Paul Auster : 4 3 2 1

4 3 2 1
Originalausgabe: 4 3 2 1 Henry Holt & Co, New York 2017 4 3 2 1 Übersetzung: Thomas Gunkel, Werner Schmitz, Karsten Singelmann, Nikolaus Stingl Rowohlt Verlag, Reinbek 2017 ISBN: 978-3-498-00097-4, 1264 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Der 1947 geborene Protagonist ist der Enkel eines jüdischen Russen, der 1900 in die USA immigrierte und durch ein Miss­verständnis den Namen Ferguson bekam. Vor dem Hintergrund zeit­geschicht­licher Ereignisse erleben wir mit, wie er in Newark bzw. New York aufwächst und seinen Weg sucht. Paul Auster erzählt seine Lebens­geschichte in vier Varianten. Ferguson 4, der Mitte der 70er-Jahre als einzige der Figuren noch lebt, schreibt den vorliegenden Roman "4 3 2 1" ...
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Kritik

Paul Auster beschäftigt sich in dem Opus magnum "4 3 2 1" mit dem Ein­fluss von Modifikationen in der Vita auf den Charakter bzw. den weiteren Lebensweg. Zu diesem Zweck ent­wickelt er die Lebensgeschichte des Protagonisten in sieben Abschnitten, die er jeweils in vier Varianten gliedert.
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Vorgeschichte

Der 19-jährige Russe Isaac Reznikoff wandert im Winter 1899/1900 von Minsk über Warschau, Berlin und Hamburg nach New York aus. Auf Ellis Island, wo er am 1. Januar 1900 eintrifft, rät ihm ein anderer russischer Immigrant, seinen in den USA unaussprechlichen Namen gegen einen anderen zu vertauschen, sich zum Beispiel Rockefeller zu nennen. Als Isaac Reznikoff endlich in der Warteschlange nach vorne gerückt ist und vor dem Beamten der Einwanderungsbehörde steht, hat er den Namen Rockefeller vergessen und murmelt deshalb: „Ich hob fargessen!“ Der Beamte glaubt, den jiddisch sprechenden Einwanderer verstanden zu haben und stellt die Papiere auf den Namen Ichabod Ferguson aus.

Im Alter von 26 Jahren heiratet Ferguson eine Frau namens Fanny Grossman, und das Ehepaar bekommt drei Söhne. Er schlägt sich mit verschiedenen Gelegenheitsjobs durch.

Also kein Rockefeller, sondern ein breitschultriger Hilfsarbeiter, ein hebräischer Riese mit absurdem Namen und zwei rastlosen Füßen, der sein Glück in Manhattan und Brooklyn versuchte, in Baltimore und Charleston, in Duluth und Chicago, als Hafenarbeiter, als Leichtmatrose auf einem Tanker, der die Großen Seen befuhr, als Tierpfleger bei einem Wanderzirkus, als Fließbandarbeiter in einer Blechdosenfabrik, als Lastwagenfahrer, Grabengräber und Nachtwächter.

Bei einem Überfall auf das Lederwarendepot in Chicago, in dem er als Nachtwächter arbeitet, wird der 42-Jährige am 7. März 1923 erschossen. Die Witwe zieht daraufhin mit den Kindern – dem 14 Jahre alten Lew, dem zwölf Jahre alten Arnold und dem neun Jahre alten Stanley – nach Newark/New Jersey.

Dort eröffnet Stanley 1932 eine kleine Radioreparaturwerkstatt, die er im Lauf der Jahre mit finanzieller Beteiligung seiner Brüder zu einem Laden erweitert, den er „Three Brothers Home World“ erweitert.

Im Oktober 1943 lernt er die acht Jahre jüngere Rose Adler kennen, deren Vater Benjamin („Benjy“) aus Warschau und deren Mutter Emma aus Odessa eingewandert sind. Die Familie, zu der auch Roses zwei Jahre ältere Schwester Mildred gehört, lebt in New York. Rose, die sich von Emanuel Schneiderman zur Fotografin ausbilden lässt, war mit dem angehenden Arzt David Raskin verlobt, der jedoch im August 1942 bei der militärischen Grundausbildung in Fort Benning/Florida ums Leben kam. Obwohl Rose überzeugt ist, nie wieder einen Mann wie David lieben zu können, heiratet sie am 6. April 1944 Stanley Ferguson.

Stanleys ältere Brüder sind zu diesem Zeitpunkt längst verheiratet. Lew und Millie haben zwei Kinder (Andrew, 11; Alice, 9), Arnold und Joan drei (Jack, 10;, Francie, 8; Ruth, 6).

Nach drei Fehlgeburten bringt auch Rose am 3. März 1947 einen Sohn zur Welt: Archibald („Archie“) Isaac Ferguson.

Ferguson 1

Archie Ferguson ist fünf Jahre alt, als seine Tante Mildred heiratet. Sie hat Anglistik studiert und arbeitete bisher am Vassar College in Poughkeepsie/New York als Professorin. Nun zieht sie mit ihrem Ehemann Henry Ross, der ebenfalls Professor ist, nach Berkeley/Kalifornien.

Stanley und Rose Ferguson verlegen ihren Wohnsitz von Newark nach Montclair/New Jersey, wo Rose ein eigenes Fotoatelier eröffnet.

Das Lager von „Three Brothers Home World“ wird im November 1955 ausgeraubt. Als die Polizei herausfindet, dass die Tat von einem Insider ausgeführt wurde und der Verdacht auf Arnold Ferguson fällt, zieht Stanley seine Anzeige zurück, um dem Bruder eine Haftstrafe zu ersparen. Aber zugleich muss er auf die Ver­sicherungs­summe verzichten. Beschämt zieht Arnold mit seiner Familie nach Los Angeles.

Lew Ferguson kommt im Februar 1956 bei einem Autounfall ums Leben.

Stanley Ferguson verkauft das ausgeraubte Unternehmen und eröffnet 1957 ein kleineres Geschäft für Radio- und Fernsehgeräte.

Vor einer Grillparty im September 1963, zu der auch die Schneidermans eingeladen sind, erzählt Rose ihrem Sohn, dass er als kleines Kind mit Amy Schneiderman nackt auf dem Bett herumgehüpft sei. Amy ist die Tochter von Daniel („Dan“) Schneiderman, einem der beiden Söhne des Fotografen Emanuel Schneiderman, der Rose ausgebildet hatte, und seiner Ehefrau Elizabeth („Liz“). Amy wurde am 29. Dezember 1946 geboren, also gerade einmal zwei Monate vor Archie Ferguson. Nach langer Zeit sehen sich die beiden erstmals wieder.

Im November 1963 lässt Amy Schneiderman sich von Ferguson deflorieren. Kurz darauf wird er von seiner 27-jährigen Cousine Francie und ihrem Ehemann Gary für Ende Januar 1964 zum Skilaufen in Vermont eingeladen. Ferguson nimmt Amy mit und schleicht sich nachts zu ihr. Weil das Bett so laut quietscht, wird eines der beiden Kinder wach. Deshalb nimmt Francie ihren zehn Jahre jüngeren Cousin am nächsten Morgen mit zum Einkaufen und hält ihm während der Autofahrt eine Standpauke. Weil sie dadurch abgelenkt ist, verliert sie die Kontrolle über den Wagen, und sie prallen gegen einen Baum. Ferguson bricht mit der linken Hand durch die Windschutzscheibe und verliert dabei zwei Finger.

Während Amy bereits das Barnard College in New York besucht, wohnt Ferguson noch bei seinen Eltern in Montclair. Er lebt also weiterhin in der alten Welt, sie bereits in einer neuen. Ende 1964 erklärt Amy ihrem Freund, sie benötige eine Auszeit, und Ferguson bleibt nichts anderes übrig, als auf eine Wiederannäherung zu hoffen.

Obwohl er sich nicht als Journalist, sondern als Literat sieht, fängt er im letzten Jahr auf der High School an, für ein Wochenblatt in Montclair zu schreiben.

Auf der Suche nach einer neuen Freundin schlägt er Rhonda Williams vor, mit ihm auszugehen. Sie mag ihn, lehnt jedoch ab, weil sie es für zu gefährlich hält, mit ihm gesehen zu werden. Rhonda ist Afroamerikanerin, und die Rassenunruhen haben zugenommen. Am 7. März 1965 stoppt die Polizei den ersten Marsch von Bürgerrechtlern über die Edmund-Pettus-Brücke zwischen Selma und Montgomery gewaltsam („Bloody Sunday“).

Nach viereinhalb Monaten Trennung sind Amy und Ferguson ab April 1965 wieder zusammen.

Stanley Ferguson schließt den Verlust bringenden Radioladen und lässt sich von Sam Brownstein in dessen Sportgeschäft in Newark anstellen. Zur gleichen Zeit gibt Rose Ferguson ihr Fotoatelier auf.

Im Dezember 1966 stirbt Fergusons Großvater Benjy Adler im Alter von 73 Jahren. Erst bei seinem Tod stellt sich heraus, dass er ein Apartment für seine 34-jährige Geliebte Didi Bryan gemietet hatte. Beim Orgasmus erlag er einem Herzinfarkt. Trotzdem freundet sich die Witwe Emma Adler nach der Beerdigung mit Didi Bryan an.

Inzwischen studiert Ferguson an der Columbia University in New York. Im Frühjahr 1968 halten Studenten fünf Gebäude der Hochschule eine Woche lang besetzt, um vor allem gegen den Vietnam-Krieg zu protestieren. Amy engagiert sich aus Überzeugung bei den Studentenunruhen. Einmal wird sie bei einer Demonstration vorübergehend festgenommen. Ferguson lässt sich von ihr zum Mitmachen überreden, ist jedoch alles andere als ein Aktivist. Am 4. Mai 1968 erklärt Amy ihm, sie hätten sich auseinanderentwickelt. Die beiden trennen sich.

Wegen der fehlenden zwei Finger wird Ferguson bei der Musterung als untauglich eingestuft. Drei Tage später fängt er bei einer Zeitung in Rochester/New York zu arbeiten an.

Dort lernt er die 21-jährige Redaktionsgehilfin Hallie Doyle kennen. Sie zieht zu ihm, und sie verbringen den Sommer 1971 miteinander, aber nach den Semesterferien kehrt Hallie nach South Hadley/Massachusetts zurück, um ihr Studium fortzusetzen.

Charlie Vincent, der ein Stockwerk tiefer als Ferguson wohnt, bedauert es, dass es nun über ihm wieder ruhig bleibt, denn er hörte gern, wie oben das Bett wackelte und das Paar ächzte und stöhnte. Am Abend des 8. September 1971 zündet er sich zum 53. Mal an diesem Tag eine Zigarette an und legt sich hin. Mit der brennenden Zigarette in der Hand schläft er ein. Das Feuer tötet nicht nur ihn, sondern auch Ferguson in der Wohnung darüber.

Ferguson 2

Stanley Ferguson verkauft „Three Brothers Home World“ nach einem Brand und übernimmt eine Sporthalle mit Tenniscenter.

Sein Sohn verbringt den Sommer 1960 in einem Ferienlager. Als er dort am 10. August 1960 ungeachtet der Warnungen eines Betreuers ausgelassen im Gewitterregen herumtanzt, wird er von einem Blitz erschlagen.

Ferguson 3

Archie Fergusons Vetter Andrew, der Sohn von Lew und Millie Ferguson, fällt 1952 in Korea.

Lew ist aufgrund seiner Wettsucht hoch verschuldet, vor allem bei einem Gangster namens Ira Bernstein. Um sich finanziell wenigstens etwas Luft zu verschaffen, unterschlägt Lew Geld aus dem erfolgreich von seinem Bruder Stanley geführten Unternehmen „Three Brothers Home World“. Als Stanley das merkt, malt Lew ihm aus, was Bernsteins Männer mit ihm machen würden, wenn er seine Schulden nicht abtrüge. Und er schlägt seinem Bruder einen bereits mit Ira Bernstein abgesprochenen Versicherungsbetrug vor, um an Geld zu kommen. Der Gangster beauftragt Eddie Schultz und George Ionello, das Geschäft in der Nacht vom 2./3. November 1954 abzufackeln. Stanley erklärt sich zum Schein damit ein­ver­standen, bleibt aber am 2. November im Betrieb, um den Brandanschlag zu verhindern. Unglücklicherweise schläft er ein und stirbt in den Flammen.

Lew Ferguson, die Täter und der Auftraggeber werden zu Haftstrafen verurteilt.

Die Witwe Rose Ferguson zieht mit ihrem Sohn nach New York. Sie arbeitet als Fotografin für Zeitschriften und Buchverlage. Das Geld für den Verkauf ihres Fotoateliers und von Stanleys Lebensversicherung ermöglicht es ihr, den Jungen auf die Privatschule Hilliard zu schicken. Dort fühlt Ferguson sich allerdings unwohl, denn die Lehranstalt wird mit wenigen Ausnahmen von den Söhnen steinreicher Nichtjuden besucht. Entsprechend schlecht fallen seine Noten aus – bis er zur Riverside Academy wechselt, wo seine schulischen Leistungen wieder anziehen.

1959 heiraten Rose Ferguson und Gilbert („Gil“) Schneiderman. Bei dem acht Jahre älteren Musikkritiker handelt es sich um einen der beiden Söhne des Fotografen Emanuel Schneiderman. Er war 17 Jahre lang verheiratet – bis seine Frau bei einem Autounfall ums Leben kam. Aus dieser ersten Ehe hat der 45-Jährige zwei Kinder (Margaret, 21; Ella, 19). Der Werbegrafiker Daniel Schneiderman ist sein Bruder. Dessen Kinder Jim und Amy werden durch die Eheschließung Archie Fergusons Stiefcousin bzw. -cousine.

Amy und Ferguson fangen 1960 eine Liebelei an, die jedoch im Frühjahr 1961 endet, weil Amy sich weigert, ihrem Freund die Brüste zu zeigen.

Im Mai 1962 schwänzt der 15-Jährige die Schule und geht ins Kino, um „Kinder des Olymp“ anzuschauen. Nach der Vorstellung lernt er den drei Jahre älteren Studenten Andy Cohen kennen, der seine Begeisterung für Filme teilt. Als Andy Cohen von Fergusons gescheiterter Liebesbeziehung mit Amy und seiner sexuellen Deprivation erfährt, bringt er ihn dazu, sich von ihm masturbieren zu lassen. Später befriedigt er ihn auch mit dem Mund. Dadurch beginnt Ferguson an seiner sexuellen Orientierung zu zweifeln, aber er beruhigt sich mit dem Gedanken, er lasse sich nur in Ermangelung einer weiblichen Sexualpartnerin auf Andy Cohens Annäherung ein. Als der Student ihm dann allerdings eine Liebeserklärung macht, erschrickt Ferguson und zieht sich von ihm zurück.

Im Sommer 1962 besucht er seine 40 Jahre alte Tante Mildred in Kalifornien. Die Stanford-Professorin ließ sich 1958 von ihrem Ehemann Paul Sandler scheiden und lebt inzwischen erstmals mit einer Frau zusammen, mit Sydney Millbanks, einer Grundschullehrerin Mitte 20 aus Sandusky/Ohio.

Nach dem Besuch in Kalifornien reist Ferguson mit seiner Mutter und seinem Stiefvater Gil nach Paris, wo sie Vivian Schreiber besuchen, die 38-jährige Schwester von Gils Freund Douglas Grant. Sie und ihr vier Jahre älterer Bruder wurden in Brooklyn als Kinder eines Arztes und einer Lehrerin geboren. 1944, sofort nach der Befreiung Frankreichs, zog Vivian nach Paris und heiratete dort Jean-Pierre Schreiber, der 20 Jahre älter war als sie und 1958 starb.

Während der Kubakrise im Oktober 1962 lässt Ferguson sich von seinem Mitschüler Terry Mills zu einem Besuch im Bordell überreden und verliert dabei seine Unschuld.

Inzwischen schreibt er Filmkritiken, die von Zeitungen veröffentlicht werden.

Ende Februar 1963 stirbt Eduard Schneiderman. Nach der Beerdigung küsst Ferguson zunächst Jim, der ihn deshalb für betrunken hält, dann Amy, die ihn daraufhin mit der Hand befriedigt und sich auch von ihm masturbieren lässt.

Eine Affäre mit Brian Mischevski überzeugt Ferguson, dass er bisexuell sei.

Im Winter 1965/66 verbringt Ferguson einige Monate bei Vivian Schreiber in Paris.

Am 29. Januar 1966 kommen zwei Freunde Vivans zum Abendessen: Lisa Bergman, in der Ferguson ihre Geliebte vermutet, und Andrew Fleming, ein Geschichtsprofessor um die 50. Der zieht sich mit Ferguson ins Gästezimmer zurück und bietet im Geld für Sex. Der Junge geht darauf ein, aber danach schämt er sich so, dass er die Banknoten aus dem Fenster wirft.

Ferguson schreibt in Paris seinen ersten Roman und stellt ihn bald nach seinem 19. Geburtstag fertig. Vivian liest nicht nur das Manuskript und schlägt ein paar Änderungen vor, sondern sie empfiehlt es auch ihrer Lektorin Norma Stiles in London. Am 10. März 1966 schickt Ferguson ihr das Manuskript.

Am 5. März 1967 trifft der 20-Jährige in London ein, um aus seinem inzwischen veröffentlichten Buch zu lesen. Beim Überqueren einer Straße schaut er, wie gewohnt, zuerst nach links – und wird von einem Auto totgefahren.

Ferguson 4

Als Ferguson drei Jahre alt ist, erwerben seine Eltern ein Haus in Maplewood und verlegen ihren Wohnsitz dorthin. Zugleich verkauft Stanley Ferguson „Three Brothers Home World“ und beginnt eine Kette von Elektrogeschäften aufzubauen. Seine ausbezahlten Brüder Lew und Arnold ziehen mit ihren Familien nach Kalifornien.

Archie Ferguson erlebt 1961 im Ferienlager mit, wie sein neuer Freund Art Federman während des sportlichen Trainings an einem Hirnaneurysma stirbt.

Er schreibt eine Kurzgeschichte über ein Paar Schuhe mit dem Titel „Sohlenverwandte“. 1962 gewinnt er einen Aufsatzwettbewerb, und Amy Schneiderman belegt den zweiten Platz.

Von seiner Mutter erfährt er, dass Amys Mutter Liz unheilbar an Krebs erkrankt ist. Ferguson wundert sich darüber, denn wieso weiß seine Mutter das noch vor Jim und Amy? Schließlich findet er heraus, dass seine Mutter und Dan Schneiderman seit eineinhalb Jahren eine Affäre haben. Dan war bereits 1941 in Rose verliebt, als sie bei seinem Vater im Fotoatelier anfing. Aber damals war sie mit David Raskin verlobt, und als der im August 1942 bei der militärischen Grundausbildung in Fort Benning/Florida ums Leben kam, war Dan mit Elizabeth („Liz“) Michaels verlobt. Stanley Ferguson hat ebenfalls eine Liebschaft, und während Rose zunächst mit ihrem Sohn in Maplewood bleibt, zieht er mit seiner Geliebten Ethel Blumenthal nach Livingston/New Jersey.

Am 2. August 1963 heiraten Dan und Rose. So werden Archie Ferguson, Jim und Amy Schneiderman zu Stiefgeschwistern. Sie wohnen nun in South Orange/New Jersey.

Im Alter von 18 Jahren beginnt Ferguson eine Affäre mit der 31-jährigen Lehrerin Evelyn („Evie“) Monroe. Sie trieb zwar zweimal ab, wünscht sich aber nun ein Kind von ihrem jugendlichen Liebhaber. Weil sie nicht schwanger wird, geht sie zum Gynäkologen, der ihr bestätigt, dass sie ohne weiteres Mutter werden könne. Evie drängt daraufhin Ferguson, sich ebenfalls untersuchen zu lassen, und dabei stellt sich heraus, dass er steril ist. Aus Scham beendet er die Liebesbeziehung.

Als Ferguson seinen Großvater Benjy Adler in New York mit einem Besuch überrascht, platzt er in einen Porno-Dreh. Entsetzt stellt er fest, dass der einsame Greis Pornofilme finanziert.

Während Ferguson eine Liebesbeziehung mit der Biologie-Studentin Celia Federman pflegt, hat Amy hat einen afroamerikanischen Freund: Luther Bond. Als sie zu viert ausgehen, werden sie in einer Bar von Rassisten angepöbelt. Ferguson prügelt sich mit dem 32-jährigen Klempner Chet Johnson und bricht ihm die Nase. Der Wirt Thomas Griswold ruft die Polizei, und die beiden Kontrahenten werden festgenommen. Fergusons Freunde legen zusammen, um die Kaution für ihn aufbringen zu können. Der junge Rechtsanwalt Dennis McBride vertritt Ferguson bei der Gerichtsverhandlung und erreicht, dass sein Mandant mit der Bezahlung von 50 Dollar Schadenersatz für Beschädigungen in der Bar davonkommt. Luther Bond zieht aufgrund dieses Erlebnisses nach Kanada, aber Amy geht nicht mit.

Der 24 Jahre alte Studienabbrecher Billy Best, der einen unkommerziellen Kleinverlag betreibt, veröffentlicht „Mulligans Reisen“ von Archie Ferguson und wird zum Verleger seines Frühwerks. Schließlich sucht Ferguson sich eine Literaturagentur und lässt sich von Lynn Eberhardt unter Vertrag nehmen.

Die Anekdote von der Ankunft seines Großvaters Isaac Reznikoff in New York und der Entstehung des Familiennamens Ferguson bringt ihn auf die Idee für einen Roman.

[…] wurde zur Parabel über das menschliche Schicksal und die sich endlos gabelnden Wege, denen sich ein Mensch auf seinem Gang durchs Leben stellen muss. Ein junger Mann wird plötzlich in drei junge Männer zerrissen, jeder mit den anderen identisch, aber jeder mit einem anderen Namen: Rockefeller, Ferguson und der lange, unaussprechliche Name X, der mit ihm aus Russland bis nach Ellis Island gereist ist.

Und wenn der junge X geistesgegenwärtig genug gewesen wäre, sich Rockefeller zu nennen, wie hätte das sein künftiges Leben in Amerika beeinflusst?

Man selbst zu sein war schon merkwürdig, fand Ferguson, noch merkwürdiger aber war, dass es mehrere von ihm zu geben schien, dass er nicht nur der eine war, sondern eine Ansammlung widersprüchlicher Personen, in Gesellschaft mit anderen jedes Mal jeweils ein anderer.

Ferguson, dessen Name nicht Ferguson war, fand es faszinierend, sich vorzustellen, er wäre als Ferguson oder als Rockefeller zur Welt gekommen, als jemand mit einem anderen Namen als dem X, das man ihm angeheftet hatte, als er am 3. März 1947 aus dem Leib seiner Mutter gezogen worden war. Tatsächlich hatte der Vater seines Vaters keinen anderen Namen bekommen, als er am 1. Januar 1900 auf Ellis Island eingetroffen war – aber wenn doch?

[…] statt die Vorstellung eines Menschen mit drei Namen weiterzuverfolgen, drei andere Versionen seiner selbst erfinden, deren Geschichten zusammen mit seiner eigenen erzählen (mehr oder weniger seiner eigenen, denn auch er selbst würde zu einer fiktionalisierten Version seiner selbst werden) und ein Buch über vier identische, aber verschiedene Menschen mit demselben Namen schreiben: Ferguson.

So endet das Buch – mit Ferguson, der weggeht, um das Buch zu schreiben. Beladen mit zwei schweren Koffern und einem Rucksack, verließ er New York am 3. Februar, fuhr mit dem Bus nach Montreal, wo er eine Woche bei Luther Bond verbrachte, bestieg dann ein Flugzeug und flog über den Ozean nach Paris. Die kommenden fünfeinhalb Jahre lebte er in einer Zweizimmerwohnung in der Rue Descartes im fünften Arrondissement und arbeitete stetig an seinem Roman über die vier Fergusons, der zu einem viel längeren Buch anwuchs, als er gedacht hätte, und als er am 25. August 1975 das letzte Wort schrieb, hatte das Manuskript einen Umfang von eintausendeinhundertdreiunddreißig getippten Seiten mit doppeltem Zeilenabstand.

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Archie Ferguson, der Protagonist des Romans „4 3 2 1“, wird am 3. März 1947 in Newark geboren, auf den Tag genau einen Monat nach Paul Auster und am selben Ort. Weitere Parallelen zwischen dem Autor und der Hauptfigur lassen sich erkennen, aber „4 3 2 1“ ist alles andere als eine Autobiografie.

Paul Auster geht der Frage nach, welche Auswirkungen Modifikationen in der Vita auf den Charakter bzw. den weiteren Lebensweg haben. In seinem Gedanken­experiment verfolgt er vier Varianten. Eine Schlüsselrolle spielt dabei die unterschiedliche finanzielle Situation der Familie.

Die im Kapitel 1.0. erzählte Vorgeschichte beginnt 1900 mit der Immigration des Großvaters und endet mit der Geburt des Protagonisten 1947. Dieser Teil ist allen vier Varianten gemeinsam. Von da an verfolgt Paul Auster die dreimal modifizierte Lebensgeschichte der Hauptfigur bis zur fiktiven Entstehung des vorliegenden Romans „4 3 2 1“ in den Siebzigerjahren. Dabei schreitet er in sieben Abschnitten chronologisch von Lebensabschnitt zu Lebensabschnitt voran, von 1.1., 1.2., 1.3. und 1.4. bis 7.4. Weil jedoch Ferguson 1, 2 und 3 vorzeitig sterben, bleiben nach ihrem Tod die entsprechenden Kapitel bis auf die Überschrift leer (Vakatseiten).

Dass der Titel nicht „1 2 3 4“, sondern „4 3 2 1“ lautet, verweist darauf, dass von den vier Fergusons am Ende nur einer übrigbleibt.

Bei 1264 Seiten können wir von einem Opus magnum sprechen. Es sind ja auch gewissermaßen vier Romane in einem. Paul Auster erzählt die Geschichte nicht nur in vier Varianten, sondern auch sehr detailfreudig, ausufernd und stets vor dem Hintergrund zeitgeschichtlicher Ereignisse vor allem in den USA.

Vielleicht wäre „4 3 2 1“ übersichtlicher, wenn Paul Auster die vier Varianten nicht parallel, sondern sukzessiv entwickelt hätte (also zuerst von 1.1. bis 7.1., dann 2.1. usw.).

Damit die deutschsprachige Ausgabe gleichzeitig mit dem Original erscheinen konnte, teilten sich in den wenigen Monaten von der Manuskript­verfüg­barkeit bis zum Druck vier Übersetzer die Arbeit: Thomas Gunkel, Werner Schmitz, Karsten Singelmann und Nikolaus Stingl. Es wäre naheliegend gewesen, dass sich jeder von ihnen einen der Fergusons vorgenommen hätte, aber dem Lektor Thomas Überhoff zufolge erfolgte keine systematische Aufteilung.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2017
Textauszüge: © Rowohlt Verlag

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