AIDS


Am 6. Juni 1983 befasste sich das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ erstmals in einer Titelgeschichte („Tödliche Seuche AIDS. Die rätselhafte Krankheit“) mit einer damals noch kaum bekannten Krankheit, dem „Acquired Immune Deficiency Syndrome“ (AIDS). Dabei handelt es sich um eine erworbene Störung des Immunsystems, die sich zumeist erst mehrere Jahre nach der Infektion in Krankheitssymptomen manifestiert. Die Inkubationszeit beträgt zwischen sechs Monaten und fünf Jahren. Im Verlauf der Erkrankung nimmt die Anzahl der Lymphozyten drastisch ab, und das körpereigene Abwehrsystem bricht zusammen. Auch ein harmloser Schnupfen kann dann tödlich sein.

In den Achtzigerjahren kursierten Spekulationen über eine angeblich künstliche Erzeugung des AIDS-Erregers. Manche glaubten an einen Unfall in der amerikanischen Gen-Forschung oder an eine fahrlässige Ausbreitung infolge der

langen Inkubationszeit. Andere behaupteten, eine Industrienation habe AIDS als biologische Waffe entwickelt, um Afrika zu entvölkern und die Bodenschätze plündern zu können. Noch abenteuerlicher mutet die Verschwörungstheorie an, derzufolge eine weltweit operierende Geheimorganisation die Erreger züchtete, ihre Mitglieder durch ein bereits entwickeltes Gegenmittel davor schützte und darauf wartete, nach dem Tod eines großen Teiles der Menschheit die Weltherrschaft antreten zu können.

Haiti und Zentralafrika galten zunächst als mögliche Ursprungsgebiete der Krankheit. Besonders gefährdet sind afrikanische Frauen und Mädchen, die südlich der Sahara leben. Die älteste nachweisbare Spur stellt eine Blutprobe eines erwachsenen Mannes aus Kinshasa aus dem Jahre 1959 dar. 2008 stellte Michael Worobey mit seinem Forscherteam an der University of Arizona in Tucson aufgrund neuer Erkenntnisse die These auf, AIDS sei zwischen 1884 und 1924 im westlichen Zentralafrika ausgebrochen. Erstmals beobachtet wurde das Auftreten der Krankheit Ende 1979 in den USA. Bis Dezember 1980 diagnostizierte man dort 55 Fälle von AIDS. In der Bundesrepublik Deutschland, wo die erste AIDS-Erkrankung 1982 in Frankfurt am Main festgestellt worden war, wusste man Anfang 1983 von 23 AIDS-Erkrankungen.

Den AIDS-Erreger entdeckten der französische Virologe Luc Montagnier (* 1932) und seine Mitarbeiter am Pariser Pasteur-Institut im Dezember 1982. Vier Monate später fand ihn auch das von dem Amerikaner Robert Charles Gallo (* 1937) geführte Forscherteam am National Cancer Institute in Bethesda bei Washington. Fast gleichzeitig gelang es den französischen und den amerikanischen Wissenschaftlern im Januar 1985, das Virus zu isolieren. Luc Montagnier sprach von einem LA-, Robert Gallo von einem HTL-Virus. Erst auf der Internationalen AIDS-Konferenz 1986 in Paris einigten sich die dort versammelten Wissenschaftler, den AIDS-Erreger „Human Immunodeficiency Virus“ (HIV) zu nennen.

Die Zahl der bekannt gewordenen AIDS-Erkrankungen explodierte. 1993 waren beim Bundesgesundheitsamt 11 179 Sterbefälle und weitere 51 541 Infizierte registriert. Auf einer internationalen AIDS-Konferenz im Dezember 1994 schätzte die WHO die Zahl der AIDS-Kranken weltweit auf 4 Millionen, die der Infizierten auf 17 bis 19 Millionen. Die Zahl der im Jahr 2006 an AIDS Gestorbenen wird von der WHO auf 3 Millionen geschätzt, die der Infizierten auf knapp 40 Millionen und die der neuen Infektionen auf über 4 Millionen pro Jahr.

Fieberhaft begannen Mediziner, Chemiker und Pharmazeuten, nach wirksamen Impfstoffen und Therapien zu suchen.

Als Risikogruppe galten zunächst homosexuelle Männer. Bald zeichnete sich ab, dass vor allem der sexuelle Verkehr mit häufig wechselnden Partnern oder Partnerinnen die Ansteckungsgefahr erhöht. Ein überdurchschnittliches Risiko, an AIDS zu erkranken, tragen auch die Kinder von Infizierten sowie Drogenabhängige, die gebrauchte Injektionsnadeln verwenden. Weil das HIV-Virus durch eine Blutinfusion übertragen werden kann, wurde 1985 damit begonnen, alle bundesdeutschen Blutkonserven entsprechend zu untersuchen und Blutspender auf AIDS zu testen.

In Aufklärungskampagnen wiesen staatliche und private Organisationen darauf hin, dass das Virus durch Blut, Sperma, Scheidensekret und Muttermilch übertragen wird. (Speichel gilt als ungefährlich.) Die Viren können zum Beispiel durch verletzte Hautpartien aufgenommen werden, vor allem, wenn es sich um Schleimhäute handelt. Aufgrund der Erkenntnis, dass der ungeschützte Oral-, Vaginal- und Analverkehr mit einer HIV-positiven Person zur Infektion führen kann, boomte die Kondom-Industrie („Safer Sex“). Die Angst vor der eigenen Ansteckung führte aber auch dazu, dass Infizierte in der Gesellschaft gemieden wurden.

Die in den Kampf gegen HIV und Aids weltweit investierten Mittel stiegen von 3,8 Milliarden Dollar im Jahr 2003 auf 18,9 Milliarden im Jahr 2012, während gleichzeitig die Kosten für die Medikamente sanken. 2012 infizierten sich insgesamt 2,3 Millionen Menschen mit HIV, ein Drittel weniger als 2001, und es starben 1,6 Millionen an Aids, während der Krankheit 2005 noch 2,3 Millionen Menschen erlagen. In Deutschland waren 2012 78 000 Menschen mit HIV infiziert, und es wurden 3400 neue Infektionen registriert. (Quelle: Süddeutsche Zeitung, 29. November 2013)

AIDS, könnte man meinen, wird für Deutschland schon bald nur mehr ein Thema im Rahmen seiner Entwicklungshilfe sein. Wer so argumentiert, übersieht jedoch ein gravierendes Problem: Die Menschen sterben zwar nicht mehr schnell an HIV. Für viele bedeutet die Diagnose aber den sozialen Tod […] Das gilt vor allem für den Arbeitsmarkt. Wie alle Menschen mit Einschränkunen haben HIV-Infizierte es schwerer, einen Arbeitsplatz zu finden […] Hinzu kommt […], dass die Krankheit noch immer mit Tabus behaftet und mit Ängsten besetzt ist […] Ein Leben ohne Arbeit bedeutet für einen HIV-Infizierten aber sehr häufig ein Leben in Armut – und damit noch mehr soziale Ausgrenzung. (Nina von Hardenberg, Süddeutsche Zeitung, 6. August 2008)

Man schätzt, dass ein Drittel der 2,4 Millionen mit HIV infizierten Europäer nichts davon weiß. Diese ca. 900 000 Menschen können zahlreiche andere ungewollt mit dem Erreger anstecken, bis die Krankheit nach Jahren entdeckt wird. Es ist deshalb wichtig, dass die Infektion so rasch wie möglich diagnostiziert wird.

Eine vorbeugende Impfung ist heute noch ebenso unmöglich wie eine vollständige Heilung. Inzwischen werden bereits während der symptomfreien Inkubationsphase (Latenzphase) antivirale Arzneimittel eingesetzt, um den Ausbruch der Krankheit zu verzögern. Weil das HIV-Virus aufgrund häufiger Mutationen rasch gegen Medikamente resistent wird, therapiert man mit mehreren Präparaten zugleich (Highly Active Antiretroviral Treatment – HAART). HIV-Infizierte können dadurch heute sechzig oder siebzig Jahre alt werden.

Die Aussichten, trotz einer HIV-Infektion noch 20 Jahre und länger zu leben, haben sich in der vergangenen Dekade enorm verbessert. Zwar sind kaum neue Medikamente gegen Aids hinzugekommen, doch die immer feiner abgestimmte sogenannte antiretrovirale Kombinationstherapie hat dazu geführt, dass Aids nicht mehr ein schnelles Todesurteil bedeutet – sondern längst von „Langzeitüberlebenden“ die Rede ist. Eine günstige Prognose haben allerdings hauptsächlich jene Infizierten, die schon bald nach der Ansteckung behandelt werden. (Werner Bartens, Süddeutsche Zeitung, 18. Oktober 2013)

© Dieter Wunderlich 2008 / 2013

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