Erster Weltkrieg: 1916


Obwohl das Vereinigte Königreich ein Heer von zweieinhalb Millionen Freiwilligen aufgestellt hatte, eine Streitmacht, in der neben den Briten auch Kanadier, Inder, Australier und Neuseeländer kämpften, musste 1916 in England die allgemeine Wehrpflicht eingeführt werden (Parlamentsbeschluss am 24. Mai 1916).

Die Briten rüsteten zunehmend Handelsschiffe mit getarnten Kanonen aus und lockten damit deutsche U-Boote in die Falle. Am 11. Februar 1916 kündigte deshalb die deutsche Marineleitung an, dass sie bewaffnete Handelsschiffe ebenso wie Kriegsschiffe ohne Vorwarnung angreifen werde.

Vergeblich hatte Großadmiral Alfred von Tirpitz (1849 – 1930) versucht, einen noch schärferen U-Boot-Krieg gegenüber der politischen Führung durchzusetzen. Am 12. März 1916 reichte er als Leiter des Reichsmarineamtes seinen Rücktritt ein; zu seinem Nachfolger ernannte der Kaiser den sechzigjährigen Eduard von Capelle.

Am 18. März 1916, in einer Rede vor dem Reichstag, warnte Bethmann-Hollweg erneut davor, dass ein unbeschränkter U-Boot-Krieg die Amerikaner veranlassen könne, in den Krieg gegen Deutschland einzugreifen („Man wird uns erschlagen wie einen tollen Hund!“).

Am 18. April drohte US-Präsident Woodrow Wilson, die diplomatischen Beziehungen zum Deutschen Reich abzubrechen. Daraufhin wurde in Berlin beschlossen, die Prisenordnung wieder einzuhalten (24. April 1916). In einer Note versicherte die deutsche Regierung den Vereinigten Staaten am 4. Mai 1916, Handelsschiffe der Gegner allenfalls zu versenken, nachdem die Passagiere in Sicherheit gebracht worden seien.

Am 31. Mai 1916 lief die deutsche Hochseeflotte nach Norwegen aus. Die Briten hatten am Vortag aus aufgefangenen und decodierten Funksprüchen von der deutschen Absicht erfahren und die Grand Fleet in Bewegung gesetzt. Vor dem Skagerrak lieferten sich die beiden Flotten eine zwölfstündige Seeschlacht, die trotz der zahlenmäßigen Überlegenheit der Briten bei hereinbrechender Dunkelheit nicht entschieden war. In der Nacht suchte die deutsche Flotte die Heimathäfen auf; die Grand Fleet wagte es nicht, sie zu verfolgen. 6800 britische und 3000 deutsche Seeleute waren gefallen, mehr Schiffe als die Deutschen hatten die Briten verloren, aber es war der deutschen Hochseeflotte nicht gelungen, die blockierten Nordseeausgänge aufzubrechen, geschweige denn die britische Seeherrschaft in Frage zu stellen.

1916 suchte die Oberste Heeresleitung die Entscheidung erneut an der Westfront zu erzwingen. Falkenhayn ging davon aus, dass die Franzosen die Festung Verdun – einen Eckpfeiler ihres Befestigungssystems – nicht aufgeben konnten und wollte sie dort in einer gewaltigen Abnutzungsschlacht „ausbluten“ lassen.

Am 21. Februar 1916 begann der Kampf um Verdun. Auf engstem Raum lagen sich bald eineinhalb Millionen Soldaten gegenüber und beschossen sich mit allem, was sie an Munition nachgeliefert bekamen („Hölle von Verdun“). Nach vier Monaten waren die Deutschen zwei Kilometer näher an Verdun herangekommen! Vom 11. Juli an verzichtete Falkenhayn auf weitere Angriffe. Im Herbst begannen die Franzosen, das verlorene Terrain zurückzuerobern. Am 15. Dezember endete der Kampf um Verdun. 360 000 Franzosen und 335 000 Deutsche waren gefallen.

Um die Deutschen von Verdun abzulenken, hatten englisch-französische Streitkräfte am 24. Juni 1916 mit einer groß angelegten Offensive an der Somme begonnen. Nach einwöchigem Artilleriefeuer war am 1. Juli die Infanterie vorgerückt. Auf einer Breite von fünfzig Kilometern hatten die Alliierten die Deutschen zwölf Kilometer weit zurückgedrängt. Auch diese Offensive hatte sich festgebissen, und am 28. November 1916 war die Schlacht an der Somme abgebrochen worden. Eine Million Tote hatte sie gefordert.

Nach den gescheiterten Vorhaben wurden sowohl in Deutschland als auch in Frankreich die militärischen Führungen ausgewechselt. Am 29. August 1916 übernahmen Hindenburg und Ludendorff Falkenhayns Aufgaben in der Obersten Heeresleitung. Joseph Jacques Césaire Joffre wurde am 3. Dezember als Oberbefehlshaber der französischen Streitkräfte von Georges Robert Nivelle abgelöst.

Rascher als erwartet hatten sich die Russen von dem Schlag im Sommer 1915 erholt. Am 4. Juni 1916 griff General Aleksei Alexejewitsch Brussilow (1853 – 1926) in Südwestrussland auf einer Breite von 250 Kilometern die deutsch-österreichischen Stellungen an (Brussilow-Offensive, Juni – Dezember 1916).

Während der bayerische Generaloberst Felix Graf von Bothmer (1852 – 1937) mit seinen Truppen standhielt, wichen die Österreicher zurück. Als es den Russen gelang, die rumänische Regierung zu zwingen, Österreich-Ungarn den Krieg zu erklären (27. August) und in Siebenbürgen einzugreifen, drohte die Doppelmonarchie vollends zusammenzubrechen. Deutschen Streitkräften gelang es noch einmal, die Lage zu stabilisieren. Gegen Ende des Jahres erlahmten die Aktionen der Russen, weil ihnen das Material ausging. Auch die Westalliierten waren nicht in der Lage, den dringend benötigten Nachschub zu liefern, da die Ostsee und die Meerengen von den Mittelmächten kontrolliert wurden.

Während der Brussilow-Offensive verfielen die Deutschen auf die Idee, den Polen einen autonomen Staat in Aussicht zu stellen, um polnische Hilfstruppen für den Krieg gegen Russland zu gewinnen. Am 5. November 1916 proklamierten Kaiser Wilhelm II. und Kaiser Franz Joseph I. das Königreich Polen, das nach dem Krieg innerhalb noch festzulegender Grenzen die Souveränität übertragen bekommen sollte. Joséf Klemens Pilsudski (1867 – 1935), der in der „Polnischen Legion“ mit den Österreichern gegen Russland gekämpft hatte, um sein Land von der Fremdherrschaft zu befreien, durchschaute allerdings die wahren Absichten der Mittelmächte und gab sich mit dem Erreichten nicht zufrieden.

Fortsetzung

© Dieter Wunderlich 2006

Erster Weltkrieg: Inhaltsverzeichnis

Wytske Versteeg - Die goldene Stunde
Wytske Versteeg hält der heutigen Welt mit ihrem Roman "Die goldene Stunde" einen Spiegel vor. Klug, nachdenklich und mit stupenden Kenntnissen zeichnet sie ein erschütterndes Bild. Wie intensiv und überzeugend sich Wytske Versteeg in die Lage ihrer Romanfiguren zu versetzen vermag, zeugt von einem außergewöhnlichen Einfühlungsvermögen. Ebenso überragend wie der Inhalt sind Form und Sprache. Das ist Literatur auf hohem Niveau.
Die goldene Stunde