Angst vor der Angst
Angst vor der Angst
Inhaltsangabe
Kritik
Margot Staudte (Margit Carstensen) lebt zusammen mit ihrem Ehemann Kurt (Ulrich Faulhaber) und ihrer kleinen Tochter Bibi (Constanze Haas) im Haus ihrer Schwiegermutter (Brigitte Mira), in dem auch Kurts Schwester Lore (Irm Hermann) mit ihrem Mann Karli (Armin Meier) eine Wohnung hat. Die Harmonie der Familie wird hin und wieder durch die gut gemeinten Einmischungen der Mutter und die Rivalität Lores mit ihrer Schwägerin beeinträchtigt, aber im Großen und Ganzen passt man sich an. Kurt liebt seine Frau, hat allerdings mit Beruf und Abendstudium viel zu tun.
Während ihrer zweiten Schwangerschaft beginnt Margot unter Angstattacken zu leiden. Sie weiß selbst nicht, woher diese Angst kommt, und es gibt auch keinen Grund, warum sie Angst haben sollte; es ist eine Angst vor der Angst, die sie selbst weder versteht noch anderen beschreiben kann. Die geordneten Verhältnisse, in denen Margot lebt, werden plötzlich zum Albtraum. Der Hausarzt Dr. Auer (Herbert Steinmetz), den Kurt mitten in der Nacht ruft, kann organisch nichts feststellen, injiziert Margot ein Beruhigungsmittel und stellt ihr am nächsten Morgen ein Rezept für Valium-Tabletten aus.
Sieben Wochen zu früh setzen die Wehen ein, aber Margot bringt einen gesunden Jungen zur Welt, der den Namen Jan erhält.
Die Angstzustände plagen Margot auch nach der Niederkunft. Weil sie es ohne Beruhigungstabletten bald nicht mehr aushält, drängt sie den Apotheker Dr. Merck (Adrian Hoven), ihr auch ohne Rezept Valium zu geben. Der missbraucht die Tablettenabhängigkeit der attraktiven Frau, um sie ins Bett zu bekommen. Durch Dr. Merck lernt Margot auch die beruhigende Wirkung des Alkohols kennen, und sie beginnt zu trinken [Alkoholkrankheit]. Als ihr ein Glasfläschchen zerbricht, schneidet sie sich mit einer Scherbe die Pulsader auf, doch als das Blut herausquillt, umwickelt sie das Handgelenk rasch mit einem Handtuch, bittet ihre Schwiegermutter, auf die Kinder aufzupassen und rennt zu Dr. Merck, der sie verbindet.
Obwohl Margot beteuert, dass sie nur den Schmerz spüren wollte, um sich von ihrer Angst abzulenken, befürchtet Kurt, sie könne sich das Leben nehmen und bringt sie zu dem Psychiater Dr. Rozenbaum (Hark Bohm), der Margot nach einer kurzen Untersuchung für schizophren hält.
„Ich hab‘ schon immer gewusst, dass sie verrückt ist“, triumphiert Lore, doch ihr Mann bringt seiner Schwägerin unbeholfen einen Blumenstrauß, um ihr eine Freude zu machen. Kurt weiß nicht, wie er mit der vermeintlichen Geisteskrankheit seiner Frau umgehen soll. Seine Mutter hielt noch nie viel von Margot, geniert sich für deren Fehlverhalten und fühlt sich durch die Diagnose des Psychiaters bestätigt.
Schließlich lässt Margot sich von Kurt in eine psychiatrische Klinik bringen. Nach kurzer Zeit ist die behandelnde Psychotherapeutin, Dr. von Unruh (Helga Maerthesheimer), davon überzeugt, dass die Patientin nicht schizophren ist, sondern unter einer massiven Depression leidet.
Nach ihrer Entlassung aus der Klinik folgt Margot dem Rat der Ärztin und sucht sich eine Heimarbeit als Schreibkraft: Arbeit als Therapie.
Unvermittelt kommt Karli zu Margot und erzählt ihr, dass sich Herr Bauer (Kurt Raab) erhängt hat. Vor dem ungepflegten und verzweifelt wirkenden Nachbarn hatten Margot und ihre Tochter sich gefürchtet, wenn sie ihm auf der Straße begegnet waren. Offenbar hatte er mit Margot reden wollen, war aber von ihr zurückgewiesen worden. Karli wollte seiner Schwägerin die Nachricht vom Suizid des Nachbarn schonend beibringen und macht sich Sorgen, wie sie darauf reagiert. Margot sagt langsam: „Ich reg‘ mich nicht auf. Ich bin so ruhig. Ich bin ganz, ganz ruhig. Du kannst mich ruhig allein lassen.“ Nachdem Karli gegangen ist, tritt sie ans Fenster und beobachtet, wie der Sarg mit Herrn Bauer aus dem Haus gegenüber herausgetragen wird.
nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe)Im Alter von 35 Jahren schickte Asta Scheib, eine in Schweinfurt lebende Hausfrau und Mutter von zwei Kindern, Rainer Werner Fassbinder eine unveröffentlichte Erzählung mit dem Titel „Langsame Tage“. Daraus entstand der Film „Angst vor der Angst“.
Mit ihrer „Angst vor der Angst“ und ihrem daraus folgenden „Fehlverhalten“ stößt Margot in ihrer Familie auf Hilflosigkeit, Unverständnis und Missbilligung. Die konsultierten Ärzte greifen erst einmal zu Beruhigungsmitteln und widersprechen sich in ihren Diagnosen (Schizophrenie, Depression). Ein Apotheker sieht in der tablettensüchtigen Frau nicht mehr als ein Abenteuer. Nur ein verzweifelt aussehender Nachbar scheint Margot zu verstehen und möchte mit ihr reden, aber sie fürchtet sich vor ihm und weist ihn zurück. Am Ende erhängt sich der Nachbar, der so aussieht wie Herr R. in „Warum läuft Herr R. Amok?“ (und auch in beiden Fällen von Kurt Raab gespielt wird). Margot reagiert auf die Nachricht vom Suizid des Nachbarn scheinbar ungerührt, aber als sie aus dem Fenster schaut, verschwimmt ihr das Bild vor den Augen wie vor ihren Angstattacken. Ob sie sich das Leben nimmt, bleibt offen.
Die unterkühlte Inszenierung des Films „Angst vor der Angst“ von Rainer Werner Fassbinder erinnert an eine sorgfältig geprobte Theateraufführung, obwohl die Kamera ständig in Bewegung ist, um Figuren herumfährt, ungewohnte Perspektiven einnimmt, zoomt und sich dem Gesicht der Hauptdarstellerin extrem nähert. Margit Carstensen trägt denn auch entscheidend dazu bei, dass „Angst vor der Angst“ ein packender Film ist. Dass ihr das mit verknappter Sprache sowie minimalistischer Gestik und Mimik gelingt, beweist ihr schauspielerisches Können.
Außer der Filmmusik von Peer Raben ist der Song „We Love You“ von Mick Jagger und Keith Richards in „Angst vor der Angst“ zu hören.
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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2006
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