Coco Chanel & Igor Stravinsky
Coco Chanel & Igor Stravinsky
Inhaltsangabe
Kritik
Am 29. Mai 1913 findet im Théâtre des Champs-Élysées in Paris die Uraufführung des Balletts „Le sacre du printemps“ von Igor Strawinsky (Mads Mikkelsen) statt. Der russische Komponist, der mit seiner Ehefrau Katarina (Elena Morozova) gekommen ist, erträgt die Anspannung bis zum Beginn der Aufführung kaum. Das Publikum, das noch nie solche Klangeruptionen und Rhythmen gehört hat, wird schon nach wenigen Minuten unruhig, aber Pierre Monteux (Jérôme Pillement) dirigiert weiter, obwohl immer mehr Leute den Saal verlassen und andere lauthals gegen die Aufführung protestieren. Der Skandal eskaliert, bis die Polizei für Ordnung sorgt.
Während Sergei Pawlowitsch Djagilew (Grigori Manoukov), der Impresario der Ballets Russes, dem Skandal eine positive Seite abgewinnt, weil die Berichte darüber für Aufmerksamkeit sorgen, fühlt Igor Strawinsky sich gedemütigt, und er macht die Choreografie von Vaslav Nijinsky (Marek Kossakowski) für den Misserfolg verantwortlich.
Paris 1920. Bei einer Abendgesellschaft werden Igor Strawinsky und Coco Chanel (Anna Mouglalis) einander vorgestellt. Die französische Modeschöpferin saß mit ihrer Freundin Misia Sert (Natacha Lindinger) bei der Uraufführung von „Le sacre du printemps“ im Publikum und war davon beeindruckt. Bevor sie geht, verabredet sie sich mit dem russischen Komponisten in einem Museum.
Dort bietet sie dem in ärmlichen Verhältnissen lebenden Imigranten Geld an, aber das weist Igor Strawinsky stolz zurück. Daraufhin schlägt Coco Chanel ihm vor, mit seiner Familie in ihr Landhaus „Bel Respiro“ auf den Hügeln von Garches westlich von Paris zu wohnen. Weil seine Frau Katarina lungenkrank ist, nimmt Igor Strawinsky das Angebot schließlich an.
Im Herbst 1920 zieht er mit Katarina, dem Sohn Teodor (Maxime Daniélou) und den Töchtern Milena, Ludmila und Sulima (Clara Guelblum, Sophie Hasson, Nikita Ponomarenko) in Coco Chanels Villa. Irritiert über die schwarz-weiße Art-déco-Ausstattung, fragt Katarina Strawinskaya die großzügige Gastgeberin: „Mögen Sie keine Farben?“ Und Coco Chanel antwortet: „Doch: Schwarz.“
Coco Chanel und Igor Strawinsky kommen sich rasch näher. Eines Nachts geht sie zu ihm. Sie reißen sich die Kleider vom Leib und fallen auf dem Fußboden übereinander her. Katarina Strawinskaya entgeht nicht, dass die beiden eine Affäre haben. Sie unternimmt zunächst nichts und spioniert ihrem Mann auch nicht nach. Aber als Teodor mit ihm Schach spielt und überlegt, ob er es wagen soll, seinen Vater mit dem nächsten Zug matt zu setzen, nickt sie ihm ermutigend zu.
Einmal kommt es zu einem Konflikt zwischen Coco Chanel und Igor Strawinsky: Sie weist darauf hin, dass er auf die konstruktive Kritik und das Korrekturlesen seiner Frau angewiesen sei und behauptet, als Modeschöpferin etwas Vergleichbares wie er zu können. Das lässt Igor Strawinsky nicht gelten: Sie sei nichts weiter als eine Stoffverkäuferin, schimpft er.
Weil Coco Chanel ihr Angebot um ein Parfum erweitern möchte, reist sie zu dem Parfumeur Ernest Beaux (Nicolas Vaude) in La Bocca bei Cannes. Er entwickelt für sie ein ungewöhnliches Parfum, das den ganzen Tag über duftet, dabei aber weder beim Einkaufsbummel am Vormittag noch beim Nachmittagstee oder abends im Theater unpassend wirkt. Der unverwechselbare Duft hält lange an, weil die Komposition nicht nur Essenzen tierischer und pflanzlicher Herkunft enthält, sondern auch synthetisch erzeugte. Das ist etwas völlig Neues. Die Auftraggeberin nennt die Kreation schlicht „Chanel Nr. 5“.
Coco Chanel fördert Igor Strawinsky auch finanziell, aber sie bleibt dabei anonym, und er erfährt nicht, von wem das Geld stammt.
Katarina Strawinskaya erträgt die Situation schließlich nicht länger. Sie fährt mit den Kindern nach Biarritz. Igor Strawinsky schlägt daraufhin seiner Geliebten einen gemeinsamen Spanien-Aufenthalt vor, aber Coco Chanel beendet die Affäre.
Paris, Winter 1970/71. Die 87-jährige Modeschöpferin Coco Chanel sinkt in ihrer Suite im Hotel Ritz aufs Bett und erinnert sich an die Liebesaffäre mit Igor Strawinsky.
New York, Winter 1970/71. Der 88-jährige Komponist sitzt in seiner Wohnung am Klavier.
nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe)2002 veröffentlichte Chris Greenhalgh den Roman „Coco & Igor“ („Coco Chanel & Igor Strawinsky“, Übersetzung Nathalie Lemmens, Bertelsmann Verlag, München 2010, 351 Seiten, ISBN 978-3-570-58019-6). Bei der Verfilmung arbeitete er mit am Drehbuch.
Igor Strawinsky wohnte zwar 1920 mit seiner Familie tatsächlich kurze Zeit in Coco Chanels Landhaus „Bel Respiro“ auf den Hügeln von Garches bei Paris, und es ist durchaus denkbar, dass die beiden eine Affäre hatten, aber belegt ist die Liebesbeziehung nicht.
Um diese Affäre dreht sich „Coco Chanel & Igor Stravinsky“. (Im Filmtitel wird die englische Schreibweise Stravinsky verwendet.) Der Film beginnt mit der Uraufführung des Balletts „Le sacre du printemps“ am 29. Mai 1913 in Paris. Ein paar Ausschnitte aus schwarz-weißen Dokumentarfilmen deuten dann den Ersten Weltkrieg und die Oktoberrevolution an. Danach springen wir ins Jahr 1920, und die eigentliche Handlung beginnt. In einem Epilog sehen wir Coco Chanel und Igor Strawinsky noch einmal kurz vor ihrem Tod.
Jan Kounen geht es weder um eine Doppelbiografie, noch um eine Annäherung an die Charaktere. Er beschäftigt sich auch nicht mit Igor Strawinskys Musik, und auf Coco Chanels Modeideen geht er nur en passant ein. Stattdessen setzt er auf die Ausstattung, auf Chanel-Kostüme und stilvoll eingerichtete Räume. Optisch ist „Coco Chanel & Igor Stravinsky“ denn auch durchaus sehenswert.
Die schauspielerischen Leistungen überzeugen ebenfalls. Obwohl Mads Mikkelsen sich in Mimik und Gestik zurücknimmt, lässt er uns spüren, wie es in der Figur brodelt. Ebenso eindrucksvoll spielt Elena Morozova die verzweifelte lungenkranke Ehefrau, die zusehen muss, wie ihr Mann sie mit einer anderen Frau betrügt, die nicht nur stärker, sondern auch begehrenswerter ist als sie. Anna Mouglalis gibt sich in der Rolle Coco Chanel im Atelier als Despotin, in La Bocca als Geschäftsfrau mit klaren Vorstellungen und im Landhaus als großzügige Gastgeberin und leidenschaftliche Verführerin. Diese widersprüchlichen Charakterzüge bleiben allerdings unverbunden nebeneinander stehen, und das ist nicht Anna Mouglalis anzulasten, sondern dem Drehbuch.
Kernproblem von „Coco Chanel & Igor Stravinsky“ ist die Dramaturgie. Chris Greenhalgh und Jan Kounen haben eine kurze Affäre zu einem zweistündigen Ausstattungsdrama aufgeblasen. Aber es ist ihnen nicht gelungen, einen Spannungsbogen zu erzeugen. Die Handlung plätschert vor sich hin, ohne auf einen Höhepunkt zuzustreben. Der Film bricht ebenso unspektakulär ab wie die Liebesbeziehung. Der Epilog erweckt dann den Eindruck, als erinnerten sich Coco Chanel und Igor Strawinsky am Ende ihres Lebens an die Affäre. Das wirkt nicht nur aufgesetzt, sondern widerspricht den historischen Tatsachen: Falls Coco Chanel überhaupt mit Igor Strawinsky intim war, gehörte diese Affäre gewiss nicht zu den in ihrem Leben wichtigen Liebesbeziehungen.
Karl Lagerfeld und das Modehaus Chanel unterstützten das Filmprojekt. Sie stellten nicht nur Archivmaterial und Kollektionen zur Verfügung, sondern gewährten dem Team auch Zugang zu Coco Chanels Apartment in der Rue Cambon 31 in Paris.
In dem fast gleichzeitig gedrehten Kinofilm „Coco Chanel. Der Beginn einer Leidenschaft“ von Anne Fontaine spielt Audrey Tautou die Titelrolle. Dargestellt wird Coco Chanels Leben von der Aufnahme im Waisenhaus bis zum Tod von Arthur Capel. Es handelt sich also um die Vorgeschichte der erfolgreichen Modeschöpferin. Der Originaltitel lautet dementsprechend: „Coco avant Chanel“.
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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2013
Coco Chanel (Kurzbiografie)
Anne Fontaine: Coco Chanel. Der Beginn einer Leidenschaft