Elle

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Elle

Elle – Originaltitel: Elle – Regie: Paul Verhoeven – Drehbuch: David Birke und Harold Manning nach dem Roman "Oh ..." von Philippe Djian – Kamera: Stéphane Fontaine – Schnitt: Job ter Burg – Musik: Anne Dudley – Darsteller: Isabelle Huppert, Laurent Lafitte, Anne Consigny, Charles Berling, Virginie Efira, Christian Berkel, Judith Magre, Jonas Bloquet, Alice Isaaz, Vimala Pons, Raphaël Lenglet, Arthur Mazet, Lucas Prisor, Hugo Conzelmann, Stéphane Bak u.a. – 2016; 130 Minuten

Inhaltsangabe

Michèle Leblanc ist die Tochter eines Massenmörders. Die inzwischen fast 50-Jährige leitet erfolgreich ein Unternehmen in Paris, weiß sich zu behaupten und scheint nicht nur im Geschäfts-, sondern auch im Privatleben alles unter Kontrolle zu haben. Im Vergleich zu der starken Frau sind die Männer in ihrem Umfeld schwach. Nachdem sie in ihrem Haus überfallen, brutal geschlagen und vergewaltigt wurde, geht sie nicht zur Polizei ...
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Kritik

"Elle", die Verfilmung eines Romans von Philippe Djian durch Paul Verhoeven, ist ein Psycho-, Rache- und Erotik-Thriller, aber auch eine Satire auf die gehobene Gesellschaft. Sehenswert ist "Elle" v. a. wegen der Hauptdarstellerin Isabelle Huppert.
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Die Protagonistin Michèle Leblanc

Michèle Leblanc (Isabelle Huppert) leitet gemeinsam mit ihrer Freundin Anna (Anne Consigny) ein Software-Unternehmen in Paris, das Computerspiele entwickelt. Sie weiß sich als Chefin in der vorwiegend männlichen Belegschaft durchzusetzen.

In einem Schnellrestaurant kippt ihr eine fremde Frau die Essensreste vom Tablett über den Rock und beschimpft sie als Abschaum. Sie hat Michèle als die Tochter des Massenmörders Georges Leblanc erkannt, weil der 76-Jährige kürzlich ein Gnadengesuch auf Freilassung stellte und darüber im Fernsehen berichtet wurde. 1976, vor 39 Jahren, hatte Georges Leblanc 27 Menschen ermordet. Dann war er blutbesudelt nach Hause gegangen und hatte seine damals zehnjährige Tochter aufgefordert, ihm beim Verbrennen der Kleidung zu helfen. Das Foto des Mädchens in Unterwäsche neben dem Massenmörder war in allen Medien zu sehen, und man spekulierte darüber, ob Michèle Mitwisserin oder gar Mittäterin ihres Vaters gewesen sein könnte.

Seit der Scheidung von dem Dozenten und erfolglosen Schriftsteller Richard Casamayou (Charles Berling) – mit dem sie allerdings noch immer eng befreundet ist – lebt Michèle allein im Haus.

Die erste Vergewaltigung

Dort wird sie von einem maskierten Einbrecher überfallen, brutal geschlagen und auf dem Fußboden vergewaltigt. Als der Verbrecher fort ist, dauert es eine Weile, bis Michèle sich wieder aufrichten kann. Sie kehrt die Scherben einer zertrümmerten Vase zusammen und lässt sich ein Bad ein. Als sie in der Wanne liegt, färbt sich das Wasser über ihrer Scham rot. Nach dem Baden bestellt sie mit ruhiger Stimme telefonisch Sushi, darunter auch eine „Holiday Roll“.

Als ihr erwachsener Sohn Vincent (Jonas Bloquet) vorbeikommt und ihm das Hämatom in ihrem Gesicht auffällt, behauptet sie, einen Fahrradunfall gehabt zu haben. Vincent berichtet, dass er einen Job gefunden habe, in einem Fast-Food-Restaurant. „Wo auch sonst?“, murmelt seine Mutter. Obwohl sie seine Freundin Josie (Alice Isaaz) nicht ausstehen kann, verspricht sie, ein paar Monate lang die Miete einer Wohnung zu bezahlen, in die Vincent mit der Schwangeren ziehen möchte.

Am Abend nimmt Michèle einen Hammer mit ins Bett, und am nächsten Tag kauft sie nicht nur eine Dose Pfefferspray, sondern auch ein kleines Beil.

Bei einem Restaurant-Essen mit Richard, Anna und deren Ehemann Robert (Christian Berkel) erwähnt Michèle beiläufig die Vergewaltigung. In diesem Augenblick kommt der Kellner mit einer Flasche Champagner an den Tisch. Robert bittet ihn, mit dem Servieren fünf Minuten zu warten. Aber Michèle hat nicht vor, weitere Einzelheiten zu berichten. Dass sie keine Anzeige erstattet hat und es auch nicht vorhat, nehmen die Freunde hin. Sie haben Verständnis dafür, dass sie seit ihrer Kindheit nichts mehr mit der Polizei zu tun haben möchte. Es widerspräche auch ihrem Selbstverständnis als starke Frau, wenn man sie wie das Opfer eines Verbrechens behandeln würde.

Obwohl Michèle die Schlösser auswechseln ließ, muss der Vergewaltiger erneut in ihr Haus eingedrungen sein, denn ihre Bettwäsche ist mit Sperma bespritzt.

Cybermobbing

Auf den Bildschirmen ihres Unternehmens taucht eine Animation auf, in der sie als Vergewaltigungs-Opfer eines Monsters dargestellt ist. Unter vier Augen beauftragt sie ihren Mitarbeiter Kevin (Arthur Mazet), die Computer seiner Kolleginnen und Kollegen zu hacken, um den Schuldigen zu finden. Aber sie findet schließlich heraus, dass die Animation ausgerechnet von Kevin stammt. Er beteuert, sie sei ihm vom Rechner gestohlen worden; er selbst habe nie vorgehabt, sie anderen zugängig zu machen.

Erotische Begierden

Dass Richard inzwischen eine Liaison mit der jungen Yoga-Trainerin Hélène (Vimala Pons) hat, macht Michèle eifersüchtig. Ihrerseits hat sie heimlich eine Affäre mit Robert, dem Ehemann ihrer Geschäftspartnerin und besten Freundin. Auch den Börsenmakler Patrick (Laurent Lafitte), der mit seiner streng katholischen Ehefrau Rebecca (Virginie Efira) in das Haus auf der anderen Straßenseite gezogen ist, findet sie begehrenswert.

Auf einer Weihnachtsfeier im Familien- und Freundeskreis flirtet Michèle mit Patrick. Als ihre 74 Jahre alte Mutter Irène Leblanc (Judith Magre) ankündigt, sie werde ihren sehr viel jüngeren Lover Ralph (Raphaël Lenglet) heiraten, meint Michèle, das sei grotesk. Kurz darauf bricht Irène zusammen. Die Ärzte im Krankenhaus diagnostizieren einen schweren Schlaganfall. Nachdem Irène gestorben ist, kippt Michèle den Inhalt der Urne emotionslos von einer Brücke in die Seine.

Bei einem Orkan kommt Patrick zu Michèle ins Haus, um ihr beim Schließen der Fensterläden zu helfen. Ihre Körper berühren sich. Michèle erwartet einen Kuss, aber Patrick reißt sich los und rennt davon.


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Spoiler

Kurz darauf wird Michèle erneut überfallen. Dieses Mal gelingt es ihr, dem Vergewaltiger eine Schere durch die Hand zu rammen. Der Verletzte nimmt die Maske ab. Es ist Patrick.

Als sie erstmals ihren Vater in der Justizvollzugsanstalt besuchen will, erfährt sie, dass er sich in der Nacht zuvor erhängte, kurz nachdem ihm ihr Besuch angekündigt worden war. Auf der Rückfahrt verliert sie durch einen Wildwechsel die Kontrolle über ihren Wagen, kracht gegen einen Baum und kann sich nicht aus dem Wrack befreien. Die Freunde haben alle die Mailbox eingeschaltet. Michèle ruft Patrick an. Der kommt sofort zur Unfallstelle und hilft ihr.

Sie fragt ihn, warum er sie vergewaltigt habe, und er antwortet, es sei nötig gewesen. Da versteht sie, dass er nicht zum einvernehmlichen Geschlechtsverkehr in der Lage ist und deshalb davonlief, als er die Gelegenheit dazu hatte.

Während Rebecca mit ihren Eltern auf dem Jakobsweg nach Santiago de Campostella pilgert, lädt Patrick seine Nachbarin und deren Sohn ein, der sich mit Josie zerstritten hat und vorübergehend bei seiner Mutter wohnt. Vincent betrinkt sich und schläft ein. Unter dem Vorwand, die Heizungsanlage besichtigen zu wollen, folgt Michèle dem Gastgeber in den Keller. Als er dort über sie herfällt und auf sie einschlägt, lässt sie sich auf das Rollenspiel der Vergewaltigung ein.

Anlässlich des Releases eines neuen Computerspiels veranstaltet das Unternehmen ein Fest. Nachdem Michèle ihrer Freundin Anna die inzwischen beendete Affäre mit Robert gestanden hat, lässt sie sich von Patrick nach Hause fahren.

Wie erwartet, überfällt er sie wenige Minuten später maskiert.

Als Vincent nach Hause kommt, sieht er, wie die beiden am Boden liegend miteinander kämpfen. Ohne zu ahnen, dass es sich bei der scheinbaren Vergewaltigung für seine Mutter um ein Rollenspiel handelt, erschlägt er Patrick.

Die Witwe Rebecca verkauft das Haus und zieht aus. Beim Abschied bedankt sie sich bei Michèle dafür, dass diese Patrick zumindest vorübergehend geben konnte, was er brauchte.

Vincent und Josie finden wieder zusammen. Obwohl das Kind dunkelhäutig ist und augenscheinlich nicht von Vincent gezeugt wurde, geht er in seiner Vaterrolle auf.

Auch Michèle und Anna versöhnen sich. Anna hat Robert hinausgeworfen, will das Haus verkaufen und schlägt vor, bei ihrer Freundin einzuziehen. Sie haben es bereits früher einmal mit einer lesbischen Beziehung versucht.

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Der französische Schriftsteller Philippe Djian (* 1949) veröffentlichte 2012 den Roman „Oh …“ (Übersetzung: Oliver Ilan Schulz, Diogenes Verlag 2014, ISBN 978-3-257-06904-4). Paul Verhoeven wollte das Buch zunächst in den USA verfilmen, konnte das Projekt jedoch dort nicht realisieren. Als Isabelle Huppert, die den Roman kannte, davon hörte, war sie sofort bereit, die Hauptrolle zu übernehmen. Harold Manning übersetzte deshalb das amerikanische Drehbuch von David Birke ins Französische und verlegte dabei die Handlung nach Paris.

Im Zentrum von „Elle“ bewegt sich die Tochter eines Massenmörders, die inzwischen zu einer erfolgreichen Unternehmerin aufgestiegen ist, die sich zu behaupten weiß und sowohl im Geschäfts- wie im Privatleben alles unter Kontrolle zu haben scheint. Im Vergleich mit ihr sind die Männer in ihrem Umfeld schwach: ihr Ex-Mann Richard versucht sich erfolglos als Schriftsteller, ihr heimlicher Geliebter Robert ist ein Dummkopf, ihr Sohn Vincent lässt sich von seiner Freundin Josie betrügen. Und von ihrem Nachbarn Patrick reden wir erst gar nicht. Das Motiv mangelnder männlicher Fähigkeiten zeigt sich sogar bei einem Tierarzt, den Michèle wegen eines gegen die Fensterscheibe geprallten und vor dem Kater geretteten Singvogel anruft. Er klagt: „Ich kann einen Spatz nicht intubieren.“

Die ambivalenten Motive in „Elle“ werden mehrfach variiert und gespiegelt.

Michèle wird in ihrem Haus überfallen und brutal vergewaltigt. Bald erfahren wir, wer der Täter ist, aber „Elle“ ist kein Thriller, bei dem es um die Aufklärung eines Verbrechens geht, sondern Philippe Djian und Paul Verhoeven interessiert stattdessen, was die vergewaltigte Frau tut. „Elle“ ist Psycho-, Rache- und Erotik-Thriller, aber auch eine Satire auf die gehobene Gesellschaft mit komischen Einsprengseln.

Paul Verhoeven beginnt „Elle“ mit einer Katze, die im Zimmer ist, als Michèle zum ersten Mal vergewaltigt wird. Wir hören Kampfgeräusche, Schläge, Stöhnen und das Zerbrechen einer Vase. Erst als der maskierte Verbrecher von der am Boden liegenden Frau ablässt, kommt die Szene ins Bild.

Bemerkenswert ist auch eine andere Szene, als Michèle im Familien- und Freundeskreis Weihnachten feiert. Dabei spielt sie keine Weihnachtslieder, sondern legt den Song „Lust for Life“ der Popsängerin Lana Del Rey auf.

Sehenswert ist „Elle“ vor allem wegen Isabelle Huppert. In einem Interview erklärte Paul Verhoeven, er habe die Kontrolle über die Filmfigur Michèle von Anfang an Isabelle Huppert anvertraut, und die Schauspielerin gestand, sie habe das Verhalten des von ihr dargestellten Charakters bis zuletzt nicht verstanden. Gerade das sei faszinierend gewesen. Isabelle Huppert überzeugt in „Elle“ mit einer breiten Palette von widersprüchlichen Facetten und Nuancen. Ohne große Mimik und Gestik vermittelt sie die unterschiedlichsten Eindrücke.

Bei den Dreharbeiten in Paris filmten Stéphane Fontaine und sein im Abspann nicht aufgelisteter Assistent Lennert Hillege mit zwei auf den Schultern getragenen Red Dragon-Digitalkameras zugleich. Es wurden weder Stative noch Dollies benutzt.

Die Uraufführung von „Elle“ fand am 21. Mai 2016 bei den 69. Internationalen Filmfestspielen von Cannes statt.

„Elle“ galt als Kandidat für einen „Auslands-Oscar“, wurde aber am Ende nicht ins Rennen geschickt. Für einen „Oscar“ in der Kategorie „Beste Hauptdarstellerin“ wurde Isabelle Huppert nominiert.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2017

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