte sie auch Ungerechtigkeiten auf und rebellierte gegen überkommene Gepflogenheiten.
1900 musste der Vater seinen heruntergewirtschafteten Hof verkaufen, und Emerenz Meier zog für kurze Zeit nach Würzburg. Zwei Jahre später übernahm sie mit Hilfe des Brauereibesitzers Alfons Hellmannsberger eine Gaststätte in Passau, scheiterte aber mit ihrem Plan, daraus eine Künstlerkneipe zu machen. Ab 1903 lebte sie in München, bis sie einen Bauernhof in Simplon bei Fürsteneck nördlich von Passau übernahm. Aber die Einnahmen reichten nicht zum Leben.
Nachdem der Vater und einige seiner Töchter mit ihren Familien nach Amerika ausgewandert waren, folgte ihnen Emerenz Meier 1906 mit ihrer Mutter.
Im „Waldlerviertel“ von Chicago, wo sie sich niederließen, lernte Emerenz Meier den aus Wotzmannsreuth bei Waldkirchen stammenden Auswanderer Franz Schmoeller kennen. Die beiden heirateten 1907 und bekamen im Jahr darauf einen Sohn. Nach dem Tod ihres alkoholkranken Ehemanns (1912) vermählte sich Emerenz Meier mit dem Schweden John Lindgren, der in einer Fabrik in Chicago als Expedient angestellt war.
Die mit der Auswanderung verbundenen Hoffnungen erfüllten sich nicht. Darüber hinaus fehlte Emerenz Meier das Leben im Bayerischen Wald als Inspirationsquelle für ihre Geschichten. Sie hielt zwar Vorträge vor anderen Emigranten, und deutschsprachige Zeitungen in Chicago druckten Gedichte und Kurzgeschichten von ihr, aber dafür bekam sie nur ein Taschengeld.
Nach dem Ersten Weltkrieg nahm Emerenz Meier den Kontakt mit der Heimat wieder auf. In den Briefen, die sie ihrer Freundin Auguste Unertl in Waldkirchen schrieb, kritisierte sie die gesellschaftlichen Verhältnisse in Europa und in den USA. Emerenz Meier prangerte den Kapitalismus an und warf der Kirche vor, zu wenig gegen soziale Ungerechtigkeiten zu unternehmen. Als sie in Chicago als Bierbrauerin ein wenig Geld verdiente, schickte sie Hilfspakete in den Bayerischen Wald.
Am 28. Februar 1928 starb Emerenz Meier in Chicago im Alter von dreiundfünfzig Jahren an den Folgen einer Nierenentzündung.
Jo Baier drehte zwei Filme über die niederbayrische Heimatdichterin. In „Schiefweg“ wird Emerenz Meier von Daniela Schötz gespielt, in „Wildfeuer“ von Anica Dobra.
Literatur über Emerenz Meier:
- Hans Bleibrunner und Alfred Fuchs (Hg.): Emerenz Meier. Aus dem Bayerischen Wald. Erzählungen. Gedichte. Mit einem Lebensbild der Dichterin von Max Peinkofer und einer Erinnerung Hans Carossas an seine Begegnung mit der Schriftstellerin (Mosaik-Verlag, Grafenau 1974)
- Friedemann Fegert: Emerenz Meier in Chicago. Auswanderung und Leben ihrer Familie in Amerika (Edition Lichtland, Freyung 2014)
- Hans Göttler (Hg.): Emerenz Meier. Gesammelte Werke (2 Bände, Mosaik-Verlag, Grafenau 1991)
- Hans Göttler: „… des freien Waldes freies Kind“. Ein Emerenz-Meier-Lesebuch (Mosaik-Verlag, Grafenau 2008)
- Michaela Karl: Emerenz Meier. Die Bayerwald-Dichterin. In: Bayerische Amazonen. Zwölf Porträts (Verlag F. Pustet, Regensburg 2004)
- Paul Praxl (Hg.): „Ich bin fürchterlich radikal gesinnt“. Die unbekannte Emerenz Meier (Dietmar Klinger Verlag, Passau 2012)
© Dieter Wunderlich 2008 / 2014
Jo Baier: Wildfeuer