Kreationismus
Spielarten des Kreationismus
Kreationisten lehnen die Kosmologie (Urknall-Theorie), den Darwinismus und die Evolutionstheorie ab, denn sie sind überzeugt, dass das Leben auf der Erde nicht zufällig, sondern durch einen Schöpfungsakt entstand („Creation Science“; Kreationsimus, von lateinisch creare = erschaffen).
Während man in der Evolutionstheorie davon ausgeht, dass sich das Leben unaufhörlich verändert, nehmen die Fundamentalisten unter den Kreationisten die Bibel wörtlich und glauben, Gott habe die Erde und das Leben darauf in sechs aufeinanderfolgenden Tagen in endgültiger Form erschaffen (Genesis). Dem am sechsten Tag aus Lehm und göttlichem Odem erschaffenen Menschen (Adam) komme als Ebenbild Gottes eine Sonderstellung an der Spitze der Schöpfung zu („Krone der Schöpfung“). In der Evolutionstheorie dagegen gilt der Mensch nicht als Abschluss, sondern als Zwischenstufe der Entwicklung.
Der anglikanische Theologe James Usher (1581 – 1656) berechnete nach Angaben in der Bibel, dass Gott die Erde Ende Oktober 4004 v. Chr. erschaffen hatte. In der Kosmologie wird dagegen inzwischen allgemein angenommen, dass das Universum vor 15 Milliarden Jahren aus einer Singularität entstand (Urknall-Theorie; Steven Weinberg: Die ersten drei Minuten) und die Erde 4,5 Milliarden Jahre alt ist. Astronomische Berechnungen und Datierungsmethoden, die zu dem Ergebnis kommen, die Erde sei älter als 6000 Jahre, seien schlichtweg falsch, behaupten die Vertreter des extremen Kreationismus (Kurzzeit-Kreationismus, Young Earth Creationism).
Die Anhänger des so genannten Lücken-Kreationismus (gap creationism) akzeptieren zwar durchaus, dass die Erde bereits 4,5 Milliarden Jahre alt ist, aber sie glauben, eine ursprüngliche Form des Lebens sei durch eine gewaltige Katastrophe vernichtet worden und Gott habe deshalb vor sechstausend Jahren als Ersatz das heutige Leben auf der Erde geschaffen.
Auch in einer weiteren Spielart des Kreationismus (day-age creationism) werden die Zeitangaben der Kosmologie über die Entstehung des Universums oder der Erde nicht bestritten. Die Vertreter dieser Variante des Kreationismus behaupten, die sechs Schöpfungstage in der Bibel dürften nicht mit unserem physikalisch definierten 24-Stunden-Tag verwechselt werden, sondern dabei habe es sich um Zeiträume von mehreren Millionen Jahren gehandelt.
Den Fundamentalisten im Kreationismus stehen am anderen Ende der Bandbreite die Anhänger der Lehre vom Intelligent Design gegenüber. Führende Vertreter des Intelligent Design wie der Jurist Phillip Johnson und der Biochemiker Michael J. Behe glauben nicht unbedingt an einen göttlichen Schöpfer, aber sie bezweifeln auf Grund von extrem niedrigen Wahrscheinlichkeiten,
dass das Leben zufällig entstand und sind überzeugt, dass die Entwicklungen der verschiedenen Lebensformen einem sinnvollen Plan folgen. Das Leben müsse also auf das Eingreifen irgendeiner Art von Intelligenz – auf ein „intelligentes Design“ – zurückgehen. Die Lehre vom Intelligent Design wird auch von nichtchristlichen Kreationisten für richtig gehalten. Wissenschaftlich betrachtet, ist die Theorie vom Intelligent Design unbefriedigend, denn sie erklärt im Grunde alles durch eine Art Lückenbüßer: eine Intelligenz, die nicht näher beschrieben und aufgrund ihrer Transzendenz auch weder falsifiziert noch verifiziert werden kann.
Entwicklung des Kreationismus
In den Zwanzigerjahren des 20. Jahrhunderts setzten sich in den USA die Anhänger der Schöpfungslehre (Genesis) – die Kreationisten – zunehmend gegen die Vertreter der Evolutionstheorie durch. In mehreren Bundesstaaten wurden Gesetze mit dem Ziel erlassen, den Darwinismus und die Evolutionstheorie aus dem Schulunterricht zu verbannen und durch den Kreationismus zu ersetzen.
Gegner dieser Entwicklung organisierten sich in der „American Civil Liberties Union“ (ACLU). Unter ihnen war auch der Lehrer John Thomas Scopes (1901 – 1970), der am 24. April 1925 trotz eines im Februar erlassenen und für Tennessee gültigen Verbots („Butler Act“, nach John Washington Butler) eine Klasse der Rhea Counts High School in Dayton, Tennessee, in Evolutionslehre unterrichtete. John T. Scopes wurde daraufhin am 7. Mai verhaftet. Das Gerichtsverfahren gegen ihn begann am 10. Juli und sorgte für großes Aufsehen. Die Anklage wurde von William Jennings Bryan (1860 – 1925) vertreten, einem dreifachen Präsidentschaftskandidaten der Demokraten und bibelfesten Gegner der Evolutionstheorie, der den Darwinismus für den Ersten Weltkrieg verantwortlich machte. Am Ende verurteilte der Richter John T. Raulston den Angeklagten John T. Scopes, der 150 Dollar im Monat verdiente, zu einer Geldstrafe von 100 Dollar.
In Arkansas wurde es am 6. November 1928 gesetzlich verboten, den Darwinismus im Schulunterricht auch nur zu erwähnen. Vierzig Jahre später erklärte der US Supreme Court dieses Gesetz für verfassungswidrig.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wandten sich immer mehr US-Bürger vom Kreationismus ab. Dagegen schlossen sich die Kreationisten 1963 in der „Creation Research Society“ zusammen. Sieben Jahre später gründete der Bauingenieur Henry M. Morris das „Institute for Creation Research“ (ICR). Seit der Jahrtausendwende finden die Verfechter des Kreationismus neuen Zulauf. Eine Umfrage im Juli 2005 ergab, dass zwei Drittel der US-Bürger dafür sind, Kreationismus als Fach in den Schulunterricht aufzunehmen und 38 Prozent die Evolutionslehre als Bestandteil des Lehrstoffs abschaffen wollen (Süddeutsche Zeitung, 1. September 2005). US-Präsident George W. Bush sprach sich im August 2005 dafür aus, Intelligent Design gleichwertig mit der Evolutionstheorie zu lehren.
Wer von Europa nach Amerika schaut, kann das kaum verstehen. Da sind die USA die Wissenschafts-Supermacht, die regelmäßig die meisten Nobelpreise und andere Ehren erhält – auch und gerade in den Lebenswissenschaften, die heute fest auf dem Fundament der Evolutionslehre ruhen. Trotzdem halten 40 Prozent der Amerikaner dieselbe Evolutionslehre Umfragen zufolge für falsch, weitere 24 Prozent sind sich nicht sicher. Die Gegner können insbesondere nicht akzeptieren, dass auch der Mensch ein Produkt des Jahrmillionen währenden Prozesses zufälliger Mutationen ist, der die biologische Vielfalt erzeugt hat. Zu groß erscheint ihnen der Widerspruch zum Wort der Bibel, Gott habe den Menschen „zu seinem Bilde“ geschaffen. (Christopher Schrader, Süddeutsche Zeitung, 13. Mai 2008)
Literatur zum Thema Kreationismus
- George McCready Price: The New Geology (1923)
- Henry M. Morris und John C. Whitcomb jr.: The Genesis Flood (1961)
- Duane T. Gish: Evolution: The Fossils Say No! (1973)
- Anna Maria Hennen: Die Gestalt der Lebewesen. Versuch einer Erklärung im Sinne der aristotelisch-scholastischen Philosophie (2000)
- John F. Ashton (Hg.): Die Akte Genesis. Warum es 50 Wissenschaftler vorziehen, an die Schöpfung in 6 Tagen zu glauben (2001)
- J. Kotthaus: Propheten des Aberglaubens. Der deutsche Kreationismus zwischen Mystizismus und Pseudowissenschaft (2003)
- U. Kutschera: Streitpunkt Evolution. Darwinismus und Intelligentes Design (2004)
© Dieter Wunderlich 2005 / 2008
Darwinismus
Evolutionstheorie
Stephen W. Hawking: Eine kurze Geschichte der Zeit
Stephen Hawking & Leonard Mlodinow: Die kürzeste Geschichte der Zeit
Steven Weinberg: Die ersten drei Minuten
Peter Atkins: Galileos Finger. Die zehn großen Ideen der Naturwissenschaft