Die Meuterei auf der Bounty


Als während des Unabhängigkeitskriegs der nordamerikanischen Kolonien die Getreidelieferungen in die Karibik ausfielen, kam es auf den Inseln zu Hungersnöten. Um die karibischen Gesellschaften von Getreideimporten unabhängig zu machen, schlug Joseph Banks, der Präsident der Royal Society, den Anbau des von James Cook auf Tahiti entdeckten Brotfruchtbaumes (Artocarpus incisa) vor. Der englische König Georg III. ließ sich davon überzeugen und gab am 5. Mai 1787 seiner Admiralität den Auftrag, Stecklinge des Brotfruchtbaums von Tahiti zu den Antillen zu bringen.

Für diesen Zweck erwarb die englische Kriegsmarine von dem Reeder Duncan Campbell den Kohlenfrachter „Bethia“, ließ den knapp 28 m langen und mehr als 7 m breiten Dreimaster entsprechend umbauen und gab ihm den neuen Namen „Bounty“ (deutsch: Großmut, Freigebigkeit). Auf Betreiben von Joseph Banks und Duncan Campbell erhielt der dreiunddreißigjährige Leutnant William Bligh das Kommando. Er hatte James Cook auf der Südsee-Expedition von 1776 bis 1779 als Navigator begleitet und miterlebt, wie der Entdeckungsreisende am 14. Februar 1779 auf Hawaii erschlagen worden war.

In der Rangfolge an Bord folgte auf William Bligh der Sailing Master John Fryer. Offiziersrang hatten außer ihnen der Artilleriemeister William Peckover, der Bootsmann William Cole, der Schiffszimmermann William Purcell und der Arzt Thomas Huggan. Die Besatzung bestand insgesamt aus etwa 45 Männern, von denen jedoch allenfalls die Hälfte erfahrene Seeleute waren.

Von Spithead bei Portsmouth aus stach die Bounty am 23. Dezember 1787 in See. William Bligh wollte über Kap Hoorn nach Tahiti segeln, Stecklinge laden, die Ladung – falls erforderlich – in Java aufstocken, um das Kap der Guten Hoffnung herum wieder in den Atlantik gelangen, die Ladung auf den Antillen löschen und nach England zurückkehren.

Am 7. Februar 1788 passierte die Bounty im Atlantik den Äquator und nahm weiter Kurs auf Kap Hoorn. Trotz schwerer Stürme versuchte William Bligh, die Spitze Südamerikas zu umfahren, aber am 22. April musste er das Vorhaben aufgeben. Die Bounty segelte nun nach Osten statt nach Westen, erreichte am 24. Mai das Kap der Guten Hoffnung und wurde dort überholt. Ende August befand die Bounty sich vor der Insel Bruni südöstlich von Tasmanien. Südöstlich von Neuseeland entdeckte William Bligh am 19. September eine Gruppe von siebzehn Inseln, die den Namen „Bounty Islands“ (Bountyinseln) bekam.

Am 9. Oktober starb der Vollmatrose James Valentine an einer Blutvergiftung.

Vierzehn Tage später, am 25. Oktober 1788, ging die Bounty in der Matavai-Bucht von Tahiti vor Anker. Weil sich die Brotfruchtbäume zu dieser Jahreszeit in einer Ruhephase befanden, musste monatelang gewartet werden, bis Stecklinge gezogen werden konnten. Ohnehin wollte William Bligh erst nach Einsetzen der Monsun-Winde weitersegeln. Die Männer genossen das Leben auf Tahiti und gingen Beziehungen mit einheimischen Frauen ein. Der Schiffsarzt starb am 9. Dezember an seiner Trunksucht, und in den folgenden Wochen verfiel die Disziplin vollends. Drei Seeleute, die im Januar mit einem gestohlenen Beiboot zu desertieren versuchten, wurden zurückgeholt und zur Strafe ausgepeitscht.

Mit mehr als tausend Stecklingen an Bord verließ die Bounty am 4. April 1789 Tahiti in westlicher Richtung.

Drei Wochen später ließ William Bligh auf der Tongainsel Nomuka die Vorräte auffüllen. Als Ausrüstungsgegenstände vom Schiff gestohlen wurden, ließ er Geiseln nehmen, hatte damit jedoch keinen Erfolg. Darunter litt seine Autorität.

Am 27. April 1789 – die Bounty befand sich südwestlich der Insel Tofua – beschuldigte William Bligh den Maat Fletcher Christian (1764 – 1793), einige der rationierten Kokusnüsse gestohlen zu haben. Fletcher Christian leugnete das und betrank sich frustriert. Zunächst beabsichtigte er wohl, die Bounty zu verlassen und nach Tahiti zurückzukehren, doch dann ließ er sich von Edward („Ned“) Young und einigen anderen Matrosen zu einer Meuterei überreden. Am frühen Morgen des 28. April überwältigten die Meuterer William Bligh in seiner Kabine und fesselten ihn. Sie wollten ihn auf der Barkasse aussetzen. Als das 7 m lange und 2 m breite Beiboot zu Wasser gelassen wurde, sprangen achtzehn Männer hinein. Andere wollten ihnen folgen, aber es gab keinen Platz mehr. William Bligh wurde gezwungen, als Letzter in die Barkasse zu steigen.

Nach einer kurzen Fahrt gingen die Ausgesetzten noch einmal auf der Insel Tofua an Land, um Lebensmittel zu bekommen. Da sie jedoch nichts zum Tauschen anbieten konnten, fühlten sich die Einheimischen betrogen: Sie griffen die Seeleute an. Dabei wurde einer der Männer, John Norton, erschlagen. William Bligh und der Besatzung der überladenen Barkasse gelang es, am 14. Juni 1789 – nach einundvierzig Tagen – die 5 800 km entfernte niederländische Faktorei Kupang auf Timor zu erreichen. Dort starben allerdings zwei der erschöpften Männer.

William Bligh reiste am 20. August von Kupang nach Batavia und von dort mit dem nächsten Schiff nach Portsmouth, wo er am 14. März 1790 mit dem Diener John Samuel und dem Koch John Smith eintraf. Insgesamt überlebten zwölf der achtzehn Männer, die mit William Bligh an Bord der Barkasse gewesen waren. (Zwei Männer erlagen in Batavia einem Fieber, und der Wundarzt Thomas Ledward kam ums Leben, als sein Schiff auf dem Weg von Java nach Europa unterging.)

Die Meuterer waren inzwischen mit der Bounty nach Tubuai und von dort zurück nach Tahiti gesegelt. Sie belogen die Einheimischen und taten so, als hätten sie den Auftrag bekommen, auf Tubuai eine Kolonie zu gründen. Dafür ließen sie sich ausrüsten und mit Proviant versehen, bevor sie mit einigen Frauen aus Tahiti wieder in See stachen. Nachdem sie die Bounty auf einen Strand der Insel Tubuai gezogen hatten, wollten sie ein Fort bauen, aber sie gerieten sowohl untereinander als auch mit den Inselbewohnern in Konflikte. Bei den Auseinandersetzungen kamen zwei der Meuterer und vierundsechzig Polynesier ums Leben.

Am 22. September 1789 trafen die Meuterer wieder mit der Bounty auf Tahiti ein. Während Fletcher Christian mit acht Kameraden und einigen männlichen und weiblichen Südseebewohnern weiterfuhr,

zogen es die anderen Europäer vor, auf Tahiti zu bleiben. Fletcher Christian steuerte zunächst die Fidschi-Inseln an, bevor er sich wieder nach Osten wandte. Mit acht anderen Meuterern, zwei Männern aus Tubuai sowie vier männlichen und zwölf weiblichen Personen aus Tahiti erreichte er am 15. Januar 1790 die Südseeinsel Pitcairn, die bis dahin noch kein Europäer betreten hatte. Dort, so hofften die Meuterer, würden die britischen Soldaten, die nach ihnen suchten, sie nicht aufspüren, und damit die Bounty sie nicht verriet, verbrannten sie das Schiff am 23. Januar.

Mit dem Auftrag, die Meuterer festzunehmen, kam Kapitän Edward Edwards am 23. März 1791 mit der Pandora nach Tahiti. Dort ließ er vierzehn Meuterer in Ketten legen und auf seinem Schiff in einen Käfig sperren. Auf der Rückreise lief die Pandora am 29. August 1791 vor der australischen Küste auf ein Korallenriff und sank. Neunundneunzig Überlebende gelangten in Rettungsbooten nach Kupang.

Die zehn Meuterer, die Edward Edwards nach England zurückbrachte, mussten sich im Herbst 1792 vor Gericht verantworten. Vier von ihnen – Charles Norman, Joseph Coleman, Thomas McIntosh und Michael Byrn – wurden freigesprochen, die anderen sechs zum Tod verurteilt. Nachdem König Georg III. Peter Heywood, William Muspratt und James Morrison begnadigt hatte, erhängte man Thomas Burkett, Thomas Ellison und John Millward am 29. Oktober 1792 im Hafen von Portsmouth an einer Rah des Kriegsschiffes Brunswick.

William Bligh, der inzwischen zum Captain befördert worden war, unternahm noch eine zweite Reise, um Stecklinge des Brotfruchtbaumes in die Karibik zu bringen: Mit der Assistance traf er am 24. Januar 1793 in St. Vincent und am 5. Februar in Jamaika ein. Vier Jahre nach der Teilnahme an der Seeschlacht von Kopenhagen im Jahr 1801 wurde William Bligh zum Gouverneur von New South Wales in Australien ernannt. Er starb am 7. Dezember 1817 mit dreiundsechzig Jahren im Rang eines Vizeadmirals.

Als letztes Besatzungsmitglied der Bounty starb der Zimmermann William Purcell am 10. März 1834 in einem Krankenhaus in Portsmouth.

Mit John Adams starb 1829 der letzte von den Meuterern, die nach Pitcairn geflohen waren.

Anfang 2007 lebten in dem Dorf Adamstown auf Pitcairn noch siebenundvierzig Nachkommen der Männer und Frauen, die dort im Januar 1790 mit der Bounty eingetroffen waren. Aufgrund von Gerüchten über Vergewaltigungen von minderjährigen Frauen schickte die britische Regierung 1999 eine Polizistin auf die als Kronkolonie betrachtete Südseeinsel. Sechs Männer mussten sich ab Herbst 2004 vor Gericht verantworten. Sie wurden im Oktober 2006 bzw. im März 2007 zu Haftstrafen zwischen zwei und sechseinhalb Jahren verurteilt.

Caroline Alexander schrieb das Buch „Die Bounty. Die wahre Geschichte der Meuterei auf der Bounty“ (Berlin 2004). In dem Kriminalroman „Das Moor des Vergessens“ greift die schottische Schriftstellerin das Schicksal von Fletcher Christian auf. Kinofilme über die Meuterei auf der Bounty orientieren sich vor allem an der Trilogie „Mutiny on the Bounty“, „Men Against the Sea“ und „Pitcairn’s Island“ von Charles Nordhoff und James Norman Hall.

Kinofilme über die Meuterei auf der Bounty:

  • In the Wake of the Bounty – Regie: Charles Chauvel – Drehbuch: Charles Chauvel – Kamera: Tasman Higgins – Schnitt: William Shepherd – Darsteller: Errol Flynn, Mayne Lynton, Victor Gouriet, John Warwick, Arthur Greenaway, Patricia Penman u.a. – 1933; 65 Minuten
  • Meuterei auf der Bounty – Originaltitel: Mutiny on the Bounty – Regie: Frank Lloyd – Drehbuch: Talbot Jennings, Jules Furthman und Carey Wilson, nach der Romantrilogie von Charles Nordhoff und James Norman Hall – Kamera: Arthur Edeson – Schnitt: Margaret Booth – Musik: Herbert Stothart – Darsteller: Clark Gable, Charles Laughton, Franchot Tone, Herbert Mundin, Eddie Quillan, Dudley Digges, Donald Crisp, Henry Stephenson u. a. – 1935; 130 Minuten
  • Meuterei auf der Bounty – Originaltitel: Mutiny on the Bounty – Regie: Lewis Milestone – Drehbuch: Charles Lederer, nach der Romantrilogie von Charles Nordhoff und James Norman Hall – Kamera: Robert L. Surtees – Schnitt: John McSweeney Jr. – Musik: Bronislau Kaper – Darsteller: Marlon Brando, Trevor Howard, Richard Harris, Hugh Griffith, Richard Haydn, Tarita, Percy Herbert, Duncan Lamont, Gordon Jackson, Chips Rafferty, Noel Purcell, Ashley Cowan, Eddie Byrne, Frank Silvera, Tim Seely, Keith McConnell u. a. – 1962; 180 Minuten
  • Die Bounty – Originaltitel: The Bounty – Regie: Roger Donaldson – Drehbuch: Robert Bolt, nach dem Roman „Captain Bligh and Mr Christian“ von Richard Hough – Kamera: Arthur Ibbetson – Schnitt: Tony Lawson – Musik: Vangelis – Darsteller: Mel Gibson, Anthony Hopkins, Laurence Olivier, Liam Neeson, Edward Fox, Daniel Day-Lewis, Bernard Hill, Philip Davis, Wi Kuki Kaa, Tevaite Vernette, Philip Martin Brown, Simon Chandler, Malcolm Terris, Simon Adams, John Sessions, Andrew Wilde, Neil Morrissey, Richard Graham, Dexter Fletcher, Pete Lee-Wilson, Jon Gadsby, Brendan Conroy, Barry Dransfield, Steve Fletcher, Jack May, Mary Kauila, Sharon Bower, Tavana u. a. – 1984; 130 Minuten

© Dieter Wunderlich 2007

Val McDermid: Das Moor des Vergessens

Richard Ford - Kanada
Richard Ford nimmt sich in seinem Roman "Kanada" extrem viel Zeit und schildert auch Einzelheiten minutiös. Ohne dadurch Spannung erzeugen zu wollen, kündigt er mehrmals zukünftiges Unheil an.
Kanada