Nele Neuhaus : Im Wald

Im Wald
Im Wald Originalausgabe: Ullstein Buchverlage, Berlin 2016 ISBN: 978-3-550-08055-5, 556 Seiten ISBN: 978-3-8437-1429-7 (eBook)
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Innerhalb weniger Tage werden in Ruppertshain mehrere Gewaltverbrechen verübt. In einer kleinen Ortschaft, in der jeder jeden kennt, ist das noch erschreckender als in einer Großstadt, besonders wenn anzunehmen ist, dass es sich bei dem Serienmörder um einen der Bewohner handelt. Für den hier aufgewachsenen, inzwischen 54-jährigen Ermittler Oliver von Bodenstein ist dies ein sehr persönlicher Fall ...
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Kritik

"Im Wald", der achte Taunuskrimi von Nele Neuhaus, überzeugt mit einem gut durchdachten Beziehungs­geflecht lebendig und anschaulich dargestellter Figuren. Die Aufklärung einer Serie von Verbrechen ist nahtlos mit privaten Tragödien verknüpft.
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Feuer auf einem Campingplatz

In der Nacht vom 8./9. Oktober 2014 geht auf dem zu diesem Zeitpunkt unbenutzten Campingplatz am Waldfreundehaus nördlich von Königstein ein dauerhaft abgestellter Wohnwagen in Flammen auf. Er gehört Rosemarie („Rosie“) Herold in Ruppertshain. Sie ist die Mutter von Clemens und Edgar Herold. Der 54 Jahre alte Edgar Herold arbeitet als Schlossermeister in Ruppertshain. Clemens Herold, sein in Idstein-Niederrod lebender älterer Bruder, ist als Servicemonteur für Windanlagen viel unterwegs.

Das Feuer und die Explosionen von Propangas wecken die erfolglose und überschuldete Journalistin Felicitas Molin, die Schwester der Pächterin des Waldfreundehauses. Die Mitfünfzigerin hat sich während der sechswöchigen Australienreise ihrer Schwester Manuela und ihres Schwagers Jens dort einquartiert, um auf das Anwesen aufzupassen und die beiden Hunde zu versorgen. Sie wählt die Notruf-Nummer.

Im ausgebrannten Wrack stößt die Feuerwehr auf eine verkohlte Leiche. Später stellt sich heraus, dass es sich um Clemens Herold handelt, den seine Frau Mechthild auf einer Dienstreise vermutete. Jemand schlug den 58-Jährigen nieder, sperrte den Wohnwagen von außen ab und legte Feuer.

Elias Lessing

Die Biologiestudentin Pauline Reichenbach erkennt auf den Bildern einer von ihr in der Nähe des Campingplatzes im Wald aufgestellten Wildtier-Infrarotkamera Elias Lessing, den 19-jährigen Sohn ihrer Nachbarn in Ruppertshain. Der Invest­ment­banker Dr. Peter Lessing und seine Ehefrau Henriette haben außerdem eine Tochter: Letizia. Elias, das schwarze Schaf der auf Erfolg getrimmten Familie, hat seit 17. September 2013 Hausverbot. Er verbüßte gerade drei Monaten Jugend­haft, steht noch unter Bewährung und versucht, sich von seiner Drogensucht zu befreien, denn seine zwei Jahre jüngere Freundin Nike Haverland ist von ihm schwanger, und er möchte dem Kind ein guter Vater werden.

Er brach am 7. Oktober einen Wohnwagen am Waldfreundehaus auf und kroch dort unter. Kurz bevor in der nächsten Nacht das Feuer in einem anderen Wohnwagen ausbrach, sah er einen Mann und filmte ihn kurz mit dem Handy. Der andere bemerkte ihn, aber Elias rannte in den Wald und entkam.

Elias Lessing sucht schließlich Zuflucht bei Felicitas Molin im Waldfreundehaus. Er weiß, dass er nicht nur von der Polizei gesucht wird, sondern auch vom Mörder. Die einsame Frau, die sich vor allem seit der ganz in ihrer Nähe durchgeführten Bluttat fürchtet, bemuttert den verzweifelten Jungen, der es nicht wagt, sich der Polizei zu stellen, weil er gegen seine Bewährungsauflagen verstoßen hat und man ihn sofort wieder einsperren würde. Ob auf dem Video, das er im Dunkeln auf dem Campingplatz aufnahm, etwas zu erkennen ist, weiß er nicht, weil der Akku leer ist und er kein Ladekabel bei sich hat.

Zwei weitere Tote

Obwohl Rosemarie Herold ohnehin nicht mehr lang zu leben hat, wird sie kurz nachdem sie die Nachricht vom Tod ihres älteren Sohnes erhalten hat, im Hospiz Abendrot im Mainblick am Kelkheimer Kloster erwürgt.

Am Morgen des 11. Oktober hängt der pensionierte Pfarrer Adalbert Maurer tot in der Sakristei der Kirche in Ruppertshain. Bei der Untersuchung durch Prof. Dr. Henning Kirchhoff, den Leiter des Instituts für Rechtsmedizin in Frankfurt am Main, stellt sich heraus, dass es sich um einen vorgetäuschten Suizid handelt, denn der 85-Jährige wurde vor dem Aufhängen erwürgt.

Seine Schwester Irene Vetter, die ihm den Haushalt führte, weiß, dass er am 6. Oktober bei Rosemarie Herold im Hospiz war, um ihr die Beichte abzunehmen und die Krankenölung zu spenden. Offenbar sagte sie ihm etwas im Zusammenhang mit dem Verschwinden eines elfjährigen Jungen im Sommer 1972.

Sommer 1972

Artur Berjakov war mit seinen Eltern und seiner zwei Jahre älteren Schwester Valentina aus der UdSSR nach Ruppertshain gekommen. Die Familie stammte von einem nach Russland ausgewanderten Deutschen namens Berger ab und beherrschte die deutsche Sprache. Der Vater hatte in Russland als Lehrer unter­richtet, die Mutter als Ärztin praktiziert, aber die Einheimischen in Ruppertshain grenzten die „Iwans“ aus. Artur wurde in der Schule gemobbt und hatte nur einen zwei Freunde: Oliver von Bodenstein und Wieland Kapteina. Letzterer amtiert inzwischen als Revierförster. Oliver von Bodenstein leitet als Erster Kriminal­haupt­kommissar der von Kriminalrätin Dr. Nicola Engel geführten Mordkommission in Hofheim am Taunus die Ermittlungen in den drei Ruppertshainer Mordfällen. Seine Eltern Heinrich Graf von Bodenstein und Leonora Gräfin von Bodenstein bewirt­schaften das Familiengut westlich von Ruppertshain, und der inzwischen 54-Jährige kannte Clemens Herold, Rosemarie Herold und Adalbert Maurer von klein auf.

Am 17. August 1972 verlor die Jugendmannschaft aus Ruppertshain ein Fußballspiel in Schneidhain und geriet in Streit mit dem Trainer Leonard („Leo“) Keller, der sie dann zur Strafe nicht im Bus mitnahm, sondern zu Fuß nach Hause laufen ließ. Am Löschteich des Gutes Bodenstein wollten Peter Lessing und Edgar Herold noch schwimmen, aber als sie dort auf Artur Berjakov und Oliver von Bodensteins zahmen Fuchs trafen, zogen sie es vor, ihre Frustration an ihm auszulassen. Unter den neun elf- bis zwölfjährigen Angreifern waren die spätere Tierärztin Dr. Inka Hansen und Klaus Kroll, der heutige Ortspolizist von Ruppertshain. Artur rannte davon und kletterte auf einen Baum. Inka packte den Fuchs, wurde aber gebissen und forderte Klaus wütend auf, das Tier zu töten. Das wollte Artur verhindern, aber er bewegte sich zu hastig und stürzte vom Baum. Hilflos musste er zusehen, wie Klaus Kroll dem Fuchs das Genick brach.

Am Tag darauf wurde Artur von seinen Eltern bei der Polizei in Königstein als vermisst gemeldet.

Erst jetzt, am 12. Oktober 2014, findet die Polizei seine sterblichen Überreste auf dem längst säkularisierten Friedhof der Familie von Bodensteins im Wald. Noch vor der gerichtsmedizinischen Untersuchung weiß Oliver von Bodenstein, dass es sich um Arturs Knochen handelt, denn er kann sich an dessen Micky-Maus-Armbanduhr erinnern. Außerdem liegt das Skelett eines Fuchses daneben.

Die Jugendlichen, die Artur gejagt und liegen gelassen hatten, glauben seither, er wäre nach dem Sturz vom Baum seinen Verletzungen erlegen. Prof. Dr. Henning Kirchhoff findet jedoch heraus, dass Artur vor seinem Tod noch von einem Auto überrollt wurde.

Leonard Keller

Nachdem sich ein Verdächtiger im Polizeigewahrsam umgebracht hatte, hielten alle in Ruppertshain Leonard Keller für den Schuldigen. Der damals 19-jährige Fußballtrainer arbeitete hauptberuflich als Geselle in der Metzgerei Hartmann. Am 31. August 1972 versuchte er augenscheinlich, sich mit einem Bolzenschussgerät das Leben zu nehmen. Das wurde als Schuldeingeständnis gewertet. Leonard Keller überlebte die Verletzung, kann sich jedoch aufgrund einer retrograden Amnesie an nichts davor erinnern und gilt als gehirngeschädigt.

Er wohnt bei seiner Mutter Annemie Keller in Ruppertshain und führt Hilfsarbeiten durch. Weil er dauerhaft vernehmungsunfähig ist und es bisher keine Leiche gab, wurde kein Verfahren gegen ihn eingeleitet, aber die Ruppertshainer mieden die Familie Keller, die deshalb ihr Lebensmittelgeschäft in Ruppertshain aufgeben musste. Der Vater verfiel dem Alkohol und starb.

Felicitas Molin

Am 12. Oktober 2014 stellt Felicitas Molin im Waldfreundehaus fest, dass Elias Lessing fort ist – mit ihrem Portemonnaie, den Papieren, ihrem Smartphone, ihrem Laptop, der Pistole ihres Schwagers Jens und dem Landrover ihrer Schwester Manuela. Auf einen Zettel hat er geschrieben, dass er unbedingt nach seiner schwangeren Freundin Nike sehen müsse und ihr alles zurückbringen werde.

Die Enttäuschung darüber überzeugt die gescheiterte und überschuldete Mitfünfzigerin endgültig davon, dass ihr Leben sinnlos geworden ist. Sie lässt Badewasser ein, zieht ihr schönstes Kleid an, legt ein Küchenmesser bereit und steigt in die Wanne. In diesem Augenblick hört sie ein Geräusch: Jemand ist im Haus. Elias?

Felicitas Molins Leiche wird zwei Tage später mit durchschnittener Kehle in der Badewanne gefunden.

Zusammenhänge 1972 – 2014

Am nächsten Tag wird Pauline Reichenbach mit schweren Kopfverletzungen aufgefunden und in die BG Unfallklinik in Frankfurt-Seckbach gebracht.

Oliver von Bodenstein und seine engste Mitarbeiterin Pia Sander sind überzeugt, dass die Gewaltverbrechen in Ruppertshain von ein und demselben Täter verübt wurden und mit Artur Berjakovs Tod vor 42 Jahren zu tun haben. Versucht jemand, die Aufklärung des Mordes von damals zu verhindern, indem er Mitwisser beseitigt?

Beim Studium der alten Akten fällt Oliver von Bodenstein auf, dass der Metzgergeselle Leonard Keller 1972 mit dem Bolzenschussgerät in den Hinterkopf getroffen wurde. Es handelte sich also gar nicht um einen Suizidversuch, sondern um einen Mordanschlag.

In Ruppertshain ist es ein offenes Geheimnis, dass Rosemarie Herold, geborene Kroll, es nicht nur als Unverheiratete mit einer stattlichen Anzahl von Männern getrieben hatte, sondern auch später in der Ehe untreu war. Die Polizei findet heraus, dass Clemens Herold dabei war, als seine Mutter am 6. Oktober im Hospiz mit dem greisen Pfarrer Adalbert Maurer sprach. War sie es gewesen, die Artur überfahren hatte? Beichtete sie das und nannte dabei auch den Namen desjenigen, der dabei gewesen war und ihr beim Beseitigen der Leiche des Jungen geholfen hatte? Versucht dieser nun, potenzielle Belastungszeugen aus dem Weg zu räumen? Wenn Elias Lesssing in dem aufgebrochenen Wohnwagen am Waldfreundehaus übernachtete und sah, wer Rosemarie Herolds Wohnwagen anzündete, befindet er sich in Lebensgefahr.

In der Nacht auf den 14. Oktober verschwindet Nike Haverland aus dem Elternhaus. Offenbar ist es der Hochschwangeren und Elias gelungen, trotz der polizeilichen Überwachung unbemerkt Kontakt miteinander aufzunehmen, und die beiden Jugendlichen sind nun gemeinsam unterwegs. Zuflucht suchen sie in der Hasenmühle im Wald, die dem Außenseiter Ralf Ehlers gehört, dem jüngeren der beiden Söhne von Josef Ehlers, der 40 Jahre lang Direktor der Schule in Ruppertshain und zugleich Leiter der Sparkassenfiliale gewesen war, inzwischen jedoch – 89-jährig – in der Kursana Villa Königstein lebt.


Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.


 

Spoiler

Als Leonard Keller verschwunden ist, durchsucht Oliver von Bodenstein dessen Wohnung. Neben dem Bett liegt der Roman „Bleeding Edge“ von Thomas Pynchon. Das hätte er nicht erwartet. Täuscht Leo seine Gehirnschädigung nur vor?

In der Nacht auf den 15. Oktober findet die Polizei nicht nur Leonard Keller, sondern auch Elias Lessing und Nike Haverland in der Hasenmühle. Sie lassen sich ohne Gegenwehr festnehmen. Nike wird ins Krankenhaus gebracht, denn bei ihr haben die Wehen eingesetzt.

Leonard Keller erklärt Oliver von Bodenstein, warum er 42 Jahre lang den Dorfdeppen gespielt hat. Durch den Bolzenschuss seien damals fast nur regenerierbare Gehirnteile verletzt worden, berichtet er. Als er nach jahrelangem Training wieder sprechen konnte, tat er weiter so, als sei er geistig behindert, denn nur so war es ihm möglich, bei seiner Mutter in Ruppertshain zu bleiben und ihr beizustehen, ohne ein Gerichtsverfahren wegen Arturs Verschwinden zu riskieren. Bis heute kann er sich nicht daran erinnern, was 1972 wirklich geschah, und er ist überrascht, als der Kommissar ihm mitteilt, dass es sich bei dem Bolzenschuss um einen Mordversuch gehandelt habe.

Weil Inka Hansen am 17. August 1972 von Olivers Fuchs gebissen wurde und auch andere der an der Jagd auf Artur beteiligten Schülerinnen und Schüler verletzt waren, erfuhr Dr. Hans-Peter Lessing von den Ereignissen, in die auch sein Sohn Peter verwickelt war. Er arbeitete als Arzt in Ruppertshain, bis er seine Praxis 1984, zwei Jahre vor seinem tödlichen Herzinfarkt, Dr. Renate Basedow überließ. Sein Schwager Raimund Fischer, der Bruder seiner Frau Gerlinde, der die für Ruppertshain zuständige Polizeidienststelle in Königstein leitete, verhinderte fünf Tage lang die Einschaltung der Kriminalpolizei und half dann, die Ermittler in die Irre zu führen. Er tat das nicht nur wegen seines Neffen Peter Lessing, sondern vor allem, um Rosemarie zu schützen, in die er verliebt war.

Durch Antje Ortenstein, die sich als Zeugin meldet, erfahren die Ermittler von Rosemaries damaliger Freundin Estefania Ugonelli, die jetzt in Prüm lebt und sich darin erinnert, dass Rosemarie von Herbst 1971 bis Sommer 1972 heimlich eine Affäre mit Ralf Ehlers‘ älterem Bruder Jakob hatte. Der war zwar damals bei der Bundeswehr, traf sich aber jede Woche mit seiner Geliebten.

Jakob Ehlers war mit der Tochter eines in Königstein wohnenden Vorstands­mitglieds der Deutschen Bank verlobt, als er auf Rosemaries Schwester Patrizia Kroll hereinfiel. Patrizia wurde zwar von Männern wie Leonard Keller umworben, aber die waren ihr alle nicht gut genug. Sie wollte Jakob Ehlers. Beim Faschingsball 1972 in Ruppertshain verführte sie ihn in der Männertoilette – und wurde schwanger. Bevor die Tochter Sonja am 5. April 1973 geboren wurde, musste Jakob Ehlers Patrizia Kroll heiraten, obwohl deren Familie wegen der neun Kinder als asozial galt. Weil er Geld für den Lebensunterhalt verdienen musste, zerschlugen sich seine Pläne, in München Jura zu studieren. Statt Rechtsanwalt zu werden, leitet er seit langem das Standesamt der Stadt Kelkheim.

Rosemarie Herold und ihr Sohn Clemens werden am 15. Oktober auf dem Ruppertshainer Friedhof beerdigt. Jakob Ehlers ist unter den Trauergästen. Die Polizei ist darauf vorbereitet, ihn beim Verlassen des Friedhofs zu verhaften. Oliver von Bodenstein beobachtet ihn, aber plötzlich sieht er ihn nicht mehr. Offenbar hat Jakob Ehlers gemerkt, dass etwas gegen ihn im Gang ist. Bodenstein rennt ihm nach. Ehlers nimmt den Weg zu einem aufgelassenen Steinbruch, aber der Kommissar will ihn daran hindern, sich durch einen Selbstmord der Verantwortung zu entziehen.

Als Jakob Ehlers den Abgrund fast erreicht hat, brüllt Oliver von Bodenstein die Frage, ob er gewusst habe, dass Patrizia versuchte, Leo mit dem Bolzenschussgerät zu töten, damit er ihr bei ihren Heiratsplänen nicht in die Quere kam. Überrascht wendet Jakob sich um. Schließlich gibt er zu, dass Rosemarie den elfjährigen Artur versehentlich überfuhr. Weil er noch lebte und sie erkannte, gerieten sie und ihr Liebhaber in Panik, und Jakob Ehlers erwürgte den Jungen. – Der Förster Wieland Kapteina kommt hinzu und bestätigt, dass er das Mordgeständnis gehört hat.

Jakob Ehlers wird verhaftet. Die Ermittlungen ergeben, dass nicht er Rosemarie dabei half, die Leiche und den Kadaver zu beseitigen, sondern Raimund Fischer. Weil dieser sie mit seinem Wissen über den Mord erpresste, wurde er 1973 von Jakob Ehlers bei einem vorgetäuschten Unfall mit seinem eigenen Traktor ermordet.

Als der alte Pfarrer Jakob Ehlers ins Gewissen zu reden versuchte, nachdem er von Rosemarie Herold im Beisein ihres Sohnes Clemens erfahren hatte, was im Sommer 1972 geschehen war, befürchtete der Täter seine Entlarvung und wollte sie mit weiteren Morden verhindern. Felicitas Molin musste sterben, weil sie zwar seine Frage, wo Elias Lessing zu finden sei, nicht beantworten konnte, aber den Einbrecher erkannt hatte. Mit dem Messer, mit dem sie sich augenscheinlich die Pulsadern hatte öffnen wollen, schnitt er ihr in der Badewanne die Kehle durch.

Oliver von Bodenstein nimmt sich, wie schon längere Zeit geplant, am Jahresende ein Sabbatical und weiß noch nicht, ob er zum Kommissariat in Hofheim zurückkehren wird. Pia Sander hat seine Aufgaben übernommen, wäre aber jederzeit bereit, wieder unter seiner Leitung zu arbeiten. Der 54-Jährige freut sich, mehr Zeit für seine Tochter Sophia zu haben, deren von ihm geschiedene Mutter Cosima von Bodenstein als Dokumentarfilmerin viel in der Welt unterwegs ist. Vielleicht wird er mit Karoline Albrecht und deren Tochter Greta zusammenziehen. Nach den Enttäuschungen mit Cosima, Annika Sommerfeld und Inka Hansen hofft er auf eine glücklichere Beziehung.

Seine Schwiegertochter Thordis, die Ehefrau seines Sohnes Lorenz von Bodenstein, kann er endlich über ihren leiblichen Vater aufklären, dessen Identität Inka Hansen verheimlichte. Im Zuge der Ermittlungen hat Oliver von Bodenstein nämlich erfahren, dass Inka im Sommer 1983 von Peter Lessing während der Hochzeitsfeier von Simone und Roman Reichenbach – Paulines Eltern – geschwängert wurde.

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Der Taunuskrimi „Im Wald“ von Nele Neuhaus spielt fast ausschließlich in Ruppertshain, einer zu Kelkheim gehörenden Ortschaft, in der jeder jeden kennt. Es gibt Gerüchte, Intrigen und Feindschaften, aber auch Solidarität. Das erschwert die Ermittlungen ortsfremder Polizisten, zumal solcher mit mutmaßlich ausländischen Wurzeln wie Kriminalhauptkommissar Cem Altunay, der sich in einer amüsanten Szene mit Pia Sander einem Teich nähert und den Regenschirm aufgespannt hat:

„Hallo, Sie! Sin Sie der Kripo-Scheff?“ Der dicke Mann kam auf sie zugestapft, nachdem er von den Polizisten und Feuerwehrleuten offenbar nicht die erhofften Auskünfte bekommen hatte. Er blieb vor ihnen stehen, stemmte die Hände in die Seiten und sah Cem mit unverhohlenem Misstrauen an. „Sie sin doch ’n Ausländer, oder?“
„Wir sind alle irgendwo Ausländer“, erwiderte Cem höflich. „Meine Familie stammt aus der Türkei.“
„So, so. Na ja, wenigstens spresche Se ’n bissi unsre Sprach.“ Der Dicke zuckte die Schultern und sprach noch etwas lauter, als ob Cem schwerhörig sei. „Kenne Se misch verstejhe?“
„So gerade eben.“ Cem fand das Ganze komisch. „Aber sprechen Sie bitte ganz langsam und deutlich. Ich habe manchmal Probleme mit dem hessischen Dialekt.“
Der Mann hatte keinen Sinn für Ironie.
„Mei Name is Kohl, Werner. Isch bin de Vorsitzende vom Angelsportverein 1974 Taunusruh e. V.“
[…] „Herr Kohlwerner […], wenn Sie der Vorsitzende sind, sollten Sie wohl besser direkt mit meiner Chefin reden.“ Cem wies mit dem Kopf auf Pia. „Ich bin nur ihr Schirmherr.“
„Wie? Wos?“ Werner Kohl musterte Pia geringschätzig durch seine verschmierte Bifokalbrille. „Des Meedsche do is Ihne Ihre Scheffin?“ Er wandte sich zu seinen Anglerkollegen um und hob die Arme. „’n Ausländer un e Fraa schigge se uns her – des is die Kripo heutzutaach, so was! Armes Deutschland, saach ich da nur.“

In einer Gemeinde wie Ruppertshain ist es besonders erschreckend, wenn innerhalb weniger Tage mehrere Gewaltverbrechen stattfinden und der Serienmörder unter den Bewohnern zu vermuten ist, wie es in diesem achten Fall der Ermittler Oliver von Bodenstein und Pia Kirchhoff bzw. Sander geschieht. Für den inzwischen 54-jährigen Oliver von Bodenstein, der auf einem (wie der Rettershof beschriebenen) Hofgut östlich von Ruppertshain aufwuchs, ist es ein sehr persönlicher Fall, weil er mit den anderen Kindern aus Ruppertshain zur Schule ging und alle Opfer, Zeugen und Verdächtigen kennt. Außerdem stellt sich heraus, dass die aktuellen Verbrechen mit dem unaufgeklärten Verschwinden seines besten Freundes – dem elfjährigen Sohn einer russlanddeutschen Familie – vor 42 Jahren zusammenhängen.

Nele Neuhaus beschäftigt sich in „Im Wald“ nicht nur mit der Aufklärung des neuen Falls, sondern auch mit dem Privatleben der Ermittler Oliver von Bodenstein und Pia Sander. Darüber hinaus schildert sie die (schlimmen) Verhältnisse in einigen beteiligten Familien. Das ist en vogue, wirkt hier jedoch nicht aufgesetzt, denn Nele Neuhaus hat diese Nebenhandlungen geschickt und nahtlos in den Erzählstrom eingebaut.

Mehr als 60 Figuren treten in „Im Wald“ auf. Bei dieser Vielzahl von Akteuren ist das (unvollständige) Personenverzeichnis recht nützlich. Ortsfremde können sich außerdem auf zwei beigefügten Landkarten orientieren.

Die Komplexität ist so hoch, wie man es bei der Anzahl von Romanfiguren erwartet und wie wir es auch aus den anderen Taunuskrimis von Nele Neuhaus kennen. Die Autorin hat sie souverän im Griff. Ein Rädchen greift ins andere, und die Zusammenhänge sind ebenso gut durchdacht wie gründlich ausgeleuchtet.

Das gilt auch für die Beweggründe der Handelnden in „Im Wald“, die von Nele Neuhaus eingehend und mit großem Einfühlvermögen dargelegt werden. Auch wenn nicht alles frei von Klischees ist, sind die Charaktere lebendig, denn Nele Neuhaus stellt sie durch markante Taten und Dialoge farbig und anschaulich vor.

Die chronologisch entwickelte Haupthandlung dauert nur wenige Tage: vom 7. bis 16. Oktober 2014. (Dazu gibt es einen Prolog vom 31. August 1972 und einen Epilog vom 20. Dezember 2014.) Wie auch in ihren anderen Taunuskrimis wechselt Nele Neuhaus zwischen den einzelnen Handlungssträngen hin und her. Die dabei entstehenden Cliffhanger, aber auch raffinierte Andeutungen erhöhen die Spannung, und wer der Täter ist, erfahren wir erst am Ende von „Im Wald“.

Den Kriminalroman „Im Wald“ von Nele Neuhaus – den ich für den besten ihrer bisherigen Taunuskrimis halte – gibt es auch in einer gekürzten Fassung als Hörbuch, gelesen von Julia Nachtmann (ISBN 978-3-8449-1453-5).

 

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2017
Textauszüge: © Ullstein Buchverlage

Nele Neuhaus: Eine unbeliebte Frau (Verfilmung)
Nele Neuhaus: Mordsfreunde
Nele Neuhaus: Tiefe Wunden
Nele Neuhaus: Schneewittchen muss sterben (Verfilmung)
Nele Neuhaus: Wer Wind sät
Nele Neuhaus: Böser Wolf
Nele Neuhaus: Die Lebenden und die Toten
Nele Neuhaus: Muttertag
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B. Traven - Das Totenschiff
Man kann "Das Totenschiff" als Abenteuerroman lesen, aber es ist weit mehr. B. Traven kritisiert damit sowohl den Kapitalismus als auch den Staat bzw. die Bürokratie. Gale, eine Mischung aus Schwejk und Simplicius Simplicissimus, erzählt in der Ich-Form, chronologisch, realistisch und lebendig, nie sentimental, stattdessen sarkastisch.
Das Totenschiff

 

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Nobelpreis für Literatur

 

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Mehr als zwei Jahrzehnte lang las ich rund zehn Romane pro Monat und stellte sie dann mit Inhaltsangaben und Kommentaren auf dieser Website vor. Zuletzt dauerte es schon einen Monat, bis ich ein neues Buch ausgelesen hatte. Aus familiären Gründen reduziere ich das Lesen und die Kommunikation über Belletristik.