Hermann Hesse : Siddhartha
Inhaltsangabe
Kritik
Als Samanas (Asketen) durch die Stadt kommen, erwacht in dem jungen Brahmanen Siddhartha der Wunsch, auf den Reichtum seiner Familie zu verzichten und sich ihnen anzuschließen. Durch seine Beharrlichkeit bringt er seinen widerstrebenden Vater dazu, ihn mit seinem Segen ziehen zu lassen. Sein Freund Govinda folgt ihm. Verächtlich sieht Siddhartha von da an auf schön gekleidete Menschen, und seine Miene versteinert, wenn er eine junge Frau erblickt. Er beobachtet Händler, Fürsten, Ärzte, Huren, Mütter, Trauernde — und bedauert sie, denn für ihn leben sie in einer Welt von Lug und Trug, in der Sinn, Glück und Schönheit nichts als Täuschung sind. Siddhartha aber möchte „leer werden, leer von Durst, leer von Wunsch, leer von Traum, leer von Freude und Leid“.
Drei Jahre ziehen Siddhartha und Govinda mit den Samanas durchs Land und lernen von ihnen. Dann verlassen sie die Asketen und begegnen Gautama, dem Buddha aus dem Adelsgeschlecht der Sakya. Sie erkennen ihn sofort an der „Vollkommenheit seiner Ruhe, an der Stille seiner Gestalt, in welcher kein Suchen, kein Wollen, kein Nachahmen, kein Bemühen“ zu erkennen ist. Govinda schließt sich dem Erhabenen an und wundert sich, dass Siddhartha es nicht tut.
Der glaubt inzwischen, dass er durch die Askese vergeblich versuchte, der „Qual seines Ichseins“ zu entfliehen. Es sei sinnlos, „das zufällige Ich der Sinne“ abzutöten und stattdessen „das zufällige Ich der Gedanken und Gelehrsamkeit“ zu mästen. Siddhartha versteht, dass es falsch war, sich taub und blind gegenüber der Welt zu verhalten. Aber er bezweifelt auch, ob eine Lehre ihm weiterhelfen könnte: „Niemand wird erlöst durch Lehre.“ Er muss seinen eigenen Weg gehen.
Kurz vor der Stadt begegnet er der schönen Kurtisane Kamala. Solange es Siddhartha an Geld, Schuhen und Kleidern mangelt, passt er nicht zu ihr. Sie rät ihm deshalb, das zu tun, was er könne und dafür Geld zu verlangen. „Ich kann denken. Ich kann warten. Ich kann fasten“, sagt er. Kamala erreicht durch ihre Beziehungen, dass ihm der reiche Kaufmann Kamaswami zeigt, wie Geschäfte gemacht werden. Siddhartha bringt es nicht nur zu Schuhen und Kleidern, sondern auch zu einem eigenen Haus, einem Garten am Fluss vor der Stadt und einer eigenen Dienerschaft. Anfangs sind die Geschäfte nur ein Spiel für ihn und er zuckt mit den Achseln, wenn er Geld dabei einbüßt, doch allmählich verliert er seine Gelassenheit und seine Geduld gegen säumige Schuldner. Er wird habgierig. Das Fasten, Warten und Denken hat er verlernt. Außer Kamala steht ihm niemand nah, und selbst sie behauptet, dass er keinen Menschen liebt.
Siddhartha ist in den Vierzigern, als er sich enttäuscht und voll Ekel von diesem Leben abwendet. Er gibt sein Haus und seinen Garten auf und zieht fort. Kamala ist nicht überrascht, als sie hört, dass er die Stadt verlassen hat. Doch von diesem Tag an verschließt sie ihr Haus und empfängt keine Besucher mehr. Beim letzten Zusammensein mit Siddhartha ist sie schwanger geworden.
Am Ufer eines Flusses, den er vor 20 Jahren auf dem Weg in die Stadt überquerte, lehnt sich Siddhartha an einen Baumstamm und blickt aufs Wasser. Er denkt daran, sich in die Fluten zu stürzen, unterlässt es dann aber und schläft ein. Govinda, der in einer Schar von Mönchen vorbeikommt, bleibt zurück, um über den Schlaf des reich gekleideten Mannes zu wachen, den er nicht erkennt. Als Siddhartha die Augen öffnet und sich zu erkennen gibt, freut er sich und wundert sich zugleich. Dann eilt er seinen Mitbrüdern hinterher.
Von demselben Fährmann wie vor 20 Jahren lässt sich Siddhartha übersetzen. Der lädt ihn ein, die Nacht in seiner Hütte zu verbringen und hört schweigend zu, als Siddhartha ihm berichtet, was er seit dem Abschied von seinem Vater erlebt hat. Er hat verstanden, dass er bei den Samanen vergeblich gegen sein Ich kämpfte und zu viel Wissen ihn nur behinderte. Schon als Kind wusste er, dass „Weltlust und Reichtum“ nicht gut sind, doch dieses Wissen nützt ihm erst jetzt, wo er es selbst erfahren hat. Siddhartha bleibt bei dem Fährmann Vasudeva und wird dessen Gehilfe.
Als Gautama im Sterben liegt, pilgern viele seiner Anhänger zu ihm. So auch Kamala mit ihrem elfjährigen Sohn Siddhartha. Kurz bevor sie die Fähre erreicht, wird sie von einer Schlange gebissen. Sie stirbt in den Armen ihres früheren Liebhabers. Der alte Siddhartha ist glücklich, seinen Sohn bei sich zu haben. Doch der erweist sich als verwöhnt und widerspenstig. Vasudeva weist seinen Freund darauf hin, dass der Junge nicht freiwillig aus der Stadt fortgegangen sei und auf den Reichtum verzichtet habe. Wider bessere Einsicht versucht Siddhartha seinen Sohn durch Milde und Nachsicht an sich zu binden und ihn vor seinen eigenen Irrwegen zu bewahren. „Glaubst du denn wirklich, dass du deine Torheiten begangen habest, um sie dem Sohn zu ersparen?“, fragt ihn Vasudeva. Eines Tages stiehlt der junge Siddhartha das Geld der beiden alten Männer, setzt mit der Fähre über und zerbricht am anderen Ufer absichtlich das Ruder, bevor er sich auf den Weg in die Stadt macht.
Sein Vater läuft ihm nach. Am Tor des Hains, den Kamala den Mönchen des Gautama vermacht hat, schläft er ein. Als er erwacht, ist Vasudeva bei ihm. Gemeinsam gehen sie zurück zur Fähre.
„Langsam blühte, langsam reifte in Siddhartha die Erkenntnis, das Wissen darum, was eigentlich Weisheit sei, was seines langen Suchens Ziel sei. Es war nichts als eine Bereitschaft der Seele, eine Fähigkeit, eine geheime Kunst, jeden Augenblick, mitten im Leben, den Gedanken der Einheit zu denken, die Einheit fühlen und einatmen zu können.“
Da ist für Vasudeva der Zeitpunkt gekommen, sich in die Wälder zurückzuziehen und Siddhartha mit der Fähre allein zu lassen.
Govinda hört von dem weisen, wunderlichen Fährmann und sucht ihn auf. Auch diesmal erkennt er Siddhartha erst, als dieser ihm sagt, wer er ist. Verzweifelt fragt Govinda den Jugendfreund um Rat. Der überlegt, ob Govinda vor lauter Suchen nicht zum Finden kommt: „Suchen heißt: ein Ziel haben. Finden aber heißt: frei sein, offen stehen, kein Ziel haben.“ Und er gibt ihm zu bedenken: „Wissen kann man mitteilen. Weisheit aber nicht. Man kann sie finden, man kann sie leben, man kann von ihr getragen werden.“ Siddhartha zeigt Govinda den Fluss, der sich ständig verändert und doch derselbe bleibt: ein Sinnbild der Einheit von Wechsel und Beharrlichkeit. Die Welt sei eine Einheit, in der sich die Gegensätze aufheben. Denken und aussprechen könne man jedoch immer nur Halbes und Einseitiges, niemals die Ganzheit: „Es wird immer alles gleich ein wenig anders, wenn man es ausspricht.“ Deshalb verehrt Siddhartha an Gautama auch weniger die Lehre als das Wirken, das Vorbild seines Lebens.
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In der Legende über Siddhartha stellt Hermann Hesse einen Menschen dar, der sich aus familiären und gesellschaftlichen Konventionen befreit, aber auch jedes Dogma ablehnt und seinen eigenen Weg findet. Der führt vom gelehrten Vater weg und am Ende in die Natur — zum Fluss als dem Sinnbild für Dauer und Wandel. Das Buch ist ein Plädoyer gegen Unfreiheit und Anpassung, von dem Henry Miller einmal sagte: „Siddhartha ist für mich eine wirksamere Medizin als das Neue Testament.“
Trotz des erbaulichen Inhalts ist diese Geschichte einer Selbstfindung unglaublich spannend zu lesen. Vielleicht liegt das auch an der zwar altmodisch klingenden, dabei jedoch klaren, uneitlen, gewissermaßen asketischen Sprache und Gedankenführung Hermann Hesses.
Conrad Rooks verfilmte „Siddhartha“ 1972 mit Shashi Kapoor in der Titelrolle (Buch und Regie: Conrad Rooks, Kamera: Sven Nyquist).
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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2002
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