Kennedys Hirn

Kennedys Hirn

Kennedys Hirn

Originaltitel: Kennedys Hirn – Regie: Urs Egger – Drehbuch: Nils-Morten Osburg nach dem Roman "Kennedys Hirn" von Henning Mankell – Kamera: Martin Kukula – Schnitt: Andrea Mertens – Musik: Marius Ruhland – Darsteller: Iris Berben, Heino Ferch, Michael Nyqvist, Christophe Malavoy, Mata Gabin, Hans-Michael Rehberg, Emile Abossolo M'bo, Bjørn Floberg, Karl Markovics, Rolf Lassgård, Birge Schade, Andreas Wilson, Julia Dufvenius, Benio Odorico Muguambe u.a. – 2010; 175 Minuten

Inhaltsangabe

Die schwedische Archäologin Louise Cantor will ihren 27-jährigen Sohn Henrik besuchen, findet ihn jedoch tot vor. Die Polizei kommt zu dem Schluss, dass es sich um einen Suizid handelt, aber Louise kann das nicht glauben. Sie reist mit ihrem Ex-Mann Aron nach Südafrika, wo Henrik die letzten 3 ½ Monate als Journalist recherchierte. Schritt für Schritt findet sie heraus, dass er dabei war, einen Skandal aufzudecken ...
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Kritik

"Kennedys Hirn" – die Verfilmung eines Romans von Henning Mankell durch Urs Egger – ist ein spannender Thriller, auch wenn Teile der Geschichte hanebüchen sind und allzu häufig Zufälle bemüht werden.
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Louise Cantor (Iris Berben), eine schwedische Archäologin Mitte 50, unterbricht ihre Ausgrabungen in Heraklion und fliegt zu einem Kongress nach Oslo, wo sie einen Vortrag halten und die Nacht mit dem befreundeten Kollegen Peer Hellström (Rolf Lassgård) verbringen will. Am Abend erhält sie einen unerwarteten Anruf ihres 27-jährigen Sohnes Henrik (Andreas Wilson), den sie seit Monaten nicht gesehen hat. Er sei aus Johannesburg zurück und auf dem Weg vom Flughafen zu seiner Wohnung in Göteborg, sagt er, und sie verabreden sich dort.

Während der Autofahrt von Oslo nach Göteborg ruft Louise ihren Sohn noch einmal an, erreicht jedoch nur die Mailbox.

Als Louise in die Wohnung ihres Sohnes kommt, zu der sie einen Schlüssel besitzt, sieht sie Henrik tot auf dem Bett liegen.

Chefinspektor Vrede (Bjørn Floberg) leitet die Ermittlungen. Weil auf dem Nachtisch Schlaftabletten gefunden wurden, geht er von einem Suizid aus. Dass ihr Sohn sich das Leben nahm, kann Louise sich nicht vorstellen. Außerdem fällt ihr auf, dass Henrik mit einem Pyjama bekleidet war, obwohl er keine Schlafanzüge mochte und nackt schlief. Und die Polizei findet in der Wohnung kein Handy, obwohl Henrik als Journalist gewiss eines besaß und seine Mutter ja auch von unterwegs anrief.

Bei der Obduktion stellt sich heraus, dass Henrik tatsächlich an einer Überdosis Schlafmittel starb und HIV positiv war. Louise ist entsetzt. Wo infizierte sich ihr Sohn mit Aids?

Vrede hält den Fall für abgeschlossen und legt ihn zu den Akten. Aber Louise, die während ihres Aufenthalts in Schweden bei ihrem Vater Ingvar Holmqvist (Hans-Michael Rehberg) wohnt, ist überzeugt, dass der Selbstmord vorgetäuscht wurde.

Von der Journalistin Berit Svensson (Julia Dufvenius), einer früheren Freundin Henriks, erfährt sie noch etwas über ihren Sohn, das nicht zu ihrem Bild von ihm passt: Während er mit Berit ein Jahr lang zusammen war, soll er sie mit anderen Frauen betrogen haben. Berit weiß zwar, dass Henrik vor dreieinhalb Monaten nach Kapstadt flog, aber nicht, was er dort recherchierte. Sie bringt Louise mit dem Chefredakteur Mikael Rossberg (Karl Markovics) zusammen, aber der kann es auch nicht sagen. Offenbar hielt er auch nicht viel von Henrik, denn er erzählt verächtlich davon, dass Henrik ihm einmal eine Story über den Verbleib von Kennedys Hirn „andrehen“ wollte.

Bei Henriks Sachen findet Louise zu ihrer Überraschung einen Brief seines Vaters Aron Cantor (Christophe Malavoy), der sie und den Sohn vor 25 Jahren sitzen ließ. Sie ahnte nicht, dass Aron und Henrik wieder in Kontakt standen. Aron, der sein Computer-Unternehmen verkaufte und reich ist, lebt in einer modernen Villa auf einer eigenen Insel. Louise besucht ihn und erfährt, dass Henrik sich vor seiner Südafrika-Reise eine größere Geldsumme von seinem Vater lieh, ohne zu verraten, wozu er sie benötigte. Henrik wohnte übrigens nach seiner Ankunft in Kapstadt einige Wochen lang in einem Apartment, das seinem Vater gehört.

Louise will nach Südafrika, um herauszufinden, was Henrik dort machte und warum er ermordet wurde. Aron begleitet sie.

Ihr einziger Ansatzpunkt ist zunächst das Foto einer schwarzen Afrikanerin, das bei Henriks Sachen lag. Darauf schrieb er „Diana Botha, Kapstadt“. Louise und Aron spüren eine Frau dieses Namens in einer Spedition auf. Aber die Angestellte (Birge Schade) ist weiß und blond! Außerdem behauptet sie, Henrik Cantor nicht gekannt zu haben.

Aron hält weitere Nachforschungen für sinnlos, aber dann merkt er, dass Henrik auf dem PC in seinem Apartment verschlüsselte Dateien ablegte. Als Computerfachmann fällt es ihm nicht schwer, sie lesbar zu machen. Henrik hat unter anderem Buch über monatliche Flüge der Speditionsangestellten Diana Botha nach Maputo geführt.

Louise schleicht sich in das Apartmenthaus, in dem Diana Botha wohnt und beobachtet, wie die junge Frau von ihrem Chef (Leon Clingman) und einem Mann mit einer Gesichtsnarbe (Akram Allie) in die Tiefgarage gebracht wird. Diana Botha beteuert mehrmals, nichts verraten zu haben. Die Männer nehmen sie im Auto mit, und es sieht nach einer Entführung aus. Louise meldet das der Polizei, aber der Beamte hält ihre Vermutung nicht für stichhaltig und unternimmt deshalb nichts.

Während Aron in seinem Apartment schläft, übernachtet Louise im Hotel. Am nächsten Tag sind sie in einem Café verabredet. Auf dem Weg dorthin sieht Aron Louise vor sich, und es fällt ihm auf, dass sie von einem Mann mit einer Narbe im Gesicht verfolgt wird. Aron holt ihn ein und spricht ihn an.

Louise wartet in dem Café vergeblich auf Aron. Unter der Nummer seines Handys erreicht sie nur die Mailbox. Schließlich meldet sie ihn bei der Polizei als vermisst und verweist auf einem möglichen Zusammenhang mit der Entführung der Speditionsangestellten. Ein Kommissar geht mit ihr in die Spedition, aber Diana Botha sitzt an ihrem Arbeitsplatz und beteuert, dass ihr niemand etwas getan habe. Arons Leiche wird in einer Kühlkammer des Gerichtsmedizinischen Instituts gefunden. Es sieht so aus, als sei er das Opfer eines Raubmords geworden.

Entmutigt und frustriert beschließt Louise, ihre Nachforschungen aufzugeben, aber am Flughafen bucht sie ihren Flug spontan nach Maputo um. Der Mann mit der Gesichtsnarbe beschattet sie und teilt einem Gesprächspartner übers Handy mit: „Sie ist auf dem Weg zu euch.“

Nach ihrer Ankunft in der Hauptstadt von Mosambik wird Louise von einem Taxifahrer (José Chicovete Magagule) angesprochen. (Als Zuschauer wissen wir, dass er sich nach einem Telefongespräch gezielt an Louise heranmachte.) Er fährt mit ihr auf einen abgelegenen Platz, wo bereits zwei andere Männer warten. Louise wird ausgeraubt und liegen gelassen.

Lars Hakansson (Michael Nyqvist), ein Angehöriger der schwedischen Botschaft, verhilft ihr zu einem neuen Pass. Er kannte ihren Sohn und berichtet, Henrik habe sich drei Monate lang als Pfleger in einer Spezialklinik für Aids-Kranke in Xai-Xai engagiert.

Louise spürt die Afrikanerin auf, deren Foto sie bei Henriks Sachen fand. Sie heißt Lucinda (Mata Gabin), arbeitete als Krankenschwester in der von Dr. Holloway (Heino Ferch) geführten Aids-Klinik in Xai-Xai und lernte dort Henrik kennen. Sie wurden ein Paar. Louise vermutet zunächst, dass die Afrikanerin ihren Sohn mit Aids angesteckt habe, aber Lucinda klärt sie darüber auf, dass es umgekehrt war. Henrik verließ die Klinik nach drei Wochen, und auf sein Drängen hin kündigte auch Lucinda ihre Anstellung.

Lars Hakansson nimmt Louise mit zu einem Empfang der schwedischen Botschafterin Nilsson und stellt sie dort Dr. Gabriel (Dan Robbertse) vor, dem stellvertretenden Leiter der Aids-Klinik in Xai-Xai.

Am nächsten Tag fährt sie nach Xai-Xai. Dr. Holloway, der im Fernsehen als selbstloser Wohltäter gefeiert wird, führt sie herum.

Während des Besuchs in der Klinik beobachtet Louise aus einiger Entfernung einen Afrikaner, der Dr. Holloway als Mörder beschimpft und mit Stockhieben vertrieben wird.

Bei der Abfahrt erkennt sie den Mann, der auf den Schwarzen einschlug, an der Gesichtsnarbe. Kurz darauf holt sie den verletzten Demonstranten ein und nimmt ihn im Auto mit. Er heißt Umbi (Benio Odorico Muguambe).

Zurück in Maputo, wird Louise von dem afrikanischen Zeitungsredakteur Nuno Da Silva (Emile Abossolo M’bo) angesprochen, der weiß, dass sie Henriks Mutter ist und ihr mitteilt, dass bereits hier ein Mordanschlag auf ihren Sohn durchgeführt wurde. Nuno lernte Henrik auf einem Empfang kennen, und sie verabredeten sich dann in einer Bar. Dort wollte Henrik gerade anfangen, von einem Skandal zu berichten, als ein aufdringlicher Tourist zu ihnen an den Tisch kam und Henriks Hut kaufen wollte. Henrik schenkte ihm den Hut kurzerhand. Der Fremde setzte ihn auf, und als er auf die Straße hinausging, raste ein Auto heran und fuhr ihn tot. Der Anschlag galt offenbar Henrik. Der verließ sofort das Lokal und verschwand.


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Schließlich findet Louise heraus, welchem Skandal ihr Sohn auf der Spur war. Dr. Holloway ruft immer wieder zu großangelegten Aids-Tests auf. Tatsächlich werden die freiwilligen Teilnehmer jedoch in einem ersten Durchgang heimlich mit HIV-Erregern infiziert. Einige Wochen später teilt man ihnen das angebliche Testergebnis mit und impft sie dann mit einem neuen, von dem schwedischen Pharmaunternehmen Roprox hergestellten und noch nicht zugelassenen Vakzin. Die illegale Lieferung erfolgt über die Spedition in Kapstadt.

Louise und Lucinda berichten Lars Hakansson, was sie herausgefunden haben, und der Botschaftsangehörige verspricht, der Sache nachzugehen.

Kurz darauf wird Dr. Holloway tot an seinem Schreibtisch vorgefunden. Es sieht so aus, als habe er sich mit einem Kopfschuss selbst getötet. Die Klinik wird geschlossen. Die schwedische Botschafterin bedankt sich bei Louise für die Aufdeckung des Skandals.

Zurück bei ihrem Vater in Schweden, erfährt Louise, dass Henrik einen bei Roprox beschäftigten Informanten hatte. Mit einer alten Pistole zwingt sie ihn, sie in seine Wohnung zu lassen. Potter Stoor (Johan Rabaeus) sagt ihr, der Organisator des verbrecherischen Projekts habe bereits dafür gesorgt, dass der von Roprox entwickelte Impfstoff in einer anderen Klinik in Mosambik getestet wird. Es klingelt an der Tür. Potter Stoor öffnet – und wird sofort von einem Auftragsmörder (Magnus Krepper) erschossen. Nachdem Louise den Profikiller mit ihrer Waffe getötet hat, sieht sie durchs Fenster, dass vor dem Haus ein Auto hält. Lars Hakansson steigt aus. Als er sie bemerkt, fährt er gleich wieder weg.

Chefinspektor Vrede hält es für möglich, dass Louises Bericht über den Pharma-Skandal der Wahrheit entspricht, aber nachweisen lasse sich dem Unternehmen nichts, meint er.

Louise passt Lars Hakansson auf der Straße ab. Er leugnet nicht, der Drahtzieher zu sein, aber sie kann ihn nicht daran hindern, ins Auto zu steigen und wegzufahren.

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2005 veröffentlichte Henning Mankell den Roman „Kennedys Hirn“ (Übersetzung: Wolfgang Butt, Zsolnay Verlag, Wien 2006, 398 Seiten, ISBN 978-3-552-05347-2). Bei der Verfilmung haben Nils-Morten Osburg (Drehbuch) und Urs Egger (Regie) zwar einige Schauplätze weggelassen (Sydney, Barcelona), aber im Großen und Ganzen entspricht die Filmhandlung der Vorlage.

Wie im Roman, wird auch im Film unterstellt, dass profitgierige Pharmakonzerne nicht vor heimlichen Menschenversuchen zurückschrecken und Entwicklungshelfer an den verbrecherischen Machenschaften beteiligt sind, während die Polizei nichts unternimmt. Die Bösen in „Kennedys Hirn“ sind weiß, gute Menschen wie Lucinda, Nuno Da Silva und Umbi dagegen schwarz.

Nils-Morten Osburg und Urs Egger nutzen die knapp drei Stunden Laufzeit des Films, indem sie die Geschichte zumindest in der ersten Hälfte Schritt für Schritt entwickeln und erst gegen Ende zu das Tempo steigern. Sie setzen weniger auf spektakuläre Action-Szenen als auf die langwierigen Ermittlungen der Protagonistin, die bei der Aufklärung des Mordfalls Puzzleteile zu einem Bild zusammensetzt und das Unsichtbare sichtbar macht – wie bei ihrer Arbeit als Archäologin auch. Iris Berben, die diese Frau spielt, ist beinahe die ganze Zeit im Bild und trägt den Film. Spannung entsteht gleich zu Beginn, indem eine Szene, von der Nuno Da Silva später berichtet, als Prolog vorweggenommen wird. Dass die Spannung dann bis zum Ende hoch bleibt, ist bei einer Laufzeit von knapp drei Stunden durchaus beachtlich. Allerdings sind Teile der Geschichte sowohl der Romanvorlage als auch der Verfilmung hanebüchen, und allzu häufig werden Zufälle bemüht, um die Handlung weiterzuführen.

Bei einem weitgehend in Afrika spielenden Film hätte es nahegelegen, die Zuschauer mit Postkartenmotiven oder Township-Klischees zu beeindrucken. Dieser Versuchung ist Urs Egger nicht erlegen.

Der Titel bezieht sich auf eine Verschwörungstheorie: Das Gehirn des am 22. November 1963 in Dallas erschossenen US-Präsidenten John F. Kennedy wurde bei der gerichtsmedizinischen Obduktion offenbar nicht auf Schusskanäle untersucht, obwohl dies möglicherweise die Theorie über einen zweiten Attentäter verifiziert oder falsifiziert hätte. Das Gehirn wurde dann nicht mit der Leiche bestattet, sondern aufgehoben. 1966 übergab man es zusammen mit Fotos und Röntgenaufnahmen dem Nationalarchiv in Washington, D. C. Im Jahr darauf verschwand das Material. In „Kennedys Hirn“ beschäftigt sich der schwedische Journalist Henrik Cantor mit diesen Vorgängen und vermutet, dass dadurch etwas verschleiert werden sollte.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2013

Henning Mankell (kurze Biografie)

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Urs Egger: Die Rückkehr des Tanzlehrers
Urs Egger: Tod eines Keilers
Urs Egger: Der letzte Kronzeuge. Flucht in die Alpen

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