Relativitätstheorie
Die amerikanischen Physiker Albert Michelson und Edward Morley stellten 1887 fest, dass die Messung der Lichtgeschwindigkeit parallel oder senkrecht zur Bewegungsrichtung der Erde um die Sonne gleiche Ergebnisse liefert. Die Lichtgeschwindigkeit bleibt unabhängig von der relativen Bewegung zwischen der Lichtquelle und dem Messinstrument konstant.
Aus der Tatsache, dass die Lichtgeschwindigkeit eine Konstante ist, folgerte Albert Einstein (1879 – 1955), dass die Dimensionen von Zeit und Raum keineswegs absolut sind ? wie Isaac Newton angenommen hatte. Am 26. September 1905 veröffentlichte Albert Einstein unter dem Titel „Zur Elektrodynamik bewegter Körper“ die „spezielle Relativitätstheorie“. Der speziellen Relativitätstheorie zufolge nimmt die Dauer einer Zeiteinheit mit der Geschwindigkeit des (gleichmäßig und geradlinig) bewegten Systems zu, während sich zugleich die räumlichen Abmessungen in der Bewegungsrichtung verkürzen.
Zwei Raumschiffe, eines ruht, das andere bewegt sich: In beiden Schiffen ist die Zeitspanne von zwölf Sekundenbruchteilen definiert als die Zeit, die ein Lichtstrahl braucht, um, vom Uhrwerk ausgehend, auf einen Spiegel zu treffen und reflektiert zu werden. Im bewegten Raumschiff legt das Licht eine längere Strecke zurück. Da die Lichtgeschwindigkeit immer die gleiche ist, muss deshalb im bewegten Raumschiff die Zeit langsamer vergehen. (Heinrich Päs: Die perfekte Welle)
Außerdem wächst die Masse eines Körpers proportional zur Geschwindigkeit. Beispielsweise lässt sich errechnen, dass ein Körper, der in einem Bezugssystem ein Kilogramm wiegt und einen Meter lang ist, in einem zweiten, relativ zum ersten mit 90 Prozent der Lichtgeschwindigkeit bewegten System mehr als doppelt so schwer und weniger als halb so lang ist. Im zweiten Bezugssystem sind übrigens erst 26 Minuten verstrichen, wenn im ersten System bereits eine Stunde abgelaufen ist.
[…] zwingt uns die Relativitätstheorie, unsere Vorstellungen von Raum und Zeit grundlegend zu verändern. Wir müssen uns mit dem Gedanken anfreunden, dass die Zeit nicht völlig losgelöst und unabhängig vom Raum existiert, sondern sich mit ihm zu einem Gebilde verbindet, das wir Raumzeit nennen. (Stephen Hawking und Leonard Mlodinow: Die kürzeste Geschichte der Zeit)
Während die spezielle Relativitätstheorie nur für gleichmäßig geradlinig bewegte Bezugssysteme gilt, bezog Albert Einstein in seine 1915 formulierte allgemeine Relativitätstheorie auch Beschleunigungen mit ein. Er ging davon aus, dass die Gravitationsphänomene nicht auf eine Anziehungskraft zurückzuführen sind, wie es Isaac Newton 1687 getan hatte,
sondern auf die Krümmung eines Raum-Zeit-Kontinuums durch die beteiligten Massen. (Übrigens hatte der französische Mathematiker Henri Poincaré bereits im Juni 1905 vermutet, dass die Schwerkraft durch Gravitationswellen mit Lichtgeschwindigkeit übertragen wird.) Die Verformung der Raumzeit kann man sich in etwa vorstellen, wenn man ein Tuch aus einem elastischen Stoff horizontal aufspannt. Legt man darauf eine Metallkugel, drückt sie das Gewebe ein und sobald andere Kugeln in die Nähe kommen, rollen sie in diese Mulde. Die Gravitation ergibt sich also aus der Krümmung der Raumzeit. (Einen Extremfall der Gravitation stellen Phänomene dar, die in den Sechzigerjahren postuliert und als „Schwarze Löcher“ bezeichnet wurden.)
Nach der allgemeinen Relativitätstheorie folgen Körper in der vierdimensionalen Raumzeit immer Geodäten [kürzester Weg zwischen zwei Punkten]. Wenn keine Materie vorhanden ist, entsprechen die Geraden im vierdimensionalen Raum Geraden im dreidimensionalen Raum. Ist Materie vorhanden, wird die vierdimensionale Raumzeit verformt, mit dem Effekt, dass sich die Bahnen der Körper im dreidimensionalen Raum in einer Weise krümmen, die in der alten Newton’schen Theorie durch die Effekte der Gravitationsanziehung erklärt wurde. Das ist, als ob Sie ein Flugzeug beobachten, das über hügeliges Gelände fliegt. Das Flugzeug mag sich im dreidimensionalen Raum geradlinig fortbewegen, doch wenn Sie die dritte Dimension ? die Höhe ? entfernen, stellen Sie fest, dass sein Schatten auf dem hügeligen, zweidimensionalen Erdboden einer gekrümmten Bahn folgt. (Stephen Hawking und Leonard Mlodinow, a. a. O.)
Noch etwas lässt sich mit dem aufgespannten Tuch veranschaulichen: Fällt eine Kugel darauf, entsteht eine sich kreisförmig ausbreitende Welle. Das ist ein Modell für Gravitationswellen, wie sie der Theorie zufolge bei gewaltigen Explosionen im Kosmos entstehen.
Die ersten Versuche zum Nachweis von Gravitationswellen unternahm Joseph Weber an der University of Maryland in den Sechzigerjahren mit zwei Aluminiumzylindern, aber der Aufbau war für die winzigen Schwingungen zu grob.
1993 wurden der Astronom Russell A. Hulse und sein Doktorvater Joseph H. Taylor jr. mit dem Nobelpreis ausgezeichnet, und zwar für „die Entdeckung eines neuen Typs von Pulsar [PSR 1913+16], der neue Möglichkeiten zur Erforschung der Gravitation eröffnete“.
Am 14. September 2015 erreichte eine Gravitationswelle die Erde. Sie war vor 1,3 Milliarden Jahren bei der Kollision von zwei Schwarzen Löchern entstanden. Die beiden Massen waren 29- bzw. 36-mal schwerer als die Sonne, und bei ihrem Zusammenstoß wurde in weniger als einer halben Sekunde das Dreifache der Sonnenmasse in Energie umgewandelt. Die Verformung der Erde durch die Gravitationswelle am 14. September 2015 blieb im atomaren Maßstab, aber sie konnte mit Michelson-Interferometern vom Advanced LIGO (Laser Interferometer Gravitation Wave Observatory) in Hanford/Washington und Livingston/Louisiana gemessen werden. Weniger als eine halbe Sekunde lang waren die präzise rechtwinkelig angeordneten, je genau vier Kilometer langen Vakuum-Röhren in den beiden 3000 Kilometer voneinander entfernten Observatorien nicht mehr gleich lang. Veröffentlicht wurde das sensationelle Ergebnis im Februar 2016:
B. P. Abbott et al.: Observation of Gravitational Waves from a Binary Black Hole Merger (Physical Review Letters, received 21 January 2016, published 11 February 2016): „On September 14, 2015 at 09:50:45 UTC the two detectors of the Laser Interferometer Gravitational-Wave Observatory simultaneously observed a transient gravitational-wave signal. […]“
Damit gelten die von Albert Einstein postulierten Gravitationswellen als experimentell nachgewiesen.
Mit der Relativitätstheorie revolutionierte Albert Einstein das Weltbild und leistete einen der bedeutendsten Beiträge für die Physik des 20. Jahrhunderts.
Literatur über die Relativitätstheorie
- Harald Fritzsch: Eine Formel verändert die Welt (Piper Verlag, 2001)
- Torsten Fließbach: Allgemeine Relativitätstheorie (Spektrum Akademischer Verlag, 2003)
© Dieter Wunderlich 2005 / 2011 / 2016
Albert Einstein (Kurzbiografie)
Stephen Hawking: Eine kurze Geschichte der Zeit
Stephen Hawking und Leonard Mlodinow: Die kürzeste Geschichte der Zeit
Peter Atkins: Galileos Finger. Die zehn großen Ideen der Naturwissenschaft
Carl Wilkinson, James Weston Lewis: Albert Einsteins Relativitätstheorie