Leopoldsapfel

Beim Leopoldsapfel handelt es sich angeblich um die Erfindung eines belgischen Ingenieurs. Die Kolonialherren setzten die Waffe gegen Stammeshäuptlinge im Kongo ein, die nicht verraten wollten, wo sich ihre Diamantenminen befanden.

Ingesamt wurden 24 Leopoldsäpfel hergestellt, davon einer aus purem Gold. Der Leopoldsapfel hat die Größe einer Billardkugel. Wird er aktiviert, schnellen 24 Noppen mit starker Federkraft aus der Oberfläche. Wer den Leopoldsapfel im Mund hat, glaubt zu ersticken, weil die Schleimhaut durch die Noppen im Rachen gereizt wird und anschwillt, aber es ist kaum möglich, das Gerät mit ausgefahrenen Noppen wieder aus dem Mund herauszuziehen. In seiner Verzweiflung zieht das Opfer an einer vom Leopoldsapfel ausgehenden Kette, und sobald das geschieht, schießen aus allen 24 Noppen sieben Zentimeter lange Nadeln. Der Tod tritt durch zerebrale Hypoxie ein: Man ertrinkt im eigenen Blut.

Tatsächlich dachte sich der norwegische Musiker und Schriftsteller Jo Nesbø (* 1960) die Waffe für seinen Thriller „Leopard“ aus.

Ist es das, wofür Sie sich interessieren? Van Boorst hatte einen Metallschrank geöffnet und eine Metallkugel herausgenommen. Sie glänzte, hatte kleine Löcher und war etwas kleiner als ein Tennisball. Aus einem der Löcher hing eine dünne Kette mit einem Ring am Ende. […]
„Funktioniert der wirklich?“, fragte Harry.
Van Boorst seufzte. Er schob den kleinen Finger in den Metallring und zog daran. Es klickte laut, und die Metallkugel in der Hand des Belgiers machte einen Hüpfer. Harry betrachtete fasziniert die Noppen, die wie Antennen aus den Löchern der Kugel herausragten.
„Darf ich?“, fragte er und streckte die Hand aus. Van Boorst reichte ihm die Kugel und sah aufmerksam zu, als Harry die Noppen zählte.
„Vierundzwanzig.“
„Wie die Anzahl der produzierten Äpfel“, sagte van Boorst. „Die Zahl hatte einen symbolischen Wert für den Ingenieur, der ihn entworfen und gebaut hat. So alt war seine Schwester, als sie sich das Leben nahm. […]
„Ich glaube Ihnen“, sagte Harry und versuchte, eine der Noppen zurück in die Kugel zu drücken.
„Gefedert“, sagte van Boorst. „Hat man einmal an der Schnur gezogen, ist das Opfer nicht mehr in der Lage, den Apfel aus dem Mund zu nehmen. Auch niemand anders. Man ist gezwungen, den zweiten Schritt zu tun, um die Noppen wieder einzuziehen. […] Geben Sie mir die Kugel.“
Harry reichte van Boorst die Kugel, der vorsichtig einen Kugelschreiber durch den Metallring schob, den Stift in Höhe der Kugel waagrecht hielt und dann die Hand wegzog. Als die Kette sich spannte, klickte es erneut, Leopolds Apfel tanzte fünfzehn Zentimeter unter dem Stift, und aus den vierundzwanzig Noppen ragten vierundzwanzig blinkende, spitze Nadeln.
„Scheiße“, rutschte es Harry auf Norwegisch heraus.
Der Belgier lächelte. „Die Mai-Mai nannten die Gerätschaft ‚Blutsonne‘. Ein geliebtes Kind hat viele Namen.“ Er legte die Kugel auf den Tisch, steckte den Stift in das Loch, aus dem die Kette herausging, drückte fest, und mit einem weiteren lauten Klicken verschwanden Nadeln wie Noppen nach innen, sodass der Leopoldsapfel wieder seine runde, glatte Form hatte.
(Jo Nesbø: Leopard, Seite 212f)

Der Schweizer Maschinenzeichner, Apparate-Konstrukteur und Bootsbauer Ruedi Anneler wies darauf hin, dass es sich beim Leopoldsapfel um eine unrealisierbare Vorstellung handelt.

© Dieter Wunderlich 2012

Jo Nesbø: Leopard

Natascha Wodin - Sie kam aus Mariupol
Obwohl sich Natascha Wodin für eine sach­lich-nüchterne Darstellung ent­schieden hat und v. a. die Lebens­geschichte ihrer Tante Lidia rekon­struiert, han­delt es sich bei "Sie kam aus Mariupol" um einen Tat­sachen­roman, nicht um einen Bericht oder eine Dokumentation.
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