Elsa von Freytag-Loringhoven


Elsa Plötz wurde 1874 in Swinemünde als Tochter eines Maurermeisters und einer Pianistin geboren. Mit achtzehn verließ sie ihr Elternhaus. Nach mehreren Affären vermählte sie sich mit August Endell, später mit Felix Paul Greve und dem Gelegenheitsarbeiter Leopold Baron von Freytag-Loringhoven. Mit Gedichten, Ready-mades und exzentrisch-provokativen Selbstinszenierungen entwickelte sich Elsa von Freytag-Loringhoven zu einer zentralen Figur des New York Dada.

12. Juli 1874: Elsa Hildegard wird in Swinemünde als älteste Tochter des Maurermeisters Adolf Julius Plötz (1845 – 1923) und dessen Ehefrau, der ausgebildeten Pianistin Ida-Marie Plötz (1849 – 1893), geboren.

10. November 1875: Elsas Schwester Charlotte (»Lotte«) Louise wird geboren.

1887: Elsa Plötz schreibt ihr erstes Gedicht. Von Anfang an drückte sie keine romantischen Gefühle aus, sondern dachte sich lieber freche Wortspiele aus und teilte die Vorliebe ihres Vaters für obszöne Witze.

Trotz ihrer Zartheit gilt Elsa als aufsässig und jähzornig – ganz anders als ihre unterwürfige Schwester. Mit vierzehn raucht sie bereits. Wegen ihrer Disziplinlosigkeit und Unangepasstheit bleiben ihre schulischen Leistungen ungenügend.

Sommer 1888: Während Adolf Plötz wegen seiner chronischen Bronchitis zur Kur in Bad Ems ist, geht Ida-Marie mit ihren beiden Töchtern zum Friseur und lässt sich und ihnen einen Kurzhaarschnitt machen. Damit lehnt sie sich erstmals gegen ihren Mann auf. In der folgenden Zeit kommt es häufig zu Streit.

Oktober 1890: Nach der Höheren Töchterschule beginnt Elsa Plötz gegen den Willen ihres Vaters, aber mit Unterstützung ihrer Mutter an der Königlich-Preußischen Kunstschule in Berlin zu studieren. Sie wohnt in dieser Zeit bei ihrer unverheirateten Tante Elise Kleist, einer Halbschwester ihrer Mutter.

Winter 1890/91: Ida-Marie Plötz versucht, sich in der Ostsee zu ertränken, bricht den Selbstmordversuch aber in letzter Minute ab.

März 1891: Elsa bricht das Kunststudium nach dem ersten Semester ab und kehrt nach Swinemünde zurück.

Winter 1891/92: Ida-Marie Plötz versteckt sich auf dem Dachboden eines Nachbarhauses, während alle nach ihr suchen. Danach wird sie in ein Sanatorium bei Stettin gebracht. Dort diagnostizieren die Ärzte ein weit fortgeschrittenes, nicht mehr operierbares Uteruskarzinom.

26. Februar 1893: Ida-Marie Plötz stirbt.

1893: Der achtundvierzigjährige Witwer heiratet in zweiter Ehe Berta Schulz, die acht Jahre jüngere uneheliche Tochter eines Berliner Geschäftsmanns.

Während Lotte sich mit dem Steuerinspektor Hans Otto Kannegieser verlobt, rebelliert Elsa gegen die von der Stiefmutter verordnete Wohlanständigkeit und kompromittiert sich durch verschiedene Liebesaffären. Bevor ihr Vater sie in eine Besserungsanstalt bringen kann, reißt sie aus, fährt nach Berlin und wird dort wieder von ihrer Tante Elise aufgenommen, die allerdings vergeblich versuchte, ihre Nichte zu überreden, ihr als Verkäuferin im eigenen Laden zu helfen. Entrüstet beobachtet sie, dass Elsa nichts anderes als Männer und Amüsement im Kopf zu haben scheint.

Frühjahr 1894: Elsa Plötz bewirbt sich bei Henry de Vry, der in Zeitungsanzeigen »Mädchen mit guten Figuren« für seine »lebenden Skulpturen« (tableaux vivants) sucht. Sie wird genommen.

11. März 1894: Elsa präsentiert sich im Varieté »Wintergarten« erstmals so gut wie nackt auf der Bühne. Bald darauf tritt sie auch in Leipzig und Halle auf.

Oktober 1894: Elsa nimmt Schauspielunterricht in Berlin. Indem ihre Tante dafür bezahlt, hofft sie, Elsa auf den »rechten Weg« zurückzubringen.

August 1895: Nach einem heftigen Streit mit ihrer Tante beendet Elsa den Schauspielunterricht, mietet eine eigene Wohnung und nimmt ein Engagement von Richard Schulz als Revuegirl im Central-Theater in Berlin an.

Frühjahr 1896: Elsa wird gegen Syphilis behandelt.

Frühjahr 1896: Elsa wird Modell und Geliebte des Jugendstilmalers Melchior Lechter (1865 – 1937). Durch ihn kommt die »sexuell aufgeladene Unruhestifterin« (Irene Gammel) in Kontakt mit dem Kreis um Stefan George (1868 – 1933) und wird zum »Schatz der Gilde«.

Sommer 1896: Elsa verliebt sich in den vermutlich bisexuellen Dramatiker Ernst Hard (1876 – 1947), der seit mehreren Jahren mit Polyxena von Hoesslin verlobt ist, der Tochter eines griechischen Ministers.

Winter 1897/98: Elsa Plötz spielt unter der Regie von Max Walden in dem Stück »Don Carlos« von Friedrich Schiller im Stadttheater in Cottbus die Rolle der Marquise de Mondecar.

Sommer 1898: Elsa beendet die Affäre mit Ernst Hard und reist mit dessen Freund, dem wohlhabenden, unerfahrenen Studenten Richard F. Schmitz (1880 – 1950), für eineinhalb Jahre nach Italien.

August 1898: Richards älterer Bruder, der Maler Oscar A. H. Schmitz (1873 – 1931), trifft die beiden in Sorrent und hat eine kurze Affäre mit Elsa.

Sommer 1899: Elsa mietet in der Nähe der Piazza del Popolo in Rom ein Atelier, wo sie malt und modelliert, während sie mit einem sehr viel älteren Bildhauer zusammen ist.

Februar 1900: Elsa kehrt aus Italien zurück, nimmt in Dachau monatelang Malunterricht und wird zur Muse der Kosmiker in München, mit denen sie sich jeden Donnerstag im Haus des Dichters Karl Wolfskehl (1869 – 1948) trifft.

Herbst 1900: Der Berliner Kunsttheoretiker und Architekt August Endell (1871 – 1925), der 1896 durch die Jugendstil-Fassade des »Hof-Ateliers Elvira« des lesbischen Fotografinnen- und Suffragetten-Paares Sophia Goudstikker (1865 – 1924) und Anita Augspurg (1857 – 1943) in Schwabing berühmt wurde, nimmt Elsa als Schülerin an und beginnt ein Liebesverhältnis mit ihr.

Frühjahr 1901: Elsa Plötz nimmt August Endells Heiratsantrag an, weist ihn aber darauf hin, dass sie keine hausfraulichen Tätigkeiten übernehmen werde.

Juni 1901: Die beiden ziehen nach Berlin-Zehlendorf.

22. August 1901: Elsa Plötz und August Endell heiraten in Berlin.

Elsa ist unzufrieden, weil ihr Mann sie offenbar sexuell nicht befriedigen kann, täglich vierzehn Stunden arbeitet und dennoch finanzielle Sorgen hat.

28. November 1901: Das von August Endell umgebaute »Bunte Theater« in der Köpenicker Straße wird eröffnet. Kurz darauf brechen der Künstler und seine Frau zu ihrer Hochzeitsreise nach Verona auf.

Februar 1902: Auf der Rückreise begegnet Elsa bei Karl Wolfskehl in München dem Philologie- und Archäologiestudenten Felix Paul Greve (1879 – 1948). Der Sohn eines Hamburger Straßenbahnfahrers, der sich von dem wohlhabenden Doktoranden Hermann F. C. Kilian aushalten lässt, ist mit Wolfskehl befreundet, gehört zum Kreis um Stefan George und beschäftigt sich eingehend mit Oscar Wilde.

24. April 1902: Erster Besuch von Felix Greve bei Elsa und August Endell in Berlin.

Sommer 1902: Elsa wird in dem von August Endell entworfenen Sanatorium Wyk auf Föhr gegen Unfruchtbarkeit behandelt. Als sie zurückkommt, wird sie am Potsdamer Bahnhof in Berlin von drei Männern erwartet: August Endell, Felix Greve und Richard Schmitz. Am nächsten Morgen verlangt sie von ihrem vermutlich impotenten Mann, dass er ihr einen Liebhaber zugesteht.

24. Dezember 1902: Nach einem Restaurantessen zu dritt wirft Elsa sich nach ihren eigenen Worten auf Felix Greve, der inzwischen in der Nähe des Ehepaars Endell in Berlin wohnt.

29. Januar 1903: Elsa reist mit Endell und Greve an Bord eines Ostafrika-Dampfers nach Neapel. Das Geld für die Reise hat Felix Greve sich unter einem Vorwand von Hermann Kilian »geliehen«.

Nach der Ankunft unternimmt Endell einen Selbstmordversuch. Später trifft er sich mit Karl Wolfskehl und Franziska zu Reventlow in Amalfi.

Elsa kommt mit ihrer »Sex-Sonne« Felix Greve in einer Pension in Palermo erstmals in ihrem Leben zum Orgasmus.

Mai 1903: Kilian, der inzwischen herausgefunden hat, dass sein Freund ihn hinterging, ruft ihn nach Bonn und lässt ihn bei der Ankunft im Bahnhof verhaften, weil er das gewährte Darlehen nicht zurückzahlen kann. Am 29. Mai verurteilt ein Gericht Felix Greve zu vierzehn Monaten Haft. Elsa, die allein in Palermo zurückgeblieben ist, schickt ihm offenbar so heiße Briefe ins Gefängnis, dass er sie auffordert, sich wegen der Zensur zurückhaltender auszudrücken.

23. Januar 1904: Bei der Scheidung von August Endell muss Elsa die Schuld auf sich nehmen.

1904: Elsa hat in Italien mehrere Affären, vorwiegend mit homosexuellen Männern, darunter einem dreißigjährigen ehemaligen Marineoffizier aus Düsseldorf, den sie bis Neapel verfolgt, als er vor ihr flieht. In Rom trifft sie sich mit Karl (»Charley«) Bär, einem Frauenkleider tragenden Künstler, den sie aus München kennt.

Mai 1904: Elsa holt Greve vom Gefängnis ab und setzt das Liebesverhältnis mit ihm fort.

2. Juni 1904: Greve besucht in Paris André Gide, dessen Romane er ins Deutsche übersetzen soll. Damit beginnt ein fünf Jahre dauernder Briefwechsel.

Juli 1904: Elsa und Felix Greve wohnen zunächst in Wollerau bei Zürich.

Mai 1905: Mit André Gides Hilfe finden sie ein Haus in Étables-sur-Mer in der Bretagne.

1905: Das Paar besucht H. G. Wells in England.

Oktober 1905: Greve veröffentlicht den von der Persönlichkeit Elsas inspirierten Roman »Fanny Essler«.

Anfang 1906: Elsa und Felix Greve ziehen nach Berlin. Dort unterstützt Elsa ihren Geliebten bei der Übersetzung der englischen Ausgabe der »Erzählungen aus tausendundein Nächten« von Richard Burton ins Deutsche für eine zwölfbändige Ausgabe, die 1907/08 im Insel-Verlag erscheint.

November 1906: Greve ficht das Scheidungsurteil gegen seine Geliebte an und erreicht, dass August Endell eine Teilschuld übernimmt.

22. August 1907: Elsa und Felix Paul Greve heiraten in Berlin-Wilmersdorf.

Januar 1908: Nach einem Nervenzusammenbruch verbringt Elsa einige Zeit in einem Krankenhaus.

Sommer 1909: Um seinen Gläubigern zu entgehen, täuscht Felix Paul Greve mit Hilfe seiner Ehefrau einen Suizid vor und setzt sich nach Amerika ab.

10. Juni 1910: Elsa folgt Felix Paul Greve und schifft sich in Rotterdam auf der »Rijndam« ein.

29. Juni 1910: Sie trifft in New York ein. Sie wohnt mit Greve in Sparta, Kentucky. Weil sie sich von ihrem Partner vernachlässigt fühlt, schlägt ihre Liebe in Hass um.

Herbst 1911: Felix Paul Greve verlässt Elsa. (Ein Jahr später gelangt er in die kanadische Provinz Manitoba, wo er als Lehrer arbeitet, sich als Witwer Frederick Philip Grove ausgibt, 1914 seine Kollegin Catherine Wiens heiratet und 1921 die kanadische Staatsangehörigkeit annimmt.)

1911: Elsa lernt Englisch und lebt einige Zeit mit Afroamerikanern in einem Zelt zusammen.

1912: Elsa zieht nach Cincinnati, Ohio, und steht dort Modell, um Geld zu verdienen.

Winter 1912/13: Sie zieht nach New York.


Dieter Wunderlich: AußerOrdentliche Frauen. © Piper Verlag 2009

Ein literarisches Porträt von Elsa Freytag-Loringhoven finden Sie in dem Buch
„AußerOrdentliche Frauen. 18 Porträts“ von Dieter Wunderlich.
Piper Verlag, München 2009 – Leseprobe


19. November 1913: Elsa heiratet im Rathaus von New York Leopold Baron von Freytag-Loringhoven (1885 – 1919). Dabei verschweigt sie die ungeschiedene Ehe mit Felix Greve und macht sich elf Jahre jünger. Der Baron hatte seine Offizierskarriere im Deutschen Reich aufgrund von Spielschulden abgebrochen, war in die USA geflohen und schlägt sich in New York als Kellner und Fahrer durch.

19. November 1913: Elsa deklariert einen auf dem Weg zur Eheschließung gefundenen Eisenring – also ein »objet trouvé« – zum Kunstobjekt (»Enduring Ornament«).

Sommer 1914: In der Hoffnung, seine Ehre wiederherstellen zu können, will sich Leopold Baron von Freytag-Loringhoven zu Beginn des Ersten Weltkriegs in Deutschland zum Kriegsdienst melden. Die hehre Absicht hindert ihn nicht daran, heimlich die Ersparnisse seiner Frau mitzunehmen. Die Franzosen fangen den Dampfer mit Kriegsfreiwilligen ab, und von Freytag-Loringhoven verbringt vier Jahre in Gefangenschaft.

1914: Elsa von Freytag-Loringhoven steht Modell, entwirft ausgefallene Kostüme, malt, schreibt Gedichte, beginnt mit Performances und etabliert sich nicht zuletzt durch exaltierte Selbstinszenierungen als Dada-Queen. Ihr kurz geschnittenes Haar lässt sie mitunter grell färben; sie schminkt die Lippen schwarz, klebt sich eine Briefmarke auf die Wange, trägt selbst entworfene bizarre Kleidung und führt auf der Straße fünf Hunde an einer vergoldeten Leine. Sie holt die Kunst in den Alltag – und erschreckt damit die braven Bürger.

Dezember 1915: »International News Photography« nimmt Elsa von Freytag-Loringhoven in ausgefallenen Kostümen auf. In »The New York Times« erscheint ein langer Artikel über sie. In einem Interview mit der »New York Times« sagt sie: »Meine Ausdrucksform ist der Protest gegen alles Konventionelle.«

Winter 1915/16: Nachdem Marcel Duchamp (1887 – 1968) in dasselbe Haus in New York gezogen ist, in dem Elsa von Freytag-Loringhoven mit mehreren Hunden und Katzen wohnt, tauschen die beiden Künstler in nächtlichen Gesprächen Ideen und Anregungen aus. Auf Elsas Verführungsversuche lässt Marcel Duchamp sich jedoch nicht ein.

Wegen Ladendiebstahls wird Elsa von Freytag-Loringhoven mehrmals festgenommen.

1916: Elsa von Freytag-Loringhoven lernt Djuna Barnes (1892 – 1982) kennen und beginnt eine Affäre mit dem Maler Douglas Gilbert Dixon, der sich wegen ihr scheiden lässt. Sie steht Modell, u. a. für die Malerin Theresa Bernstein (1890 – 2002).

März 1917: In Philadelphia bewirbt Elsa von Freytag-Loringhoven sich bei dem Maler George Biddle (1885 – 1973) als Modell.

Frühjahr 1917: Marcel Duchamp besorgt sich bei J. L. Mott Iron Works ein Urinal und reicht es unter dem Titel »Fountain« für die Jahresausstellung der Society of Independent Artists in New York ein. Die Idee stamme von einer Freundin, schreibt er am 11. April 1917 an seine Schwester Suzanne. Irene Gammel vermutet, dass es sich bei der Freundin um Elsa von Freytag-Loringhoven handelte.

Juni 1917: Elsa von Freytag-Loringhoven wird drei Wochen lang eingesperrt, weil man sie verdächtigt, für das Deutsche Reich zu spionieren.

Frühjahr 1918: Elsa von Freytag-Loringhoven kehrt nach New York zurück. Beginn ihrer Freundschaft mit Jane Heap (1887 – 1964) und Margaret Anderson, dem lesbischen Herausgeberpaar der Avantgarde-Zeitschrift »Little Review«.

Juni 1918: Jane Heap stellt Elsa von Freytag-Loringhoven in der »Little Review« vor. Bis 1922 werden einundzwanzig Gedichte von ihr veröffentlicht, nicht zuletzt, um mit dieser »Wahnsinnskunst« gegen den herkömmlichen Kunstbetrieb zu protestieren. Neben James Joyce gilt Elsa von Freytag-Loringhoven einige Zeit als Galionsfigur der »Little Review«.

25. April 1919: Leopold Baron von Freytag-Loringhoven erschießt sich in St. Gallen.

April 1919: Elsa von Freytag-Loringhoven versucht, den Arzt und Schriftsteller William Carlos Williams (1883 – 1963) zu verführen, und als ihr dies nicht gelingt, schreckt sie vor Erpressung, Beschimpfungen und Prügeleien nicht zurück, kommt aber auch damit nicht ans Ziel.

Elsa von Freytag-Loringhoven rasiert sich das Haupthaar ab und färbt sich den Schädel zinnoberrot.

Mai 1919: In dem Gedicht »König Adam« von Elsa von Freytag-Loringhoven fordert eine »klitorisgesteuerte« Frau ihren Liebhaber zu Cunnilingus auf, der in mehreren US-Bundesstaaten als strafbare Handlung gilt. In einer Fußnote heißt es provokativ, das Gedicht sei »dem Zensor gestiftet«.

1920: Bei dem nackten Modell auf dem Foto »Portemanteau« von Man Ray handelt es sich vermutlich um Elsa von Freytag-Loringhoven.

Januar 1921: Elsa von Freytag-Loringhoven folgt einer Einladung zu einem von Margaret Anderson organisierten Konzert der peruanischen Sopranistin Marguerite D’Alvarez (1886 – 1953), aber sie kommt in letzter Minute und stiehlt mit ihrer Aufmachung der Sängerin die Show.

April 1921: In der von Man Ray und Marcel Duchamp herausgebenen einzigen Ausgabe der Zeitschrift »New York Dada« erscheint ein Gedicht von Elsa von Freytag-Loringhoven, und sie ist zweimal abgebildet.

1921: Man Ray und Marcel Duchamp drehen gemeinsam einen Film mit dem Titel »Elsa, Baroness von Freytag-Loringhoven, ihr Schamhaar rasierend«.

Juni 1921: Man Ray verkündet mit dem nackten Körper Elsas das Ende des New York Dada.

1921: Elsa von Freytag-Loringhoven freundet sich mit dem Verleger Claude McKay an.

1922: Obwohl Jane Heap ihre Freundin Elsa von Freytag-Loringhoven als »erste amerikanische Dada« bezeichnet, wird in der »Little Review« nur noch sporadisch etwas von ihr veröffentlicht.

29. Dezember 1922: Ezra Pound schreibt ein Dada-Gedicht über Elsa von Freytag-Loringhoven.

18. April 1923: Jane Heap bringt das Geld für eine Schiffspassage zusammen, damit Elsa von Freytag-Loringhoven auf der SS »York« nach Bremen reisen kann. Sie zieht nach Berlin-Charlottenburg. Mehr als ein Dienstmädchenzimmer kann sie sich nicht leisten.

12. Juni 1923: Erfolglos beantragt sie eine Kriegswitwenrente.

Danach versucht sie, Geld von der Familie von Freytag-Loringhoven zu bekommen, aber es gelingt ihr nicht: Ein Rechtsanwalt teilt ihr mit, man werde sich von ihren versteckten Drohungen nicht einschüchtern lassen.

3. Juli 1923: Ihr Vater Adolf Plötz stirbt in Swinemünde. Es stellt sich heraus, dass er Elsa enterbt hat.

Mit ihrer inzwischen in Westpreußen lebenden Schwester Lotte Kannegieser will sie nichts zu tun haben.

1923: Elsa von Freytag-Loringhoven schlägt sich als Zeitungsverkäuferin auf dem Kurfürstendamm durch. – Vergeblich bittet sie August Endell um Hilfe, der es inzwischen zum Direktor der Akademie für Kunst und Kunstgewerbe in Breslau gebracht hat. – Bei dem Tänzer, mit dem Elsa von Freytag-Loringhoven aus finanziellen Gründen die Wohnung teilt, handelt es sich möglicherweise um Henri Châtin-Hofmann (1900 – 1961), den späteren Ehemann und Partner von Anita Berber (1899 – 1928).

Herbst 1923: Durch die mit Elsa von Freytag-Loringhoven befreundete Fotografin Berenice Abbott (1898 – 1991) wird Djuna Barnes in Paris erneut auf die Dada-Künstlerin aufmerksam, beginnt einen Briefwechsel mit ihr und schickt ihr Pakete mit Kleidern, Büchern und Geld.

19. Oktober 1923: Elsa von Freytag-Loringhoven erhält einen neuen Pass.

Mai 1924: Gegen den Willen des Herausgebers Ford Madox Ford (1873 – 1939) veröffentlicht Ernest Hemingway (1899 – 1961) während dessen Abwesenheit drei Gedichte von Elsa von Freytag-Loringhoven in dem renommierten Literaturmagazin »the transatlantic review« und setzt damit seinen Job als Redakteur aufs Spiel.

12. Juli 1924: An ihrem 50. Geburtstag beantragt Elsa von Freytag-Loringhoven im französischen Konsulat in Berlin mit einem Kuchen und brennenden Kerzen auf dem Kopf ein Visum, aber es wird ihr verweigert.

August 1924: Djuna Barnes und Elsa von Freytag-Loringhoven beabsichtigen, gemeinsam ein Buch mit Elsas Gedichten herauszubringen.

2. Dezember 1924: Elsa von Freytag-Loringhoven wird Opfer eines Raubüberfalls. Danach leidet sie an Angstzuständen.

21. Februar 1925: Elsa von Freytag-Loringhoven bricht auf der Straße zusammen und wird ins Bodelschwingh-Heim »Gottesschutz« in Erkner eingewiesen.

April 1925: Auf eigenen Wunsch wird sie in die Landesirrenanstalt in Eberswalde verlegt. Dort arbeitet sie an ihrer geplanten Autobiografie, und zwar in Form von Briefen an Djuna Barnes, die den Text überarbeiten soll. (Die Autobiografie wird erst 1992 in englischer Sprache veröffentlicht.)

1925: Nach der Entlassung zieht sie nach Berlin-Pankow. Sie ist völlig verarmt und weiter auf die finanzielle Unterstützung durch Freunde angewiesen.

April 1926: Nachdem Elsa von Freytag-Loringhoven endlich ein Visum für Frankreich erhalten hat, reist sie nach Paris.

Juni 1926: Djuna Barnes und Elsa von Freytag-Loringhoven erholen sich in Le Crotoy.

Frühjahr 1927: Elsa von Freytag-Loringhoven freundet sich mit der surrealistischen Künstlerin Mary Reynolds an.

1. August 1927: Obwohl Elsa von Freytag-Loringhoven keine Arbeitserlaubnis hat, eröffnet sie eine Schule für Aktmodelle in Paris.

Oktober 1927: Sie muss die Schule schließen.

14. Dezember 1927: Elsa von Freytag-Loringhoven stirbt in ihrer Wohnung in Paris an einer Gasvergiftung. Es bleibt unklar, ob sie vergaß, den Gasherd auszuschalten, oder ob es sich um einen Suizid handelte.

2002: Der Sammler und Galerist Francis M. Naumann organisiert die weltweit erste Retroperspektive über »Die Kunst der Elsa von Freytag-Loringhoven« in New York. Im selben Jahr wurde das Schauspiel »The Last of the Red-Hot Dadas« in San Francisco uraufgeführt, das auf der Biografie von Elsa von Freytag-Loringhoven basiert.

© Dieter Wunderlich 2008
Hauptquellen:
Irene Gammel: Die dada Baroness.
Das wilde Leben der Elsa von Freytag-Loringhoven
Irene Gammel: Ich bin Kunst. Elsa von Freytag-Loringhoven
in: „Du“, September 2008
Dieter Wunderlich: AußerOrdentliche Frauen. 18 Porträts

Irene Gammel: Die dada Baroness. Das wilde Leben der Elsa von Freytag-Loringhoven
Dieter Wunderlich: AußerOrdentliche Frauen. 18 Porträts

Gaito Gasdanow - Nächtliche Wege
Gaito Gasdanow entwickelt in "Nächtliche Wege" keine Roman­handlung, sondern reiht skizzierte Miniaturen über Personen an­einan­der. Die subjektiven Beobachtungen des Ich-Erzählers veranschaulichen die Vergeblichkeit, der menschlichen Existenz einen Sinn geben zu wollen.
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Mehr als zwei Jahrzehnte lang las ich rund zehn Romane pro Monat und stellte sie dann mit Inhaltsangaben und Kommentaren auf dieser Website vor. Zuletzt dauerte es schon zehn Tage und mehr, bis ich ein neues Buch ausgelesen hatte, und die Zeitspanne wird sich noch verlängern: Aus familiären Gründen werde ich das Lesen und die Kommunikation über Belletristik deutlich reduzieren.