Der Obrist und die Tänzerin

Der Obrist und die Tänzerin

Der Obrist und die Tänzerin

Originaltitel: The Dancer Upstairs - Regie: John Malkovich - Buch: Nicholas Shakespeare, nach seinem Roman "Der Obrist und die Tänzerin" - Kamera: José Luis Alcaine - Schnitt: Pedro Malgheas - Musik: Alberto Igleasias - Darsteller: Javier Bardem, Juan Diego Botto, Laura Morante, Elvira Minguez, Lucas Rodriguez, Alexandra Lancaste, Marie-Anne Verganza, Abel Folk, José Antonio Izaguirre, Oliver Cotton u.a. - 2002; 125 Minuten

Inhaltsangabe

"Lang lebe Präsident Ezequiel!", lautet die Botschaft bei zahlreichen Terroranschlägen in einem südamerikanischen Staat. Wer ist dieser Ezequiel? Polizeileutnant Agustín Rejas, der seine Karriere als Rechtsanwalt aufgegeben hatte, weil er glaubte, als Polizist mehr für die Gerechtigkeit tun zu können, fahndet nach dem Guerillaführer und hört damit auch nicht auf, als das Militär die Ermittlungen an sich reißt.
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Kritik

In seiner Verfilmung des Romans "Der Obrist und die Tänzerin" von Nicholas Shakespeare zeigt John Malkovich, wie schwierig es ist, in der bedrückenden Atmosphäre eines von Korruption, Terror und Gegenterror bestimmten Systems moralischen Prinzipien treu zu bleiben.
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Als Agustín Rejas (Javier Bardem) begriff, dass es in der Rechtsprechung nicht um Gerechtigkeit geht, gab er seine Karriere als Anwalt auf und wechselte zur Polizei. Inzwischen hat er sich zum Polizeileutnant in der Hauptstadt eines nicht genannten südamerikanischen Staates hochgearbeitet. Polizeichef Merino (Oliver Cotton) beauftragt ihn, eine Sonderkommission zu bilden und eine Serie von Übergriffen zu klären, die auf die Vorbereitung eines Umsturzes hindeuten. Hunde hängen an Straßenlampen. Auf Schildern, die an den Kadavern befestigt sind, steht mit Blut geschrieben: „Lang lebe Präsident Ezequiel“. Irgendwo heißt es auch: „Wenn ich das Wort Kultur höre, greife ich zur Pistole“. Ein kleiner Junge, der angeblich seinen Vater sprechen möchte, betritt ein Lokal und schreit: „Lang lebe Präsident Ezequiel!“ Im nächsten Augenblick detoniert das Paket in seinen Händen, zerfetzt ihn und die Umstehenden und zerstört das Gebäude. Auf einem Markt explodiert ein Auto. Ein Motorradfahrer deponiert eine Bombe im Vorbeifahren auf dem Tisch eines Straßencafés. Während der Aufführung eines Theaterstücks ermorden Schauspieler den anwesenden Innenminister und dessen Ehefrau.

Die Anschläge häufen sich. Und überall hinterlassen die Attentäter die mysteriöse Botschaft „Lang lebe Präsident Ezequiel“. Wer soll das sein? Vielleicht der Mann, der auf einem Plakat abgebildet ist, das Kinder durch die Straße tragen? Agustín und sein Kollege Sucre (Juan Diego Botto) halten sie fest und lassen die verängstigen Indio-Kinder dann gleich wieder laufen, denn sie scheinen nichts zu wissen. Aus sicherer Entfernung rufen sie: „Lang lebe Präsident Ezequiel!“ Woher Agustín wisse, dass der Mann auf dem Plakat „Ezequiel“ sei, fragt Sergeant Sucre. „Weil ich das Foto selbst gemacht habe“, antwortet Agustín. Er erinnert sich, wie er vor fünf Jahren, als er noch als Grenzbeamter Dienst tat, ein Polaroidfoto für ein provisorisches Einreiseformular machte und den Terroristenanführer damit ahnungslos ins Land ließ.

Vier unschuldig aussehende Schulmädchen erschießen einen General auf offener Straße in seinem Wagen. Agustín verfolgt die Blutspur eines dabei schwer verletzten Mädchens in die Slums. In der Behausung, in der das sterbende Kind in seinem Blut liegt, findet Agustín die Adresse einer Frau. Er lässt sie beschatten, und sie führt die Polizei unabsichtlich zu einem Waffendepot. Als sie festgenommen wird, nähern sich plötzlich von hinten und vorne Armeelastwagen. Das Militär übernimmt nicht nur die Verdächtige, sondern reißt auch den Fall „Ezequiel“ an sich.

Agustín, der durch seine Mutter von Indianern abstammt, ist verheiratet. Seine Frau Sylvina (Alexandra Lencastre) probt irgendeine belanglose Rede, die sie in Kürze halten möchte. Die zehnjährige Tochter Laura (Marie-Anne Verganza) hat mehrmals in der Woche Ballettunterricht. Als Agustín sie abholt, lernt er ihre Ballettlehrerin Yolanda (Laura Morante) kennen. Deren Schönheit und Ernsthaftigkeit faszinieren ihn. Von da an kommt er häufiger, um mit Yolanda zu reden, und die beiden kommen sich näher.

Auf einem Amateurvideo von einem Fest findet Agustín ein Bild Ezequiels. Er raucht Camel, scheint unter Schuppenflechte zu leiden, und in seiner Sonnenbrille spiegelt sich ein Straßenschild. Auf der Suche nach Zigarettenkippen der Marke Camel und Salben gegen die Hautkrankheit durchsucht die Polizei den Müll. Ausgerechnet in einem Müllsack vor dem Haus, in dem sich Yolandas Ballettschule befindet, werden die Mitglieder von Agustíns Team fündig: Der gesuchte Terroristenanführer Ezequiel Durán (Abel Folk) lebt in der ersten Etage. Er und Yolanda werden festgenommen. Zu Agustíns Entsetzen stellt sich heraus, dass Yolanda zu Ezequiels Anhängern zählte: Sie hatte in dem Guerillaführer ihren Gott gefunden.

Aufgrund des Erfolgs in der Terroristenbekämpfung hätte Agustín bei der bevorstehenden Präsidentenwahl gute Chancen, aber er verspricht dem Polizeichef, auf eine Kandidatur zu verzichten, um im Gegenzug Hafterleichterungen für Yolanda zugesagt zu bekommen und die Aussicht, dass sie in fünf Jahren ohne viel Aufhebens freigelassen wird. Yolanda will allerdings nichts mehr von ihm wissen und erklärt in einem kurzen Brief, sie lebe nur für die Revolution.

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Für den ersten von ihm inszenierten Kinofilm wählte John Malkovich den Roman „Der Obrist und die Tänzerin“ („The Dancer Upstairs“; Übersetzung: Werner Richter, Rowohlt Verlag, Reinbek 1998, 383 Seiten, ISBN: 3-498-06321-9), in dem Nicholas Shakespeare schildert, wie der peruanische Guerillaführer Abimael Guzmán Reynoso aufgespürt wurde. Der Philosophieprofessor hatte die maoistische Terrororganisation „Leuchtender Pfad“ („Sendero Luminoso“) gegründet und wurde vor allem von der Landbevölkerung unter dem Decknamen „Gonzalo“ wie ein Gott verehrt. Seine schätzungsweise 5000 Gefolgsleute hängten tote Hunde an Straßenlampen, sorgten für Stromausfälle und exekutierten politische Gegner; Kinder verübten für ihn Selbstmord-Anschläge, und immer wieder hieß es: „Viva el Presidente Gonzalo!“ Nach offiziellen Angaben starben 26 785 Menschen – darunter 42 Journalisten – bei den Anschlägen des „Leuchtenden Pfades“. Weil Abimael Guzmán keine Interviews gab, keine Bekennerschreiben verschickte und keine Manifeste veröffentlichte, wusste die Polizei lange Zeit nicht, wer sich hinter dem Decknamen „Gonzalo“ verbarg. Eine Cortisonsalbentube in einem Müllsack brachte die Fahnder schließlich auf die Spur des unter Schuppenflechte leidenden Terroristenanführers. Am 12. September 1992 ließ er sich widerstandslos festnehmen. Er hatte gerade vor dem Fernseher gesessen in seinem Zimmer in der ersten Etage eines Hauses in Los Sauces, einem Neureichen-Vorort von Lima. Im Parterre befand sich die Ballettschule seiner damals siebenundzwanzigjährigen Anhängerin Maritza Garrido Lecca. Am 10. August 1995 wurde Abimael Guzmán zu lebenslanger Haft verurteilt.

Im März 1996 kam Nicholas Shakespeare mit der ersten Drehbuchversion zu John Malkovich. Gut ein Jahr später war der Regisseur mit den Umarbeitungen des Drehbuchs zufrieden, aber der für Oktober 1997 geplante Beginn der Dreharbeiten verschob sich aufgrund von Finanzierungsproblemen bis Juni 2000.

Im Film bleibt das südamerikanische Land namenlos, und der Guerillaführer heißt Ezequiel. Abimael Guzmán Reynoso und die Terrorbewegung „Leuchtender Pfad“ waren für John Malkovich nur der Hintergrund für die eigentliche Geschichte, in der es um den fiktiven Polizeioffizier Agustín Rejas geht. „Der Obrist und die Tänzerin“ handelt von der Schwierigkeit, in der bedrückenden Atmosphäre eines von Korruption, Terror und Gegenterror bestimmten Systems moralischen Prinzipien treu zu bleiben. Agustín Rejas opfert seine Karriere als Rechtsanwalt und sein persönliches Glück, um seine Pflicht zu tun und für Gerechtigkeit zu sorgen. Den Charakter und die Motive des Protagonisten umreißen Nicholas Shakespeare und John Malkovich mit einigen prägnanten Szenen. „Der Obrist und die Tänzerin“ ist ein intelligenter und komplexer Politthriller.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2005

„Leuchtender Pfad“

Gerhard Falkner - Apollokalypse
Identitätsverlust, Spiegelung und Verdoppelung sind Leitmotive des furiosen Romans "Apollokalypse". Dem Lyriker Gerhard Falkner geht es weniger um Inhalt als um Sprach­magie. Manchmal über­treibt er das Spiel mit ein­falls­reichen For­mu­lie­run­gen, hoch­auf­geladenen Sätzen und be­deu­tungs­schweren Metaphern.
Apollokalypse