Temple Grandin


Temple wurde am 29. August 1947 in Boston, Massachusetts, als Tochter von Richard Grandin and Eustacia Cutler geboren. Mit vier Jahren konnte sie noch nicht sprechen. Auch aufgrund anderer Auffälligkeiten diagnostizierten Ärzte 1950 Autismus und rieten den Eltern, das Kind in einem Heim unterzubringen. Stattdessen behielt Eustacia ihre Tochter bei sich, stellte ein Kindermädchen ein und schickte Temple schließlich zur Schule. Dort galt das Mädchen als Außenseiterin und wurde von ihren Mitschülerinnen verspottet.

Mühsam, so als wäre es eine Fremdsprache, eignete sich Temple Grandin nach und nach die amerikanische Sprache an. Ihre eigentliche Sprache war von Anfang an visuell: Sie denkt in Bildern. Auch ihr Gedächtnis ist fotografisch.

Trotz aller Widrigkeiten schaffte Temple Grandin 1966 den Schulabschluss im Internat der Hampshire Country School in Rindge, New Hampshire.

Während eines Ferienaufenthalts bei einer Tante beobachtete sie, wie man Rinder zum Impfen in eine sogenannte Pressmaschine trieb, eine Vorrichtung, in der sie festgehalten wurden.

Ich war völlig fasziniert von dem Anblick der in diese Maschine gepferchten Tiere. Man sollte meinen, dass die Rinder panisch reagieren, wenn sie so in die Zange genommen werden, doch das Gegenteil ist der Fall. Sie werden plötzlich ganz ruhig. (Temple Grandin und Catherine Johnson: Ich sehe die Welt wie ein frohes Tier. Wie ich als Autistin Menschen und Tiere einander näher bringen kann, München 2005, Seite 13)

Temple Grandin, die es nicht ertrug, wenn jemand sie anfasste, baute sich mit neunzehn im Internat des Franklin Pierce College in Rindge, wo sie nun Psychologie studierte, so eine „hug machine“ für ihre Größe und erlebte die beruhigende Wirkung.

1970 erwarb sie den Bachelor-Titel. Fünf Jahre später beendete sie ihr tierwissenschaftliches Studium an der Arizona State University in Phoenix mit einem Master-Titel. 1989 promovierte sie an der University of Illinois in Urbana-Champaign. Im Jahr darauf begann sie als Dozentin an der Colorado State University in Fort Collins Tierwissenschaft zu lehren.

Temple Grandin hält es für ethisch verantwortbar, Fleisch zu essen und Tiere für diesen Zweck zu züchten, plädiert aber dafür, sie keinem unnötigen Stress auszusetzen und möglichst schmerzfrei zu schlachten. Ihre Erkenntnisse auf dem Gebiet der Verhaltensbiologie setzt sie bei der Konzeption von Anlagen ein, in denen Nutztiere optimal gehalten, transportiert bzw. geschlachtet werden. Die Grandin Livestock Systems dienen auch dazu, Unfälle und gefährliche Situationen beispielsweise beim Transport von Tieren zu vermeiden.

Auf der Grundlage ihrer eigenen Erfahrungen beschäftigt Temple Grandin sich auch mit Autismus.

Einerseits hat Temple Grandin erstaunliche Erfolge erzielt. Andererseits langweilt sie sich nach wie vor auf Partys und kann die Gefühle anderer Menschen weder nachempfinden noch einschätzen. Wie anderen Autisten auch, mangelt es ihr an Empathie.

In seinem Buch „Eine Anthropologin auf dem Mars. Sieben paradoxe Geschichten“ (1995) beschreibt Oliver Sacks Temple Grandins Autismus.

Mick Jackson drehte das Biopic „Du gehst nicht allein“ über Temple Grandin.

„Time“ hielt Temple Grandin 2010 für eine der hundert einflussreichsten Persönlichkeiten der Welt in der Kategorie Helden.

Bibliografie (Auswahl):

  • Temple Grandin, Margaret M. Scariano: Emergence. Labeled Autistic (1986, überarbeitet: 1991; Durch die gläserne Tür. Lebensbericht einer Autistin, Übersetzung: Manfred Jansen, München 1994, ISBN 3-423-30393-X)
  • Temple Grandin, Catherine Johnson: Thinking in pictures and Other Reports from My Life with Autism (1996; Ich bin die Anthropologin auf dem Mars. Mein Leben als Autistin, Übersetzung: Stefan Gebauer, München 1997, ISBN 3-426-77288-4)
  • Temple Grandin, Catherine Johnson: Animals in Translation. Using the Mysteries of Autism to Decode Animal Behavior (2005; Ich sehe die Welt wie ein frohes Tier. Wie ich als Autistin Menschen und Tiere einander näher bringen kann, Übersetzung: Christiane Burkhardt, München 2005, ISBN 3-550-07622-3)

© Dieter Wunderlich 2011

Autismus
Inselbegabung / Savant

Mick Jackson: Du gehst nicht allein. Temple Grandin

Germán Kratochwil - Scherbengericht
Germán Kratochwil erzählt in einem tragikomischen Debütroman "Scherbengericht" von einem Dutzend Personen, wechselt von Kapitel zu Kapitel die Perspektive und ordnet jeder Stimme eine eigene Sprache zu.
Scherbengericht