Frank Wedekind : Der Erdgeist

Der Erdgeist
Der Erdgeist Manuskript: ab 1892 Veröffentlichung: 1895 Uraufführung: Leipzig 1898
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Um sich gutbürgerlich verheiraten zu können, verkuppelt der Berliner Chefredakteur Dr. Schön seine Mätresse Lulu, die er als Zwölfjährige aus der Gosse holte, mit dem senilen Medizinalrat Dr. Goll. Den trifft der Schlag, als er Lulu mit dem Maler Schwarz ertappt. Lulu heiratet Schwarz, der sich das Leben nimmt, nachdem er von ihrer Untreue erfahren hat. Daraufhin wird Lulu Dr. Schöns Ehefrau, empfängt jedoch auch weiterhin ihre Verehrer – bis es zu einer weiteren Katastrophe kommt ...
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Kritik

In der Tragödie "Der Erdgeist" ignorierte Frank Wedekind die Regeln des zu seiner Zeit vorherrschenden naturalistischen Dramas und setzte auf grelle Panoptikum-Effekte, groteske Szenen und kolportageartige Elemente.
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Dr. Schön, der reiche Chefredakteur einer Berliner Zeitung, holt die zwölfjährige Lulu aus der Gosse, schickt sie in die Schule und macht sie zu seiner Mätresse. Als er vorhat, sich standesgemäß zu verheiraten, trennt er sich von Lulu und verkuppelt sie mit einem vermögenden Freund: Medizinalrat Dr. Goll. Lulu vermählt sich mit dem sehr viel älteren senilen Mann, obwohl sie zu Dr. Schön sagt: „Aber auf Kommando lieben, das kann ich nicht!“

Als Dr. Goll herausfindet, dass sie ihn mit dem Maler Schwarz betrügt, der sie porträtieren soll, trifft ihn der Schlag. Daraufhin wird Lulu die Ehefrau des Künstlers und verhilft ihm mit ihrer Erbschaft zum Erfolg, setzt jedoch heimlich auch ihr Verhältnis mit Dr. Schön fort. Eines Tages sucht er Lulu auf, um endgültig Schluss mit ihr zu machen:

[Dr. Schön:] Lass mich aus dem Spiel! Tu, was du willst. Ich komme nicht, um Skandal zu machen. Ich komme, um mir den Skandal vom Hals zu schaffen. Meine Verbindung kostet mich Opfer genug! Ich hatte vorausgesetzt, mit einem gesunden jungen Mann, wie ihn sich eine Frau in deinem Alter nicht besser wünschen kann, würdest du dich endlich zufriedengeben. Wenn du mir verpflichtet bist, dann wirf dich mir nicht zum drittenmal in den Weg! Soll ich denn noch länger warten, bis ich mein Teil in Sicherheit bringe? Soll ich riskieren, dass mir der ganze Erfolg meiner Konzessionen nach zwei Jahren wieder ins Wasser fällt? Was hilft mir dein Verheiratetsein, wenn man dich zu jeder Stunde des Tages bei mir ein und aus gehen sieht? – Warum zum Teufel ist Dr. Goll nicht auch wenigstens ein Jahr noch am Leben geblieben! Bei dem warst du in Verwahrung. Dann hätte ich meine Frau längst unter Dach!
[Lulu:] Was hätten Sie dann! Das Kind fällt Ihnen auf die Nerven. Das Kind ist zu unverdorben für Sie. Das Kind ist viel zu sorgfältig erzogen. Was sollte ich gegen Ihre Verheiratung haben! Aber Sie täuschen sich über sich selber, wenn Sie glauben, mit Ihrer bevorstehenden Verheiratung wegen Ihre Verachtung zum Ausdruck geben zu dürfen!

Obwohl Schwarz sich an der Nase herumführen lässt, erfährt er schließlich durch Dr. Schön von der Untreue seiner Frau. Entsetzt schneidet Schwarz sich die Kehle durch.

Die zweifache Witwe bringt nun Dr. Schön dazu, seine gutbürgerliche Verlobung zu lösen und sich mit ihr zu vermählen. Während er an der Börse tätig ist, empfängt Lulu ihren siebenundsiebzigjährigen Vater Schigolch und ihre Verehrer: Dr. Schöns homosexuellen Sohn Alwa, die lesbische Gräfin Geschwitz, den Athleten Rodrigo Quast und den schwärmerischen Gymnasiasten Hugenberg. Sie sind der femme fatale verfallen. Als ihr eifersüchtiger Mann vorzeitig nach Hause kommt und Lulu mit seinem Sohn in flagranti ertappt, drückt er ihr einen Revolver in die Hand. Damit soll sie sich selbst das Leben nehmen.

[Lulu:] Wenn sich die Menschen um meinetwillen umgebracht haben, so setzt das meinen Wert nicht herab. – Du hast doch gewusst, weswegen ich dich zum Manne nehme. – Du hattest deine besten Freunde mit mir betrogen, du konntest nicht gut auch noch dich selber mit mir betrügen. – Wenn du mir deinen Lebensabend zum Opfer bringst, so hast du meine ganze Jugend dafür gehabt. Du verstehst dich zehnmal besser als ich darauf, was höher im Wert steht. Ich habe nie in der Welt etwas anderes scheinen wollen, als wofür man mich genommen hat, und man hat mich nie in der Welt für etwas anderes genommen, als ich bin. – Du willst mich dazu zwingen, mir eine Kugel ins Herz zu jagen. Ich bin keine sechzehn Jahre mehr; aber um mir eine Kugel ins Herz zu jagen, dafür bin ich doch noch zu jung!

Fortsetzung: „Die Büchse der Pandora“

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1892 begann Frank Wedekind (eigentlich: Benjamin Franklin Wedekind, 1864 – 1918) an einem Bühnenstück zu arbeiten, das er drei Jahre später unter dem Titel „Der Erdgeist“ veröffentlichte. Die Tragödie in vier Akten wurde 1898 in Leipzig uraufgeführt. Die Zeitschrift „Die Insel“ druckte 1902 die Fortsetzung – „Die Büchse der Pandora“ –, eine Tragödie in drei Aufzügen, die 1904 in Nürnberg erstmals auf die Bühne kam. 1913 verschmolz Frank Wedekind beide Bühnenwerke zu einer Tragödie in fünf Akten: „Lulu“.

Lulu, die Hauptfigur, verkörpert den Konflikt zwischen der Sexualität und der bürgerlichen Moral: Dr. Schön, Dr. Goll, der Maler Schwarz, Alwa Schön und die lesbische Gräfin Geschwitz verfallen Lulu und kommen dabei ums Leben. Vergeblich verlangt Lulu nach Liebe; sie zerbricht daran, dass sie von allen nur als Objekt der Begierde gesehen wird. Schuld und Unschuld, Täter und Opfer lassen sich in den „Lulu“-Tragödien nicht klar voneinander unterscheiden. Lulu entwickelt sich von einer Lolita zur femme fatale und steigt parallel dazu vom Berliner Straßenkind zur Halbweltdame in Paris auf, bevor sie in London als mittellose Straßenhure wieder in der Gosse endet. Karl Kraus schrieb, Lulu sei „die Tragödie von der gehetzten, ewig missverstandenen Frauenanmut“, die von allen zerstört wird und alles zerstört.

Die Lulu Wedekinds […] war dazu angetan, die Bürger, deren brüchige Moral in dem Drama aufgezeigt wurde, zu schockieren. Was Wedekind bezweckte und was ihm gelang, war ein épater les bourgeois, nicht um zu belehren, nicht um zu verbessern, sondern um das satte Bürgertum aus seiner Lethargie herauszureißen und es zu zwingen, die Welt zu sehen, wie sie war.
Wedekind war ein Prediger des ungebändigten Individualismus, er trat ein für die von lästigen Vorurteilen befreite Persönlichkeit, die nur nach eigenen Gesetzen und Grundsätzen leben […] sollte.
(Paul Frischauer: Die Welt als Bühne als Bühne der Welt, Marion von Schröder Verlag)

Frank Wedekind ignorierte die Regeln des zu seiner Zeit vorherrschenden naturalistischen Dramas: Bewusst setzte er in „Der Erdgeist“, „Die Büchse der Pandora“ und „Lulu“ auf grelle Panoptikum-Effekte, groteske Szenen und kolportageartige Elemente, ohne sich über Stilbrüche zu bekümmern.

Auch hundert Jahre nach der Entstehung wird „Lulu“ auf der Bühne immer wieder neu interpretiert und inszeniert. Es gibt auch mehrere Verfilmungen – darunter: „Lulu“ von Uwe Janson (2006) –, und Alban Berg (1885 – 1935) machte daraus die 1937 in Zürich uraufgeführte unvollendete Oper „Lulu“.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2006

Frank Wedekind: Die Büchse der Pandora
Frank Wedekind: Lulu

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