Die Legende vom Ozeanpianisten

Die Legende vom Ozeanpianisten

Die Legende vom Ozeanpianisten

Die Legende vom Ozeanpianisten - Originaltitel: La leggenda del pianista sull'Oceano - Regie: Giuseppe Tornatore - Drehbuch: Giuseppe Tornatore, nach der Erzählung "Novecento" von Alessandro Baricco - Kamera: Lajos Koltai - Schnitt: Massimo Quaglia - Musik: Ennio Morricone - Darsteller: Tim Roth, Pruitt Taylor Vince, Bill Nunn, Clarence Williams III, Peter Vaughan, Melanie Thierry, Easton Gage, Cory Buck, Harry Ditson, Niall O'Brian, Norman Chancer, Heathcote Williams, Gabriele Lavia, Kevin McNally, Vernon Nurse, Adriano Wajskol, Piero Gimondo u.a. - 1999; 125 Minuten

Inhaltsangabe

Ein im Maschinenraum des Atlantik-Liners "Virginian" gefundenes Kleinkind wird von einem Maschinisten aufgezogen. Erst als der Pflegevater durch einen Unfall ums Leben kommt, sieht sich der inzwischen achtjährige und bis dahin im Maschinenraum versteckte Junge erstmals auf dem Schiff um – und entdeckt seine geniale Begabung als Pianist ...
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Kritik

"Die Legende vom Ozeanpianisten" ist ein modernes Märchen, ein nostalgisches, wehmütiges und im guten Sinn altmodisches Kino-Epos von Giuseppe Tornatore nach einer Vorlage von Alessandro Baricco.
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Mit vierundzwanzig kaufte Max Tooney (Pruitt Taylor Vince) sich eine Trompete. Jetzt, zwei Jahrzehnte später, überlässt er sie einem alten Musikalienhändler (Peter Vaughan) in Plymouth für ein paar englische Pfund, aber es fällt ihm schwer, sich von dem Instrument zu trennen, und er möchte noch einmal darauf spielen. Der Händler, der eigentlich schon schließen wollte und mit der Tagesabrechnung begonnen hat, blickt auf und legt verwundert eine zerbrochene, geklebte Schallplattenmatrize aufs Grammophon: Max spielt dieselbe Melodie wie der unbekannte Pianist. „Wie heißt das Stück?“, fragt der Händler. Es habe keinen Namen, erklärt Max und erzählt vom „Ozeanpianisten“.

Danny Boodmann (Bill Nunn) arbeitete als Maschinist auf dem Atlantik-Liner „Virginian“. Eines Tages fand er einen kleinen Jungen, den wohl ein Passagier ausgesetzt hatte. Und weil es im Jahr 1900 geschah, gab Danny ihm den Namen „Neunzehnhundert“. Der gutmütige Maschinist zog das Findelkind groß und versteckte es im Maschinenraum, denn er befürchtete, dass man es ihm wegnehmen würde. Erst nach acht Jahren, als Danny durch einen Unfall ums Leben gekommen war, wagte Neunzehnhundert sich erstmals aus dem Maschinenraum und sah sich auf dem Schiff um. Auf dem Deck der Ersten Klasse fand ein Ball statt. Danach, als der Saal leer war, setzte der Achtjährige sich an den Flügel – und entdeckte seine geniale Begabung als Pianist. Ohne jede Ausbildung spielte er, und es klang, als sei Wolfgang Amadeus Mozart wiedergeboren.

Neunzehnhundert (Tim Roth) war siebenundzwanzig Jahre alt, als der Trompeter Max Tooney auf der „Virginian“ anheuerte. Am dritten Tag gerieten sie in einen Sturm, und Max wurde seekrank. Da forderte Neunzehnhundert ihn auf, die Feststeller am Flügel zu lösen. Während er spielte und Max sich über den Flügel beugte, fuhren sie kreuz und quer durch den Ballsaal. Max erholte sich dabei von seiner Seekrankheit, aber sie durchbrachen die riesige Jugendstil-Glaswand am Rand des Saals, fuhren einen Korridor entlang, krachten in die zersplitternde Wand der Kapitänskajüte und mussten zur Strafe einige Zeit Kohlen schippen. Die beiden Musiker wurden Freunde. Max verstand allerdings nie, wieso Neunzehnhundert kein einziges Mal von Bord ging.

Max bewundert es, wie Neunzehnhundert mit seiner improvisierten Musik Passagiere beschrieb, die er vom Flügel aus sah.

Weil Neunzehnhundert nie das Schiff verließ, buchte der arrogante schwarze Jazzpianist Jelly Roll Morton (Clarence Williams III.) aus Chicago eigens eine Überfahrt auf der „Virginian“ nach Europa, um zu beweisen, dass er besser spielte als der legendäre „Ozeanpianist“. Jelly Roll Mortons Musik rührte Neunzehnhundert zu Tränen, aber dann spielte er selbst, als ob er vier Hände hätte. Für den Rest der Seereise sperrte Jelly Roll Morton sich in seiner Kabine ein, und die Rückfahrt machte er auf einen anderem Dampfer, um Neunzehnhundert nicht noch einmal zu begegnen.

Einmal wurde Neunzehnhundert von einem ungarischen Auswanderer (Gabriele Lavia) angesprochen, der ihm erzählte, er habe sein Stück Land verloren, das er bis dahin nie verlassen hatte. Seine Frau sei ihm durchgebrannt und vier seiner Kinder an einem Fieber gestorben. Jetzt habe er nur noch eine Tochter, aber er wolle in Amerika einen Neuanfang versuchen und sie dann nachkommen lassen.

Einige Zeit später reiste die Tochter des ungarischen Emigranten (Melanie Thierry) ebenfalls auf der „Virginian“ nach New York. Zur selben Zeit war ein Plattenproduzent mit zwei Technikern auf dem Schiff, um eine Aufnahme des „Ozeanpianisten“ zu machen. Während Neunzehnhundert spielte, schaute er das Mädchen verträumt an und beschrieb es musikalisch. Der Produzent war begeistert und bot Neunzehnhundert einen Vertrag an, aber der wollte nichts davon wissen und riss die Matrize mit der Aufnahme an sich. Er wollte sie dem Mädchen schenken, aber er kam nicht an sie heran. Nachts schlich er sich in den Schlafraum der Frauen in der Dritten Klasse, suchte sie und küsste die Schlafende sanft auf den Mund. Als sie in New York von Bord ging, lief er ihr nach, doch sie wurde abgedrängt, bevor er ihr die Platte geben konnte. Sie rief ihm nur noch zu, ihr Vater führe inzwischen ein Fischgeschäft in der Bond Street.

Neunzehnhundert zerbrach die Matrize und warf die Scherben weg. (Heimlich versteckte Max sie im Flügel.)

Der „Ozeanpianist“ beschloss, nun doch einmal von Bord zu gehen. Um die Stimme des Ozeans zu hören, sagte er zu Max, aber vielleicht wollte er auch das Mädchen und seinen Vater in der Bond Street besuchen. Begeistert lieh Max seinem Freund einen Kamelhaarmantel. In der Mitte der Gangway blickte Neunzehnhundert auf die Skyline von New York und suchte vergeblich nach einer Begrenzung der Stadt. Da kehrte er wieder um.

Nach sechs Jahren verließ Max 1933 die „Virginian“ und verlor seinen Freund aus den Augen.

Als er dem Musikalienhändler die Geschichte von dem „Ozeanpianisten“ erzählt, erfährt er, dass die „Virginian“ während des Kriegs als Lazarettschiff diente und jetzt zum Abwracken in Plymouth liegt. Die Matrize hat der Händler in einem Flügel gefunden, den er von dem Abwrackunternehmen erworben hatte.

Max eilt zum Pier und versucht den Manager der Abwrackfirma zu überzeugen, dass noch jemand an Bord sei. Der versichert ihm, es sei alles durchsucht worden. Sobald die letzten verwertbaren Teile – wie zum Beispiel der Kronleuchter aus dem Ballsaal – herausgebracht seien, werde man das Schiff sprengen und versenken. Verzweifelt sucht Max nach Neunzehnhundert, denn er ist sicher, dass sein Freund die „Virginian“ nie verlassen hat. Schließlich holt er sich bei dem Musikalienhändler die Matrize und ein Grammophon und spielt die Aufnahme mitten auf dem Schiff. Da findet er Neunzehnhundert. Max redet davon, ein Duo oder vielleicht sogar eine Band zu gründen, aber der „Ozeanpianist“ macht ihm klar, dass er das Schiff nicht verlassen könne: Seine Welt lag zwischen Bug und Heck, und auf einer links und rechts begrenzten Klaviatur konnte er spielen, aber an Land nehme die Welt kein Ende und die Menschen verplemperten ihre Zeit durch die ständige Frage nach dem „Warum“. Außerhalb der „Virginian“ existiere er ohnehin nicht, den er habe nie Papiere besessen. Schweren Herzens akzeptiert Max den Beschluss, und die beiden Freunde verabschieden sich.

Die abgewrackte „Virginian“ wird aufs Meer hinausgezogen und dort gesprengt.

Max geht traurig zu dem Musikalienhändler, und der gibt ihm seine Trompete zurück.

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„Die Legende vom Ozeanpianisten“ ist ein modernes Märchen, ein nostalgisches, wehmütiges und im guten Sinn altmodisches Kino-Epos von Giuseppe Tornatore nach der Erzählung „Novecento“ (1998) von Alessandro Baricco. Der Film wirkt so versunken und absichtslos wie die Musik des „Ozeanpianisten“. Die Magie der Musik wird mit langem Erzählatem, viel Poesie und dem stimmungsvollen Soundtrack von Ennio Morricone beschworen. (Die deutsche Kinofassung ist allerdings vierzig Minuten kürzer als die italienische Originalversion.) Tim Roth verkörpert den naiven, weltfremden „Ozeanpianisten“ unglaublich einfühlsam und drückt die Gedanken der Figur weniger durch Dialoge und Gesten als mit Blick und Mimik aus.

Der kleine Neunzehnhundert wird von Julien Lovett, Easton Gage und Cory Buck dargestellt.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2004

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