Joseph Roth : Die Kapuzinergruft

Die Kapuzinergruft
Die Kapuzinergruft Originalausgabe: De Gemeenschap, Bilthoven 1938
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Im Sommer 1914 reist der 23-jährige Müßiggänger Franz Ferdinand Trotta von Wien zu Freunden nach Galizien. Dort wird er von der Kriegserklärung überrascht. Er kehrt kurz nach Wien zurück, um rasch noch Elisabeth Kovacs zu heiraten, bevor er in den Krieg zieht. Ende 1918 ist er wieder in Wien und stellt fest, dass sich alles verändert hat ...
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Kritik

In dem Roman "Die Kapuzinergruft" veranschaulicht Joseph Roth die Veränderung der dekadenten Wiener Gesellschaft durch den Ersten Weltkrieg und den Zusammenbruch der Doppelmonarchie.
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Die Trottas stammen aus Sipolje in Slowenien. Ein Bruder von Franz Ferdinand Trottas Großvater hatte Kaiser Franz Joseph 1859 in der Schlacht von Solferino das Leben gerettet und war dafür geadelt worden. Während dieser Zweig der Familie zu den treuen Untertanen Franz Josephs gehörte, galt Franz Ferdinand Trottas Vater als Rebell, denn der Chemiker wollte die österreichisch-ungarische Doppelmonarchie reformieren, um die Herrschaft der Habsburger zu bewahren. Wegen seiner politischen Einstellung musste er das Land verlassen. Erst als er in den USA reich geworden war, kehrte er nach Wien zurück, gründete eine neue slowenische Partei, kaufte zwei Zeitungen in Agram und träumte von einem slawischen Großreich unter den Habsburgern. Er starb eineinhalb Jahre bevor Erzherzog Franz Ferdinand am 28. Juni 1914 erschossen wurde [Attentat von Sarajewo].

Im April 1913 erhält der 22-jährige, bei seiner verwitweten Mutter in Wien wohnende Jurastudent Franz Ferdinand Trotta den Besuch seines Vetters Joseph Branco, eines Bauern und Maronibraters aus Sipolje, den er bisher noch nicht kannte.

Trotta ist zwar an der Universität immatrikuliert, aber er besucht keine Vorlesungen, sondern sitzt stattdessen lieber mit seinen Freunden zusammen.

Ich lebte in der fröhlichen, ja ausgelassenen Gesellschaft junger Aristokraten, jener Schicht, die mir neben den Künstlern im alten Reich die liebste war.

Er ist in die 19-jährige Elisabeth Kovacs verliebt, aber das verheimlicht er, weil er den Spott seiner Freunde fürchtet.

Meine Freunde hatten kleine, ja, unbedeutende „Liaisons“, Frauen, die man ablegte, manchmal sogar herlieh wie Überzieher; Frauen, die man vergaß, wie Regenschirme, oder absichtlich liegenließ, wie lästige Pakete, nach denen man sich nicht umsieht, aus Angst, sie könnten einem nachgetragen werden. In dem Kreis, in dem ich verkehrte, galt die Liebe als eine Verirrung, ein Verlöbnis war so etwas wie eine Apoplexie und eine Ehe ein Siechtum.

Ein halbes Jahr nach Joseph Branco, im Oktober 1913, kommt der jüdische Fiaker Manes Reisiger aus Zlotogrod in Galizien zu Trotta. Sein Freund Branco riet ihm zu diesem Schritt. Trotta verfüge über die richtigen Verbindungen, um Reisigers Sohn Ephraim einen Freiplatz am Wiener Konservatorium zu verschaffen, meinte er. Trotta wendet sich an Josef Graf Chojnicki, und dem gelingt es tatsächlich, Ephraim Reisiger ans Konservatorium zu bringen.

Aus Dankbarkeit lädt Manes Reisiger Trotta nach Zlotogrod ein. Joseph Branco werde auch kommen, lässt der Analphabet in den Brief an Trotta schreiben. Der nimmt die Einladung an und fährt im Sommer 1914 nach Galizien. Er steigt im Hotel zum Goldenen Bären in Zlotogrod ab. Und bald nach ihm trifft auch Branco ein.

In Zlotogrod wird Trotta am 28. Juli 1914 von der Kriegserklärung der Wiener Regierung ans serbische Königreich überrascht [Kriegsbeginn]. Alle waffenfähigen Männer müssen sich bei ihren militärischen Einheiten melden, Manes Reisiger und Joseph Branco bei der Landwehr 35, Franz Ferdinand Trotta bei den Einundzwanziger Jägern in Wien, wo er vor knapp zwei Jahren seinen aktiven Militärdienst als Fähnrich der Reserve beendete.

Er kehrt nach Wien zurück. Dort kündigt er seiner Mutter an, dass er in den Krieg ziehen werde und vorher Elisabeth Kovacs heiraten wolle. Die Mutter gesteht ihm, dass sie Elisabeth nicht ausstehen könne, aber er lässt sich nicht beirren und hält bei Elisabeths Vater um deren Hand an. Der vom kaiserlichen Rat zum ungarischen Baron avancierte Hutmacher hat bereits einen Großauftrag für Soldatenkappen erhalten: Er wird vom Krieg profitieren. Der Eheschließung stimmt er zu.

Trotta möchte lieber mit seinen neuen Freunden in Galizien fallen als mit den „Walzertänzern“ in Wien, die den Krieg auf die leichte Schulter nehmen. Oberstleutnant Stellmacher im Kriegsministerium genehmigt seinen Transfer von den Einundzwanziger Jägern zur Landwehr 35 und verfügt seine Beförderung zum Leutnant.

Nach der Trauung in der Döblinger Kirche bleiben Trotta noch 16 Stunden bis zu seiner Abreise. Er fährt mit Elisabeth nach Baden. Unterwegs wundert er sich darüber, dass Elisabeth in einem Buch liest, statt sich mit ihm zu unterhalten. Im Hotel „Goldener Löwe“ in Baden werden sie von dem 78 Jahre alten Diener Jacques der Familie Trotta erwartet. Ausgerechnet an diesem Abend bricht Jacques zusammen. Trotta kümmert sich um ihn. Der Arzt diagnostiziert einen Schlaganfall und rechnet mit dem Schlimmsten. Trotta erklärt seiner Frau, was geschehen ist und kehrt an Jacques Sterbebett zurück. Elisabeth reist ab und hinterlässt ihm einen Zettel: „Adieu! Ich geh nach Haus. Elisabeth“.

Ohne die Ehe vollzogen zu haben, reist Trotta nach Galizien. Die Landwehr 35 steht in Strumilce bei Brzezany. Er meldet sich beim Oberst, erfährt, dass Manes Reisiger und Joseph Branco noch leben und erreicht, dass sie in seinen Zug versetzt werden. Als er Branco ein Foto von Elisabeth zeigen möchte, findet er es nicht.

In der Schlacht von Krasne-Busk wird ein Drittel des Regiments aufgerieben, und ein weiteres Drittel gerät in Gefangenschaft, darunter auch Trotta und seine beiden Freunde. Im September 1914 werden sie nach Sibirien geschickt. Es dauert ein halbes Jahr, bis sie Wiatka erreichen. Der Kosakenleutnant Andrej Maximowitsch Krassin, der auf der vorletzten Etappe des Transports das Kommando hat, schenkt den drei Freunden einen Schlitten und schickt sie zu einem befreundeten Pelzhändler aus Polen. Der nimmt sie auf, aber als Branco und Reisiger in Streit geraten und sich prügeln, wirft er die drei Gäste hinaus, denn er will Frieden in seinem Haus. Nun müssen sie doch ins Lager von Wiatka. Immerhin gibt der Pelzhändler ihnen Tee und Machorka für den Wachtmeister Kumin mit. Der werde keine Fragen stellen, meint er.

Branco und Reisiger gelingt schließlich die Flucht aus dem Lager.

Als Trotta Ende 1918 wieder zu seiner Mutter in Wien kommt, wundert er sich darüber, dass im Flügel die Saiten fehlen. Die habe sie gleich nach seiner Abreise entfernen lassen, sagt sie. Seither spielt sie, ohne die Musik zu hören.

Elisabeth wohnt noch bei ihrem Vater und hat sich inzwischen ein Atelier einrichten lassen, in dem sie mit der angeblichen Professorin Jolanth Szatmary gemeinsam Teppiche, Schals, Krawatten, Ringe, Armbänder und Lampenschirme entwirft. Trotta bleibt nicht verborgen, dass die beiden Frauen auch privat ein Paar sind. Als er sich mit Elisabeth in einem Café verabredet, kommt sie in Begleitung ihrer Freundin, und sie zahlen ihre Rechnung, bevor Trotta dazukommt. Sie wollen noch zu einem Vortrag über freiwillige Sterilisation.

Am Abend treffen Trotta und seine Frau sich erneut. Sie nehmen sich ein Hotelzimmer und schlafen dort zum ersten Mal miteinander.

Der Schwiegervater weist Trotta darauf hin, dass er weder etwas gelernt habe noch über ein ausreichendes Einkommen verfüge. Trottas Mutter investierte den größten Teil ihres Vermögens in Kriegsanleihen, die jetzt wertlos sind. Elisabeths Vater erwartet von seinem Schwiegersohn, dass er eine Hypothek auf das Elternhaus aufnimmt und sich am kunstgewerblichen Atelier finanziell beteiligt. Als dritter Teilhaber der „Jolan-Werkstätte“ steigt Kurt von Stettenheim aus der Mark Brandenburg ein. Weil das Atelier keinen Ertrag erwirtschaftet, wird Trotta schon bald gedrängt, eine weitere Hypothek aufzunehmen. Kiniower, der langjährige Advokat der Familie Trotta, rät ihm dringend davon ab, denn der Schwiegervater habe sein Vermögen verspekuliert, bei Stettenheims Behauptung, am Tattersaal im Berliner Tiergarten beteiligt zu sein, handele es sich um eine Lüge und Jolanth Szatmary nenne sich zu Unrecht Professorin. Trotz der Warnungen des Rechtsanwalts nimmt Trotta zusätzliches Geld für das Atelier auf.

Kurt von Stettenheim kommt jede Woche mit einer anderen Tänzerin, Kassiererin, Näherin, Modistin oder Köchin ins Café und lädt alle Bekannten ein. Aber dann lässt er sich von Trottas Mutter Geld geben. Trotta tobt, als er es erfährt. Die „Jolan-Werkstätte“ wird an eine irakische Teppich-Handelsgesellschaft vermietet. Stettenheim verschwindet aus Wien, und einige Zeit später zieht Jolanth Szatmary nach Budapest.

Trotta schläft zum ersten Mal mit Elisabeth in seinem Zimmer. Von da an wohnt seine Frau bei ihm.

Der Advokat Kiniower drängt Trotta, in seinem Elternhaus eine Pension zu eröffnen, um wenigstens bescheidene Einnahmen zu generieren. Das Geld für den Umbau streckt er vor. Außerdem besorgt er ein Dienstmädchen, Betten, Klingeln und Telefonapparate. In den sechs zu vermietenden Zimmern bringt Trotta seine Freunde unter, die ihre aristokratischen Titel ebenso wie ihre Vermögen verloren haben. Nur einer von ihnen zahlt regelmäßig und im Voraus.

Joseph Branco kommt zu Besuch. Weil die Kastanien in diesen Jahren wurmstichig sind und der Maronibrater seit dem Zusammenbruch der Doppelmonarchie ohne behördliche Genehmigungen nicht mehr in dem früheren Herrschaftsgebiet herumreisen darf, bietet er inzwischen auch Bratäpfel an. Manes Reisiger wartet an der Haustür, bis Trotta zu ihm hinuntergeht. Seine Frau sei von einer Granate zerfetzt worden, berichtet er. Deshalb lebe er jetzt mit einem gefälschten Pass in Wien, wie sein Sohn, der inzwischen nicht mehr musiziere, sondern sich als Redakteur der „Roten Fahne“ für den Kommunismus engagiere.

Elisabeth bringt einen Sohn zur Welt, der auf den Namen Franz Joseph Eugen getauft und Geni gerufen wird. Bald schon verliert sie das Interesse an dem Kind. Sie geht häufig aus, ohne ihrem Mann zu verraten, wohin. Trotta fragt auch nicht danach; er ist gern mit Geni allein. Erst nach Wochen erfährt er durch Zufall, dass Jolanth Szatmary und Kurt von Stettenheim wieder in Wien sind. Sie sind ins Filmgeschäft eingestiegen, und Elisabeth trifft sich häufig mit ihnen, denn sie möchte Filmschauspielerin werden. Die drei ziehen schließlich zusammen nach Hollywood.

Trottas Mutter, die seit einem Schlaganfall gelähmt ist und nicht mehr sprechen kann, stirbt am 12. Februar 1934, während Bundeskanzler Engelbert Dollfuß auf Arbeiter und Sozialdemokraten schießen lässt. Nach der Beerdigung trifft Trotta Manes Reisiger auf dem Friedhof. Der frühere Fiaker trug soeben seinen kommunistischen Sohn Ephraim zu Grabe, der von den Regierungstruppen erschossen worden war.

Trotta verkauft das Elternhaus und schickt seinen Sohn zu einem Freund nach Paris.

Als er am 11. März 1938 mit seinen Freunden im Café Lindhammer sitzt, reißt jemand die Tür auf und ruft: „Volksgenossen! Die Regierung ist gestürzt. Eine neue deutsche Volksregierung ist vorhanden!“ Die früheren Aristokraten verlassen daraufhin das Lokal, ohne zu bezahlen. Nur Trotta bleibt sitzen. Der jüdische Wirt Adolf Feldmann geht ebenfalls fort, nachdem er das Licht ausgemacht und Trotta zwei brennende Kerzen hingestellt hat.

Im Morgengrauen geht Trotta zur Kapuzinergruft. Aber die ist geschlossen.

Zur gleichen Zeit überschreiten deutsche Truppen die Grenze.

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Den Roman „Die Kapuzinergruft“ von Joseph Roth kann man als Fortsetzung von „Radetzkymarsch“ lesen. Die Handlung beginnt im April 1913 und endet mit dem Einmarsch der Deutschen in Österreich am 12. März 1938.

Joseph Roth vermittelt uns in „Die Kapuzinergruft“ zunächst ein anschauliches Panorama reicher junger Müßiggänger am Vorabend des Ersten Weltkriegs in Wien. Statt zu studieren oder beruflich tätig zu sein, schlafen sie lang und sitzen dann miteinander in Kaffeehäusern herum. Der Kirchgang ist in diesen Kreisen ebenso verpönt wie eine feste Liebesbeziehung. Es gehört zum guten Ton, jede Woche mit einer anderen Frau ins Café zu kommen.

Der Krieg fegt die k. und k. Monarchie hinweg. Der Vielvölkerstaat der Habsburger zerbricht, und in Österreich wird das Kaiserreich durch eine Republik ersetzt. Die Freunde des Ich-Erzählers Trotta, soweit sie den Krieg überleben, verlieren nicht nur ihre Adelstitel, sondern auch ihre Vermögen. Zugleich nimmt die Bedeutung des Geldes zu, aber es sind Kriegsgewinnler und Betrüger, die nun den Ton angeben. Frauen pochen nun auf ihre Selbstständigkeit. Die traditionellen Werte verlieren ihre Gültigkeit. Während Trottas verwitwete Mutter sich trotzdem auch weiterhin strikt an die altbewährten Regeln hält und ihre Würde bewahrt, verbreiten sich in der Generation ihres Sohnes Orientierungs- und Hoffnungslosigkeit.

Eine Schilderung der Kriegsgräuel erspart uns Joseph Roth. „Die Kapuzinergruft“ ist kein Antikriegsroman, sondern ein Abgesang auf Gesellschaft und Kultur der Donaumonarchie. Meisterhaft charakterisiert Joseph Roth die Figuren und veranschaulicht mit ihrem Verhalten die gesellschaftlichen Veränderungen.

Bei der Kapuzinergruft in Wien handelt es sich um eine Begräbnisstätte der Habsburger und Habsburg-Lothringer in Wien. Anna von Österreich-Tirol (1585 – 1618) hatte 1617 den Bau des Kapuzinerklosters und der Gruft verfügt. Begonnen wurde damit erst 1622. Elf Jahre später fanden Anna und ihr 1619 ebenfalls verstorbener Gemahl, Kaiser Matthias, in der Kapuzinergruft ihre letzte Ruhe. 12 Kaiser, 19 Kaiserinnen und eine Reihe weiterer Habsburger und Habsburg-Lothringer – insgesamt 138 Personen – sind hier bestattet.

Johannes Schaaf verfilmte den Roman „Die Kapuzinergruft“.

Trotta. Die Kapuzinergruft – Originaltitel: Trotta – Regie: Johannes Schaaf – Drehbuch: Johannes Schaaf und Maximilian Schell, nach dem Roman „Die Kapuzinergruft“ von Joseph Roth – Kamera: Wolfgang Treu – Schnitt: Dagmar Hirtz – Musik: Eberhard Schoener – Darsteller: András Bálint, Rosemarie Fendel, Doris Kunstmann, Elma Bulla, Tamás Major, Heinrich Schweiger, István Iglódi u.a. – 1971, 95 Minuten

 

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2012

Joseph Roth (kurze Biografie)

Joseph Roth: Das Spinnennetz (Verfilmung)
Joseph Roth: Hiob
Joseph Roth: Radetzkymarsch

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In den Geschichten und Gedichten, die Nikola Hahn unter dem Titel "Baumgesicht" zusammengestellt hat, geht es weder um ambitionierte noch um spektakuläre Themen, sondern um teils nachdenkliche, teils schalkhafte, immer einfühlsame Erlebnisse von Durchschnitts­menschen im Alltag.
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