Lion Feuchtwanger : Narrenweisheit

Narrenweisheit
Narrenweisheit oder Tod und Verklärung des Jean-Jacques Rousseau Originalausgabe: 1950/52 Süddeutsche Zeitung / Bibliothek, Band 88, München 2008, 443 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Die letzten Wochen seines Lebens verbringt Jean-Jacques Rousseau mit seiner Frau Thérèse und seiner Schwiegermutter in Ermenonville, dem Schloss seines Verehrers Marquis de Girardin. Thérèses Mutter, ihr Halbbruder und ihr Liebhaber sind hinter den unveröffentlichten Schriften des Philosophen her, um sie zu Geld zu machen. 1789 beginnt die Große Revolution, deren Anführer sich auf Rousseau berufen ...
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Kritik

In dem Roman "Narrenweisheit" erzählt Lion Feuchtwanger vor dem Hintergrund der politischen Ereignisse von 1778 bis 1794 in Frankreich eine weitgehend fiktive, komplexe und farbige Geschichte über Rousseau und dessen Jünger.
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Jean-Jacques Rousseau folgt im Mai 1778 einer Einladung seines Verehrers René-Louis Marquis de Girardin, Graf von Vauvré und Brégy, und übersiedelt nach Ermenonville, wo ihm der Aristokrat ein Nebengebäude zur Verfügung stellt, in das der sechsundsechzigjährige Philosoph mit seiner Frau Thérèse und deren Mutter, der Witwe Levasseur, einzieht. In dem von Girardin nach den Vorstellungen Rousseaus angelegten Park geht dieser gern spazieren.

Fernand Graf Brégy, der siebzehnjährige, nach den Prinzipien des Romans „Émile“ erzogene Sohn des Schlossherrn, ist von Jean-Jacques Rousseau ebenso begeistert wie sein Vater. Er kann es kaum glauben, dass er den Philosophen bei dessen Spaziergängen begleiten darf.

Entsetzt ist Fernand, als er beobachtet, was Rousseaus Frau mit John Bally alias Nicolas Montretout, einem Reitknecht seines Vaters, im Heu treibt. Doch wenig später lässt er sich selbst von der Achtunddreißigjährigen verführen, obwohl er mit Gilberte Robinet de Latour verlobt ist, der verwaisten Enkelin des Generalsteuerpächters Robinet, die mit ihrem Großvater die meiste Zeit des Jahres auf Schloss Latour lebt.

Eines Tages taucht der Sergeant François Remoux in Ermenonville auf, Madame Levasseurs Sohn aus erster Ehe, der wie immer in finanziellen Schwierigkeiten ist und von seiner Mutter Geld haben möchte. Die geht tapfer zu Girardin und bringt ihn dazu, ihr 200 Louisdor zu geben. Dafür verspricht sie, ihm nach dem Tod ihres Schwiegersohns die Redaktion der unveröffentlichten Werke des Philosophen zu überlassen.

Auf die Manuskripte, die in einer Truhe verwahrt werden, hat es auch Nicolas abgesehen. Mit dem Erlös möchte er einen Tattersall in Paris eröffnen. Madame Levasseur verdächtigt den Reitknecht, ihrer Tochter nur nachzustellen, um an die Papiere heranzukommen. Deshalb überredet sie ihren Gastgeber, Nicolas fortzuschicken. Der Marquis kündigt also seinem Reitknecht, erlaubt ihm jedoch, noch einige Zeit in Ermenonville zu bleiben, damit er sich in Ruhe nach einer neuen Stelle umsehen kann.

Am 2. Juli 1778 wird Jean-Jacques Rousseau tot aufgefunden. Seine rechte Schläfe ist aufgeschlagen und blutverkrustet. Seine Schwiegermutter denkt sofort, dass er von Nicolas umgebracht worden sei. Auch im Dorf wird über ein Verbrechen getuschelt. Aber die offizielle Darstellung lautet, der Philosoph sei bei einem Schlaganfall gestürzt und gestorben.

Weil Madame Levasseur weiß, dass nicht nur Nicolas, sondern auch ihr eigener Sohn hinter den Manuskripten des Verstorbenen her ist, vertraut sie die Truhe Girardin an – wofür sie weitere 200 Louisdor Vorschuss verlangt.

Girardin erschrickt, als er die „Bekenntnisse“ liest. Er befürchtet, dass die Veröffentlichung das Bild, das sich die Anhänger von Jean-Jacques Rousseau gemacht haben, zerstören könnte. Die geldgierige Madame Levasseur drängt ihn jedoch, die Manuskripte endlich zu Geld zu machen. Schließlich bespricht Girardin sich mit Pastor Paul-Claude Moultou aus Genf und anderen Herren, die unveröffentlichte Schriften von Rousseau besitzen und leitet die Herausgabe des Nachlasses ein.

Wegen der Gerüchte über einen gewaltsamen Tod des Philosophen jagt er seinen Reitknecht endgültig vom Hof. Nicolas ist allerdings nicht bereit, auf die zum Greifen nahe Beute zu verzichten und lässt sich vom Prinzen de Condé auf dessen Schloss in der Nähe anstellen. Girardin wendet sich daraufhin an den Polizeipräsidenten in Paris, der den Engländer ausweisen lässt.

Fernand drängt es, die amerikanischen Freiheitskämpfer, die seiner Meinung nach die Ideen Rousseaus verwirklichen, im Krieg gegen die Kolonialherren zu unterstützen. Obwohl ihn Robinet vor die Wahl zwischen seiner Enkelin und Amerika stellt, reist Fernand nach Paris und schifft sich ein, um sich George Washington, dem Oberbefehlshaber im Unabhängigkeitskrieg gegen England, zur Verfügung zu stellen.

Kaiser Joseph II. taucht unter dem Pseudonym „Graf Falkenstein“ in Ermenonville auf, um Rousseaus Grab zu besuchen.

Die Bauern berufen sich auf den Philosophen und fordern von Girardin Dinge, die er ihnen freiwillig gegeben hätte, sich jedoch nicht von ihnen abtrotzen lässt.

Als die Witwe Levasseur ihr Ende nahen fühlt, sucht sie noch einmal den königlichen Notar Maître Gibert in Senlis auf und sorgt dafür, dass weder ihrem Sohn noch ihrer Tochter etwas vom Erbe Rousseaus ausbezahlt wird, sondern beide stattdessen monatliche Renten und Annuitäten bekommen.

Nicolas kehrt nach dem Tod der Witwe Levasseur zu Thérèse zurück. Weil sie jedoch ihre monatlichen Anweisungen im Fall einer Wiederverheiratung einbüßen würde, gibt er sich mit der Rolle eines Homme de Confiance zufrieden. Das Gerede über die schändlichen Besuche Nicolas‘ bei Thérèse verschafft Girardin endlich einen Grund, den Aufenthalt der Witwe in Ermenonville zu beenden. Nicolas bleibt nichts anderes übrig, als ihr ein Haus in Plessis zu mieten. Er selbst wohnt die meiste Zeit in Paris, wo er mit ihrem Geld einen Tattersall eröffnet. Doch als er von einem Pferd abgeworfen wird und sich das Becken bricht, muss er sein Unternehmen aufgeben.

Fernand bleibt auch nach dem Ende des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges (1783) in Übersee, siedelt sich auf Saint-Dominigue an und macht dort die Kreolin Hortense de Traversay zu seiner Lebensgefährtin. Erst einige Jahre später kommt er wieder nach Ermenonville.

Gilberte ist inzwischen die Ehefrau von Mathieu Graf de Courcelles und hat mit ihm eine Tochter namens Marie-Sidonia.

Statt eine standesgemäßen Karriere in Paris anzustreben, zieht Fernand als Konsultant nach Senlis und quartiert sich dort in einem einfachen Landhaus ein. Damit glaubt er, im Sinne Rousseaus zu handeln.

Einige Zeit später wird sein Jugendfreund Martin Catrou, der Sohn einer verwitweten Krämerin, Stadtrat in Senlis. Martins Ehefrau Jeanne kann Fernand nicht leiden, und Martin gerät immer wieder in politischen Streit mit ihm. Vergeblich versucht er Fernand klarzumachen, dass der Aristokrat nie zum Volk gehören wird.

Wegen einer kritischen Schrift wird Fernand am 10. Juli 1789 verhaftet, doch bevor man ihn in die Bastille sperrt, wird diese gestürmt: Der Beginn der
Großen Revolution bewahrt ihn vor der Haft.

Nachdem die Flucht der königlichen Familie im Juni 1791 gescheitert ist, schließt sich Mathieu de Courcelles den königstreuen Truppen an. Er fällt nach kurzer Zeit. Als Witwe eines Feindes der Republik ist Gilberte in Gefahr, von den Revolutionären hingerichtet zu werden. Ihr Großvater, der sich Sorgen um sie macht, zieht sich mit ihr zurück, lebt möglichst unauffällig und wickelt seine Geschäfte über Mittelsmänner ab.

Fernand lässt sich in die Gesetzgebene Versammlung wählen. Noch glaubt er, dass die Revolutionäre das Vermächtnis Rousseaus erfüllen und die von dem Philosophen erträumte Volksherrschaft realisieren. Die Hinrichtung des Königs mag unumgänglich sein. Die von dem Rousseau-Verehrer Maximilien Robespierre angeführten Jakobiner, die eine blutige Schreckensherrschaft beginnen, verfälschen jedoch die Lehre des Philosophen, davon ist Fernand überzeugt.

Vincent Huret, ein fanatischer Revolutionär, der in Senlis Bürgermeister wird, lässt Girardin unter Hausarrest stellen, Fernand verhaften und den Park von Ermenonville verwüsten. Als Robespierre erfährt, dass die Parkanlage zerstört wurde, in der er als Jura-Student mit Rousseau spazieren gegangen war, lässt er Huret absetzen und unter Hausarrest stellen. Zugleich beschließt er, die sterblichen Überreste des Philosophen in Ermenonville zu exhumieren und feierlich ins Pantheon zu überführen.

Als der einflussreiche Abgeordnete Martin Catrou hört, was mit Fernand und dessen Vater geschehen ist, begibt er sich persönlich nach Ermenonville, um den Hausarrest gegen Girardin aufzuheben und eilt anschließend ins Pariser Gefängnis La Bourbe, wo er seinen Freund freilässt. Auf Fernands Bitte hin sorgt er dafür, dass dieser in die Armee aufgenommen wird, die Frankreich gegen Preußen, Österreich, England und deren Verbündete verteidigt.

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In dem Roman „Narrenweisheit oder Tod und Verklärung des Jean-Jacques Rousseau“ erzählt Lion Feuchtwanger vor dem Hintergrund der politischen Ereignisse von 1778 bis 1794 in Frankreich – also der Französischen Revolution und ihrer Vorgeschichte – von den letzten Wochen im Leben des Philosophen Jean-Jacques Rousseau und dem Streit seiner Jünger über die richtige Auslegung seiner Lehre.

Um die historischen Fakten herum entwickelt Lion Feuchtwanger eine fiktive Handlung. „Narrenweisheit oder Tod und Verklärung des Jean-Jacques Rousseau“ ist ein komplexer, farbiger und sehr lebendiger Roman mit zahlreichen Verwicklungen. Die Lektüre ist überraschend kurzweilig.

 

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2008
Textauszüge: © Aufbau Verlag

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