Ich und Kaminski

Ich und Kaminski

Ich und Kaminski

Originaltitel: Ich und Kaminski – Regie: Wolfgang Becker – Drehbuch: Thomas Wendrich, Wolfgang Becker, nach dem Roman "Ich und Kaminski" von Daniel Kehlmann – Kamera: Jürgen Jürges – Schnitt: Peter R. Adam – Musik: Lorenz Dangel – Darsteller: Daniel Brühl, Jesper Christensen, Amira Casar, Denis Lavant, Jördis Triebel, Geraldine Chaplin u.a. – 2015; 120 Minuten

Inhaltsangabe

Der eitle und eingebildete, aber nicht sonderlich erfolgreiche 31-jährige Kunstkritiker Sebastian Zöllner beabsichtigt, eine Buchbiografie über den greisen Maler Manuel Kaminski zu schreiben, die er kurz nach dessen Tod veröffentlichen will, um von dem vermutlich für kurze Zeit neu auflebenden Interesse an dem Künstler zu profitieren. Aber der listige alte Mann bedient sich seinerseits des parasitären Journalisten ...
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Kritik

"Ich und Kaminski" – die kongeniale Verfilmung eines Romans von Daniel Kehlmann durch Wolfgang Becker – ist ein Schelmenstück und eine witzige Realsatire auf den Kultur­betrieb. Der Plot ist spiegelbildlich angelegt.
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Eigentlich hatte Sebastian Zöllner (Daniel Brühl) Künstler werden wollen, aber nachdem er bei der Aufnahmeprüfung für die Akademie durchgefallen war, fing er als Kunstkritiker bei einer Lokalzeitung an. Jetzt plant der 31-Jährige, der sich als freier Mitarbeiter mit Beiträgen für mehrere Magazine über Wasser hält, eine Buchbiografie über Manuel Kaminski (Tambet Tuisk / Jesper Christensen), einen von Matisse geförderten und mit Picasso befreundeten Künstler, von dem es heißt, er sei beim Malen seiner letzten Bilder bereits blind gewesen. Unter dem Slogan „painted by a blind man“ wurden sie in den Sechzigerjahren auf Betreiben Andy Warhols bei einer Pop-Art-Ausstellung in New York gezeigt. Sebastian Zöllner möchte nachweisen, dass Manuel Kaminski die Blindheit nur vorgetäuscht hat. Damit enthielte sein Buch eine Sensation. Veröffentlichen will er es unmittelbar nach dem bald zu erwartenden Tod des über 80-Jährigen, um von dem vermutlich für kurze Zeit neu auflebenden Interesse an dem Künstler zu profitieren. .

Manuel Kaminski hat sich mit seiner unverheirateten Tochter Miriam (Amira Casar) in ein Chalet in den Schweizer Bergen zurückgezogen. Sebastian Zöllner reist mit dem Zug an, nimmt sich im Dorf ein Pensions-Zimmer und wandert den steilen Weg hinauf zu dem Künstler. Die Haushälterin Anna (Viviane De Muynck) öffnet die Tür. Sebastian Zöllner muss im Wohnzimmer ein wenig warten, bis Manuel Kaminski von seiner Tochter hereingeführt wird. Die resolute Mitvierzigerin erklärt dem Besucher, ihr Vater benötige Ruhe. Deshalb werde sie an seiner Stelle Fragen beantworten, wenn nötig, nach Absprache mit ihrem Vater.

Zurück in der Pension, erhält Zöllner einen Anruf seiner Freundin Elke (Jördis Triebel), bei der er sich vor drei Monaten einquartierte. Sie beendet die Beziehung und teilt ihm mit, dass seine Sachen gepackt sind. Er soll sie schnellstmöglich abholen, denn ihr neuer Freund Walter zieht zu ihr.

Während Miriam Kaminski kurz verreist ist, besticht Sebastian Zöllner die Haushälterin Anna, damit sie ihrem Arbeitgeber eine Erkrankung ihrer Schwester vortäuscht und einen Tag lang fortbleibt. Diese Zeit nutzt der skrupellose Reporter und Buchautor, um Schränke und Schubläden zu durchwühlen. Im Keller entdeckt er vier unsignierte, überlebensgroße neo-expressionistische Selbstporträts des Künstlers mit blutigen Augenhöhlen.

Manuel Kaminski merkt am Geruch, dass Zöllner im Keller war. Als der Arzt Dr. Vögeli (Andrea Zogg) nach dem Greis sehen will, komplimentiert Zöllner ihn hinaus und sorgt dafür, dass er mit Manuel Kaminski allein bleibt.

Von Dominik Silva (Jacques Herlin), einem der Weggefährten des Künstlers, die Zöllner bereits interviewte, hat er erfahren, dass Manuel Kaminskis tot geglaubte Jugendliebe Therese Lessing (Dorothea Gebhardt) noch lebt, und zwar an der belgischen Küste. Als Manuel Kaminski das hört, will er sofort zu ihr. Weil Miriam den Zug genommen hat, steht der Jaguar des Malers zur Verfügung. Er drängt Zöllner, ihn zu fahren und nimmt sich nicht einmal Zeit, etwas anderes als seinen Morgenmantel anzuziehen. Zöllner schneidet noch rasch zwei der vier im Keller entdeckten Selbstporträts aus den Rahmen, rollt sie zusammen und legt sie ebenso wie das halbfertige Manuskript in den Kofferraum.

Nachdem Zöllner an einer Tankstelle Kaffee und Croissants besorgt hat, sitzt ein Fremder im Fond. Widerwillig findet Zöllner sich damit ab, dass sie den Anhalter Karl Ludwig (Denis Lavant) mitnehmen.

Während er einige Zeit später eine Tankrechnung bezahlt und Kaminski die Toilette der Raststätte benutzt, stiehlt Karl Ludwig das Auto samt dem Manuskript und den Gemälden.

Ein Taxi bringt die beiden gestrandeten Männer zu einem Hotel. Weil der Maler kein Geld eingesteckt hat und Sebastian Zöllner alles bezahlen muss, gaukelt der Kunstkritiker dem Blinden vor, es handele sich um eine Nobelherberge. Mitten in der Nacht ruft der Portier Zöllner an und beschwert sich darüber, dass dessen Reisegefährte eine Prostituierte aufs Zimmer kommen ließ. Es stellt sich heraus, dass Kaminski mit Jana (Lucie Aron) nur reden wollte.

Am nächsten Tag setzt Zöllner die Reise mit Kaminski fort. Um Geld zu sparen, will er eine Nacht mit dem alten Mann in Elkes Wohnung verbringen. Er weiß, dass sie verreist ist, und sein Türschlüssel passt noch. Abends besuchen sie eine Vernissage von Alonzo Quilling (Daniel Zillmann) in der Galerie von Eugen Manz (Milan Peschel), denn der Buchautor will die Chance nutzen, mit dem berühmten Künstler gesehen zu werden.

Nach dem Aufwachen am nächsten Morgen findet er Kaminski mit Elke in der Küche vor. Sie gibt Zöllner eine Stunde Zeit, um ihre Wohnung zu verlassen. Ihre Autoschlüssel liegen in einer Schale. Zöllner nimmt sie und bringt Kaminski zu Elkes Mercedes. Damit fahren sie weiter.


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Endlich erreichen die beiden Männer den belgischen Küstenort, in dem Therese (jetzt: Geraldine Chaplin) wohnt. Ein Fremder öffnet die Tür. Er heißt Holm (Jan Decleir) und nennt seine Lebensgefährtin „Theschen“. Zöllner erhoffte sich eine bewegende Szene für sein Buch, aber die alte Frau im Lehnstuhl erinnert sich nur noch schwach an ihre Jugendliebe. Nachdem sie Kaminski verlassen hatte, fuhr sie nach Norden, wurde Sekretärin, vermählte sich mit einem Mann namens Uwe und wurde Mutter von zwei Kindern: Maria und Heinrich. Zwei Jahre nachdem Uwe bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen war, heiratete sie ein zweites Mal. Mit Bruno hatte sie ebenfalls zwei Kinder: Eva und Lore. Jetzt lebt sie mit Holm zusammen, der früher eine kleine Fabrik für Kräuterprodukte betrieb. Therese sagt versehentlich Miguel statt Manuel und ist froh, als die Besucher sich rechtzeitig vor dem Beginn der Fernsehsendung „Millionenspiel“ verabschieden.

Zöllner sieht gerade noch, wie ein Abschleppwagen mit Elkes Mercedes wegfährt. Miriam Kaminski wartet vor dem Haus auf ihn und ihren Vater. Der Greis setzt sich in seinen Jaguar, der inzwischen von der Polizei gefunden und seiner Tochter übergeben wurde. Miriam Kaminski klärt Sebastian Zöllner darüber auf, dass der Journalist Golo Moser (Bruno Cathomas) vor einiger Zeit eine Serie stundenlanger Interviews mit ihrem Vater führte und an einer Künstler-Biografie arbeitet. Für Zöllner bricht eine Welt zusammen. Alles war umsonst!

Um sich zu verabschieden, steigt er zu dem Greis ins Auto. Warum Kaminski ihm verschwiegen habe, dass ein anderer bereits eine Biografie über ihn schreibt, möchte er wissen. „Ist das wichtig?“, fragt Kaminski zurück, bevor er sich mit Zöllner über das kitschige Gemälde eines Hasen in Thereses Flur lustig macht. Da begreift der gescheiterte Biograf, dass der Maler seine Blindheit tatsächlich vortäuscht. Aber als dieser erklärt, er sei noch nie im Meer gewesen und fragt, ob der Zündschlüssel stecke, fährt Zöllner mit ihm los, bevor Miriam sie aufhalten kann.

Während Manuel Kaminski am Strand sitzt, lässt Zöllner die Seiten seines nutzlos gewordenen Manuskripts ins Wasser flattern und holt dann die beiden zusammengerollten Gemälde aus dem Wagen. Kaminski schreibt „für Sebastian“ auf die Rückseiten. Während Sebastian Zöllner mit den Kunstwerken weggeht, bleibt Manuel Kaminski im Sand sitzen und wartet auf seine Tochter.

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Der eitle und eingebildete, aber nicht sonderlich erfolgreiche junge Kunstkritiker Sebastian Zöllner beabsichtigt, eine Buchbiografie über den greisen Maler Manuel Kaminski zu schreiben, die er kurz nach dessen Tod veröffentlichen will, um von dem vermutlich für kurze Zeit neu auflebenden Interesse an dem Künstler zu profitieren. Zöllner versucht, sich das Leben und Sterben einer anderen Person zunutze zu machen, so wie er sich in der Wohnung einer Bekannten eingenistet hat. Aber der listige alte Mann bedient sich seinerseits des parasitären Journalisten, um der Aufsicht seiner Tochter zu entkommen und sich quer durch Deutschland an die See bringen zu lassen. Der Plot ist spiegelbildlich angelegt: Ein angeblich seit Jahrzehnten blinder Greis findet sich gut zurecht, während ein junger Manipulator mit gesunden Augen Entscheidendes übersieht.

„Ich und Kaminski“ ist ein Schelmenstück und eine witzige Realsatire auf den als Jahrmarkt der Eitelkeiten und der Bedeutungshuberei dargestellten Kulturbetrieb.

Wolfgang Becker hält sich bei seiner Verfilmung des Romans „Ich und Kaminski“ eng an die literarische Vorlage von Daniel Kehlmann.

Der Roman beginnt mit dem Satz „Ich wachte auf, als der Schaffner an die Abteiltür klopfte.“ Das ist auch die erste Szene der Kino-Adaptation (Zugbegleiter: Josef Hader). Ihr geht allerdings ein Vorspann voraus, eine Revue, die zu den Höhepunkten der Verfilmung gehört: Im Zeitraffer sehen wir Stationen aus dem Leben des Malers Manuel Kaminski und Interview-Äußerungen von Menschen, die ihn kannten. Das Mockumentary – eine mehrere Minuten lange, an „Zelig“ erinnernde Montage – zeigt den Künstler mit Matisse und Picasso. Andy Warhol und die Beatles sprechen anerkennend über ihn. Manuel Kaminski sitzt als Überraschungsgast in der Quiz-Fernsehsendung „What’s my line?“ (in Deutschland: „Was bin ich?“), und Woody Allen errät mit verbundenen Augen, wer er ist.

Während Daniel Kehlmann die Kapitel im Buch einfach von I bis VIII durchnummeriert hat, setzt Wolfgang Becker Zwischentitel:

  1. Der Auftrag
  2. Reflexionen
  3. Das Haus
  4. Ich
  5. Entführung
  6. Sprünge
  7. Am Ziel
  8. Am fahlen Meer

Daniel Kehlmann lässt Sebastian Zöllner als Ich-Erzähler auftreten. Dementsprechend entwickelt auch Wolfgang Becker die Handlung konsequent aus der Perspektive dieser Figur. Die Diskrepanz zwischen Zöllners Wahrnehmung bzw. Selbstüberschätzung und der Realität wird dabei durch Tagträume verdeutlicht, etwa wenn Zöllner sich vorstellt, wie er den Zugschaffner erschießt, oder sich eine Sexszene mit Miriam Kaminski ausmalt.

Immer wieder sind Rückblenden eingeflochten, in denen wir sehen, wie Sebastian Zöllner vor seiner Reise in die Schweiz Weggefährten des Künstlers interviewt, darunter Zwillinge (Karl Markovics), die sich für nichts anderes als Musik interessieren, ein von Jacques Herlin gespielter Greis, der Unmengen isst, und eine 80-Jährige (Anne Morneweg), die ihren Morgenmantel zu Boden gleiten lässt, um Zöllner zu demonstrieren, wie sie Manuel Kaminski vor Jahrzehnten Modell stand.

Wolfgang Becker scheut nicht vor Klamauk zurück. Sebastian Zöllner rutscht schon mal auf einem Kuhfladen aus, und wiederholt werden mit Wein gefüllte Gläser umgeworfen. Das passiert Zöllner auch während eines Besuchs bei dem Galeristen Bogovich (Stefan Kurt). Den verschütteten Rotwein wischt der Kunstkritiker (!) ahnungslos mit einem Handtuch aus einer Kunst-Installation auf.

Mehrmals verwandeln sich Gemälde vor unseren Augen in bewegte Kinobilder und umgekehrt, so zum Beispiel auch die Schlussszene. Und im Nachspann werden Werke berühmter Maler animiert.

Aber auch Gemälde des fiktiven Künstlers Manuel Kaminski hat man eigens für den Film geschaffen. Vier davon entdeckt Sebastian Zöllner im Keller des Schweizer Chalets, noch viel mehr hängen in einer Kunstausstellung in den Kulissen des Bikini-Hauses in Berlin.

Zwei der Schauspieler starben vor der Premiere des Films „Ich und Kaminski“: Anne Morneweg und Jacques Herlin.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2016

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