Kurt Tucholsky : Schloss Gripsholm

Schloss Gripsholm
Schloß Gripsholm / Schloss Gripsholm Manuskript: Oktober - Dezember 1930 Vorabdruck: Berliner Tageblatt, März/April 1931 Erstausgabe: Ernst Rowohlt, Berlin 1931 Schloss Gripsholm Taschenbuchausgabe: Insel Verlag, Frankfurt/M, Februar 2006 ISBN 3-458-34865-4, ca. 220 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Kurt Tucholsky reist mit einer Geliebten nach Schweden und quartiert sich mit ihr in zwei preiswerten Zimmern ein, die sich in einem Anbau des Schlosses Gripsholm am Mälarsee befinden. Das Liebespaar verbringt dort fünf Wochen unbeschwerte Ferien, kümmert sich jedoch auch um ein unglückliches kleines Mädchen in einem Kinderheim.
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Kritik

"Schloss Gripsholm" ist eine unbeschwerte, leichthin erzählte "Sommergeschichte" – amüsant, fröhlich und idyllisch, aber nicht sentimental –, zu der sich Kurt Tucholsky wohl durch einen Sommeraufenthalt mit einer Geliebten im Jahr 1929 inspirieren ließ.
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Ernst Rowohlt schreibt an Kurt Tucholsky in Berlin: „Haben Sie gar nichts? Wie wäre es denn mit einer kleinen Liebesgeschichte? Überlegen Sie sich das mal!“ Und der Schriftsteller antwortet: „Ja, eine Liebesgeschichte … lieber Meister, wie denken Sie sich das? In der heutigen Zeit Liebe? Lieben Sie? Wer liebt denn heute noch?“

Gleich darauf fährt er mit seiner Freundin Lydia – seiner „Prinzessin“ – per Bahn über Kopenhagen nach Stockholm. Dort nehmen sie sich einen Dolmetscher namens Bengtsson und suchen in der Umgebung nach einem stillen, friedlichen und abgelegenen Quartier, in dem sie fünf Wochen Ferien machen wollen.

Tucholsky erinnert sich, wie er Lydia kennen lernte:

Ich […] bot den diskret lächerlichen Anblick eines Mannes, der balzt. Dabei sind wir ja rechtschaffen komisch … Ich machte Plüschaugen und sprach über Literatur – sie lächelte. Ich erzählte Scherze und beleuchtete alle Schaufenster meines Herzens. Und dann sprachen wir von der Liebe. Das ist wie bei einer bayerischen Rauferei – die raufen auch erst mit Worten.

Bei ihrer Suche gelangen sie nach Mariefred, in eine kleine Stadt am Mälarsee mit einem Schloss: Gripsholm.

Herr Bengtsson erklärte uns das Schloss, wie er es seinen Amerikanern erklärt hätte, der Spiritus sang aus ihm, und nach jeder Jahreszahl sagte er: „Aber so genau weiß ich das nicht“, und dann sahen wir im Baedeker nach, und es war alles, alles falsch – und wir freuten uns mächtig. Ein Kerker war da, in dem Gustav der Verstopfte Adolf den Unrasierten jahrelang eingesperrt hatte, und so dicke Mauern hatte das Schloss, und einen runden Käfig für die Gefangenen gab es und ein schauerliches Burgloch oder eine Art Brunnen … Menschen haben immer Menschen gequält, heute sieht das nur anders aus. […]

In einem Anbau des Schlosses bekamen sie zwei preiswerte, schöne Zimmer.

Die Koffer kamen, und wir packten aus, stellten die Möbel so lange um, bis sie alle wieder auf demselben Platz standen wie zu Anfang … die Prinzessin badete Probe, und ich musste mich darüber freuen, wie sie nackt durchs Zimmer gehen konnte – wirklich wie eine Prinzessin. Nein, gar nicht wie eine Prinzessin: wie eine Frau, die weiß, dass sie einen schönen Körper hat. „Lydia“, sagte ich, „in Paris war einmal eine Holländerin, die hat sich auf ihren Oberschenkel die Stelle tätowieren lassen, auf die sie am liebsten geküsst werden wollte. Darf ich fragen …“ Sie antwortete. Und es beginnt nunmehr der Abschnitt

6

[Es folgt das 6. Kapitel.]

Kurt Tucholsky und Lydia baden im See, sonnen sich nackt, wandern und legen sich ins Gras. Nichts erinnert sie mehr an Berlin. Als eingebildete deutsche Touristen Schloss Gripsholm besichtigen, versteckt Tucholsky sich in einem Brunnenschacht und erschreckt sie zum Spaß.

Bei einem ihrer Spaziergänge begegnen Lydia und Tucholsky einer Kolonne von vierzig Kindern. Ganz am Schluss fällt ihnen ein trauriges kleines Mädchen auf. Einige Tage später kommen sie zufällig an einem Kinderheim in Läggesta vorbei. Plötzlich läuft das unglückliche Mädchen auf sie zu. Die Leiterin, eine Deutsche, ruft die kleine Ada streng zurück. Frau Adriani scheint ein überaus strenges Regiment zu führen. Da ist kein Platz für Herzlichkeit; mit drakonischen Strafen ahndet sie jeden Verstoß gegen Zucht und Ordnung. Ada Collin leidet unter den Schikanen und fühlt sich einsam, besonders seit ihr jüngerer Bruder Wilhelm („Will“) gestorben ist. Ihre Mutter lebt in Zürich und kann sich nicht um sie kümmern. Bevor Ada im Haus verschwindet, kann Lydia ihr gerade noch zuflüstern, sie solle die Adresse ihrer Mutter auf einen Zettel schreiben und aus dem Fenster werfen. Zurück in Gripsholm, berichten Lydia und Tucholsky Frau Collin in einem Brief, was sie beobachtet haben.

Tucholskys alter Freund Karlchen kommt für ein paar Tage zu Besuch. Bald nach seiner Abreise folgt Lydias langjährige Freundin Sibylle („Billie“). Eines Abends legen Lydia und Billie sich ins Doppelbett und lösen Kreuzworträtsel. Tucholsky soll in Billies Zimmer schlafen. Doch er macht sich beim Raten nützlich und kuschelt sich wegen der Kälte an Lydia. Unvermittelt fordert sie ihn auf, Billie zu küssen …

Billie muss wieder zurück nach Berlin. Tucholsky überlegt, ob er für immer in Gripsholm bleiben soll, sagt sich dann aber:

Nein, damit ist es nichts. Wenn man umzieht, ziehen die Sorgen nach. Ist man vier Wochen da, lacht man über alles – auch über die kleinen Unannehmlichkeiten. Sie gehen dich so schön nichts an. Ist man aber für immer da, dann muss man teilnehmen.

Frau Collin hatte zurückgeschrieben. Sie bat Lydia und Tucholsky darum, sich ein wenig um Ada zu kümmern. Beim Besuch in der Kinderkolonie kam es zu einem bösen Streit mit der herrschsüchtigen Frau Adriani. Telefonisch baten sie daraufhin Frau Collin, ihnen eine schriftliche Vollmacht zur Abmeldung des Kindes zu schicken, und sie versprachen, Ada nach Zürich zu bringen.

Minuten nachdem die Post von Frau Collins eingetroffen ist, taucht Ada keuchend und außer sich im Schloss auf. Sie ist wieder einmal Frau Adriani entflohen. Lydia und Tucholsky gehen mit ihr zum Kinderheim und holen ihre Sachen ab. Dann fahren sie mit dem Kind zurück nach Deutschland.

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Kurt Tucholsky wurde 1890 als Sohn eines großbürgerlichen jüdischen Kaufmanns in Berlin geboren. Nach dem Jurastudium in Berlin und Genf und der Promotion 1915 in Jena leistete er Kriegsdienst. 1912 hatte er bereits den Roman „Rheinsberg. Ein Bilderbuch für Verliebte“ veröffentlicht. Nach dem Krieg, von 1918 bis 1920, war er Chefredakteur einer satirischen Beilage des „Berliner Tageblatts“ („Ulk“). Dann verdiente er seinen Lebensunterhalt als freier Journalist und Schriftsteller, bis er nach einem Volontariat bei einer Bank 1926 Mitherausgeber der Zeitschrift „Die Weltbühne“ wurde. Nach der Scheidung von Else Weil, mit der er von 1920 bis 1924 verheiratet war, heiratete er Mary Gerold. Auch diese Ehe scheiterte und wurde im August 1933 geschieden.

Seit er im April 1924 als Korrespondent der „Weltbühne“ und der „Vossischen Zeitung“ nach Paris gegangen war, kehrte er nur hin und wieder für einige Zeit nach Deutschland zurück. Nach einem Urlaub 1928 in Skåne und einem fünfmonatigen Aufenthalt 1929 in Mariefred mietete er die Villa „Nedsjölund“ in Hindås, die er im Januar 1930 bezog. Im Herbst 1930 kam er bei der Durchreise von einem Sanatoriumsaufenthalt in der Schweiz noch einmal durch Deutschland.

„Schloss Gripsholm“ ist eine unbeschwerte, leichthin erzählte „Sommergeschichte“, amüsant, fröhlich und idyllisch, aber nicht sentimental. Sie enthält offenbar autobiografische Züge, denn von Ende April / Anfang Mai bis Mitte Oktober 1929 hielt Kurt Tucholsky sich tatsächlich mit seiner gut vier Jahre jüngeren Geliebten, der Journalistin Lisa Matthias, in dem kleinen Badeort Fjälltorp Läggesta am Ufer des Mälarsees gegenüber Schloss Gripsholm auf.

Lisa Matthias veröffentlichte 1962 eine Autobiografie. Ihr erster Ehemann, mit dem sie kurz vor dem Ersten Weltkrieg getraut worden war, starb 1920. Im Jahr darauf heiratete sie den Journalisten Leo Matthias. Auf einem Künstlerball in Berlin lernte sie Anfang 1927 Kurt Tucholsky kennen. „Lottchen“ nannte er sie, nachdem sie seine Geliebte geworden war. Ihre Freundin Yvonne inspirierte Tucholsky zu der Figur Billie; Lisa Matthias beteuert jedoch, sich nicht an der von ihm in „Schloss Gripsholm“ beschriebenen Bettszene zu dritt beteiligt zu haben.

„Für IA 47 407.“ Was bedeutet diese eigenartige Widmung? Lisa Matthias behauptet, damit sei sie gemeint gewesen; es habe sich um das polizeiliche Kennzeichen ihres Autos gehandelt.

Den ersten Entwurf für den Roman „Schloss Gripsholm“ verfasste Kurt Tucholsky in der Zeit vom 1. Oktober bis 17. Dezember 1930. Am 31. Dezember schloss er das Manuskript ab. Im Frühjahr 1931 erschien „Schloss Gripsholm“ als Fortsetzungsroman im „Berliner Tageblatt“, und im Mai desselben Jahres bei Ernst Rowohlt in Berlin als Buch.

Nach „Schloss Gripsholm“ publizierte Tucholsky nichts mehr. Am 23. August 1933 stand sein Name auf der ersten Ausbürgerungsliste der Nationalsozialisten, und sein Vermögen in Deutschland wurde beschlagnahmt. Am 19. Dezember 1935 nahm Kurt Tucholsky in seiner Villa gewollt oder versehentlich eine Überdosis Veronal ein und starb zwei Tage später in einem Krankenhaus in Göteburg. Er wurde auf dem kleinen Friedhof in Mariefred in der Nähe des Schlosses Gripsholm beigesetzt.

Kurt Hoffmann verfilmte „Schloss Gripsholm“ mit Jana Brejchová, Walter Giller, Hanns Lothar, Nadja Tiller u.a. (1963; 95 Minuten). Xavier Koller ging in seinem Film „Gripsholm“ über die literarische Vorlage hinaus und verband mit Motive aus der Biografie von Kurt Tucholsky.

 

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2003
Textauszüge: © Rowohlt Verlag, Reinbek

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