Elke Heidenreich : Nero Corleone

Nero Corleone
Nero Corleone Carl Hanser Verlag, München / Wien 1995
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Ein kleiner im November geborener Kater hatte vor keinem anderen Tier unnötigen Respekt, noch nicht einmal vor dem Hofhund, und so kam es, dass ihn Hund, Esel und Hühner nach ein paar Wochen "Nero Corleone" nannten: schwarzes Löwenherz. ...
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Kritik

In der Fabel "Nero Corleone" geht es um Geburt, Leben, Liebe, Heimat, Altern und Sterben. Aber das merkt man beim Lesen kaum, weil Elke Heidenreich die Katzengeschichte so packend erzählt, dass man sie erst einmal in einem Zug verschlingt.
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„Troppi gatti! Troppi gatti!“ — „Zu viele Katzen!“, rief der Bauer, wenn er wieder einmal einen Katzenwurf übersehen hatte, denn sobald die Kätzchen hinter der Mutter herstolperten, brachte er es nicht mehr übers Herz, sie zu ertränken. Auch einen schwarzen Kater mit einer weißen Pfote und dessen drei Geschwister, die an einem Freitag, den 17., und noch dazu im Unglücksmonat November, mittags um 12 Uhr zur Welt gekommen waren, entdeckte er erst Anfang Dezember. „‚Porco dio!‘, schrie der Bauer, ‚quattro! E un nero!‘ Den Fluch übersetze ich lieber nicht, aber der Rest heißt: ‚Vier! Und ein schwarzes!'“

Der kleine Kater hatte vor keinem anderen Tier unnötigen Respekt, noch nicht einmal vor dem Hofhund, und so kam es, dass ihn Hund, Esel und Hühner nach ein paar Wochen „Nero Corleone“ nannten: schwarzes Löwenherz.

In der Nähe des Bauernhofes, auf dem Nero Corleone aufwuchs, stand ein Ferienhaus, in dem ein deutsches Ehepaar viermal im Jahr Urlaub machte. Sobald das erste Mal die Fensterläden geöffnet wurden — es war an Silvester –, sprang der abenteuerlustige schwarze Kater mit der weißen Pfote ins Zimmer. „Zuerst klärte er mögliche Gefahren ab: Gab es Hühner mit scharfen Schnäbeln? Einen Hund? Jemanden, der einen Pantoffel nach ihm werfen würde?“ Nein, da knisterte nur das Feuer im Kamin. Isolde und Robert packten nebenan ihre Koffer aus. Vorsichtig überquerte Nero Corleone den Teppich, sprang dann auf das grüne Sofa mit den dicken rosa Kissen, rollte sich auf dem weichen Polster zusammen, schnurrte und schlief ein.

Isolde war verwundert, als sie den Kater auf dem Sofa entdeckte. Gleich ging sie in die Küche und gab ihm etwas Milch. „Robert, komm mal gucken, was für einen niedlichen Besuch wir haben!“, rief sie ins angrenzende Zimmer.

Am Neujahrstag blieben die Fensterläden lange geschlossen. Doch als sie aufgeklappt wurden, war Nero Corleone zur Stelle. Er brachte auch seine Schwester Rosa mit, die ein wenig schielte und um die er sich kümmerte, weil sie sehr ängstlich und ein wenig ungeschickt war. Sie wurden mit Isoldes Frühstücksei gefüttert und eroberten rasch das Herz der deutschen Blondine.

Nach drei Wochen ging der Aufenthalt der beiden Feriengäste dem Ende zu. Isolde konnte sich von den beiden Katzen nicht trennen und überredete ihren Mann, sie mit nach Köln zu nehmen. Der Bauer, den sie um Erlaubnis fragten, stimmte rasch zu. „Troppi gatti!“, meinte er.

Die zehnstündige Fahrt im Auto war furchtbar, nicht nur für die Katzen, sondern auch für die Menschen, die hin und wieder das Radio einschalteten, um das Gejaule zu übertönen. Aber in Köln verlor Nero Corleone keine Zeit: Bereits in der ersten Nacht, als alle schliefen, entwischte er durch einen Fensterspalt und begann sich unter den Tieren in der Umgebung Respekt zu verschaffen. Er freundete sich mit dem Kater des Komponisten Kagel an und verliebte sich in die silbergraue Karthäuserin von Fräulein von Kleist, die fast alle Katzenschönheitspreise gewonnen hatte. Für die gute Pflege nahm es Nero Corleone auch in Kauf, dass ihn Isolde „Putzelchen“ oder „Prinzchen“ rief.

„Und so gingen die Jahre ins Land. Roberts Haare wurden dünner und seine Brillen dicker, Isolde lernte es endlich doch noch, Pfannkuchen zu backen, die nicht in der Pfanne kleben blieben, und Nero und Rosa waren so glücklich, wie Katzen nur sein können.“ Doch schließlich ging Rosas Katzenleben zu Ende. Robert hob im Garten unter der Magnolie ein Grab für sie aus. Da brachte Isolde es nicht fertig, wie üblich für ein paar Tage nach Italien zu fahren und Nero Corleone in der Obhut von Frau Wiegand zurückzulassen: Sie nahm den 15 Jahre alten Kater mit.

Die Fahrt war nicht so schlimm, denn Nero Corleone verbrachte sie mit Schlafen. Seine alte Heimat kam ihm kleiner vor als er sie in Erinnerung hatte. Von einer Haselnusshecke aus beobachtete er das Treiben auf dem Bauernhof, aber er schlief bald ein und wachte erst mit einem gehörigen Schrecken auf, als ihn eine junge Katze anstupste, in die er sich auf der Stelle verliebte. Von Grigiolina erfuhr er, dass die Tiere auf dem Bauernhof von einem mutigen schwarzen Kater mit weißer Pfote redeten, der vor vielen Jahren nach Deutschland gegangen war. „‚Grigiolina‘, sagte er ernst und mit seinem tiefsten Katergrollen und legte der Grauen seine weiße Pfote fest auf den kleinen Kopf: ‚Spring hinüber und sag es allen: Don Nero Corleone ist zurückgekehrt.'“

Vier Tage vor der geplanten Rückreise nach Deutschland kroch er zu der schlafenden Isolde ins Bett, schmiegte sich an ihr Bein und schnurrte. Dann steckte er seine Nase „noch einmal tief in ihren blauen Samtpantoffel“ und lief zum Bauernhof. Dort versteckte er sich im Heu. Vier Tage und vier Nächte hörte er Isolde nach ihm rufen. Aber er rührte sich nicht. Schließlich wurde das Auto beladen. Als es abfuhr, kletterte er aufs Dach und sah den beiden Deutschen lange nach.

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In der Fabel „Nero Corleone“ geht es um Geburt, Leben, Liebe, Heimat, Altern und Sterben. Aber das merkt man beim Lesen kaum, weil Elke Heidenreich die Katzengeschichte so packend erzählt, dass man sie erst einmal in einem Zug verschlingt. Ein anrührendes Märchen auch für Erwachsene, geschrieben in einer außergewöhnlich musikalischen Sprache, mit viel Ironie und Feingefühl.

Quint Buchholz lieferte dazu die passenden Illustrationen.

 

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2002

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Mehr als zwei Jahrzehnte lang las ich rund zehn Romane pro Monat und stellte sie dann mit Inhaltsangaben und Kommentaren auf dieser Website vor. Zuletzt dauerte es schon einen Monat, bis ich ein neues Buch ausgelesen hatte. Aus familiären Gründen reduziere ich das Lesen und die Kommunikation über Belletristik.