Nele Neuhaus : Die Lebenden und die Toten

Die Lebenden und die Toten
Die Lebenden und die Toten Originalausgabe: Ullstein Buchverlage, Berlin 2014 ISBN: 978-3-550-08054-8, 557 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Im Vordertaunus werden Ende 2012 innerhalb weniger Tage mehrere Menschen von einem Serienmörder erschossen, der sich in Bekennerschreiben "Richter" nennt und erklärt, er töte Angehörige von Schuldigen, um diese für ihre Taten büßen zu lassen. Die Polizei findet bald heraus, dass die Morde mit einer Herztrans­planta­tion im September 2002 zusammenhängen. Offenbar umgingen die an der Organ­entnahme beteiligten Ärzte Vorschriften und fälschten Protokolle ...
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Kritik

Der Taunuskrimi "Die Lebenden und die Toten" dreht sich um das Thema Organspende. Nele Neuhaus hat die Komplexität des Plots gut im Griff und entwickelt die spannende Geschichte in einem geschickten Wechsel der Perspektiven.
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Als die 74-jährige Ingeborg Rohleder am 19. Dezember 2012 im Eschborner Stadtteil Niederhöchstadt ihren Hund ausführt, wird sie mit einem Kopfschuss getötet. Ihre Tochter Renate Rohleder kann sich nicht vorstellen, dass jemand ihrer allgemein beliebten Mutter nach dem Leben trachtete. Handelt es sich bei Ingeborg Rohleder ein Zufallsopfer?

Oliver von Bodenstein von der Mordkommission der Regionalen Kriminalinspektion in Hofheim am Taunus leitet die Ermittlungen. Vor vier Jahren scheiterte seine Ehe. Seine Lebensgefährtin, die Tierärztin Inka Hansen, ist nicht zu ihm in seine Doppelhaushälfte in Ruppertshain gezogen, und inzwischen zweifelt er bereits an der Tragfähigkeit der Beziehung.

Seine engste Mitarbeiterin, die Kriminalhauptkommissarin Pia Kirchhoff, die vor ein paar Tagen auf dem Standesamt in Höchst Dr. Christoph Sander heiratete, den Direktor des Opel-Zoos in Kronberg, mit dem sie seit vier Jahren zusammen auf dem Birkenhof in Unterliederbach wohnt, hat vier Wochen Urlaub. Aber sie sagt die geplante Reise nach Ecuador ab und lässt ihren Mann allein fliegen, um sich an den Ermittlungen zu beteiligen.

Am 20. Dezember wird Margarethe Rudolf, die 64 Jahre alte Ehefrau des zwei Jahre jüngeren Transplantationschirurgen Prof. Dieter Paul Rudolf, in ihrer Küche durch ein Fenster erschossen, und zwar vor den Augen ihrer 13-jährigen Enkelin Greta und im Beisein ihrer Tochter Karoline Albrecht.

Bei der Zeitung „Taunus-Echo“ treffen Bekennerschreiben ein:

Ingeborg Rohleder musste sterben, weil sich ihre Tochter der unterlassenen Hilfeleistung und Beihilfe zur fahrlässigen Tötung schuldig gemacht hat. Der Richter

Margarethe Rudolf musste sterben, weil sich ihr Ehemann des Mordes aus Habgier und Eitelkeit schuldig gemacht hat. Der Richter

Es handelt sich also um einen Serienmörder, der Angehörige von Menschen tötet, die er für schuldig hält. Das wird durch ein weiteres Schreiben des Täters untermauert:

Großes Unrecht ist geschehen. Die Schuldigen sollen denselben Schmerz verspüren wie den, den sie aus Gleichgültigkeit, Habgier, Eitelkeit und Gedankenlosigkeit verursacht haben. Diejenigen, die Schuld auf sich geladen haben, sollen in Angst und Schrecken leben, denn ich bin gekommen, zu richten die Lebenden und die Toten.

Am ersten Weihnachtsfeiertag stirbt der 27-jährige Maximilian Gehrke in Kelkheim. Ein Schuss zerfetzt sein Herz. Rasch stellt sich heraus, dass es sich dabei um ein Spenderorgan handelte. Maximilian Gehrke war mit einem schweren Herzfehler zur Welt gekommen und hatte im September 2002 in der Unfallklinik Frankfurt (UKF) das Herz einer Frau namens Kirsten Stadler bekommen.

Kirsten Stadler war am 16. September 2002 nicht vom Joggen nach Hause gekommen. Ihre damals 15-jährige Tochter Helen und deren zwei Jahre älterer Bruder Erik suchten nach ihr und fanden sie auf einem Feldweg. Sie war zusammengebrochen. Helen rannte los, traf auf Renate Rohleder und bat sie um Hilfe, aber die in der Nachbarschaft wohnende Besitzerin eines Blumenladens hatte ihr Handy nicht dabei und als sie wieder zu Hause war, ging sie davon aus, dass der Notarzt längst alarmiert worden sei. Bei Kirsten Stadler wurde im Krankenhaus eine Hirnblutung diagnostiziert. Ihr Ehemann Dirk, ein Bauingenieur, hielt sich zu diesem Zeitpunkt geschäftlich in Fernost auf. Als er am nächsten Tag nach Frankfurt kam, hatten die Ärzte seiner hirntoten Frau bereits alle brauchbaren Organe entnommen und zeigten ihm die von seinem Schwiegervater Joachim Winkler unterschriebene Einwilligungserklärung.

Oliver von Bodenstein und Pia Kirchhoff suchen Dirk Stadler in Liederbach auf. Er wurde in Rostock geboren und floh 1982 aus der DDR in den Westen. Auf sein Hinken angesprochen, erklärt der Witwer, er habe vor 15 Jahren auf einer Baustelle in Dubai einen Unfall gehabt. Er berichtet, dass sein Schwiegervater behauptet habe, die Ärzte hätten ihn am 16. September 2002 in der UKF massiv unter Druck gesetzt und seine Unterschrift erschlichen. Auf Drängen Joachim Winklers habe er die UKF dann verklagt. Weil jedoch bald ein Scheitern der Klage abzusehen gewesen sei, habe er sich auf ein Vergleichsangebot der Klinik eingelassen und 50 000 Euro erhalten.

Helen, die Tochter von Dirk und Kirsten Stadler, stürzte sich am 16. September 2012, dem zehnten Jahrestag des Todes ihrer Mutter, den polizeilichen Ermittlungen zufolge von einer Fußgängerbrücke in Kelsterbach vor eine S-Bahn.

Am 28. Dezember will Celina Hoffmann, die als Verkäuferin in einer Bäckerei in Eschborn arbeitet, ihrer Kollegin Hürmet Schwarzer 50 Euro zurückgeben, die sie sich geliehen hat. Weil es schwierig ist, einen Parkplatz zu finden, kommt sie zu spät zur Arbeit, und Hürmet hat die Frühschicht bereits beendet. Aber dann sieht Celina Hoffmann sie aus dem benachbarten Supermarkt kommen, eilt zu ihr und streckt ihr den Geldschein hin. In diesem Augenblick explodiert Hürmets Kopf.

Wie die Polizei später feststellt, schoss der Sniper vom Dach eines 880 Meter entfernten Hochhauses.

Patrick Schwarzer, der Witwer der ermordeten Bäckerei-Verkäuferin, ist als Kundenberater bei der Sparkasse in Hattersheim angestellt. Als Zivildienstleistender fuhr er am 16. September 2002 den Rettungswagen, mit dem Kirsten Stadler ins Krankenhaus gebracht werden sollte. Er hatte damals noch Restalkohol vom Vorabend im Blut, verlor die Kontrolle über das Fahrzeug und brachte es erst im Straßengraben zum Stehen. Dadurch verzögerte sich Kirsten Stadlers Transport in die Unfallklinik.

Oliver Bodenstein und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kommen mit den Ermittlungen und Befragungen kaum nach. Am 29. Dezember sprechen Oliver Bodenstein und Pia Kirchoff mit Helen Stadlers Verlobten Jens-Uwe Hartig. Er wohnt in Kelkheim-Münster und besitzt eine Goldschmied-Werkstatt in Hofheim. Die Ermittler sind verblüfft, als er ihnen erzählt, dass er aus einer Ärztefamilie stammt und auch selbst Herzchirurg war. Aber seine erste Herz-Explantation, so Jens-Uwe Hartig weiter, sei so schockierend verlaufen, dass er den Beruf gewechselt habe. Es war eine Multiviszeralexplantation. Dabei, so beschreibt es Hartig, fallen mehrere Ärzte über den Patienten bzw. die Patientin her und behandeln den hirntoten Körper wie ein Ersatzteillager.

Als Oliver Bodenstein am 30. Dezember noch einmal zu Maximilian Gehrkes seit 1995 verwitwetem Vater Fritz fährt, dem Vorstandsvorsitzenden des Pharmaunternehmens SANTEX, öffnet ihm die Pflegerin Karin Michel, die den Hausherrn gleich darauf tot an seinem Schreibtisch vorfindet. Eine benutzte Insulin-Spritze liegt neben ihn. Es sieht nach einem Suizid aus. Augenscheinlich verbrannte Fritz Gehrke vor seinem Tod im Kamin Inhalte von Leitzordnern, deren Rückenschilder abgerissen wurden.

Oliver von Bodenstein und Pia Kirchhoff besuchen am 30. Dezember Kirsten Stadlers Eltern in Glashütten. Beide engagieren sich in dem 1998 gegründeten Verein „Hilfe für Angehörige von Mordopfern der Organmafia“ (HAMO), Lydia Winkler als Schriftführerin, ihr Mann Joachim als Zweiter Vorsitzender. Erster Vorsitzender ist Markus Brecht-Thomsen, kurz Mark Thomsen, in Eppstein-Vockenhausen. Dessen 15-jähriger Sohn Benni war vor 15 Jahren mit dem Fahrrad verunglückt, und Mark Thomsen hatte sich von den Ärzten überreden lassen, einer Organentnahme zuzustimmen. Erst als er wieder klar denken konnte, wurde ihm bewusst, wie respektlos die Mediziner mit dem Hirntoten umgegangen waren. Durch den Tod des Sohnes zerbrach die Ehe, und im Jahr 2000 verlor Mark Thomsen auch seine Anstellung bei der GSG 9. Inzwischen arbeitet er für einen privaten Sicherheitsdienst. Unvermittelt zieht er eine Schublade auf und nimmt eine Pistole heraus. Nachdem er Oliver von Bodenstein und Pia Kirchhoff gezwungen hat, ihre Handys und Waffen auf den Tisch zu legen, sperrt er sie in den Heizungskeller.

Ein paar Stunden später ruft er die Polizei an und schickt sie zu seinem Haus, damit die beiden Gefangenen befreit werden. Er selbst ist abgetaucht.

Ebenfalls verschwunden ist Jens-Uwe Hartig. Einem Zettel zufolge bleibt seine Werkstatt in Hofheim bis 6. Januar geschlossen.

Am letzten Tag des Jahres erhält Oliver von Bodenstein eine Mail des „Richters“ mit der Ankündigung der nächsten Bluttat. In der Hoffnung, weitere Morde verhindern zu können, fährt der Kriminalkommissar mit dem Rechtsanwalt Dr. Peter Riegelhoff, der die UKF gegen die Familie Stadler vertrat, zu dessen Anwaltssozietät HR&F Partner in Frankfurt und lässt sich im Archiv die Akten über den Fall heraussuchen, um die an der Organexplantation am 16. September 2002 Beteiligten warnen zu können. Dabei stößt er nicht nur auf den Transplantationschirurgen Prof. Dieter Rudolf, auf Dr. Simon Burmeister, den Chefarzt der Transplantationschirurgie am UKF, Dr. Arthur Janning, den Leiter der Intensivmedizin an der UKF, sondern auch auf den damaligen Herzchirurgen Jens-Uwe Hartig.

Fast zur gleichen Zeit erhält er einen Anruf von Karoline Albrecht. Margarethe Rudolfs 43-jährige Tochter, eine erfolgreiche Unternehmensberaterin, hat auf eigene Faust Nachforschungen angestellt, denn sie vermutet, dass ihr Vater etwas verheimlicht, was mit der Ermordung ihrer Mutter zusammenhängt. Unter anderem nahm sie mit Helen Stadlers engster Facebook-Freundin Kontakt auf. Vivien Stern studiert in Williamstown/Connecticut Biologie und Geowissenschaften, hält sich jedoch über Weihnachten und den Jahreswechsel bei ihren Eltern im Rhein-Main-Gebiet auf. Bei einem Treffen erzählte sie Karoline Albrecht, Helen habe im Zusammenhang mit der Organentnahme bei ihrer Mutter etwas Brisantes herausgefunden und noch vor Weihnachten in die Öffentlichkeit bringen wollen. Vivien Stern übergab Karoline Albrecht ein von ihrer Freundin sicherheitshalber bei ihr deponiertes Notizbuch, das unter anderem eine Liste mit folgenden Namen enthält: Renate Rohleder, Dieter Paul Rudolf, Patrick Schwarzer, Fritz Gehrke, Bettina Kaspar-Hesse, Simon Burmeister, Ulrich Hausmann, Arthur Janning, Jens-Uwe Hartig.

Offenbar kennt der Serienmörder diese Liste und ist dabei, Angehörige dieser Personen zu töten. Richtet sich der angekündigte nächste Mordanschlag gegen Bettina Kaspar-Hesse?

Oliver von Bodenstein schickt einen Streifenwagen nach Griesheim bei Darmstadt, um die Familie zu warnen. Aber die Beamten kommen zu spät: Kurz bevor das Silvesterfeuerwerk beginnt, wird Bettina Kaspar-Hesses Eheman Ralf auf der Terrasse des erst am 24. November bezogenen Hauses erschossen.

Es stellt sich heraus, dass Bettina Kaspar-Hesse vor ihrer ersten Schwangerschaft sieben Monate lang als Transplantationskoordinatorin in der UKF tätig war. Ihr Chef, Prof. Rudolf, und Dr. Burmeister, der damals Oberarzt in der Transplantationschirurgie war, brachten sie am 16. September 2002 dazu, Joachim Winkler eine Einwilligungserklärung zur Organentnahme bei seiner Tochter Kirsten Stadler unterschreiben zu lassen, indem sie ihm vortäuschte, es handele sich um das Krankenhaus-Aufnahmeformular.

Pias früherer Ehemann Dr. Henning Kirchhoff, der Direktor des Rechtsmedizinischen Instituts in Frankfurt, stellt nicht nur fest, dass Fritz Gehrkes Bronchien frei von Rußpartikeln sind, sondern auch, dass der Mann vor seinem Tod Chloroform einatmete. Es handelt sich also wahrscheinlich nicht um Suizid, sondern jemand betäubte den Vorstandsvorsitzenden, tötete ihn mit einer Überdosis Insulin und verbrannte erst dann Unterlagen.

Mark Thomsen wird am Neujahrstag in einem leer stehenden Haus aufgegriffen, das einem Witwer namens Wolfgang Mieger gehört, der seit Ende 2011 in einem Pflegeheim in Königstein lebt. Am nächsten Tag sagt er aus, er habe Oliver von Bodenstein und Pia Kirchhoff in den Keller gesperrt, um nicht verhaftet zu werden.

Dirk Stadler muss zugeben, dass er nicht nur 50 000 Euro vom Krankenhaus bekam, sondern außerdem eine Million von Fritz Gehrke, der auch Professor Rudolfs Forschungen finanzierte. Dafür sollte er darüber schweigen, dass bei seiner Ehefrau Vorschriften über die Feststellung des Hirntods vor der Organentnahme umgangen und Dokumente gefälscht wurden. Das Geld legte Dirk Stadler in der Schweiz an, ohne die Kapiteleinkünfte zu versteuern. Vor zwei Jahren tauchte die Steuerfahndung bei ihm auf. Erst dadurch erfuhren der Sohn und die Tochter von der Million. Helen warf ihren Vater sogleich vor, ihre Mutter durch die Annahme von Schweigegeld verraten zu haben. Offenbar fing sie dann mit eigenen Nachforschungen an.

Dr. Simon Burmeister kommt am 2. Januar mit seiner 17-jährigen Tochter Leah von einem zweiwöchigen Urlaub auf den Seychellen zurück. Pia Kirchhoff wartet im Flughafen auf ihn und warnt ihn vor dem Serienmörder, aber der arrogante Arzt hört nicht auf sie. Während Leah mit ihrer geschiedenen Mutter nach Düsseldorf fährt, will der Arzt sofort in die UKF. Dort stehe eine dringende Operation an, erklärt er der Kriminalkommissarin, bevor er das Abfertigungsgebäude verlässt, um ein Taxi zu nehmen.

Im Krankenhaus wartet man allerdings vergeblich auf ihn.

Als Tatverdächtige gelten bisher Mark Thomsen, Jens-Uwe Hartig und Erik Stadler, drei durchtrainierte Männer, die auch schießen können. Ein Motiv hätte auch Dirk Stadler, aber Oliver von Bodenstein geht davon aus, dass Kirsten Stadlers Witwer für die Tatzeiten Alibis hat und wegen seiner Gehbehinderung allenfalls als Auftraggeber eines Killers, nicht aber selbst als Täter in Frage kommt. Nun stellt sich jedoch heraus, dass der Kriminalhauptkommissar Andreas Neff, ein vom LKA für den Fall abgestellter Fallanalytiker, die Alibis nicht eingehend genug überprüfte. Außerdem erfahren die Ermittler, dass Dirk Stadler als Scharfschütze in einer Kampfschwimmerbrigade der NVA ausgebildet wurde, bei seiner Republikflucht 40 Kilometer weit durch die Ostsee schwamm und seinen Schwerbehindertenausweis wegen psychischer Probleme hat. Die Gehbehinderung täuschte er nur vor!

Die Polizei erhält ein Foto, auf dem Dr. Simon Burmeister zu sehen ist. Er liegt festgeschnallt auf einem OP-Tisch, und man hat ihm die rechte Hand abgetrennt. Kurz darauf trifft ein Video von der Amputation ein. Aufnahmen von Überwachungskameras am Flughafen zeigen, dass der Arzt auf dem Weg zum Taxistand in ein neben ihm haltendes Taxi stieg. Bevor es wieder anfuhr, riss ein weiterer Mann die linke hintere Tür auf und setzte sich ebenfalls hinein. Der Mediziner wurde offenbar sofort nach seiner Ankunft im Flughafen entführt. Und der Serienmörder hat seine Vorgehensweise geändert: Statt Angehörige zu erschießen, wurde nun eine der Zielpersonen selbst verstümmelt.

Dr. Burmeister wird in der Turnhalle der Ludwig-Erhard-Schule in Unterliederbach gefunden. Er lebt, aber seine beiden abgeschnittenen Hände liegen auf dem Fußboden.


Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.


Mit den Aufnahmen konfrontiert, beginnt Mark Thomsen zu reden. Als Helen Stadler vor zwei Jahren von dem Schweigegeld erfuhr, das ihr Vater angenommen hatte, begann sie mit Unterstützung ihres väterlichen Freundes Mark Thomsen zu recherchieren und fand heraus, dass der Transplantationschirurg Prof. Dieter Rudolf mit dem auf Hämatologie spezialisierten 16 Jahre älteren Kölner Onkologen Prof. Hans Furtwängler zusammen ein Medikament entwickeln wollte, mit dem sich die Blutgruppenschranken überwinden lassen, die es so schwierig machen, geeignete Senderorgane zu bekommen. Nach zahlreichen Tierversuchen implantierte Rudolf drei mit dem Medikament vorbehandelten Patienten jeweils das Herz eines Spenders mit einer anderen Blutgruppe. Keiner der drei Patienten überlebte die Operation in der UKF. Fritz Gehrke zweifelte deshalb am Erfolg des Forschungsprojekts und kündigte die Einstellung der Finanzierung durch SANTEX an. Da wurde Kirstin Stadler eingeliefert. Weil sie Blutgruppe 0 hatte, eigneten sich ihre Organe für Empfänger aller Blutgruppen. Nachdem Rudolf und Burmeister die vorgeschriebenen Hirntoduntersuchungen manipuliert bzw. die Dokumentation dazu gefälscht hatten, führten sie bei Kirstin Stadler noch in der Nacht auf den 17. September 2002 eine Multiviszeralexplantation durch und implantierten das Herz der unfreiwilligen Spenderin Fritz Gehrkes todkrankem Sohn Maximilian, um den SANTEX-Vorstandsvorsitzenden einen Erfolg des Medikaments vorgaukeln zu können. Als Verlobte des damals an der Organentnahme beteiligten Herzchirurgen Jens-Uwe Hartig fand Helen Stadler viel über die kriminellen Machenschaften der Ärzte heraus. Und damit wollte sie noch vor Weihnachten in die Öffentlichkeit. Aber, so Mark Thomsen weiter, Prof. Ulrich Hausmann, der ärztliche Leiter der UKF, habe sie in Kelsterbach von der Fußgängerbrücke gestoßen, um geschäftsschädigende Enthüllungen zu verhindern. Durch seine noch immer bestehenden Beziehungen zur Polizei fand Mark Thomsen heraus, dass Hausmanns Auto zur Tatzeit in der Nähe der Brücke geblitzt worden war.

Jens-Uwe Hartig wird noch am 2. Januar 2013 festgenommen und leistet keinen Widerstand.

Dirk Stadler wird einen Tag später tot aufgefunden. Er legte sich, nur mit T-Shirt und Jeans bekleidet, neben das Grab seiner Frau auf dem Hauptfriedhof in Kelkheim, trank eine Flasche Korn und erfror in der Nacht. In einem an Oliver von Bodenstein adressierten Brief gesteht er, der „Richter“ gewesen zu sein.

Prof. Hausmann wird als mutmaßlicher Mörder Helen Stadlers angeklagt. Hautpartikel unter ihren Fingernägeln stammen von ihm, und er legte nach seiner Verhaftung ein Geständnis ab.

Prof. Rudolf muss sich wegen zweifachen Mordes und fahrlässiger Tötung in mindestens drei Fällen vor Gericht verantworten. Er ließ am 16. September 2002 bei Kirsten Stadler vorzeitig die Geräte abschalten und ermordete am 30. Dezember 2012 Fritz Gehrke mit einer Überdosis Insulin, um belastendes Material vernichten zu können. Ein Zeuge sah ihn aus Gehrkes Haus kommen.

Dr. Janning, dem Leiter der Intensivmedizin an der UKF, wird Beihilfe zum Mord an Kirsten Stadler vorgeworfen.

Dr. Burmeister, der nach der Amputation seiner Hände nicht mehr als Chirurg praktizieren kann, muss außerdem mit einer Verurteilung wegen seiner Beteiligung an der fahrlässigen Tötung der drei Herzpatienten rechnen, denen bewusst Organe mit unpassenden Blutgruppen implantiert wurden.

Jens-Uwe Hartig wird zwar wegen schwerer Körperverletzung angeklagt, aber schließlich aus Mangel an Beweisen freigesprochen.

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In dem Taunuskrimi „Die Lebenden und die Toten“ greift Nele Neuhaus das nach dem jüngsten, 2012 aufgedeckten Organspende-Skandal in Deutschland besonders brisante Thema Organtransplantation auf: Die Handlung dreht sich um kriminelle Machenschaften von Ärzten im Zusammenhang mit der Feststellung des Hirntods potenzieller Organspender, und Nele Neuhaus prangert an, dass die Ärzte bei einer multiviszeralen Explantation über den Organspender so respektlos herfallen, als handele es sich um ein Ersatzteillager. Ob diese Darstellung der Wirklichkeit entspricht bzw. repräsentativ ist, kann ich nicht beurteilen, aber eine Vertrauen schaffende Werbung für Organspenden ist „Die Lebenden und die Toten“ jedenfalls nicht.

Wie in den älteren Kriminalromanen über das Ermittler-Duo Oliver von Bodenstein und Pia Kirchhoff, führt Nele Neuhaus die privaten Geschichten der beiden Figuren fort. Allerdings tut sie das in „Die Lebenden und die Toten“ nur rudimentär und ganz nebenbei. Dabei ist es nicht besonders glaubwürdig, dass die Kriminalhauptkommissarin wegen der anstehenden Ermittlungen ihren Urlaub ebenso aufgibt wie die bereits für die Flitterwochen gebuchte Ecuador-Reise und ihren erst vor wenigen Tagen angetrauten Ehemann Dr. Christoph Sander allein fliegen lässt. (Das ist nicht die einzige unplausible Stelle in „Die Lebenden und die Toten“.)

Überflüssig ist die Figur Katharina („Kim“) Freitag, der stellvertretenden Direktorin der forensisch-psychiatrischen Gefängnisklinik Ochsenzoll bei Hamburg, die sich während ihres Weihnachtsbesuchs bei ihrer Schwester Pia Kirchhoff in Unterliederbach an den Ermittlungen der Hofheimer Mordkommission beteiligt und mit der Kriminalrätin Dr. Nicola Engel ein Liebesverhältnis anfängt.

Der vom LKA für den von Oliver von Bodenstein aufzuklärenden Fall abgestellte Kriminalhauptkommissar Andreas Neff ist kein Charakter, sondern ein albernes Klischee.

Auf beide Figuren hätte Nele Neuhaus besser verzichtet. Überhaupt wäre ihrem Roman „Die Lebenden und die Toten“ eine Kürzung um, sagen wir, 100 Seiten gut bekommen. Die einen Großeinsatz der Polizei auslösende Ballerei von drei Jugendlichen mit einer Schreckschusspistole im Main-Taunus-Zentrum hätte beispielsweise komplett gestrichen werden können. Auch im Kleinen wäre eine Straffung möglich gewesen: Es muss doch nicht jedes Mal explizit erwähnt werden, dass ein Autofahrer oder eine Autofahrerin vor dem Abbiegen den Blinker setzt. Da hätte der eine oder andere kleine Zeitsprung für mehr Tempo gesorgt.

Ungeachtet solcher Verbesserungsmöglichkeiten ist „Die Lebenden und die Toten“ eine spannende, unterhaltsame Lektüre. Nele Neuhaus hat die beträchtliche Komplexität des Plots souverän im Griff und entwickelt die lebendig erzählte Geschichte in einem ständigen Wechsel der Perspektiven. Kursiv hervorgehoben sind dabei die Passagen, in denen wir dem Serienmörder über die Schulter schauen bzw. an seinen Überlegungen partizipieren. Durch diesen geschickt eingesetzten Kunstgriff verschafft Nele Neuhaus den Lesern immer wieder einen kleinen Informationsvorsprung gegenüber den Ermittlern, und das erzeugt Spannung.

„Karoline mochte es, wenn Leute sich anständig ausdrückten“ heißt es auf Seite 253. Das wirkt angesichts der Sprachschludrigkeiten in „Die Lebenden und die Toten“ unfreiwillig komisch. Über den ersten Grammatikfehler stolpert man bereits auf der zweiten Seite. Verunglückt ist auch der Satz:

Greta war in einem Internat, ihre Ehe auf der Strecke geblieben, und alle Freundschaften waren aus Mangel an Pflege im Laufe der Zeit versandet.

(Nicht die Ehe der 13-jährigen Schülerin, sondern die ihrer Mutter war gescheitert.) Ein logischer Fehler hat sich eingeschlichen, wenn es heißt:

Seit dem Tod seiner Frau im Jahr 1995 lebte der Einundachtzigjährige allein in dem großen Haus.

(Oder ist Fritz Gehrke etwa nicht gealtert?) Auf Seite 155 wird ein aufkeimender Experten-Wettstreit im Keim erstickt. Und ein Bild wie das folgende ist komplett missraten:

Bodensteins Zorn, der bisher ziellos in seinen Adern herumgeflossen war, ballte sich plötzlich in seinem Magen zusammen wie ein feuriger Ball.

Den Roman „Die Lebenden und die Toten“ von Nele Neuhaus gibt es auch als Hörbuch.

 

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2015
Textauszüge: © Ullstein Buchverlage

Nele Neuhaus: Eine unbeliebte Frau (Verfilmung)
Nele Neuhaus: Mordsfreunde
Nele Neuhaus: Tiefe Wunden
Nele Neuhaus: Schneewittchen muss sterben (Verfilmung)
Nele Neuhaus: Wer Wind sät
Nele Neuhaus: Böser Wolf
Nele Neuhaus: Im Wald
Nele Neuhaus: Muttertag
Nele Neuhaus: In ewiger Freundschaft

Urs Widmer - Ein Leben als Zwerg
Die ersten Seiten von "Ein Leben als Zwerg" sind vor allem wegen der ungewohnten Perspektive und Gedankenwelt des Ich-Erzählers – eines Gummi-Zwerges – recht originell, lustig und unterhaltsam.
Ein Leben als Zwerg

 

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Mehr als zwei Jahrzehnte lang las ich rund zehn Romane pro Monat und stellte sie dann mit Inhaltsangaben und Kommentaren auf dieser Website vor. Zuletzt dauerte es schon einen Monat, bis ich ein neues Buch ausgelesen hatte. Aus familiären Gründen reduziere ich das Lesen und die Kommunikation über Belletristik.