Alex Capus : Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer
Inhaltsangabe
Kritik
Die drei Hauptfiguren des Romans „Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer“ könnten sich im November 1924 auf dem Zürcher Hauptbahnhof begegnet sein: Emile Gilliéron („der Fälscher“) sitzt im Schnellzug nach Genf. Er kommt aus Athen, wo seine Frau und sein Sohn auf ihn warten, hatte geschäftlich in Geislingen zwischen Ulm und Göppingen zu tun und fährt nun weiter nach Villeneuve am Genfersee, um dort die Asche seines in Athen verstorbenen Vaters zu verstreuen, die er in einer Zigarrenkiste bei sich hat. Möglicherweise handelt es sich auch um irgendeine andere Asche, denn die in Griechenland verbotene Einäscherung musste heimlich stattfinden. Es war aber die einzige Möglichkeit, den letzten Wunsch des Vaters, in der Heimat bestattet zu werden, ohne exorbitanten finanziellen Aufwand zu erfüllen. Die 13-jährige Laura d’Oriano („die Spionin“), ihre Eltern und Geschwister kommen im November 1924 mit dem Orient-Express aus Konstantinopel in Zürich an. Ihr Reiseziel ist Marseille. Und der in Zürich wohnende Student Felix Bloch („der Bombenbauer“) könnte sich zufällig ebenfalls am Bahnhof aufhalten.
nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe)Ich mag das Mädchen. Mir gefällt die Vorstellung, dass sie im hintersten Wagen des Orient-Express in der offenen Tür sitzt, während silbern glitzernd der Zürichsee an ihr vorüberzieht. Es könnte Anfang November 1924 sein, an welchem Tag genau, weiß ich nicht.
Gut möglich, dass dem Mädchen bei der Einfahrt in die Stadt jener junge Mann auffiel, der im November 1924 oft zwischen den Gleisen auf der Laderampe eines grau verwitterten Güterschuppens saß, um die ein- und ausfahrenden Züge zu beobachten und sich Gedanken über sein weiteres Leben zu machen.
Es wäre ein Zufall, wenn Emile Gilliéron bei der Ausfahrt aus dem Zürcher Hauptbahnhof das Mädchen und den Burschen wahrgenommen hätte, aber ich wünschte es mir.
Es gehört zwar zu den Grundmustern der Belletristik, dass Handlungsfäden zusammengeführt werden, aber Alex Capus beginnt „Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer“ mit dem nicht sehr wahrscheinlichen Kreuzen der Lebenswege von drei Menschen, die wirklich lebten und lässt die Handlungsfäden dann auseinanderdriften. Nach November 1924 halten sich die drei Protagonisten, die nichts voneinander wissen, jedenfalls nie wieder zur selben Zeit am selben Ort auf.
Eine neuerliche Begegnung mit Felix Bloch kann in jener Nacht nicht stattgefunden haben, weil er sich Ende März 1934 schon nicht mehr in Zürich befand, sondern auf der anderen Seite der Welt […].
So wie Emile Gilliéron in Knossos ausgegrabene Fragmente nach eigenen Vorstellungen ergänzt, spielt auch Alex Capus mit den Möglichkeiten und schmückt die Fakten mit fiktiven Szenen aus.
Die Wissenschaftler sind doch die ersten, die ihr lückenhaftes Wissen mit Träumereien anreichern – anreichern müssen! […] Alle Wissenschaft ist Erzählung und überspringt von Faktum zu Faktum eine Wissenslücke nach der anderen.
Ich wünsche mir, dass Emile Gilliéron sich ins Polster fallen lässt und um Atem ringend aus dem rechten Fenster schaut […].
Ich kann mir vorstellen, dass […]
Alex Capus hat gewiss fleißig recherchiert (auf seiner Website listet er Quellen auf), aber wirklich nahe kommt er seinen Figuren nicht. Gilliéron wird als Sohn eines Schweizers in Griechenland geboren, Laura d’Oriano als Tochter italienischer Eltern im Osmanischen Reich. Gilliéron ist ein geschäftstüchtiger Künstler, Felix Bloch ein idealistischer Wissenschaftler, ein Pazifist, der sich paradoxerweise an der Entwicklung der Atombombe beteiligt, und die polyglott aufgewachsene Laura d’Oriano, die bereits als Studentin merkt, dass ihre Begabung nicht für eine große Karriere als Sängerin ausreichen würde, erträgt die Enge der Heimat ihres Ehemanns nicht, aber an der Riviera drängt man sie in die Rolle einer Spionin – und im Alter von 31 Jahren wird sie hingerichtet. Echte Gemeinsamkeiten zwischen Emile Gilliéron, Laura d’Oriano und Felix Bloch sind nicht zu erkennen. Aus den drei parallel im Wechsel erzählten, also formal verflochtenen Biografien entsteht denn auch kein übergreifendes Bild. Das deutet sich schon im Titel an: „Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer“. Dass die Wege der Protagonisten „auf eigentümliche Weise miteinander verbunden“ bleiben, ist eine unzutreffende Werbebotschaft des Klappentextes.
nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe)Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2014
Textauszüge: © Carl Hanser Verlag
Felix Bloch (Kurzbiografie)
Emile Gilliéron (Kurzbiografie)
Laura d’Oriano (Kurzbiografie)
Alex Capus: Eine Frage der Zeit
Alex Capus: Léon und Louise
Alex Capus: Das Leben ist gut
Alex Capus: Königskinder
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Alex Capus: Das kleine Haus am Sonnenhang