Thomas Harris : Das Schweigen der Lämmer

Das Schweigen der Lämmer
Originaltitel: The Silence of the Lambs St. Martin's Press, New York 1988 Das Schweigen der Lämmer Übersetzung: Marion Dill Wilhelm Heyne Verlag, München 1990 Neuübersetzung: Sepp Leeb
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Um auf die Spur eines psychopathischen Serienmörders zu kommen, der korpulente junge Frauen häutet, wendet die unerfahrene FBI-Profilerin Clarice Starling sich an den genialen Psychiater Dr. Hannibal Lecter, der allerdings seit 8 Jahren in der speziell gesicherten Einzelzelle einer psychiatrischen Anstalt eingesperrt ist, weil er selbst einige Menschen bestialisch umgebracht und Teile ihrer Leichen verzehrt hatte ...
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Kritik

Thomas Harris kommt in dem Psychoschocker "Das Schweigen der Lämmer" mit verhältnismäßig wenig Action aus. Für Spannung sorgen nicht zuletzt minuziöse Schilderungen von Gesprächen und gedanklichen Prozessen.
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Nach dem Studium der Psychologie und Kriminologie beginnt Clarice M. Starling 1983 eine Ausbildung an der FBI-Akademie in Quantico. Eines Tages lässt Special Agent Jack Crawford sie rufen. Der Dreiundfünfzigjährige, den sie als Gastdozenten an der University of Virginia kennen gelernt hatte, arbeitet für die Abteilung Verhaltensforschung, die beim FBI für die Aufklärung von Serienmorden zuständig ist. Im Rahmen des „Violent Criminal Apprehension Program“ (VI-CAP) verteilte die Abteilung Fragebögen an zweiunddreißig inhaftierte Serienmörder. Nur fünf von ihnen weigerten sich, sie auszufüllen, darunter allerdings der Interessanteste von allen: der frühere Psychiater Dr. Hannibal Lecter, der seit acht Jahren in Haft ist. Clarice soll den wegen der Begleitumstände seiner Mordtaten „Hannibal, der Kannibale“ verrufenen Häftling überreden, die Fragen zu beantworten, aber Crawford warnt sie:

„Seien Sie extrem vorsichtig mit Hannibal Lecter […] Falls Lecter überhaupt mit Ihnen spricht, wird er nur versuchen, etwas über Sie herauszubekommen. Es ist die Art Neugier, die eine Schlange in ein Vogelnest spähen lässt. Uns ist beiden klar, dass der Erfolg von Vernehmungen immer von einer gewissen Gegenseitigkeit abhängt, aber erzählen Sie ihm keine persönlichen Dinge von sich.“ (Seite 11)

Crawford erinnert die FBI-Schülerin an den erfahrenen Agenten Will Graham, den Hannibal Lecter mit einem Teppichmesser so fürchterlich zurichtete, dass sein Gesicht seither aussieht „wie von Picasso gemalt“ (Seite 12). Clarice weiß auch, was am 8. Juli 1976 in der psychiatrischen Anstalt geschah, in der Hannibal Lecter untergebracht war. Damals klagte er über Schmerzen in der Brust, und als eine Schwester ihm die Fesseln abnahm und sich über ihn beugte, um ihm die Elektroden eines EGK-Geräts anzulegen, brach er ihr den Kiefer und biss ihr die Zunge ab. Sein von den Geräten aufgezeichneter Puls stieg nicht über 85, auch nicht, als er die Zunge der Frau verschluckte.

Im Baltimore State Hospital für geistesgestörte Straftäter meldet Clarice sich bei Dr. Frederick Chilton, dem achtunddreißigjährigen Leiter der Anstalt. Nachdem ihr der ehrgeizige Psychiater seine Instruktionen erteilt hat, wird sie in den Keller gebracht. Dort befindet sich Hannibal Lecters fensterlose Zelle am Ende eines Korridors. Clarice setzt sich vor dem Gitter auf einen Klappstuhl und bemerkt als Erstes die Polydaktylie des gepflegt aussehenden Häftlings. Lecter vermutet, dass Crawford die Polizeischülerin geschickt hat, um ihn über den Serienmörder auszufragen, der in den letzten zehn Monaten mindestens fünf junge Frauen getötet hat und von den Medien „Buffalo Bill“ genannt wird, weil er seinen Opfern die Haut abzieht. Den Fragebogen hält Lecter für einen Vorwand. Aber er geht auf Clarice ein, weil er sich davon ein unterhaltsames Psychoduell verspricht.

„Sie würden mich gern quantifizieren, Officer Starling. Sie sind sehr ehrgeizig, nicht wahr? Wissen Sie, wie Sie mir vorkommen, mit Ihrer guten Handtasche und Ihren billigen Schuhen? Sie kommen mir vor wie ein Bauerntrampel. Sie sind ein frisch geschrubbter, vom Erfolg besessener Bauerntrampel mit einem Hauch von Geschmack. Ihre Augen sind wie billige Glückssterne – nichts als oberflächlicher Glanz, wenn sie auf irgendeine läppische Antwort lauern. Und dahinter steckt ein kluger Kopf, oder nicht?“ […]
Und das alles sagte Dr. Lecter in denkbar freundlichem Ton.
Starling hob den Kopf, um ihn anzusehen. „Sie sehen viel, Dr. Lecter. Ich würde nichts von dem, was Sie gesagt haben, abstreiten. Aber jetzt die Frage, die Sie mir auf der Stelle beantworten werden, ob Sie nun wollen oder nicht: Sind Sie stark genug, diese scharfe Beobachtungsgabe auf sich selbst zu richten? […] Gäbe es denn einen Gegenstand, der komplexer und besser geeignet wäre? Oder haben Sie etwa Angst vor sich selbst?“
„Sie sind ganz schön zäh, nicht wahr, Officer Starling?“
„Es geht so, ja.“
„Und der Gedanke, gewöhnlich zu sein, wäre schrecklich für Sie. Würde das nicht schmerzen? Und wie! Also, Sie sind alles andere als gewöhnlich, Officer Starling. Alles, was Sie haben, ist die Angst davor.“ (Seite 24f)

Es macht Clarice zu schaffen, dass sie Hannibal Lecter nicht überreden kann, bei der Fragebogen-Aktion mitzumachen. Er wolle sich nicht quantifizieren lassen, sagt er.

„Einmal hat mich ein Volkszähler zu quantifizieren versucht. Ich habe seine Leber mit Fava-Bohnen und einem großen Amarone verspeist.“ (Seite 26)

Lecter verspricht Clarice jedoch, dass sie nicht umsonst gekommen sei, denn er werde ihr zu beruflichem Erfolg verhelfen. Bevor sie geht, rät er ihr, sich Raspails Wagen anzusehen.

Benjamin René Raspail war der erste Flötist des Baltimore Philharmonic Orchestra und einer von Dr. Lecters Patienten. Am 22. März 1975 erschien der Sechsundvierzigjährige nicht zum Konzert, und drei Tage später wurde seine Leiche gefunden. Hannibal Lecter wurde wegen dieses Mordes und einiger anderer Morde verurteilt. Gerüchten zufolge hatte der auch für seine exzellente Küche bekannte Psychiater dem Präsidenten und dem Dirigenten des Baltimore Philharmonic Orchestra die Thymus- und die Bauchspeicheldrüse des Toten im Rahmen eines mehrgängigen Abendessens vorgesetzt.

Clarice ermittelt die späteren Besitzer von Raspails Wagen und findet heraus, dass das Fahrzeug vor vier Monaten verschrottet wurde. Hatte Lecter sich einen Spaß mit ihr erlaubt? Crawford weist sie darauf hin, dass Raspail mehrere Autos gehabt haben könnte, und Clarice stößt tatsächlich in einer offenbar seit Jahren nicht mehr betretenen Garage in Baltimore auf einen Packard, Baujahr 1938. Auf dem Rücksitz befindet sich ein Glasgefäß mit dem konservierten Kopf eines Mannes.

Bei ihrem zweiten Besuch im Baltimore State Hospital erfährt Clarice von Hannibal Lecter, dass es sich bei dem Kopf um den eines Skandinaviers handelt, von dem er nur den Vornamen Klaus kennt. Dieser Mann sei ein Geliebter seines Patienten Respail gewesen, erläutert der ehemalige Psychiater.

Entenjäger finden im Elk River in West Virginia die gehäutete und skalpierte Leiche einer jungen Frau. Jack Crawford und Clarice Starling fliegen nach Potter und untersuchen dort den Körper der Toten, nachdem sie sich gegen den Verwesungsgestank Wick VapoRub unter die Nase gerieben haben. Im Rachen des Mordopfers finden sie eine Schmetterlingspuppe. Erst einige Zeit später wird die Tote anhand der Fingerabdrücke identifiziert: Es handelt sich um die zweiundzwanzigjährige Kimberly Jane Emberg, die drei Tage vor dem Leichenfund in Detroit als vermisst gemeldet worden war.

Clarice lässt die Puppe im Smithsonian’s National Museum of Natural History von Noble Pilcher und Albert Roden bestimmen. Es handelt sich um einen schwarzen Hexenschwärmer (Erebus odora). Weil der Nachtfalter zu dieser frühen Jahreszeit bereits zu schlüpfen begonnen hatte, muss die Puppe aus einem Gewächshaus oder einer Züchtung stammen.

Auch in dem abgetrennten Kopf wird bei nochmaliger Untersuchung ein verpuppter Schmetterling gefunden, den Noble Pilcher als Acherontia styx bestimmt. War Klaus ebenfalls ein Opfer des Serienmörders „Buffalo Bill“?

In East Memphis, Tennessee, wundert Catherine Baker Martin, die einzige Tochter der Senatorin Ruth Martin, sich, als sie spätabends zu ihrer Wohnung geht und auf dem Parkplatz davor neben einem Lieferwagen eine Stehlampe eingeschaltet wird. Eine surreale Szene! Offenbar zieht jemand um, denn ein Mann mit einem eingegipsten Arm versucht, einen Sessel in den Lieferwagen zu heben. Catherine hilft ihm dabei. Im Inneren des Fahrzeugs schlägt er sie nieder und nimmt dann den Gips ab. Mit einer Verbandsschere schneidet Jame Gumb – so heißt er – ihre Bluse am Rücken auf, prüft am Etikett ihre Konfektionsgröße und betrachtet dann kurz den nackten Oberkörper der Bewusstlosen, bevor er losfährt.

Catherine kommt in einem fünf Meter tiefen Schacht wieder zu sich, einem ausgetrockneten Brunnen im Keller eines Wohnhauses. Weil sie dort einen abgebrochenen Fingernagel mit Glitzerlack findet, weiß sie, dass sie nicht das erste Opfer des im Haus lebenden Mannes ist. Gumb achtet darauf, dass sie sich sorgfältig wäscht und ihre Haut anschließend mit einer Lotion eincremt, aber als sie sich ihm dabei bewusst in aufreizenden Posen zeigt, weil sie hofft, ihn anlocken und überwältigen zu können, zeigt er keinerlei Reaktion. Beim Anblick der Lotionflasche ahnt Catherine plötzlich, dass sie sich in der Hand des gesuchten Serienmörders befindet und kaum eine Chance hat, am Leben zu bleiben. Sie schreit vor Angst, aber auch das beeindruckt Gumb nicht weiter.

Crawford nimmt an, dass Hannibal Lecter sich besser als er oder Clarice in den psychopathischen Serienmörder versetzen kann. Um ihn aus der Reserve zu locken, soll Clarice ihm vormachen, die Senatorin von Tennessee werde ihm für nützliche Hinweise Hafterleichterungen verschaffen. Lecter interessiert sich jedoch mehr für Clarice und fragt sie nach ihrer schlimmsten Erinnerung an ihre Kindheit. Das sei die an den Tod ihres Vaters, antwortet sie: Er arbeitete als Nachtwächter, und als er zwei drogensüchtige Einbrecher überraschte, erschossen sie ihn. Nach dem Tod ihres Vaters brachte ihre Mutter sie und ihre Geschwister erst einmal zwei Jahre lang als Zimmermädchen und Köchin durch.

Als Gegenleistung für diese Offenheit sagt Lecter, wozu der geisteskranke Serienmörder seiner Meinung nach die Häute der jungen, durchweg großen und korpulenten Frauen verwendet: „Für eine Weste mit Titten.“ (Seite 132) Die verpuppten Schmetterlinge stünden, so Lecter weiter, für eine Metamorphose und die Häutungen seien ebenfalls ein Symbol der Veränderung. Möglicherweise halte der Serienmörder sich für einen Transsexuellen und habe sich bereits bei einem der drei großen Zentren für transsexuelle Chirurgie – Gender Identity Clinic John Hopkins, University of Minnesota oder Columbus Medical Center – nach einer Geschlechtsumwandlung erkundigt. Dort sei er vermutlich abgelehnt worden, und jetzt wolle er in die Haut einer Frau schlüpfen.

Dr. Lecter findet es nicht nur spannend, sich mit der Psyche und den Kindheitserlebnissen der hochintelligenten Polizeischülerin zu beschäftigen, sondern er spielt auch mit Hinweisen auf den Serienmörder, die seine überragende Intelligenz zu beweisen scheinen. Er verrät Clarice nicht, dass er sehr viel mehr über den Täter weiß und sogar dessen Namen kennt. Jame Gumb war der Geliebte seines Patienten Benjamin René Raspail, bis dieser sich in Klaus verliebte. Eines Tages fand Raspail dann im Kühlschrank seines Strandhauses den Kopf des Skandinaviers: Jame Gumb hatte ihn aus Wut und Eifersucht umgebracht.

Dr. Frederick Chilton begibt sich persönlich zur Zelle Lecters und macht ihm klar, dass Clarice ihn belog, denn das FBI hat überhaupt nicht mit der Senatorin von Tennessee über ihn gesprochen. Es gäbe überhaupt keine Abmachungen über Hafterleichterungen – wenn nicht er, Chilton, sich darum bemüht hätte. Nach mehreren Telefongesprächen und Rücksprache mit Ruth Martin sei der Gouverneur von Tennessee bereit, Hannibal Lecter ins Brushy Mountain State Prison verlegen zu lassen, in eine Zelle mit Ausblick auf die umliegenden Wälder. Bedingung dafür seien Hinweise auf den Serienmörder, die zur Rettung von Catherine Martin führen. Außerdem verlangt Chilton Exklusivrechte an der wissenschaftlichen Dokumentation des Falls. Lecter wirft dem ehrgeizigen Anstaltsleiter den Vornamen „Billy“ hin; den Rest werde er nur der Senatorin bekannt geben – und zwar nach seiner Ankunft in Tennessee.

Während Crawford versucht, Dr. Danielson, den Leiter der Gender Identity Clinic John Hopkins, davon zu überzeugen, dass das Leben der Senatorinnentochter möglicherweise von Informationen über abgelehnte Aspiranten für eine Geschlechtsumwandlung abhänge, erhält er die Nachricht, dass der Attorney General des Staates Maryland auf Anweisung des Gouverneurs Hannibal Lecters Überstellung nach Tennessee genehmigt hat und dieser bereits auf dem Weg sei. Rasch findet Crawford heraus, dass Chilton dahinter steckt. Als er Clarice davon in Kenntnis setzt, fügt er hinzu, dass es in so einer Situation darauf ankomme, sich durch Zorn und Frustration nicht vom klaren Denken abbringen zu lassen. Dann beauftragt er sie, sich in Memphis umzusehen.

Mit einer Eishockeymaske als Beißschutz, in einer Zwangsjacke, mit Beinfesseln und an eine Sackkarre gebunden, wird Hannibal Lecter zum Flughafen gebracht und nach Memphis geflogen. Die Unterredung mit der Senatorin findet in einem Besprechungszimmer der Air National Guard statt. Als Ruth Martin sich anschickt, eine Art Vertrag zu unterzeichen, betont Lecter, dass er keinen Wert auf kleinkarierte Abmachungen lege, sondern sich auf ihr Wort verlasse. Er behauptet, der Name des gesuchten Serienmörders laute William („Billy“) Rubin; es handele sich um einen fünfunddreißigjährigen, kräftig gebauten, 1,85 m großen Weißen, den er im April oder Mai 1975 durch seinen Patienten Benjamin René Raspail kennen gelernt habe. Eine Adresse kenne er nicht, und die Unterlagen in seiner psychiatrischen Praxis seien auf gerichtlichen Beschluss vernichtet worden, aber er könne sich erinnern, dass Rubin in Philadelphia lebte.

Mit ihrem FBI-Aufweis verschafft Clarice sich Zutritt zur Wohnung von Catherine Martin. Unter einem leeren Geheimfach im Schreibtisch klebt ein von der Spurensicherung übersehener Umschlag mit Polaroidfotos von einem Paar beim Geschlechtsakt. Die Gesichter sind zwar nicht zu erkennen, aber dem Körperbau nach dürfte es sich bei der Frau um Catherine handeln. Unerwartet erscheint die Senatorin in Begleitung von Paul Krendler, eines einflussreichen Beamten des Justizministeriums, der Clarice die Fotos abnimmt und sie verächtlich zur FBI-Akademie in Quantico zurückschickt.

Statt sofort zum Flughafen zu fahren, schlägt Clarice den Weg zu einem ehemaligen Gerichtsgebäude ein, einem neugotischen Bauwerk, in dem eigens ein Stahlkäfig aufgestellt wurde, um Hannibal Lecter sicher verwahren zu können. Dort wimmelt es von Polizisten. Im obersten Stockwerk achten zwei erfahrene Männer vom Brushy Mountain State Prison namens Pembry und Boyle vor dem Käfig darauf, dass der Häftling sich nichts antut.

Lecter findet es bedauerlich, dass Clarice ihn angelogen hat und der Serienmörder Catherine wohl in einigen Stunden töten wird. Clarice weiß auch, dass es keinen „Billy Rubin“ gibt.

„Dr. Lecter, Sie bekommen immer alles heraus. Sie können sich nicht intensiv mit diesem ‚Billy Rubin‘ unterhalten haben und hinterher so wenig über ihn wissen.“ (Seite 192)

Wieder fragt Lecter nach der Kindheit seiner Besucherin, und sie antwortet ihm in der Hoffnung, von ihm mehr über den anderen Serienmörder zu erfahren.

Zwei Jahre nach dem Tod ihres Vaters wurde Clarice zu einer Cousine ihrer Mutter und deren Mann auf eine Ranch in Montana gebracht, wo sie das einzige Kind war. Keines der Pferde auf der Ranch war gesund; sie wurden geschlachtet und zu Leim, Dünger und Hundefutter verarbeitet. Clarice war zehn, als sie eines Morgens die zwölf Frühlingslämmer blöken hörte, die geschlachtet werden sollten. Dass sie den Tieren nicht helfen konnte, hielt sie nicht aus und ritt deshalb mit einem der Pferde davon. Sie schaffte es bis Bozeman, wo sie in ein Waisenhaus aufgenommen wurde. – Lecter sagt Clarice auf den Kopf zu, dass sie seither in ihren Albträumen die Lämmer blöken höre und hoffe, sich durch die Rettung der Senatorentochter davon befreien zu können.

Da wird Clarice unvermittelt von Dr. Chilton und Polizeibeamten hinausgeworfen.

Hannibal Lecter hat sich bei der Senatorin ausbedungen, dass er Musik hören kann. In seinem Käfig spielt er eine Aufnahme der Goldberg-Variationen von Johann Sebastian Bach, interpretiert von Glenn Gould. Währenddessen nimmt er aus seinem Mund die Hälfte der Mine eines in seiner Zelle im Baltimore State Hospital vergessenen Kugelschreibers, dessen Plastikteile er in der Toilette weggespült hatte. An einem Ende sind zwei gegenüberliegende Schlitze, die es ihm nun ermöglichen, aus dem Zylinder einen kleinen Schlüssel zu biegen. Als Pembry und Boyle ihm die durchs Gitter gestreckten Arme mit Handschellen fesseln, um gefahrlos die Käfigtür öffnen und ihm ein Essen hineinstellen zu können, schließt er die Handschellen auf, fällt die beiden überraschten Wachmänner an, überwältigt sie und raubt ihre Dienstwaffen.

Die fünfzehn bewaffneten Polizisten in der Halle und die beiden Männer vom Brushy Mountain State Prison, die gekommen sind, um Pembry und Boyle abzulösen, werden durch einen Schuss aufgeschreckt. Beamte, die kugelsichere Westen angelegt haben, finden Pembry und Boyle mit zerfleischten Gesichtern in dem offenen Käfig am Boden liegend vor. Boyle ist tot; Pembry atmet noch. Während Sanitäter den Schwerverletzten hinaustragen, wird das Gebäude durchsucht. Im Aufzug fällt zwei Männern auf, dass Blut von der Decke tropft. Ein Polizist sperrt eine Lifttür weiter oben auf, leuchtet hinunter und ruft: „Lecter liegt auf dem Dach der Aufzugkabine!“ Er scheint tot zu sein. Vorsichtig öffnen die Polizisten die Luke im Aufzug und stellen eine Leiter auf, damit sie den Körper herunterholen können. An den Tätowierungen der blutigen Leiche erkennt einer von ihnen Pembry. Lecter hat mit ihm die Kleidungsstücke getauscht und sich offenbar Teile von Pembrys Gesicht aufgelegt.

Bevor der Krankenwagen angehalten werden kann, hat Hannibal Lecter die beiden Sanitäter überwältigt und ist geflohen.

Der Fall wird Jack Crawford entzogen und einer eigens gebildeten Sondereinheit unter Assistent Director John Golby anvertraut.

Jame Gumb ist vierunddreißig Jahre alt. Seine Mutter war einen Monat schwanger mit ihm, als sie von einer Karriere als Filmschauspielerin träumte, aber bei der Wahl zur Miss Sacramento 1948 im Viertelfinale scheiterte. Weil sie dem Alkohol verfiel, kam Jame – der eigentlich James hatte heißen sollen, jedoch irrtümlich ohne den letzten Buchstaben ins Geburtsregister eingetragen worden war – mit zwei Jahren in ein Heim. Als er zehn war, holten die Großeltern ihn von ungeeigneten Pflegeeltern zu sich. Zwei Jahre später brachte er eine Gruppe von Jugendlichen in Sacramento um, verschanzte sich danach im Haus und erschoss vor der Festnahme seine Großeltern, die er als Geiseln genommen hatte. Während seines Aufenthalts in einer psychiatrischen Klinik ließ ihn die Tulare Vocational Rehabilitation zum Schneider ausbilden. Nach seiner Entlassung arbeitete er sporadisch in diesem Beruf. Als er Raspail kennen lernte, war er gerade in einem Kuriositätengeschäft beschäftigt, wo es in Plexiglas eingeschlossene Schmetterlinge zu kaufen gab. Einmal beobachtete Jame Gumb, dass in einer Lieferung toter Schmetterlinge aus Malaysia ein Insekt aus einer Puppe schlüpfte – und entdeckte dabei seine Passion für die Schmetterlingszucht.

Er wohnt allein mit seinem Hund Precious. Immer wieder sieht er sich Filmaufnahmen von seiner schönen jungen Mutter an. Nachdem er mit seiner Absicht, sich einer Geschlechtsumwandlung zu unterziehen, gescheitert ist, will er sich jetzt aus der Haut einer jungen Frau ein Gewand nähen. Von Versuch zu Versuch verbessert er seine Arbeit, und er kommt allmählich mit kleineren Konfektionsgrößen aus. Es macht ihm Spaß, die angsterfüllten Mädchen, die er in seine Gewalt bringt, in seinem vollkommen dunklen Keller herumzuscheuchen und sie dabei mit einer Infrarot-Taschenlampe und einer Infrarotbrille aus israelischen Heeresbeständen zu beobachten. Wenn er genug davon hat, schießt er sie unterhalb der Knie in die Beine, damit sie nur noch kriechen können und tötet sie dann aus nächster Nähe. Er lässt seine Opfer immer ein paar Tage am Leben und gibt ihnen in dieser Zeit weder ausreichend zu essen noch zu trinken, weil er die Erfahrung gemacht hat, dass sich die Haut dann leichter abziehen lässt.

Im Marcus Hotel in St. Louis nimmt Hannibal Lecter sich unter dem Namen Lloyd Wyman ein Zimmer. Wymans Leiche liegt im Kofferraum seines in der Tiefgarage geparkten Autos. Lecter hat sich mit einem Gesichtsverband unkenntlich gemacht, was hier nicht weiter auffällt, weil das Hotel neben dem St. Louis City Hospital steht und sich hier viele Patienten des renommierten Zentrums für Kraniofazialchirurgie aufhalten, die noch täglich zur Nachbehandlung müssen.

Aus Angst vor Hannibal Lecter hat Dr. Frederick Chilton bundesbehördlichen Schutz beantragt.

Obwohl Clarice riskiert, den Lehrgang wiederholen zu müssen, fliegt sie nach Belvedere, Ohio. Dort hatte „Buffalo Bill“ vor zehn Monaten sein erstes Opfer entführt: die einundzwanzigjährige Fredrica Bimmel. Der Vater, Gustav Bimmel, erlaubt Clarice, sich im Zimmer der Toten umzusehen und gibt an, dass eine Stacy Hubka die beste Freundin seiner Tochter gewesen sei.

Unverzüglich macht Clarice sich auf den Weg zu Stacy Hubka, die am Schalter der Franklin Insurance Agency in Belvedere arbeitet. Die Frau berichtet, ihre Freundin habe einer älteren Schneiderin geholfen und schließlich deren Kundenstamm übernommen. Mrs Lippman – so hieß die Schneiderin – sei kurz darauf in Florida gestorben. Stacy Hubka weiß nicht mehr genau, wo in Belevedere Mrs Lippman gewohnt hatte, gibt Clarice jedoch die Adresse einer Mrs Burdine, von der sie annimmt, dass sie in dieser Frage weiterhelfen kann.

Kurz nachdem Crawfords kranke Frau Phyllis („Bella“) in seinen Armen starb, erhält er einen Anruf von Dr. Danielson, der inzwischen die Akten abgelehnter Bewerber für eine Geschlechtsumwandlung durchgesehen und dabei unter anderem auch darauf geachtet hat, ob es Hinweise auf einen Schmetterlingszüchter gibt: Unter den Männern, die sich am Gender Identity Clinic am John Hopkins einer Geschlechtsumwandlung unterziehen wollten, aber abgelehnt wurden, war vor drei Jahren ein John Grant aus Harrisburg, Pennsylvania. Eine Routineanfrage bei der Polizei ergab, dass der damals Einunddreißigjährige gesucht wurde, weil er zwei Homosexuelle überfallen und einen von ihnen getötet hatte. Vor Jahren war ein Koffer mit verpuppten Schmetterlingen aus Surinam vom Zoll beschlagnahmt worden, den er sich unter dem Namen John Grant in das inzwischen nicht mehr existierende Lederwarengeschäft eines Mr Hide in Calumet bei Chicago hatte schicken lassen. Sein richtiger Name lautete Jame Gumb.

Auf diesen Hinweis hin fliegt ein zwölfköpfiges Geiselbefreiungsteam unter dem Kommando von Joe Randall nach Chicago.

Währenddessen bereitet Jame Gumb sich darauf vor, Catherines Haut zu „ernten“. Er zieht sich nackt aus, wie immer bei dieser blutigen Tätigkeit, und legt die Instrumente zurecht. Plötzlich vermisst er seinen Hund. Den hat Catherine mit einem trotz ihres Hungers nur halb abgenagten Hühnerknochen in den Brunnenschacht gelockt. Sie ruft, der Hund habe sich beim Sprung ein Bein gebrochen und leide unter fürchterlichen Schmerzen. Gumb schaltet das Licht aus und blickt mit seiner Infrarot-Ausrüstung in den Brunnenschacht: Der Hund ist offenbar unverletzt.

Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.

Da klingelt es an seiner Haustür. Das war seit Jahren nicht mehr geschehen. Gumb wusste gar nicht, dass die Klingel noch funktioniert. Auf dem Türschild steht kein Name, sondern „Hausmeister“. Zuerst hofft er, dass das Klingeln irgendwann aufhört, aber dann schlüpft er in einen Morgenmantel und schaut nach. In der Tür steht eine junge Dame, die ihm einen FBI-Ausweis hinhält, aus dem hervorgeht, dass sie Clarice M. Starling heißt. Sie erkundigt sich nach Angehörigen oder Bekannten von Mrs Lippman und lässt sich nicht abweisen, als Gumb sagt, es gebe keine Verwandten mehr. Die Frau müsse doch einen Anwalt oder einen Steuerberater gehabt haben, insistiert Clarice. Als sie den Mann vor ihr nach dem Namen fragt, sagt er: „Jack Gordon“. Aus einer Falte seines Morgenmantels kriecht ein Totenkopfschwärmer. Clarice reißt ihren Revolver heraus und erklärt ihn für verhaftet, aber er läuft aus dem Raum, und sie hört ihn auf der Kellertreppe. Sie folgt ihm, obwohl sie bei jeder Durchquerung einer Tür damit rechnen muss, von ihm angefallen zu werden. Da geht das Licht aus. Gumb beobachtet die FBI-Schülerin durch sein Infrarotgerät: Für seine Zwecke ist sie zu schlank, aber ihr Haar ergäbe eine schöne Perücke. Gern hätte er sie ein wenig herumgejagt, aber dazu fehlt ihm die Zeit. Er hebt seinen Revolver, zielt auf sie und spannt den Hahn. Sie hört das Geräusch und schießt viermal in die Richtung. Dann bleibt sie von den Mündungsblitzen geblendet und mit dröhnenden Ohren liegen. Als das Geräusch in den Ohren abklingt, vernimmt sie ein pfeifendes Geräusch und weiß aufgrund ihrer Ausbildung, dass sie den Mörder in die Lunge getroffen hat. Sie hört ihn gurgeln und rasseln, dann bleibt es still. Clarice tastet sich zurück zur Küche, findet eine Kerze und schaltet am Sicherungskasten den Strom wieder ein. Nachdem sie sich vergewissert hat, dass Jame Gumb tot ist, alarmiert sie Polizei und Feuerwehr.

Catherine wird mit einem gebrochenen Finger aber sonst äußerlich unverletzt aus dem Brunnenschacht geborgen und in ein Krankenhaus gebracht.

Reporter recherchieren über Jame Gumb. Er ließ sich von Mrs Lippman aushalten, die Stofffutter für Mr Hides Lederwaren nähte. Ein Jahr bevor Mrs Lippman während einer Floridareise mit ihrem jugendlichen Freund ums Leben kam, hatte Fredrica Bimmel angefangen, ihr bei der Arbeit zu helfen – und sich in Gumb verliebt. Vor ihr hatte er schon andere Frauen ermordet, aber zum ersten Mal kam es ihm dabei auf die Haut an. Schließlich beerbte er Mrs Lippman und zog in deren geräumiges Haus in Belvedere. Clarice hatte die Adresse von Mrs Burdine erfahren, aber nicht angenommen, dass sie dort auf den Serienmörder stoßen würde.

Hannibal Lecter spritzt sich ein wenig Silikon in die Nase, um sein Aussehen zu verändern, holt das Geld und die gefälschten Papiere, die er vor seiner Festnahme in der Mauer eines Wochenendhäuschens am Ufer des Susquehanna Rivers versteckt hatte und bucht eine Gruppenreise „Faszination Südamerika“ nach Rio de Janeiro. Bevor er zum Flughafen fährt, schreibt er Clarice Starling einen Brief mit der rhetorischen Frage, ob die Lämmer zu schreien aufgehört haben.

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„Das Schweigen der Lämmer“ ist der zweite Teil der Romantrilogie, die Thomas Harris (*1940) über den kultivierten Kannibalen Dr. Hannibal Lecter geschrieben hat: Die Handlung spielt fünf Jahre nach „Roter Drache“ („Red Dragon“, 1981) und sieben Jahre vor „Hannibal“ („Hannibal“, 1999). Alle drei Romane wurden verfilmt: „Roter Drache“ 1986 von Michael Mann und 2002 von Brett Ratner, „Das Schweigen der Lämmer“ 1991 von Jonathan Demme („Das Schweigen der Lämmer“) und „Hannibal“ 2001 von Ridley Scott.

2006 reichte Thomas Harris die Vorgeschichte der Trilogie nach: „Hannibal Rising“ und schrieb parallel dazu das Drehbuch für die Verfilmung durch Peter Webber [mehr dazu].

In seinem Psychoschocker „Das Schweigen der Lämmer“ mutet Thomas Harris seinen Leserinnen und Lesern nur einige wenige grauenvolle Szenen zu, aber die gruselige Atmosphäre hält durch das ganze Buch über an. Die außergewöhnliche Spannung ergibt sich nicht aus der Frage nach dem Täter („Whodunit?“) – in diesem Fall dem Serienmörder Jame Gumb –, sondern aus dem Bangen um das Leben des letzten Opfers, dem intellektuellen Psychoduell zwischen Dr. Hannibal Lecter und Clarice M. Starling, der atemberaubenden Flucht Lecters aus dem Gefängnis und den schrittweisen Ermittlungsfortschritten der Polizei. Thomas Harris kommt mit verhältnismäßig wenig Action aus. Großen Wert legt der ehemalige Kriminalreporter auf minuziöse Schilderungen von Gesprächen und gedanklichen Prozessen. Mit Dr. Hannibal Lecter und Clarice M. Starling hat Thomas Harris außerdem zwei facettenreiche Hauptfiguren geschaffen.

Leider ist die Neuübersetzung von Sepp Leeb sprachlich nicht überzeugend, zumal auch das Lektorat Denkfehler übersehen hat. Da ist dann beispielsweise eine FBI-Abteilung für Serienmorde zuständig (Seite 7), die Sonne fällt durchs Fenster herein (Seite 149), und es gibt „kringelige, nach links geneigte Nachrichten“ (Seite 181).

Außer verschiedenen Buchausgaben von „Das Schweigen der Lämmer“ hat Heyne auch eine von Hansi Jochmann gesprochene gekürzte Hörbuchfassung herausgebracht (3 CDs, 220 Minunten).

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2004/2007
Textauszüge: © Wilhelm Heyne Verlag. Die Seitenzahlen beziehen sich auf
eine Lizenzausgabe der Verlagsgruppe Weltbild, Augsburg 2004 (304 Seiten).

Kannibalismus

Thomas Harris: Roter Drache
Thomas Harris: Hannibal

Michael Mann: Blutmond / Roter Drache
Brett Ratner: Roter Drache
Jonathan Demme: Das Schweigen der Lämmer
Ridley Scott: Hannibal

Pola Oloixarac - Wilde Theorien
Der Roman "Wilde Theorien" ist ein freches, skurriles Sprachkunstwerk, l'art pour l'art. Pola Oloixarac spielt pseudointellektuell mit Nonsense und der Sprache. "Wilde Theorien", das ist eine komödiantische Lektüre ohne zusammenhängende Handlung.
Wilde Theorien