Emile Gilliéron


Emile Gilliéron wurde am 14. Juli 1885 in Athen geboren.

Sein gleichnamiger Vater war am 26. Oktober 1851 in Villeneuve am Genfer See zur Welt gekommen. Dass der Sohn des Dorfschullehrers gut zeichnen konnte, nahmen die Fischer und Bauern in den Fünfzigerjahren des 19. Jahrhunderts achselzuckend zur Kenntnis, aber nachdem er sich in einer Scheune ein Atelier eingerichtet hatte, brannte man es nieder. Alex Capus erzählt in seinem Roman „Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer“, jemand habe Emile Gilliéron (senior) offenbar bei der Kunstgewerbeschule in Basel angemeldet und das sei als Verbannung zu verstehen gewesen. Jedenfalls studierte Emile Gilliéron von 1872 bis 1877 Kunst, zunächst in Basel, dann an der Kunstakademie in München und schließlich bei Isidore Pils an der École des Beaux-Arts in Paris.

Im März 1877 reiste er auf Einladung des 55-jährigen Kaufmanns und Hobbyarchäologen Heinrich Schliemann nach Griechenland. Wie Emile Gilliéron empfangen wurde, malt Alex Capus folgendermaßen aus: Schliemann zeigt ihm drei Mörtelstücke aus einem Fresko – eine Faust, einen Fuß, ein Lilienornament – und fordert ihn auf, das Bild zu rekonstruieren. Weil Gilliéron einwendet, man könne nicht wissen, wie das Bild aussah, äußert Schliemann Zweifel an seiner Eignung. Daraufhin zeichnet Gilliéron einen Wagenkämpfer mit einem Speer in der Faust, den rechten Fuß auf einen lilienverzierten Wagenrand gestemmt. Schliemann ist begeistert: Das ist des Rätsels Lösung. Genauso muss das antike Fresko ausgesehen haben! Doch Emile Gilliéron nimmt einen neuen Bogen Papier und skizziert einen Tempelwächter mit einer brennenden Fackel in der Hand und einem Kopfschmuck mit Lilienornament, dann Theseus im Kampf gegen Andromache, einen attischen Olivenbauern bei der Ernte und so weiter, bis Schliemann ihm entnervt den Bleistift aus der Hand reißt.

Heinrich Schliemann nahm Emile Gilliéron als archäologischen Zeichner mit nach Troja und Mykene. Seine Aufgabe war es nicht nur, ausgegrabene Gegenstände zu zeichnen, sondern er hatte in seiner Darstellung auch fehlende Teile zu ergänzen, beispielsweise den fehlenden Kopf einer Hermes-Statue hinzuzufügen.

Im Mai 1884 heiratete Emile Gilliéron in Griechenland eine italienische Kaufmannstochter namens Giuliana. Im Jahr darauf wurde ihr einziges Kind geboren.

Als Heinrich Schliemann am 26. Dezember 1890 starb, verlor Emile Gilliéron seine Anstellung. Zeitweise unterrichtete er Kinder des griechischen Königshauses im Malen, und 1896 entwarf er eine Briefmarkenserie für die Olympischen Spiele in Athen. Aber davon konnte er seine Familie nicht ernähren.

Im Frühjahr 1900 holte ihn der englische Archäologe Arthur J. Evans (1851 – 1941) nach Kreta. Evans forschte seit 1894 in Knossos, aber erst am 23. März 1900 konnte er mit systematischen Ausgrabungen beginnen. In den folgenden Jahren legte er mit bis zu 200 Arbeitern den 20 000 Quadratmeter großen Palast des Königs Minos frei.

Im Frühjahr 1901 brachte Emile Gilliéron auch seinen 15-jährigen Sohn mit nach Kreta. Als Emile Gilliéron senior 1924 kurz vor seinem 73. Geburtstag in einem

Restaurant in Athen starb, übernahm der Sohn die künstlerische Leitung in Knossos, wo Arthur Evans inzwischen nach seinen Vorstellungen den Palast des Königs Minos in Beton (!) rekonstruierte. Emile Gilliéron zeichnete wie sein Vater und schuf angebliche Reproduktionen, die eine Idee der minoischen Kultur vermittelten, die vermutlich nicht der Wirklichkeit entsprach. Von der Württembergischen Metallwarenfabrik (WMF) in Geislingen ließ er „Originalkopien“ von Minoika herstellen. Obwohl ihm vorgeworfen wurde, es handele sich nicht um Nachbildungen, sondern um Fälschungen, machte Emile Gilliéron damit ein gutes Geschäft.

Er war inzwischen mit der italienischen Künstlerin Ernesta Rossi verheiratet, die vier Tage nach dem Tod ihres Schwiegervaters den Sohn Alfred geboren hatte. Die Familie lebte in Athen.

1935 reiste Emile Gilliéron ein letztes Mal nach Kreta. In diesem Jahr schloss Arthur Evans die Ausgrabungen in Knossos ab.

Emile Gilliéron starb am 30. September 1939 in Athen.

Emile Gilliéron ist eine der drei Hauptfiguren in dem Roman „Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer“ von Alex Capus.

© Dieter Wunderlich 2014

Alex Capus: Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer

Bastienne Voss - Mann für Mann
Der Roman "Mann für Mann" weist keine Handlung im eigentlichen Sinn auf, sondern besteht stattdessen aus einer Reihe von Episoden, aber das schmälert das Lesevergnügen kaum, denn Bastienne Voss erzählt ironisch, mit viel Witz und lakonischem Humor. "Mann für Mann" ist ausgesprochen unterhaltsam.
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Mehr als zwei Jahrzehnte lang las ich rund zehn Romane pro Monat und stellte sie dann mit Inhaltsangaben und Kommentaren auf dieser Website vor. Zuletzt dauerte es schon einen Monat, bis ich ein neues Buch ausgelesen hatte. Aus familiären Gründen reduziere ich das Lesen und die Kommunikation über Belletristik.