Eyvind Johnson : Träume von Rosen und Feuer

Träume von Rosen und Feuer
Originalausgabe: Drömmar om rosor och eld Stockholm 1949 Träume von Rosen und Feuer Übersetzung: Walter Lindenthal Claassen Verlag, Hamburg 1952 Nobelpreis für Literatur Coron Verlag, Zürich o. J.
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Die Priorin und die Nonnen des Ursulinerinnenklosters in Loudon werden 1632 von Dämonen heimgesucht. Die herbeigerufenen Exorzisten nehmen an, dass der Prälat Urbain Grainier, der eine Patriziertochter geschwängert haben soll und heimlich mit einer jungen Frau zusammenlebt, die Klosterschwestern verhexte. 1634 wird er auf einem Scheiterhaufen verbrannt.
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Kritik

Für seinen auf historischen Ereignissen in Loudon basierenden Roman "Träume von Rosen und Feuer" hat Eyvind Johnson eine vielstimmige, multiperspektivische Erzählweise gewählt.
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Der Ratsherr Daniel Drouin, der die Ereignisse von 1617 bis 1634 in Loudon protokolliert, wurde 1592 als Sohn eines ortsansässigen Tischlermeisters geboren, der ihn später auf die Lateinschule in Loudon und dann auf die Jesuitenschule in Poitiers schickte. Nach dem Studium in Bordeaux kam Daniel Drouin als Beamter in seine Heimatstadt zurück. 1611 starb sein Vater und zwei Jahre später auch seine Mutter. Der Knecht und die Magd, die Daniel Drouin von seinen Eltern übernahm, leben bis 1619. In den folgenden beiden Jahren bekommt Séraphique Archer, die Tochter der beiden verstorbenen Bediensteten, die Daniel Drouin den Haushalt führt, zwei Kinder von ihm, von denen jedoch keines älter als ein Jahr wird. Als der Ratsherr Anfang 1625 die Beamtentochter Charlotte Coton aus Saumur heiratet, läuft Séraphique enttäuscht fort. Man sagt, sie sei mit einem Soldaten durchgebrannt.

Anfang August 1617 kommt der aus Le Mans stammende Geistliche Urbain Grainier in die südwestfranzösische Kleinstadt Loudon, und zwar als Pfarrer an der Kirche Saint Pierre und Domherr an der Kirche Sainte Croix. Daniel Drouin kennt ihn, denn er besuchte mit dem zwei Jahre Älteren zusammen das Jesuitengymnasium in Bordeaux.

Als Anfang 1619 Armand Jean du Plessis-Richelieu, der Bischof von Luçon und Prior von Coussay, nach Loudon kommt, verweigert ihm Urbain Grainier, der bedeutendste Prälat in Loudon, den Vortritt und erzürnt den Besucher. Das wird sich später als schwerer Fehler erweisen.

Im Frühjahr 1626 fällt Daniel Drouin auf, dass Philippe, die ältere der beiden Töchter des Königlichen Prokurators und Generalstaatsanwalts Louis Tranchant, schwanger zu sein scheint. Im April verschwindet sie vorübergehend aus der Stadt, und am 1. September 1626 hält er in seinem Protokoll fest, dass man sich in Loudon erzählt, sie habe ein uneheliches Kind geboren. Es handelt sich wohl um den Säugling, der von Philippes Cousin Jehan Minet in Sainte Croix getauft und als Kind von Marthe Le Peletier ins Taufbuch eingetragen wird. Die meisten in Loudon halten Urbain Grainier für den Vater.

Der Geistliche wird von vielen jungen Frauen umschwärmt, und es ist ein offenes Geheimnis in Loudon, dass er in wilder Ehe mit der fünf Jahre jüngeren Madeleine de Brone lebt, die schräg gegenüber der Kirche Sainte Croix im Haus des Ratsherrn Daniel Drouin ein Zimmer bewohnt und sich unbekümmert mit ihrem Geliebten am Fenster zeigt. Die Hure des Priesters wird sie deshalb genannt.

Am 2. Dezember 1626 gründen acht Ursulinerinnen aus Poitiers in Loudon ein neues Kloster. Als die Priorin Gabriele de Fève bald darauf stirbt, wird Jeanne de Beaucil ihre Nachfolgerin. Jeanne, die ihre Gelübde am 8. September 1623 in Poitiers ablegte, hat zwar einen verkrümmten Rücken, aber ihr Gesicht ist hübsch. Mit mehr als vierzig Jahren ist Schwester Anne die Älteste der Ursulinerinnen in Loudon. Als junges Mädchen hatte man sie mit einem fast sechzigjährigen Witwer verheiratet, der nach zwei Jahren Ehe gestorben war. Danach ging sie ins Ursulinerinnenkloster von Bordeaux.

Séraphique kommt am 11. Dezember 1626 als Prostituierte nach Loudon zurück.

Am 15. November 1629 wird Urbain Grainier in Poitiers festgenommen und im Bischofspalast eingesperrt. Generalstaatsanwalt Louis Tranchant beschuldigt ihn, junge Frauen verführt zu haben. Am 4. Januar 1630 verfügt das Präsidialgericht von Poitiers seine Freilassung, aber Urbain Grainier muss drei Monate lang freitags streng fasten. Das geistliche Amt darf er in Loudon fünf Jahre lang und im Bistum Poitiers auf Lebenszeit nicht ausüben. Der Gouverneur Jean d’Armagnac und Escoubleau de Sourdis, der Erzbischof von Bordeaux, setzen sich für Urbain Grainier ein. Am 8. September 1630 verweist das Parlamentsgericht in Paris den Fall zurück nach Poitiers. Als der Priester am 1. November hinfährt, um seine Angelegenheit zu vertreten, wird er noch einmal einige Tage lang inhaftiert. Am 26. Mai 1631 erklärt das Gericht alle Anschuldigungen gegen ihn für haltlos, und am 23. November erhält Urbain Grainier alle priesterlichen Rechte zurück. Freunde raten ihm, trotzdem Loudon zu verlassen, aber der rehabilitierte Geistliche bleibt.

Weil Generalstaatsanwalt Louis Tranchant falsche Zeugenaussagen gegen Urbain Grainier verwendete – nicht zuletzt aus Rache für die Schwängerung seiner Tochter Philippe –, muss er sein Amt aufgeben. Louis Poussaut kauft es ihm für wenig Geld ab und heiratet Tranchants inzwischen neunundzwanzigjährige Tochter Philippe.

Von April bis September 1632 wütet die Pest in Loudon.

Seit März 1632 berichten einige der Ursulinerinnen ihrer Priorin Jeanne von nächtlichen Dämonen-Besuchen, aber auch die Priorin selbst wird von erotischen Träumen und hysterischen Anfällen heimgesucht. Zu den Besessenen gehört Séraphique Archer, die Ende 1630 in das Kloster eintrat. Unter den Ermahnungen ihres Beichtvaters Jean Minet winden sich die Nonnen in obszönen Konvulsionen; sie werfen sich hin und her wie angekettete Gefangene, die der Peitsche auszuweichen versuchen. Jeanne reißt ihren Rock auf und zeigt dem Kanonikus die Körperöffnungen, durch die vier bis sechs Dämonen in sie einfuhren. Weil die Besessenen wiederholt „Urbanus“ kreischen, wird Urbain Grainier verdächtigt, die Ursulinerinnen verhext zu haben.

Deshalb kommt der siebenunddreißigjährige Exorzist Pierre Barrot aus Chinon nach Loudon. Sein Rücken ist wie der Jeannes verkrümmt, und zwar aufgrund eines Wutanfall seines Vaters Eusèbe Barrot, der Staatsanwalt und Richter in Poitiers war. Der hatte ihn, als er noch ein Säugling war, aus der Wiege gerissen, als Hurenbalg beschimpft und auf den Boden geschleudert. Mit siebzehn musste er seinen Vater auf einer Geschäftsreise nach Paris begleiten. Unterwegs übernachteten sie in einem Gasthaus, und da überraschte Pierre Barrot die Ehefrau des Wirts nackt im Bett seines Vaters.

Armand Jean du Plessis-Richelieu, der 1622 zum Kardinal und zwei Jahre später zum Ersten Minister von König Ludwig XIII. ernannt wurde, hat den Affront durch Urbain Grainier bei seinem Besuch 1619 in Loudon nicht vergessen. Der Priester gehört außerdem zu der Partei in Loudon, die gegen das 1631 auf Anordnung Richelieus begonnene Schleifen der Stadtbefestigung protestiert. Deshalb passt es dem Ersten Minister gut in seine Pläne, als er davon hört, dass Urbain Grainier die Ursulinerinnen in Loudon verhext haben soll. Am 30. November 1633 bevollmächtigt er Jean-Martin Baron de Laubardemont, gegen den Beschuldigten einen Gerichtsprozess anzustrengen. Der für die Überwachung der Abbrucharbeiten in Loudon zuständige Königliche Kommissar ist dafür genau der Richtige. „Gebt mir nur drei Zeilen von der Schrift eines Mannes“, prahlte er einmal, „und ich kann seine Verurteilung durchsetzen wegen Ketzerei, Hochverrats oder jedes beliebigen Verbrechens.“ (Seite 198)

In der Nacht auf den 6. Dezember beteuert Urbain Grainier seiner Lebensgefährtin Madeleine de Brone in deren Zimmer noch einmal seine Liebe.

Ich habe uns getraut, vor Gott bist du meine Frau. Aber meine Sünde war, dass ich glaubte, es sei eine Sünde, wenn wir uns selbst trauten, wenn ich dich mir antraute. Jetzt glaube ich nicht mehr, dass das eine Sünde war. Aber als ich damals behauptete, wir seien schuldlos, da log ich. (Seite 283)

Die beiden lieben sich in dieser Nacht ein letztes Mal.

Am 6. Dezember 1633 kehrt de Laubardemont aus Paris zurück und beauftragt Guillaume Aubin in Chinon, Urbain Grainier zu verhaften. Obwohl Aubin den Priester warnen lässt, bleibt dieser in Loudon, wird am 7. Dezember morgens von Polizisten aus Chinon verhaftet, nach Angers gebracht und dort im Schloss eingesperrt. Am 16. April 1634 bringt man ihn nach Loudon zurück. Im Haus des Kanonikus Jehan Minet wurde eigens das Fenster eines Zimmers zugemauert, damit der Gefangene dort untergebracht werden kann. Der Kirchendiener Bontemps und dessen Frau bewachen ihn. Daniel Drouin hört auf der Straße die Schreie, wenn fünf Männer den vermeintlichen Hexer auf Dämonenzeichen untersuchen und ihn durch Nadelstiche etwa in die Hoden auf seine Schmerzempfindlichkeit untersuchen.

Madeleine de Brone wird am 24. Mai eingesperrt, und zwar ausgerechnet im Haus von Pierre Milouin, der ihr früher nachgelaufen, von ihr jedoch abgewiesen worden war. Auf Anordnung des Bailli de Cerisay kommt sie nach zwei Tagen allerdings wieder frei.

Der Exorzist Pierre Barrot und zwei seiner Kollegen konfrontierten Urbain Grainier am 24. Juni in der Kirche Sainte Croix mit den besessenen Ursulinerinnen.

Sie heulten förmlich auf, als ich mich direkt an sie wandte. Ich hatte nicht gewusst, dass die Sprache der Dämonen so grob ist […]
Die Frauen heulten auf mich ein. Sie rissen sich die Hauben ab und entblößten ihr Haar, dies schwarze, graumelierte oder helle, wehende, schweißdurchnässte Frauenhaar. Als ich ihr Haar sah, fühlte ich wieder Verlockung. Sie rissen ihre Kleider entzwei. Wir dachten alle: Das sind die Dämonen, die mit Hilfe der besessenen Hände die Kleider von den Frauenleibern reißen. Sie zerfetzten die Kleider. Die unbedeckten straffen oder schlaffen Frauenbrüste wurden mir zugekehrt, und ich erinnere mich, dass ich dachte: Jetzt sehe ich das wahre Gesicht dieser Frauen. Sie zeigten ihre Beine und Schenkel, sie wanden sich in wunderlichen Stellungen, die von wildem Begehren zeugten, von toller Lust. Sie berührten ihre Brüste und ihren Unterleib, als wollten sie Brüste und Schoß zu mir emporheben. Ich empfand Schreck und Ekel, aber in meinem Schreck und Abscheu lag doch auch eine gewisse Befriedigung: eine Art Lust.
Immer wieder versuchte ich, den Frauen zuzurufen: „Ich bin unschuldig!“ Sie hörten mich nicht, und in meinem Herzen und Körper fühlte ich, dass ich nicht unschuldig war. (Seite 309f)

Obwohl Jeanne de Beaucil und Claire de Sazilly ihre Beschuldigungen gegen Urbain Grainier inzwischen zurückzogen und gestanden, dass sie gelogen hatten und von sündigen Gelüsten getrieben worden waren, beginnt am 15. August 1634 im Rathaus von Loudon der Hexerprozess. Drei Tage lang verhören die Richter den Angeklagten. Der leugnet zwar nicht seine Unkeuschheit, aber mit der angeblichen Verhexung der Ursulinerinnen will er nichts zu tun haben. Mit gefesselten Händen, nur mit einem sackleinenen Hemd bekleidet, wird Urbain Grainier am 18. August morgens im Rathaussaal noch einmal vergeblich aufgefordert, ein Geständnis zu unterschreiben. Daraufhin beginnt die Folter im so genannten spanischen Stiefel: An die Innen- und Außenseiten der Beine werden Holzbretter gebunden. Zwischen Bretter und Beine treiben die Folterknechte mit wuchtigen Hammerschlägen immer größere Keile, bis das Mark aus den zerquetschten Knochen quillt. Noch einmal wird Urbain Grainier vor de Laubardemont geschleppt, aber er unterzeichnet noch immer nicht. Inzwischen haben die im Karmeliterkloster an der Bartraykirche versammelten Richter Urbain Grainier in Abwesenheit wegen schwarzer Magie, Gottlosigkeit, Gotteslästerung und der Besessenheit der Nonnen verurteilt. Um 16 Uhr fährt man ihn in einem geschwefelten Hemd und mit einem Strick um den Hals in einem Maultierkarren zur Kirche Saint Pierre, zum Ursulinerinnenkloster und zum Platz vor der Kirche Sainte Croix, wo der Scheiterhaufen vorbereitet ist. An jeder Station wird Urbain Grainier aus dem Karren gehoben und muss sich das Urteil anhören. Schließlich bindet man ihn an einen Pfahl im Scheiterhaufen. Die Schaulustigen drängen sich auf dem Platz und klammern sich auf den umliegenden Dächern an den Schornsteinen fest. Einer der Exorzisten reicht dem Delinquenten ein an einem Stab befestigtes, vorher erhitztes Kruzifix zum Kuss. Als der Verurteilte unwillkürlich zurückzuckt, gilt das als Beweis dafür, dass er den Heiland verleugnet. Zornig reißt jemand dem Henker die brennende Fackel aus der Hand und entzündet den Scheiterhaufen, bevor Urbain Grainier wie üblich erdrosselt werden kann: Er verbrennt bei lebendigem Leib.

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Dem Roman „Träume von Rosen und Feuer“ liegen historische Ereignisse in Loudon zugrunde, die wir auch aus anderen Werken kennen (zum Beispiel aus „Die Teufel von Loudun“ von Aldous Huxley). Eyvind Johnson hat dafür eine vielstimmige, multiperspektivische Erzählweise gewählt. Auszüge aus den Protokollen eines Zeitgenossen, Aufzeichnungen des der Hexerei angeklagten Priesters im Gefängnis, innere Monologe von Beteiligten und aus unterschiedlichen Blickwinkeln geschilderte Szenen wechseln sich ab. Je nachdem ändert sich auch der Stil, aber insgesamt wirkt „Träume von Rosen und Feuer“ wie ein sachlicher Bericht. Weil einige der Ereignisse aus mehreren Perspektiven dargestellt werden, kommt es immer wieder zu offenbar von Eyvind Johnson gewollten Wiederholungen.

Eyvind Johnson (1900 – 1976) wuchs bei Pflegeeltern in der schwedischen Provinz auf. Mit neunzehn zog er nach Stockholm. Von dort reiste er als blinder Passagier nach Deutschland und lebte in Frankfurt am Main, bis er 1929 nach Schweden zurückkehrte. 1957 wurde er in die Schwedische Akademie aufgenommen, und 1974 erhielt er zusammen mit seinem Landsmann Harry Martinson den Nobelpreis für Literatur. Der Autodidakt Eyvind Johnson gilt als bahnbrechender Vertreter der schwedischen Proletarierdichtung.

Eyvind Johnson: Bibliografie (Auswahl)

  • Kommentar zu einer Sternschnuppe (1929)
  • Hier hast du dein Leben (1934 – 1937)
  • Rückkehr des Soldaten (1940)
  • Gruppe Krilon (1941)
  • Krilons Reise (1942)
  • Krilon selbst (1943)
  • Die Heimkehr des Odysseus (1946)
  • Träume von Rosen und Feuer (1949)
  • Wolken über Metapont (1957)
  • Eine große Zeit (1960)
  • Reise ins Schweigen (1973)
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Inhaltsangabe und Rezensin: © Dieter Wunderlich 2005
Textauszüge: © Claassen Verlag.
Seitenangaben beziehen sich auf Band 69 der Reihe
„Nobelpreis für Literatur“, Coron Verlag, Zürich o. J.

Der Hexerprozess gegen Urbain Grandier, Loudon 1634

Anna Enquist - Denn es will Abend werden
Der bewegende Roman "Denn es will Abend werden" dreht sich um die Frage, wie Menschen auf ein Trauma reagieren. Wir beobachten zwei Frauen und zwei Männer, die auf vier verschiedene Weisen mit dem gemeinsam Erlebten umzugehen versuchen. Anna Enquist leuchtet die psychologischen Vorgänge in "Denn es will Abend werden" gründlich aus, ohne durch Erläuterungen den Handlungsverlauf zu stören.
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Mehr als zwei Jahrzehnte lang las ich rund zehn Romane pro Monat und stellte sie dann mit Inhaltsangaben und Kommentaren auf dieser Website vor. Zuletzt dauerte es schon einen Monat, bis ich ein neues Buch ausgelesen hatte. Aus familiären Gründen reduziere ich das Lesen und die Kommunikation über Belletristik.