Der Hexerprozess gegen Urbain Grandier

In den Zwanzigerjahren des 17. Jahrhunderts wurde die ehrgeizige Ursulinenschwester Jeanne des Anges Priorin eines neu gegründeten Klosters in der südwestfranzösischen Kleinstadt Loudon. Bald erfuhr Mutter Johanna von den Engeln gerüchtweise, dass Urbain Grandier, der seit 1617 als Priester in Loudon wirkte, heimliche Affären mit zwei jungen Frauen habe. Trotzdem oder gerade deshalb schlug sie den lasterhaften Geistlichen als Nachfolger des verstorbenen Beichtvaters des Ursulinenklosters vor. Urbain Grandier lehnte das Angebot jedoch ab.

Daraufhin wurde Jeanne des Anges von erotischen Träumen und hysterischen Anfällen heimgesucht, die man sich damals nur durch die Besessenheit mit Dämonen erklären konnte. Verzweifelt ließ sie sich von den Schwestern geißeln, aber statt Jeanne zu helfen, löste die Prozedur bei den anderen Nonnen eine ähnliche Raserei aus. Immer wieder schrien die besessenen Klosterschwestern nach Urbain Grandier. Deshalb nahmen die Exorzisten an, der Geistliche habe die Nonnen und deren Priorin verhext.

Jean-Martin Baron de Laubardemont, ein Sonderkommissar des französischen Königs, verschaffte sich selbst ein Bild von dem Chaos im Ursulinenkloster von Loudon und berichtete darüber dem Ersten Minister der königlichen Regierung, Kardinal Armand Jean du Plessis-Richelieu. Der kannte den Namen Urbain Grandier bereits, denn dieser hatte 1618 eine Polemik gegen ihn verfasst. Richelieu befahl 1633, den Geistlichen festzunehmen und ihm den Hexerprozess zu machen.

Obwohl Urbain Grandier gefoltert wurde, weigerte er sich, zu gestehen, er habe Jeanne des Anges und die Ursulinenschwestern verhext. Dennoch wurde er aufgrund von Indizien 1634 zum Tod verurteilt und auf dem Scheiterhaufen verbrannt, nachdem man ihm zuvor noch die Beine samt den Knochen zerquetscht hatte.

Die Exorzisten hatten noch drei Jahre zu tun, bis in dem Ursulinenkloster von Loudon wieder Ruhe einkehrte.

Jeanne des Anges starb 1665.

Von ihr geschriebene Berichte über die Ereignisse blieben erhalten. François Gayot de Pitaval nahm den Gerichtsprozess gegen Urbain Grandier in seine 1734 bis 1743 publizierte neunbändige Sammlung „sonderbarer Rechtshändel“ auf

(„Causes célèbres et intéressantes, avec les jugements qui les ont décidées“). 1843 erschien der Roman „Urban Grandier und die Besessenen von Loudun“ von Willibald Alexis. Die historischen Ereignisse 1633/34 in Loudon liegen auch dem 1949 veröffentlichten Roman „Träume von Rosen und Feuer“ des schwedischen Nobelpreisträgers Eyvind Johnson zugrunde. 1952 publizierte Aldous Huxley seinen Roman „The Devils of Loudun“ („Die Teufel von Loudun“, 1955). John Robert Whiting dramatisierte Huxleys Roman („The Devils“, Uraufführung: London 1961), und Krzysztof Penderecki machte aus Erich Frieds deutscher Übersetzung des Bühnenstücks von John Robert Whiting die am 20. Juni 1969 in Hamburg uraufgeführte Oper „Die Teufel von Loudun“. 1970 kam die Verfilmung des Huxley-Romans durch Ken Russell unter dem Titel „Die Teufel“ ins Kino. Bereits neun Jahre zuvor hatte Jerzy Kawalerowicz die historischen Ereignisse in Loudon in seinem Film „Mutter Johanna von den Engeln“ aufgegriffen.

Manche Autoren nennen den als Hexer verbrannten Geistlichen Urban, andere Urbain, die einen schreiben Grandier, andere Grainier. Für den Ort des Geschehens gibt es die Schreibweisen Loudon und Loudun.

Literatur:

  • Nicolas Aubin: Geschichte der Teufel von Loudun. Oder der Besessenheit der Ursulinerinnen und von der Verdammung und Bestrafung von Urbain Grandier,
    Pfarrer derselben Stadt (1980)
  • Michael Farin (Hg.): Sœur Jeanne des Anges. Memoiren einer Besessenen. Mit einem Essay über zwei weitere Fälle religiösen Wahns (1989)

© Dieter Wunderlich 2005

Exorzismus

Eyvind Johnson: Träume von Rosen und Feuer
Jerzy Kawalerowicz: Mutter Johanna von den Engeln
Ken Russell: Die Teufel

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Unbekümmert über Fragen der Plausibilität erzählt Hanns-Josef Ortheil in "Faustinas Küsse" eine spielerisch-lockere, unterhaltsame Geschichte, die sich aus einer originellen Idee entwickelt.
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