Ödön von Horváth : Geschichten aus dem Wiener Wald

Geschichten aus dem Wiener Wald
Geschichten aus dem Wiener Wald Uraufführung: Berlin 1931 Hg.: Klaus Kastberger, Nicole Streitler Reclam Verlag, Ditzingen 2009 ISBN: 978-3-15-018613-8, 243 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Mariannes Vater erwartet, dass sie ihm wie eine Dienstmagd die Sockenhalter sucht und den Mann heiratet, den er aus wirtschaftlichen Gründen für sie ausgesucht hat. Sie versucht, aus der Bevormundung auszubrechen und glaubt, sich an der Seite eines anderen Mannes selbst verwirklichen zu können. Aber der naive Emanzipationsversuch scheitert ...
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Kritik

Bei dem 1931 uraufgeführten Volksstück "Geschichten aus dem Wiener Wald" von Ödön von Horváth handelt es sich um eine bitterböse, tragikomische Gesellschaftssatire.
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In einer Straße im 8. Bezirk von Wien befinden sich die Puppenklinik und Spielwarenhandlung des „Zauberkönigs“ Leopold, eine von Oskar und seinem Gehilfen Ladislaus Havlitschek betriebene Fleischerei und die Tabak-Trafik der Kanzleiobersekretärswitwe Valerie. Der Zauberkönig ist ebenfalls Witwer; seine Frau Irene starb vor einiger Zeit an Brustkrebs. Seither lässt er sich von seiner Tochter Marianne wie von einer Dienstmagd bedienen.

Schließlich will er sie mit dem derben Metzger von nebenan verheiraten, dessen Geschäft recht gut läuft. Die Verlobung soll bei einem Picknick am Ufer der Donau erfolgen, an dem auch Erich teilnimmt, ein nationalsozialistisch gesinnter Neffe des Zauberkönigs aus Kassel. Valerie bringt ihren sehr viel jüngeren Geliebten Alfred mit, der seine Stelle bei einer Bank aufgegeben hat und sich von ihr aushalten lässt. Mit den Worten „Meine lieben Freunde!“ wendet der Zauberkönig sich an die kleine Gesellschaft. „Zu guter Letzt war es ja schon ein öffentliches Geheimnis, dass meine liebe Tochter Marianne einen Blick auf meinen lieben Oskar geworfen hat.“ Doch während er die Verlobung bekannt gibt, hat Marianne nur Augen für Alfred, der sie umschleicht und sich deshalb mit Valerie überworfen hat, die daraufhin Erich umgarnt.

Als der Zauberkönig seine Tochter bei einem heimlichen Kuss mit Alfred ertappt, bekennt Marianne sich mutig zu ihrer neuen Beziehung: „Gott hat mir im letzten Augenblick diesen Mann zugeführt!“ Der Zauberkönig verstößt sie.

Marianne zieht zu ihrem Geliebten in ein möbliertes Zimmer im 18. Bezirk. Alfred versucht sich als Vertreter für Kosmetikartikel, aber er ist zu bequem, um dabei Erfolg zu haben. Lieber setzt er geliehenes Geld bei Pferdewetten und hofft auf das Glück.

Nach einem Jahr – Marianne und Alfred haben inzwischen einen kleinen Sohn mit Namen Leopold – lässt Alfred sich von seiner Großmutter bestechen, die immer noch an seine Zukunft glaubt und deshalb möchte, dass er sich von seiner Geliebten und dem ungewollten Kind trennt. Mit Hilfe seines zwielichtigen Freundes Ferdinand Hierlinger bringt Alfred Marianne zu einer älteren Baroness, die bereit ist, die junge Frau zur Tänzerin für ein Tingeltangel auszubilden. Den kleinen Leopold vertraut Marianne der Mutter und der Großmutter Alfreds an, die bei einer Burgruine in der Wachau leben.

Marianne bereut, dass sie mit einem Mann in Sünde gelebt hat und geht zur Beichte in den Stephansdom. Der Priester verlangt von ihr, auch die Geburt ihres unehelichen Kindes zu bereuen, aber dazu ist sie nicht bereit, und der Beichtvater verweigert ihr daraufhin die Absolution.

Während eines feucht-fröhlichen Abends in einer Heurigen-Gartenwirtschaft werden der Zauberkönig, Valerie, Oskar, ein Rittmeister – bei dem es sich um einen guten Kunden der Metzgerei handelt –, sowie ein aus Wien stammender, aber in die USA ausgewanderter Freund des Rittmeisters vom Regen überrascht. Sie beschließen deshalb, ins „Maxim“ auszuweichen.

Der Zauberkönig amüsiert sich prächtig. Auf der Bühne wird ein „lebendes Aktbild“ mit dem Titel „Die Jagd nach dem Glück“ angekündigt. Obwohl Valerie bereits betrunken ist, erkennt sie in der halbnackten Hauptdarstellerin Marianne. Es kommt zu einem Skandal, und die Aufführung wird abgebrochen.

Der „Mister“ bietet Marianne heimlich Geld an und will sie begrabschen. Sie weist ihn zurück. Da beschuldigt er sie lauthals, ihn bestohlen zu haben, und Marianne, bei der tatsächlich ein 100-Schilling-Schein gefunden wird, muss ins Gefängnis. Ihr Vater erleidet vor Scham und Schreck einen Schlaganfall.

Nachdem Valerie und Erich ihre Affäre beendet haben, wendet Alfred sich an Oskar, damit dieser ihm hilft, sich wieder mit Valerie zu versöhnen. Die beiden Männer sind sich einig, dass Alfred an der Affäre mit Marianne nicht Schuld war; sie sind überzeugt, dass die Frauen gar nicht so passiv sind, wie es den Anschein hat, sondern in Wirklichkeit die Fäden ziehen.

Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.

Nur Valerie zeigt Verständnis für Marianne, als diese gedemütigt aus dem Gefängnis kommt und im Interesse ihres Kindes zu ihrem Vater will. Der Zauberkönig verzeiht Marianne, und Oskar wäre immer noch bereit, sie zu heiraten. Allerdings weigert er sich, das Kind mit aufzunehmen.

Der Zauberkönig, Marianne, Oskar sowie Valerie und Alfred, die aufs Neue zusammen sind, brechen zu einem Besuch in die Wachau auf. Dort möchte der Zauberkönig seinen Enkel sehen. Aber den hat Alfreds Großmutter inzwischen umgebracht. Marianne kann nicht mehr; willenlos folgt sie Oskar.

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Das Volksstück „Geschichten aus dem Wiener Wald“ von Ödön von Horváth wurde 1931 in Berlin uraufgeführt. Mit dem Titel griff Ödön von Horváth auf einen Walzer von Johann Strauß Sohn aus dem Jahr 1868 zurück („Geschichten aus dem Wienerwald“, op. 325), aber er trennte das Wort „Wienerwald“. „Geschichten aus dem Wiener Wald“ suggeriert ein aus Episoden bestehendes Theaterstück, tatsächlich handelt es sich bei Ödön von Horváths Bühnenwerk jedoch um ein geschlossenes Drama.

„Geschichten aus dem Wiener Wald“ ist eine bitterböse, tragikomische Gesellschaftssatire.

Marianne wächst in einer patriarchalischen Umgebung auf. Ihr Vater erwartet, dass sie ihm gehorcht, ihm wie eine Dienstmagd die Sockenhalter sucht und den Mann heiratet, den er aus wirtschaftlichen Gründen für sie ausgesucht hat. Wenn die Frau einmal finanziell unabhängig vom Mann wäre, sei das der letzte Schritt zum Bolschewismus, behauptet der Zauberkönig. Sie versucht, aus der Bevormundung durch ihren Vater auszubrechen und die Fremdbestimmung in der Ehe zu vermeiden. An der Seite Alfreds glaubt sie, sich selbst verwirklichen zu können. Aber der naive Emanzipationsversuch scheitert. Allerdings beweisen Valerie und Alfreds Großmutter, dass es Frauen durchaus gelingen kann, sich in diesem patriarchalischen Milieu zu behaupten.

Bei dem bornierten Geistlichen in der katholischen Kirche findet Marianne weder Mitleid noch auf Verständnis.

Die Kleinbürger, um die es in „Geschichten aus dem Wiener Wald“ geht, kommunizieren vor allem durch Floskeln miteinander. Mit ihrer biederen Heuchelei versuchen sie, ihren Egoismus und ihren Materialismus zu verbergen. Auf der „Jagd nach dem Glück“ – so der Titel eines der „lebenden Bilder“ auf der Bühne des „Maxim“ – treten sie sich gegenseitig nieder.

Am Schluss ist eigentlich alles wieder so wie zu Beginn. Das unterstreicht Ödön von Horváth durch den ringförmigen Aufbau des Stücks, das in der Wachau beginnt und dort auch endet.

Auf Vorschlag von Carl Zuckmayer erhielt Ödön von Horváth für „Geschichten aus dem Wiener Wald“ 1931 den Kleist-Preis.

Das Volksstück wurde mehrmals verfilmt, unter anderem von Maximilian Schell: „Geschichten aus dem Wiener Wald“.

Ödön von Horváth wurde 1901 im heutigen Rijeka als Sohn eines österreichisch-ungarischen Diplomaten und einer ungarisch-deutschen Mutter geboren. 1924 zog er nach Berlin, wo er dann auch die Volksstücke schrieb, mit denen er berühmt wurde. Als 1933 die Nationalsozialisten an die Macht kamen, konnte er nicht mehr mit Aufführungen in Deutschland rechnen. 1938 emigrierte er über Budapest und Prag nach Paris, wo er noch im gleichen Jahr auf den Champs Elysées von einem herabstürzenden Ast erschlagen wurde.

Ödön von Horvath: Bibliografie (Auswahl)

  • Revolte auf Côte 3018 (Uraufführung 1927 – Die Bergbahn)
  • Der ewige Spießer (Roman, 1930)
  • Italienische Nacht (Uraufführung 1931)
  • Geschichten aus dem Wiener Wald (Uraufführung 1931)
  • Liebe, Pflicht und Hoffnung (Uraufführung 1936 – Glaube, Liebe, Hoffnung)
  • Don Juan kommt aus dem Krieg (Uraufführung 1937)
  • Figaro lässt sich scheiden (Uraufführung 1937)
  • Jugend ohne Gott (Roman, 1937)
  • Ein Kind unserer Zeit (Roman, 1937)

 

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2006

Maximilian Schell: Geschichten aus dem Wiener Wald

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Mit schlichten Hauptsätzen imitiert Michael Köhlmeier in "Das Mädchen mit dem Fingerhut" die Auffassungs­gabe des Flüchtlingskindes und dessen Kommunikations­schwierig­keiten. Das bittere, ergreifende Großstadt­märchen spiegelt unsere Gesellschaft.
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Mehr als zwei Jahrzehnte lang las ich rund zehn Romane pro Monat und stellte sie dann mit Inhaltsangaben und Kommentaren auf dieser Website vor. Zuletzt dauerte es schon einen Monat, bis ich ein neues Buch ausgelesen hatte. Aus familiären Gründen reduziere ich das Lesen und die Kommunikation über Belletristik.