Lampedusa

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Lampedusa - Originaltitel: Respiro - Regie: Emanuele Crialese - Drehbuch: Emanuele Crialese - Kamera: Fabio Zamarion - Schnitt: Didier Ranz - Musik: Andrea Guerra und John Surman - Darsteller: Valeria Golino, Vincenzo Amato, Francesco Casisa, Veronica D'Agostino, Filippo Pucillo, Muzzi Loffredo, Elio Germano, Avy Marciano u.a. - 2002; 90 Minuten

Inhaltsangabe

Lampedusa um 1980. Grazia liebt ihren Mann, den Fischer Pietro, und ihre drei Kinder, aber die junge, sinnliche Frau fühlt sich durch die Gepflogenheiten, Traditionen, Rollenerwartungen und Moralvorstellungen der Bewohner von Lampedusa eingeengt. Man hält sie für verrückt. Als Pietro beschließt, sie in eine psychiatrische Anstalt einweisen zu lassen, versteckt Grazia sich mit Hilfe ihres 13-jährigen Sohnes Pasquale in einer Meeresgrotte ...
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Kritik

Eine auf Lampedusa erzählte Legende inspirierte Emanuele Crialese zu diesem poetischen, in der Tradition des italienischen Neorealismus stehenden Film, der besonders authentisch wirkt, weil fast alle Rollen mit Laiendarstellern besetzt wurden.
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Lampedusa, eine der Pelagischen Inseln, liegt südwestlich von Malta und gehört zu Italien. Weniger als fünftausend Einwohner leben um 1980 auf der zwanzig Quadratkilometer großen steinig-staubigen Vulkaninsel vom Fischfang: Die Männer fahren mit ihren Fischerbooten hinaus, die Kinder helfen ihnen beim Sortieren der Ausbeute, und die Frauen nehmen die Fische aus. Touristen kommen noch nicht nach Lampedusa.

Die Kinder spielen in den Bauruinen, fangen Singvögel, um sie zu rösten und liefern sich grausame Bandenkriege: Da reißen drei, vier Jungen einem anderen die Hose herunter und jagen ihn splitternackt davon. Ein anderer wird mit dem Rücken auf eine mit Seeigeln gefüllte Plastiktüte gepresst. Zu den Rabauken gehören auch der dreizehnjährige Pasquale (Francesco Casisa) und sein vier Jahre jüngerer Bruder Filippo (Filippo Pucillo), die Söhne des Fischers Pietro (Vincenzo Amato) und seiner Ehefrau Gracia (Valeria Golino), die auch noch eine halbwüchsige Tochter haben: Marinella (Veronica D’Agostino). Nachdem Pasquale einem anderen Jungen mit einer Steinschleuder beinahe ein Auge ausgeschossen hat, verlangt dessen Vater von Pietro Genugtuung. Pietro züchtigt Pasquale mit einem Stück Schlauch und fordert dann auch den verletzten Jungen auf, ein paarmal zuzuschlagen. Damit sind die beiden Familien wieder versöhnt, aber Grazia kann diese archaischen Rituale nicht ausstehen: Als sie den Besuchern Kaffee bringen soll, zerschmettert sie stattdessen Teller, bis es Pietro gelingt, sie zu beruhigen.

Grazia ist eine junge, sinnliche, unbefangene Frau, die sich durch die Gepflogenheiten, Traditionen, Rollenerwartungen und Moralvorstellungen der Bewohner von Lampedusa eingeengt fühlt. Ihre Schwiegermutter (Muzzi Loffredo), die ihre Gefühlsausbrüche mit einer Beruhigungsspritze beendet, behauptet, Grazia benehme sich „himmelhoch jauchzend, zum Tode betrübt“ (Johann Wolfgang von Goethe: Egmont). Zum Entsetzen eines aus Norditalien nach Lampedusa versetzten jungen, unerfahrenen Carabiniere knattert Grazia mit Marinella und Filippo zusammen auf einer zweisitzigen Vespa durch die Gassen. Sie will sich nichts vorschreiben lassen. Einmal läuft sie mit ihren Söhnen zum Strand und zieht sich bis auf den Slip aus, bevor sie vergnügt im Wasser herumplantscht. Die Kinder bleiben am Strand zurück und ermahnen sie, mit dem Unsinn aufzuhören, aber Grazia hört nicht auf sie – bis unerwartet ein Fischerboot mit Pietro auftaucht. Der reagiert zornig auf die Ungehörigkeit seiner Frau, beruhigt sich aber rasch wieder.

Die Bewohner von Lampedusa halten Grazia für verrückt.

Marinella und der junge Polizist verabreden sich zu Spaziergängen und setzen sich ans Meer. Aber Filippo alarmiert seine Freunde und lässt die beiden nicht unbeaufsichtigt: Der kleine Bruder kommandiert seine große Schwester herum und achtet auf ihren Ruf.

Als Pietro den Hund seiner Frau zu den vielen herrenlosen Hunden in den Keller einer Bauruine sperrt, lässt Grazia alle Hunde frei. Daraufhin steigen die Männer mit ihren Gewehren auf die Dächer und erschießen die durch die Gassen rennenden Hunde.

Nach diesem Eklat beschließt Pietro, dem Rat seiner Mutter und der Nachbarn zu folgen: Grazia soll nach Mailand gebracht und in eine psychiatrische Klinik eingewiesen werden. Sie flieht jedoch mit ihrem geretteten Hund. Im Morgengrauen wird nach ihr gesucht. Pasquale entdeckt sie, aber statt sie zurückzubringen, führt er sie in eine Meeresgrotte, in der sie sich verstecken kann. Zu Hause nimmt er heimlich ein Kleid seiner Mutter aus dem Schrank und bringt es ihr. Das Kleid, das sie bei der Flucht trug, legt er so an den Strand, dass es so aussieht, als habe Grazia sich im Meer ertränkt.

Während Pietro um seine vermeintlich tote Frau trauert, versorgt Pasquale seine Mutter in dem Versteck.

Erst nach einiger Zeit lässt Pietro sich von seinen Freunden überreden, mit ihnen zur Jagd zu gehen. Als er dabei mit einem Seil an einem Kalkriff hinuntergelassen wird, glaubt er, Grazia im Meer schwimmen zu sehen, aber die anderen Männer ziehen ihn wieder hoch und glauben ihm nicht. Bei einem Fest am Strand geht Pietro voll angezogen ins Wasser und schwimmt los, um Grazia zu suchen. Die Bewohner von Lampedusa folgen ihm.

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Emanuele Crialese stammt aus Rom, lebt aber seit langer Zeit in den USA. Bei einem halbjährigen Aufenthalt auf Lampedusa hörte er von einer Legende, derzufolge auf der Insel einmal eine junge Frau lebte, die sich den strengen moralischen Regeln nicht beugen wollte und deshalb von den Bewohnern für verrückt gehalten wurde. Eines Tages verschwand die Frau. Nur ihr Kleid fand man am Strand. Als die Bewohner von Lampedusa nun annehmen mussten, sie hätten die junge Frau in den Selbstmord getrieben, fühlten sie sich schuldig und beteten für sie. Diese Legende inspirierte Emanuele Crialese zu seinem zweiten Kinofilm: „Respiro“ („Lampedusa. Eine magische Geschichte“).

Ich denke, letzten Endes ist es ein Film geworden, der eher physisch wirkt als intellektuell, ein Film ohne Reflexionen und Metaphern. (Emanuele Crialese)

Die Vulkaninsel Lampedusa wird als karges, ausgedörrtes Land gezeigt, das vom klaren, blau schimmernden Wasser des Meeres umgeben ist, in dem es an Fischen nicht mangelt. Das Meer ernährt nicht nur die Menschen auf Lampedusa, sondern es symbolisiert auch Freiheit und stellt eine andere Welt dar, die in herrlichen Unterwasseraufnahmen zu sehen ist.

Bis auf Valeria Golino und den mit Emanuele Crialese befreundeten, in New York lebenden Bildhauer und Schauspieler Vincenzo Amato handelt es sich bei den Darstellern um Bewohner der Insel Lampedusa, also um Laien. Dadurch wirkt der poetische, in der Tradition des italienischen Neorealismus stehende Film besonders authentisch.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2005

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