Ernesto Che Guevara
Celia de la Serna Llosa, eine Urenkelin des letzten spanischen Vizekönigs von Südperu, war eine junge Frau, die sich nicht auf traditionelle Rollenerwartungen festlegen lassen wollte. Obwohl es sich für eine Tochter aus gutem Haus nicht schickte, trug sie ihr Haar burschikos kurz und fuhr selbst Auto, statt sich chauffieren zu lassen. Als die Waise mit zwanzig schwanger wurde, und das auch noch von Ernesto Guevara Lynch, einem jungen Argentinier, der sein Architekturstudium abgebrochen hatte und mit seinem Plan, eine Yacht-Werft zu führen, gescheitert war, brandete ihr in der Familie eine Welle der Empörung entgegen.
Das Paar heiratete im November 1927 in Buenos Aires und beschloss, mit Celias gerichtlich erstrittenem Erbe eine Mate-Plantage in der argentinischen Provinz Misiones zu bewirtschaften. Auf dem Weg dorthin gebar Celia am 14. Juni 1928 in der Industriestadt Rosario einen Sohn, der eigentlich Ernesto Rafael Guevara de la Serna hieß, aber später unter dem Namen Ernesto Che Guevara berühmt wurde. (Nach anderen Darstellungen war das Paar zu diesem Zeitpunkt bereits in Misiones gewesen und wegen der bevorstehenden Geburt nach Rosario gereist.)
Ernesto Guevara litt vom zweiten Lebensjahr an unter Asthma und lag als Kind viel im Bett. Auf ärztlichen Rat zog die Familie 1932 nach Alta Gracia nordwestlich von Rosario. Obwohl es in der ehelichen Beziehung bald kriselte, brachte Celia noch vier weitere Kinder zur Welt: 1929 Celia, 1932 Roberto, 1934 Ana Maria und 1942 Juan Martin. Da Ernesto aufgrund seiner Krankheit zunächst nicht regelmäßig zur Schule gehen konnte, unterrichtete ihn seine Mutter zu Hause. Erst als es ihm besser ging, holte er den Schulbesuch nach. 1941 wurde er in einem Gymnasium in Cordoba aufgenommen und fuhr von da an jeden Morgen 40 Kilometer weit zum Unterricht. Weil 1943 auch seine zwei Jahre jüngere Schwester Celia aufs Gymnasium kam, zog die Familie von Rosario nach Cordoba.
Eigentlich wollte Ernesto Guevara Ingenieur werden, doch als er durch seine Großmutter Ana Isabel 1946 mit Tod und Krankheit konfrontiert wurde – er saß siebzehn Tage lang am Sterbebett –, änderte er seine Pläne und immatrikulierte sich 1947 an der medizinischen Fakultät der Universität in Buenes Aires, wo er bei seiner Mutter lebte, die sich inzwischen von seinem Vater getrennt hatte.
1950 verliebte sich Ernesto Guevara in die Millionärstochter Maria del Carmen Ferreyra. Deren Familie versuchte, eine ernsthafte Beziehung mit dem nachlässig gekleideten und nach dem Vorbild seiner Mutter Konventionen missachtenden Medizinstudenten zu verhindern, aber die beiden trafen sich heimlich, bis sie ihr Verhältnis Ende 1951 beendeten.
Von Dezember 1951 bis Mitte 1952 bereiste Ernesto Guevara mit seinem sechs Jahre älteren Freund Alberto Granado Südamerika, zuerst mit dem Motorrad, dann per Anhalter bzw. als blinde Passagiere auf einem Schiff. Dabei kamen sie viel mit einfachen Leuten in Kontakt und erfuhren von der Not beispielsweise der Bauern. Während Alberto Granado in der venezolanischen Hauptstadt Caracas als Pfleger in einem Lepra-Krankenhaus anfing, flog Ernesto Guevara mit einem von Verwandten bezahlten Ticket nach Buenes Aires zurück und setzte sein Studium eifrig fort. (Alberto Granado berichtete über die Reise in seinem Buch „Mit Che durch Südamerika“ – Übersetzung: Christa Grewe, Köln 1988.)
Nach seiner Promotion im Juli 1953 entzog sich Ernesto Guevara dem Militärdienst in Argentinien und reiste mit seinem Freund Carlos Ferrer nach Bolivien, Peru, Ecuador, Panama, Costa Rica und Guatemala.
In Guatemala befreundete sich Ernesto Guevara Anfang 1954 mit der Peruanerin Hilda Gadea, die ihn dazu brachte, sich mit dem Marxismus zu beschäftigen.
Als Jacobo Arbenz Guzmán, der Staatspräsident von Guatemala, im Juni 1954 auf Betreiben der USA gestürzt wurde und sein Nachfolger, der Diktator Castillo Armas, die begonnenen Land- und Sozialreformen rückgängig machte, versuchte Ernesto Guevara vergeblich, den Widerstand dagegen zu organisieren. Dabei nannte er sich Che, was soviel wie Freund bedeutet. Hilda Gadea und viele andere Oppositionelle wurden verhaftet; Che Guevara fand Zuflucht in der argentinischen Botschaft, aber statt nach Buenes Aires zurückzukehren, reiste er nach Mexiko.
Hilda Gadea kam ihm nach ihrer Freilassung nach. Das Paar mietete eine kleine Wohnung in Mexiko-Stadt und heiratete am 18. August 1955. Ihre Tochter Hilda Beatriz wurde am 15. Februar 1956 geboren.
Exilkubaner, denen er in Guatemala begegnet war, brachten Ernesto Che Guevara im Sommer 1955 zu Fidel Castro.
Der hatte am 26. Juli 1953 mit über hundert Männern die Moncada-Kaserne in Santiago de Cuba angegriffen, um das Regime von Fulgencio Batista y Zaldívar zu stürzen und war trotz eines ausdrücklichen Befehls des Diktators nicht erschossen, sondern vor Gericht gestellt und zu einer Haftstrafe verurteilt worden. Nach seiner Freilassung am 15. Mai 1955 ging Castro mit anderen Überlebenden des gescheiterten Umsturzversuchs ins Exil nach Mexiko, um sich dort mit seinen Anhängern auf einen Guerilla-Kampf vorzubereiten.
Guevara schloss sich dem zwei Jahre älteren Fidel Castro an und übernahm nun endgültig den Revolutionsnamen Che.
Im Sommer 1956 wurde Che Guevara als kommunistischer Rebell zwei Monate lang eingesperrt.
Am 25. November 1956 schiffte sich der „Kommandant“ Fidel Castro mit Che Guevara und vierundachtzig weiteren Rebellen in Tuxpan auf der Yacht „Granma“ nach Kuba ein. Dort legten sie am 2. Dezember an. Es gelang ihnen zwar nicht, die Armee des Diktators zu besiegen, aber sie zermürbten das Regime im Guerillakrieg.
Che Guevara wurde aufgrund seiner Umsicht, Entschlusskraft und Durchsetzungsfähigkeit am 21. Juli 1957 von Fidel Castro, dem Comandante en Jefe, zum Comandante ernannt. Am 29. Dezember 1958 nahm Che Guevara mit seiner Einheit gegen eine überlegene und zudem von den USA unterstützte Militärmacht die Stadt Santa Clara ein. Damit war der Weg nach Havanna frei.
Batista flüchtete am 1. Januar 1959 (angeblich mit 40 Millionen Dollar im Koffer) in die Dominikanische Republik.
Obwohl Castro mehrmals betont hatte, er wolle sich nach dem Sturz des Diktators ins Privatleben zurückziehen, riss er das Amt des Staatschefs an sich. Che Guevara, der am 9. Februar den Ehrentitel „von Geburt kubanischer Staatsbürger“ erhielt, übernahm die Leitung der Nationalbank und 1961 das Amt des Industrieministers.
Seit 1959 war Ernesto Che Guevara erneut verheiratet. Seine neun Jahre jüngere zweite Ehefrau Aleida gebar ihm vier Kinder.
Als Fidel Castro und Che Guevara Tochtergesellschaften von US-Konzernen verstaatlichten, verhängten die Vereinigten Staaten ein Handelsembargo und brachen am 4. Januar 1961 die diplomatischen Beziehungen zu Kuba ab. Am 17. April 1961 landeten 1200 von Washington ausgerüstete und trainierte Exilkubaner in der Schweinebucht an der Südküste Kubas, wurden jedoch von der kubanischen Armee überwältigt. [Kubakrise]
Bei der Verfolgung politischer Gegner griff Che Guevara unerbittlich durch; er richtete in Guanahacabibes ein erstes Umerziehungslager ein und spornte die Revolutionsgerichte zu zahlreichen Todesurteilen an und überwachte einige der Exekutionen angeblich persönlich. Statt für sich oder seine Angehörigen Vergünstigungen zu beanspruchen, beteiligte er sich persönlich an „freiwilligen“ Arbeitseinsätzen.
Anders als der eher pragmatisch denkende Fidel Castro, orientierte sich der sehr viel radikalere Che Guevara am Kommunismus und seinem idealistischen Leitbild vom „Neuen Menschen“. Nach einem Generationen dauernden Umerziehungsprozess werde der „Neue Mensch“, davon war Che Guevara überzeugt, nicht mehr arbeiten, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, sondern aus altruistischen Motiven. Aufgrund unterschiedlicher Auffassungen überwarf sich Che Guevara schließlich mit Fidel Castro und floh im April 1965 nach Afrika.
Che Guevara wollte die bürgerkriegsähnlichen Zustände im Kongo für eine kommunistische Revolution nutzen, aber das Vorhaben misslang, und er kehrte nach ein paar Monaten frustriert nach Lateinamerika zurück.
1966 bildete er in Bolivien eine „Nationale Befreiungsarmee“ (ELN) mit dem Ziel, einen Bergarbeiter-Streik in ein Fanal für einen Volksaufstand zu verwandeln. Die Rebellen, die im Frühjahr 1967 unter dem Motto „Schaffen wir zwei, drei, viele Vietnams“ einen Guerillakrieg gegen die bolivianische Regierung anfingen, wurden zwar von Bauern versorgt, aber an den Kämpfen beteiligte sich die Bevölkerung nicht, und die Kommunistische Partei Boliviens blieb zu Che Guevara auf Distanz.
Die von der CIA unterstützten bolivianischen Regierungstruppen drängten die Rebellen immer weiter zurück und dezimierten sie. Im Herbst 1967 kämpften nur noch gut ein Dutzend Männer mit Che Guevara. Am 8. Oktober wurde er bei dem Dorf La Higuera verwundet. „Er war verdreckt, verlassen, verraten“, erinnert sich Gary Prado Salmón, der ihn damals gefangen nahm. „Er war demoralisiert.“
Der für die CIA arbeitende Exil-Kubaner Félix Rodríguez flog nach Bolivien, um Che Guevara in La Higuera zu verhören, aber der achtunddreißigjährige Gefangene weigerte sich, Fragen zu beantworten. (Bei dem berühmten Foto, auf dem Félix Rodríguez in Siegerpose neben dem geschlagenen Rebellen zu sehen ist, handelt es sich möglicherweise um eine Montage.)
Ohne Gerichtsverhandlung wurde Che Guevara am 9. Oktober 1967 in La Higuera auf Anordnung der bolivianischen Regierung von dem Feldwebel Mario Terán erschossen.
Die Leiche verscharrte man bei Vallegrande. Die Hände hatte man vorher abgeschnitten; sie wurden konserviert, damit auch später bewiesen werden konnte, dass Che Guevara tot war. 1997 wurde das Skelett von Che Guevara ausgegraben, nach Kuba überführt und im Rahmen eines Staatsaktes in Santa Clara bestattet.
1968 wurde der deutsche Major Eduard von Westernhagen in Rio de Janeiro erschossen. Angeblich hatte der Anschlag nicht ihm, sondern Hauptmann Gary Prado Salmón gegolten. Durch eine Verwechselung entging Prado dem Racheakt.
Durch seinen Kampf und seine Ermordung wurde Che Guevara zum lateinamerikanischen Volkshelden, zum Märtyrer linksgerichteter Befreiungsbewegungen und zum Idol der Studentenbewegung. Ein aus einem von dem kubanischen Fotografen Alberto Korda Gutierrez am 5. März 1960 aufgenommenen Gruppenfoto ausgeschnittenes Porträt von Che Guevara ging als eine Art Ikone des Kampfes gegen den Imperialismus um die Welt.
Literatur über Ernesto Che Guevara
- Jon Lee Anderson: Che. Die Biographie (Übersetzung: Barbara Steckhan,
List, München 1997) - Jorge G. Castañeda: Che Guevara. Biographie (Übersetzung: Christiane Barckhausen, Insel, Frankfurt/M 1997)
- Víctor Casaus (Hg.): Selbstporträt Che Guevara / Ernesto Che Guevara (Übersetzung: Hans-Joachim Hartstein, Kiepenheuer & Witsch, Köln 2005)
- Carlos Ferrer: Mein Freund Ernesto. Mit Che Guevara durch Lateinamerika (Übersetzung: Sabine Giersberg, Heyne, München 2007)
- Waltraud Hagen und Peter Jacobs: Ernesto „Che“ Guevara. Eine Chronik
(Neues Leben, Berlin 2007) - Sebastian Hergott: Der Mythos Che Guevara. Sein Werk und die Wirkungsgeschichte in Lateinamerika (Tectum, Marburg 2003)
- Frederik Hetmann: „Solidarität ist die Zärtlichkeit der Völker“. Die Lebensgeschichte des Ernesto Che Guevara (Beltz und Gelberg, Weinheim 1999)
- Klaus Huhn: Und immer wieder Che (Spotless, Berlin 2007)
- Peter Jacobs: „Ich lasse euch jetzt mit mir alleine“. Anekdoten über Che Guevara (Eulenspiegel, Berlin 2007)
- Gerd Koenen: Traumpfade der Weltrevolution. Das Guevara-Projekt (Kiepenheuer & Witsch, Köln 2008)
- Stephan Lahrem: Che Guevara (Suhrkamp, Frankfurt/M 2005)
- Robert Lessmann: Che Guevera (Hugendubel, Kreuzlingen und München 2006)
- Christophe Loviny: Che. Die Fotobiografie (Übersetzung: Thomas Pampuch,
Kunstmann, München 2007) - Thomas Mießgang: Ché Guevara. Ich bin ein optimistischer Fatalist
(Fackelträger, Köln 2007) - Frank Niess: Che Guevara (Rowohlt Monographie, Reinbek 2003)
- Eberhard Panitz: Comandante Che. Biographische Skizze (Spotless, Berlin 1997)
- Paco Ignacio Taibo II: Che. Die Biografie des Ernesto Guevara (Nautilus, Hamburg 1997)
Walter Salles beschäftigte sich in seinem Film „Die Reise des jungen Che“ mit der 1951/52 von Ernesto Che Guevara und Alberto Granado unternommenen Reise. Steven Soderbergh drehte über Che einen zweiteiligen Film „Che. Revolución“ und „Che. Guerilla“.
Originaltitel: Che. Part 1. The Argentine / Che. Part 2. Guerilla – Regie: Steven Soderbergh – Drehbuch: Peter Buchman, Benjamin A. van der Veen, nach dem „Bolivianischen Tagebuch“ von Ernesto Che Guevara – Kamera: Steven Soderbergh alias Peter Andrews – Schnitt: Pablo Zumárraga – Musik: Alberto Iglesias – Darsteller: Benicio Del Toro, Benjamin Bratt, Franka Potente, Lou Diamond Phillips, Kahlil Mendez, Julia Ormond, Édgar Ramírez, Catalina Sandino Moreno, Demián Bichir, Rodrigo Santoro u.a. – 2008; 260 Minuten