J. Edgar Hoover
John Edgar Hoover wurde am 1. Januar 1895 in Washington, D. C., als Sohn von Dickerson Naylor und Anna Marie Hoover (1856 – 1921, 1860 – 1938) geboren. Der Vater gehörte zu einer alteingesessenen Washingtoner Familie. Die Vorfahren der Mutter Anna Marie, einer geborenen Scheitlin, stammten aus der Schweiz. Ein Onkel von ihr vertrat die Schweiz als Generalkonsul in den USA. Edgars Geschwister waren sehr viel älter als er: der Bruder Dickerson 15 Jahre, die Schwester Lillian zwölf Jahre. Seine Schwester Sadie Marguerite war bereits zwei Jahre vor seiner Geburt als dreijähriges Kind an Diphtherie gestorben. Der Vater wurde wegen seiner Depressionen mehrmals in Krankenhäusern psychiatrisch behandelt.
Obwohl J. Edgar Hoover zunächst presbyterianischer Geistlicher hatte werden wollen, studierte er schließlich Jura an der George Washington University und erwarb 1917 den Master-Titel. Schon während des Studiums engagierte er sich gegen Geburtenkontrolle und Pornografie.
Nach dem Studium fing er 1917 im Justizministerium der USA an und avancierte zum Leiter der Enemy Aliens Registration Section (Sektion zur Registrierung feindlicher Ausländer). Im August 1919 übernahm J. Edgar Hoover die Leitung der neu im Justizministerium eingerichteten General Intelligence Division of the Bureau of Investigation. Als nach der Oktoberrevolution in Russland und einer Serie von Bombenanschlägen anarchistischer Gruppen in den USA am 2. Juni 1919 hysterische Angst vor dem Kommunismus ausbrach („Red Scare“), ließen J. Edgar Hoover und sein Vorgesetzter Alexander Mitchell Palmer mehr als 10 000 Menschen festnehmen. Diese „Palmer Raids“, die als größte Massenverhaftung in der Geschichte der USA gelten, trugen dazu bei, dass Hoover das Image eines entschlossenen Kommunistenhassers erwarb.
Am 9. November 1920 wurde er von seiner Freimaurerloge zum Meister erklärt.
1921 wechselte Hoover als Deputy Head ins Bureau of Investigation, und nach drei Jahren, am 10. Mai 1924, ernannte ihn US-Präsident Calvin Coolidge als Nachfolger von William J. Burns zum leitenden Direktor dieser Polizeiorganisation des Bundes, die damals etwa 650 Mitarbeiter hatte. Im Zuge einer Weiterentwicklung der Ermittlungsmethoden führte J. Edgar Hoover 1925 eine Zentraldatei für Fingerabdrücke ein. Außerdem gründete er ein kriminaltechnisches Labor und eine Aus- und Fortbildungsakademie. Von Anfang an achtete er auch auf sein Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit und nutzte dazu nicht nur medienwirksame Auftritte, sondern auch gezielt an die Presse weitergegebene Informationen. In seinen Führungsmethoden war Hoover allerdings weniger professionell, da ließ er sich mitunter von Vorurteilen und Konkurrenzdenken leiten.
Anfang der Dreißigerjahre sorgte eine Vielzahl spektakulärer Banküberfälle für Schlagzeilen. Verbrecher wie John Dillinger (1903 – 1934) waren gut bewaffnet, nutzten auf der Flucht Autos mit leistungsstarken Motoren und handelten über
Staatsgrenzen hinweg, sodass die örtliche Polizei keine Chance gegen sie hatte. John Dillinger wurde schließlich von Polly Hamilton, der Mitbewohnerin seiner Freundin Anna Sage verraten. Melvin Purvis (1903 – 1960), der Leiter des Bureau of Investigation in Chicago, nutzte den Hinweis, um den berüchtigten Bankräuber am 22. Juli 1934 beim Verlassen eines Kinos in Chicago zu stellen, und als John Dillinger zur Waffe griff, wurde er erschossen. Das war ein großer Erfolg in der Verbrechensbekämpfung, aber Melvin Purvis quittierte im Jahr darauf seinen Dienst – Gerüchten zufolge weil J. Edgar Hoover ihn als Konkurrenten weghaben wollte.
1935 wurde das Bureau of Investigation in Federal Bureau of Investigation (FBI) umbenannt.
Drei Jahre später beteiligte sich das FBI am VENONA-Projekt amerikanischer und britischer Geheimdienste (MI6) zur Entschlüsselung von Botschaften sowjetischer Stellen in den USA und im Vereinigten Königreich.
Als in Europa der Zweite Weltkrieg ausbrach, verlagerte J. Edgar Hoover den Schwerpunkt der Tätigkeit des FBI auf das Aufspüren potenzieller Staatsfeinde, zu denen er auch Dissidenten wie Klaus Mann zählte, und vernachlässigte darüber den Kampf gegen die organisierte Kriminalität, deren Existenz er mitunter leugnete. Für Geheimdiensttätigkeiten im Ausland gründete er 1940 den Special Intelligence Service.
Auch nach dem Krieg beteiligte Hoover sich an der Hexenjagd gegen Kommunisten und arbeitete dabei mit dem von Joseph McCarthy geführten Permanent Subcommittee on Investigations des Senats und dem House on Un-American Activities Committee des Repräsentantenhauses zusammen. Auf Hoovers Liste möglicherweise „unamerikanischer“ Personen sollen 12 000 Namen gestanden haben. Im Rahmen des „COunter INTELligence PROgram“ (COINTELPRO) unterwanderte das FBI ab 1956 verdächtige Organisationen. Personen wurden durch gefälschte Dokumente und falsche Anschuldigungen in Misskredit gebracht. Nicht einmal vor illegaler Gewaltanwendung schreckte Hoover zurück. Eingestellt wurde das COINTELPRO erst, als es 1971 publik wurde.
Zahlreiche Personen des öffentlichen Lebens, die Hoover für „unamerikanisch“ hielt, ließ er abhören bzw. observieren, und er legte Geheimdossiers über sie an, in denen nicht nur Gesetzesverstöße, sondern vor allem auch moralische Verfehlungen festgehalten wurden.
Als die Bürgerrechtsbewegung erstarkte, ließ J. Edgar Hoover deren Anführer beobachten.
Nach dem Attentat auf US-Präsident John F. Kennedy leitete er persönlich die Ermittlungen.
Lyndon B. Johnson misstraute Hoover zwar ebenso wie sein Vorgänger Kennedy, erließ jedoch 1964 ein Dekret, das den FBI-Chef von der für Regierungsbeamte geltenden Zwangspensionierung im Alter von 70 Jahren ausnahm.
Zu diesem Zeitpunkt (1965) meinten noch 84 Prozent der US-Bevölkerung, J. Edgar Hoover sei in seiner Funktion als FBI-Chef „höchst vorteilhaft“. Innerhalb von zehn Jahren sank die Zustimmung jedoch auf 37 Prozent, und noch heute polarisiert Hoover die öffentliche Meinung.
Manche hielten J. Edgar Hoover für den mächtigsten Mann im Staat und kolportierten seinen angeblichen Ausspruch: „Mir ist egal, wer unter mir Präsident ist.“ In seiner Amtszeit als Direktor des Bureau of Investigation bzw. des FBI erlebte er immerhin acht US-Präsidenten: Calvin Coolidge (1923 – 1929), Herbert Hoover (1929 – 1933), Franklin D. Roosevelt (1933 – 1945), Harry S. Truman (1945 – 1953), Dwight D. Eisenhower (1953 – 1961), John F. Kennedy (1961 – 1963), Lyndon B. Johnson (1963 – 1969) und Richard Nixon (1969 – 1974).
J. Edgar Hoover blieb zeitlebens unverheiratet. Affären werden ihm mit der Schauspielerin Dorothy Lamour und mit Leila Rogers, der geschiedenen Mutter von Ginger Rogers, nachgesagt. Aufgrund seiner engen Beziehung zu seinem Stellvertreter Clyde Tolson (1900 – 1975), dem er auch den größten Teil seines Vermögens vererbte, hielten viele Hoover für homosexuell. Anthony Summers behauptete 1993 in der allerdings sehr umstrittenen Biografie „J. Edgar Hoover. Der Pate im FBI“, eine Frau namens Susan Rosenstiel habe Hoover in den Fünfzigerjahren in einem rosa Kleid und mit High Heels gesehen.
J. Edgar Hoover starb in der Nacht vom 1./2. Mai 1972 in Washington, D. C., an Herzversagen.
Es heißt, Helen W. Gandy (1897 – 1988), die von 1918 bis zu seinem Tod als Sekretärin bzw. Assistentin für J. Edgar Hoover gearbeitet hatte, habe nach seinem Ableben die Geheimdossiers vernichtet.
Nach J. Edgar Hoover wurde das FBI-Hauptquartier in Washington benannt.
Clint Eastwood drehte 2011 mit Leonardo DiCaprio in der Hauptrolle den Film
„J. Edgar“, der am 19. Januar 2012 in die deutschen Kinos kam.
Literatur:
Tim B. Weiner: FBI. Die wahre Geschichte einer legendären Organisation (Übersetzung: Christa Prummer-Lehmair, Sonja Schuhmacher und Rita Seuß, S. Fischer Verlag, Frankfurt/M 2012, 695 Seiten).
© Dieter Wunderlich 2012
Clint Eastwood: J. Edgar