Albert Vigoleis Thelen : Die Insel des zweiten Gesichts
Inhaltsangabe
Kritik
Der vom Niederrhein stammende Autor Albert Vigoleis Thelen (1903 – 1989) beschreibt in dem lustvoll zu lesenden Wälzer (916 Seiten) seinen Aufenthalt auf Mallorca von 1931 bis 1936.
Es hieße diese Aufzeichnungen mit Erdichtetem beginnen, wollte ich mich anheischig machen, nach zwanzig Jahren noch an den Tag zu bringen, wer mich auf der nächtlichen Meerfahrt mit ärgerer Tücke gequält hat: der gemeine Menschenfloh in dem von einem Matrosen entliehenen Schlafsack oder der garstige Traumalb, der mich in die Nicolaas Beets Straat nach Amsterdam entführte, wo sich das Grab über einer jungen Frau geschlossen hatte, deren Todesursache ich, Doppelgänger ihres treulosen Geliebten, geworden war. Ein schichtig-schauerlicher Anfang für ein Buch, könnte man meinen. Nun, es bleibt wohl bei diesem in der Ferne verzuckenden Wetterleuchten, und soweit ich als Autor ein Wörtchen mitzureden habe, glaube ich vorhersagen zu dürfen, dass es auf die lange Dauer gar nicht makaber hier zugehen wird, sehen wir von dem noch unabsehbaren Ende ab, wo Bomben platzen und der Hass, die Nacht, die Angst, kurz die Schießgewehre des spanischen Bürgerkrieges in Anschlag gebracht werden – lebt wohl, ihr Brüder, hier die Brust!
Albert Vigoleis Thelen fährt mit seiner Lebensgefährtin Beatrice auf die Balearen, weil dort angeblich Beatrices Bruder Zwingli im Sterben liegt. Aber das stimmt nicht: Munter plaudernd holt er sie im Hafen ab. Zwingli ist einer Femme fatale verfallen: Maria del Pilar. Statt Vigoleis und Beatrice ins Hotel zu bringen, quartiert er sie in seinem Haus ein. Es dauert nicht lang, bis Vigoleis den Verlockungen Maria del Pilars nicht mehr widerstehen kann – doch da bedroht sie ihn mit einem Dolch.
Vigoleis und Beatrice ziehen aus, wohnen vorübergehend in der von Anarchisten und Schauspielern bevölkerten „Pensión del Conde“, und als ihnen das Geld ausgeht, nehmen sie mit einer Zelle im „Torre del Reloj“ vorlieb, von dem Beatrice zunächst glaubt, es handele sich um eine Art Jugendherberge. Tatsächlich ist es eher ein Bordell, in dem Stierkämpfer mit Huren verkehren, ein Schmuggler-Hauptquartier, in dem auch – von Fremdenführer Vigoleis zum Narren gehaltene – Touristen übernachten.
Ich wäre versucht, „Die Insel des zweiten Gesichts“ als Schelmenroman zu bezeichnen, aber gegen diese Klassifizierung verwahrte sich Albert Vigoleis Thelen.
Scheinbar ungezwungen fabulierend und weitschweifig plaudernd, virtuos mit der Sprache spielend, brennt er in diesem aberwitzigen Roman ein barockes Feuerwerk komödiantischer Einfälle ab. Grenzen zwischen authentischen und fiktiven Darstellungen sind nicht erkennbar. Thelen verspottet die katholische Kirche und wendet sich zornig gegen Hitler und Franco. Für Leserinnen und Leser mit langem Atem ist das eine trotz der Hoffnungslosigkeit des Autors höchst vergnügliche Lektüre weitab vom Gewohnten. Seine Art zu schreiben, bezeichnet Albert Vigoleis Thelen als „Kaktusstil“: „Es bilden sich Ableger, ins Wilde hinein, wie beim Kaktus, der gerade da Augen setzt, wo man es nicht erwartet.“
Albert Vigoleis Thelen plante eine Fortsetzung seines Romans „Die Insel des zweiten Gesichts“ unter dem Titel „Die Gottlosigkeit Gottes oder Das Gesicht der zweiten Insel“. Das fragmentarische Manuskript, aus dem er 1966 öffentlich las, ist verloren.
Anlässlich des 100. Geburtstags von Albert Vigoleis Thelen erschienen drei Bücher:
- Albert Vigoleis Thelen: Die Insel des Zweiten Gesichts.
Neuauflage. Claasen Verlag, München 2003 - Jürgen Pütz (Hg.): Albert Vigoleis Thelen. Erzweltschmerzler und Sprachschwelger.
Eine Bildbiografie. Edition de horen, Bremerhaven 2003 - Cornelia Staudacher: Albert Vigoleis Thelen. „Wanderer ohne Ziel“. Ein Porträt.
Arche Verlag, Zürich und Hamburg 2003
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