Monsieur Lazhar
Monsieur Lazhar
Inhaltsangabe
Kritik
Montreal. Die Lehrerin Martine Lachance (Héléna Laliberté) hat sich im Klassenzimmer erhängt. Simon (Émilien Néron) und Alice (Sophie Nélisse), zwei elfjährige Schüler aus ihrer Klasse, sehen die Tote, bevor sie mit den anderen Schülern in den Pausenhof gebracht werden.
Auf einem Elternabend wird die Psychologin Julie (Nicole-Sylvie Lagarde) vorgestellt, die sich der traumatisierten Schüler annimmt. Eine einzige Psychologin sei viel zu wenig, meint einer der Väter. Madame Vaillancourt (Danielle Proulx), die Schulleiterin, weiß aber nicht einmal, wie sie die tote Lehrerin ersetzen soll.
Überraschend meldet sich ein etwa 55 Jahre alter Bewerber für die freie Stelle bei ihr: Bachir Lazhar (Mohamed Fellag). Er habe aus der Zeitung erfahren, was geschehen sei, sagt er, habe 19 Jahre in seiner Heimat Algerien als Lehrer gearbeitet und verfüge über eine unbeschränkte Aufenthaltserlaubnis in Kanada. Erleichtert stellt Mme Vaillancourt ihn ein, ohne seine Angaben zu überprüfen.
Weil kein anderer Raum verfügbar ist, muss die Klasse in dem Zimmer bleiben, in dem sich die Lehrerin erhängte. Nur die Wände werden neu gestrichen. Monsieur Lazhar schafft die von Martine Lachance eingeführte offene Sitzordnung ab und lässt die Tische in Reih und Glied für Frontalunterricht aufstellen. Für das erste Diktat verwendet er einen Text aus dem Roman „Das Chagrinleder oder Die tödlichen Wünsche“ von Honoré de Balzac, der eigentlich zu schwer für diesen Jahrgang ist. Die Klasse protestiert zunächst ein wenig gegen die ungewohnten Unterrichtsmethoden, entwickelt im Lauf der Zeit aber Vertrauen zu Monsieur Lazhar, denn die Kinder spüren, dass er sie respektiert.
Vielleicht kann er sich auch besser als andere in ihre Lage versetzen, weil er selbst traumatisiert ist und nachts von Albträumen heimgesucht wird. Seine algerische Ehefrau war Lehrerin und hatte ein gesellschaftskritisches Buch geschrieben. Danach war die Familie bedroht worden, und schließlich legte jemand ein Feuer in dem Haus, in dem sie wohnten. Bachir Lazhars Frau und die beiden Töchter kamen dadurch ums Leben. Bachir Lazhar verließ Algerien und beantragte in der kanadischen Provinz Quebec Asyl. Weil die Behörden daran zweifeln, dass es sich bei dem Brand um einen gezielten Anschlag auf ihn und seine Familie handelte, muss er jedoch damit rechnen, ausgewiesen zu werden. Das verschweigt er in der Schule ebenso wie die Tatsache, dass er nie zuvor als Lehrer gearbeitet hat, sondern in Algerien ein Restaurant betrieb.
Die Englischlehrerin Claire (Brigitte Poupart) mag ihren höflichen und bescheidenen neuen Kollegen. Sie besucht mit ihm ein Schulfest und lädt ihn zum Essen ein, aber Bachir Lazhar geht nicht auf ihre Avancen ein.
Nach einiger Zeit verlässt die Psychologin die Schule. Ihre Arbeit sei beendet, meint sie. „Sind die Schüler wieder gesund?“, fragt Bachir Lazhar spöttisch.
Mme Vaillancourt hält es für das Beste, nicht mehr über den Suizid der Lehrerin zu reden und verbietet es Monsieur Lazhar, den Aufsatz einer Schülerin über den Tod im Unterricht zu verwenden. Er hält das verordnete Verschweigen für falsch und würde der Klasse lieber ermöglichen, das traumatische Erlebnis im offenen Gespräch zu verarbeiten.
Alice, die während der häufigen Abwesenheit ihrer als Pilotin tätigen allein erziehenden Mutter (Evelyne de la Chenelière) von einem Kindermädchen (Hélène Grégoire) betreut wird und sich vernachlässigt fühlt, himmelt den neuen Lehrer an. Sie leiht ihm das Buch „Wolfsblut“ von Jack London. Als er es ihr zurückgibt, meint er, er könne sich vorstellen, warum es ihr gefallen habe: Weil sich der Wolf zähmen ließ, aber im Inneren seine Wildheit bewahrte.
Aufgrund ihrer Trauer um Martine Lachance und ihrer Frustration über die häusliche Situation verfolgt Alice ihren Mitschüler Simon mit Vorwürfen. Der Elfjährige leidet aber auch so schon unter Schuldgefühlen. Als Alice ihn während einer Schulstunde provoziert, spricht Simon schluchzend aus, was ihn beschäftigt: Martine Lachance gab ihm Nachhilfe und nahm ihn dabei einmal tröstend in die Arme, obwohl sie damit gegen das Verbot jeglichen Körperkontakts zwischen Lehrkräften und Schülern verstieß. Simon war durch die ungewohnte Zärtlichkeit so verstört, dass er Martine Lachances Fehlverhalten bei der Schulleitung meldete. Und nun wirft er sich vor, dass sie sich deshalb umgebracht habe. Monsieur Lazhar lässt Simon reden, legt ihm die Hand beruhigend auf die Schulter und versichert ihm, er sei nicht schuld am Suizid der Lehrerin. Der Anblick ihres weinenden Mitschülers besänftigt Alice; sie verspürt Mitleid mit Simon und freundet sich wieder mit ihm an. Bachir Lazhars offener Umgang mit dem Thema war für sie beide ebenso wie für die anderen Schüler in der Klasse heilsam.
Kurz darauf bestätigt die algerische Polizei schriftlich, dass Monsieur Lazhars Frau und Kinder bei einem gezielten Anschlag umkamen und sein Leben in Algerien in Gefahr wäre. Das überzeugt die kanadischen Behörden, und sie erkennen ihn als politischen Flüchtling an.
Aber Mme Vaillancourt findet fast zur gleichen Zeit heraus, dass Monsieur Lazhar bei seiner Bewerbung gelogen hat und für die Stelle als Aushilfslehrer überhaupt nicht qualifiziert ist. Unverzüglich besorgt sie eine andere Ersatzkraft und entlässt Monsieur Lazhar fristlos. Auf seine Bitte hin darf er allerdings den angefangenen Unterricht an diesem Tag noch zu Ende führen und sich von der Klasse verabschieden.
Danach kommt Alice traurig zu ihm und lässt sich von ihm zum Abschied in die Arme nehmen.
nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe)Das Lehrer-Schüler-Drama „Monsieur Lazhar“ basiert auf dem Theaterstück „Bashir Lazhar“ von Évelyne de la Chenelière aus dem Jahr 2002. Es geht um die Konfrontation von Kindern mit dem Tod, um Trauerarbeit von Kindern, um die Auseinandersetzung mit Schuldgefühlen, aber auch um Immigration und kulturelle Verschiedenheit. Philippe Falardeau beschäftigt sich in „Monsieur Lazhar“ mit dem Verarbeiten von traumatischen Erlebnissen und plädiert für Offenheit im Umgang damit. Dass Verschweigen nicht weiterhilft, zeigt er in seinem Film. „Monsieur Lazhar“ ist zugleich ein Plädoyer für eine weniger von Reglementierungen als von Empathie und gegenseitigem Respekt getragene Pädagogik.
Philippe Falardeau lässt sich viel Zeit – streckenweise auch zu viel Zeit – bei der Entwicklung der Geschichte. Seine Inszenierung ist ruhig, einfühlsam und zurückhaltend. Getragen wird sie von überzeugenden Darstellern, allen voran Mohamed Fellag, Sophie Nélisse und Émilien Néron.
„Monsieur Lazhar“ wurde in der Kategorie Bester fremdsprachiger Film für einen „Oscar“ nominiert.
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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2012