Die Nacht singt ihre Lieder

Die Nacht singt ihre Lieder

Die Nacht singt ihre Lieder

Originaltitel: Die Nacht singt ihre Lieder - Regie: Romuald Karmakar - Drehbuch: Romuald Karmakar und Martin Rosefeldt, nach dem Theaterstück "Die Nacht singt ihre Lieder" von Jon Fosse - Kamera: Fred Schuler - Schnitt: Patricia Rommel - Szenenbild: Heidi Lüdi - Musik: Captain Comatose u. a. - Darsteller: Frank Giering, Anne Ratte-Polle, Manfred Zapatka, Marthe Keller, Sebastian Schipper u. a. - 2003; 95 Minuten

Inhaltsangabe

Ein Paar lebt in einer Altbauwohnung in Berlin. Er versucht sich seit Jahren als Schriftsteller, obwohl seine Manuskripte ausnahmslos abgelehnt werden. Im Lauf der Zeit hat er sich immer stärker in sich selbst zurückgezogen und verlässt kaum noch das Haus. Während die Wohnung für ihn ein Refugium darstellt, empfindet seine Partnerin sie als Gefängnis; sie möchte an dem Leben draußen teilhaben und sich mit anderen Menschen treffen ...
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Kritik

Bei der kammerspielartigen, virtuos gespielten und inszenierten Verfilmung des Theaterstücks "Die Nacht singt ihre Lieder" von Jon Fosse hat Romuald Karmakar die sprachliche Verknappung der Vorlage beibehalten.
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In einer Art Weißblende tritt eine junge, krank wirkende Frau (Anne Ratte-Polle) auf und sagt: „Ich halte das nicht mehr aus. Ich schaff das nicht. Wir können so nicht weiterleben.“ Adressat dieser verzweifelten Klage ist ihr Lebensgefährte (Frank Giering), der lethargisch auf dem Sofa liegt, in einem dicken Buch liest und nicht weiß, was er darauf sagen soll.

Wir befinden uns in einer renovierten Altbauwohnung in Berlin. Er schreibt seit Jahren irgendwelche Texte, die ausnahmslos von den Verlagen, an die er sie schickt, abgelehnt werden. Doch eine andere Arbeit kann er sich nicht vorstellen. Im Lauf der Zeit hat er sich immer stärker in sich selbst zurückgezogen und ist nahezu verstummt; aus dem Haus geht er kaum noch, und Besucher kommen keine mehr, weil sein Anblick deprimiert. Während die Wohnung für ihn ein Refugium darstellt, empfindet seine Partnerin sie als Gefängnis; sie möchte an dem Leben draußen teilhaben und sich mit anderen Menschen treffen. Sie ist im Mutterschutz, denn das Paar hat ein Kind, das den ganzen Tag schläft und sich nur durch gelegentliches Schreien bemerkbar macht.

Seine Eltern (Manfred Zapatka, Marthe Keller) kommen zu Besuch. Bevor eingekauft und aufgeräumt werden kann, sind sie da. Sie reisten bereits am Vortag aus Ravensburg an: fünfeinhalb Stunden Autofahrt. Während der Vater sich in einen Sessel setzt, ohne Mütze und Mantel abzulegen, möchte die Mutter zum ersten Mal ihr Enkelkind sehen. Danach meint sie, es sehe keinem der Anwesenden ähnlich. Der Vater erkundigt sich, ob sein Sohn einen Job hat, und als dieser schweigt, sagt er scheinbar verständnisvoll, in Wirklichkeit jedoch völlig uninteressiert: „Ist wohl nicht leicht, etwas zu finden.“ Das Kind schaut er sich erst an, als die anderen ihn dazu drängen. Ohne auch nur etwas getrunken zu haben, verabschieden sich die Eltern wieder; sie wollen vor der Dunkelheit wieder zu Hause sein.

Am Abend legt die Frau Lippenstift auf und zieht ein dekolletiertes, rückenfreies Oberteil an: Sie wird von ihrer Freundin abgeholt, aber die wartet an der Haustür auf sie, um den depressiven Möchtegern-Schriftsteller nicht sehen zu müssen.

Obwohl es spät ist, als die Frau zurückkommt, sitzt ihr Lebensgefährte lesend im Wohnzimmer: Er hat auf sie gewartet und argwöhnt, dass sie sich nicht mit ihrer Freundin, sondern mit einem Mann amüsierte. Sie ist müde und angetrunken, möchte schlafen, aber er zwingt ihr ein Gespräch auf, weil er immer wieder auf seinen Verdacht zurückkommt und die Worte sich im Kreis drehen.

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Schließlich hält sie es nicht mehr aus und ruft den Mann an, von dem ihr Lebensgefährte glaubt, dass sie mit ihm zusammen war: Baste (Sebastian Schipper). Der kommt mitten in der Nacht, um die Frau abzuholen, die bereits ihre Sachen packt. Der Mann, der verlassen werden soll, zieht sich schweigend ins Schlafzimmer zurück. Baste und die Frau küssen sich, beschwören ihre Liebe mit großen Worten und Gesten. Unvermittelt beginnt sie zu zweifeln, kann sich nicht zwischen den beiden Männern entscheiden, bringt es nicht fertig, zu gehen. Frustriert verlässt Baste die Wohnung im dritten Stock und geht die Treppe hinunter.

Aus dem Schlafzimmer ist ein Geräusch zu hören. Die Frau sieht nach. Das Zimmer ist leer. Sie blickt vom Balkon: Da steht Baste vor dem am Boden zerschmetterten Körper ihres Lebensgefährten.

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Romuald Karmakar (* 1965) hat das Theaterstück „Die Nacht singt ihre Lieder“ (Natta syng sine songar, 1997) des norwegischen Autors Jon Fosse (* 1959) verfilmt.

Wie das Theaterstück dreht sich der Film fast ausschließlich um die zwei namenlosen Hauptfiguren und spielt mit wenigen Ausnahmen in deren Wohnung. Ort und Zeit des Geschehens hat Romuald Karmakar jedoch konkretisiert: Berlin, ein Jahrzehnt nach der Wende.

Es geht, anders als bei Fosse, der doch wieder von den Nöten des Dichterlebens erzählt, um die visuelle Beschreibung einer Leere, die von innen kommt, aus einer Kindheit voller Fernsehen, einer Jugend ohne Zorn, und in diesem Punkt ist der Film sehr präzise. Er [Romuald Karmakar] horcht in die Stille. Er schiebt seine Figuren durch den Raum wie Puppen. Er ersetzt den Realismus des Fernsehens durch die Realität seiner Abstraktion. Aus hundert TV-Movies könnte man kein genaueres Generationenporträt filtern als aus Karmakars „Nacht“. (Andreas Kilb, FAZ, 18. Februar 2004).

Es geht um die gegenläufigen Fluchtversuche eines Mannes und einer Frau, deren Beziehung gescheitert ist: Während er sich in sich selbst zurückzieht, strebt sie aus der gemeinsamen Wohnung fort.

Die sprachliche Verknappung, die für Romane und Theaterstücke von Jon Fosse charakteristisch ist, bestimmt auch die filmische Adaptation. Trotz dieses sprachlichen Minimalismus steht das Wort wie bei einer Theateraufführung im Mittelpunkt, und Romuald Karmakar lässt die Schauspieler denn auch sprechen, als stünden sie auf der Bühne.

Karmakar hat ihren artifiziellen Klang, ihre konstruierte Überhöhung und scharfkantige Rampenphonetik nicht abgeglichen mit dem Naturalismus all jener Kinogeschichten, die sich anstrengen, dem vermeintlich Echten auf den Mund zu schauen. (Birgit Glombitza, Die Zeit, 19. Februar 2004)

Indem bestimmte Sätze wiederholt werden, entleeren sie sich, entkoppeln sich vom eigentlichen Inhalt und erzählen dann etwas anderes über denjenigen, der sie spricht und die Situation, in der er sich befindet. Die Sprache macht das Leben der beiden zum Gefängnis. (Romuald Karmakar)

„Die Nacht singt ihre Lieder“ ist ein anspruchsvoller Film, virtuos inszeniert und von Anne Ratte-Polle und Frank Giering mit feinen Nuancen in Stimme, Mimik und Gestik kongenial gespielt.

Die meisten Kritiker haben „Die Nacht singt ihre Lieder“ allerdings verrissen. Dazu schreibt Christopher Schmidt:

Deprimierend ist jene Borniertheit, die sich dahin gebracht hat, sich durch Stille und Konzentration provoziert zu fühlen und einen großen Film nicht als solchen zu erkennen. (Süddeutsche Zeitung, 18. Februar 2004)

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2006

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