Wladyslaw Szpilman : Das wunderbare Überleben

Das wunderbare Überleben
Śmierć miasta Das wunderbare Überleben Warschauer Erinnerungen 1939 bis 1945 Übersetzung: Karin Wolff Essay: Wolf Biermann Econ Verlag, München / Düsseldorf 1998 ISBN 978-3-430-18987-3, 232 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

1940 sperrten die Deutschen den polnischen Pianisten Wladyslaw Szpilman (1911 - 2000) zusammen mit 445 000 anderen Juden in das Warschauer Ghetto. Während seine Familienangehörigen 1942 in ein Vernichtungslager gebracht wurden, rettete ihm ein Kollaborateur im letzten Augenblick das Leben, und ausgerechnet ein deutscher Offizier bewahrte ihn Ende 1944 vor dem Verhungern.
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Kritik

Wladyslaw Szpilman brachte seine grauenvollen Erlebnisse gleich nach dem Krieg zu Papier, aber kaum jemand interessierte sich damals dafür. Das änderte sich, als das erschütternde Zeitdokument 1998 unter dem Titel "Das wunderbare Überleben" in deutscher Sprache erschien.
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Von 1931 bis 1933 studierte Wladyslaw Szpilman (1911 – 2000) Musik in Berlin. Dann kehrte er in seine Heimatstadt Warschau zurück. Der Pianist war nicht selten im polnischen Rundfunk zu hören.

Er wohnt noch mit seinem Bruder Henryk und seinen beiden Schwestern Regina und Halina bei den Eltern, als im September 1939 die Deutschen einmarschieren. Die Szpilmans werden enteignet und 1940 zusammen mit 445 000 anderen Juden in das Warschauer Ghetto gesperrt. Damit die Familie wenigstens Kartoffeln kaufen kann, spielt Wladyslaw allabendlich in einer von Kollaborateuren besuchten Gaststätte.

Am 22. Juli 1942 beginnen die Deutschen mit der Räumung des Ghettos, in dem bereits 50 000 Menschen an Hunger und Krankheit gestorben sind. Innerhalb eines Vierteljahres werden 300 000 Juden in Vernichtungslager transportiert – darunter auch die Familie Szpilman. Nur Wladyslaw wird im letzten Augenblick und ohne sein Zutun durch einen jüdischen Kollaborateur vor diesem Schicksal bewahrt.

Durch die Hilfe eines Leidensgenossen gelingt ihm die Flucht aus dem Ghetto; polnische Untergrundkämpfer verstecken Szpilman in einer leer stehenden Wohnung unmittelbar an der Ghettomauer. Durchs Fenster beobachtet er, wie SS-Einheiten 1943 mit Geschützen, gepanzerten Fahrzeugen und Flammenwerfern einen Aufstand der letzten Ghetto-Bewohner niederschlagen, die wochenlang mit Pistolen, Handgranaten und Molotow-Cocktails um jeden Schlupfwinkel kämpfen.

Im November fing es an, kühl zu werden, besonders nachts. Um nicht verrückt zu werden vor Einsamkeit, beschloss ich, ein möglichst geregeltes Leben zu führen. Ich hatte noch immer die Uhr, meine Vorkriegs-„Omega“, die ich, zusammen mit dem Füllfederhalter als einziger persönlicher Habe, hütete wie meinen Augapfel. Nach dieser gewissenhaft aufgezogenen Uhr entwarf ich einen „Stundenplan“. Den Tag über lag ich reglos da, um meine wenigen Kraftreserven zu schonen, die ich noch in meinem Körper hatte. Einen Rest Zwieback und ein Glas Wasser teilte ich mir sorgsam ein. Mit geschlossenen Augen rief ich mir Takt um Takt sämtliche Kompositionen ins Gedächtnis zurück, die ich je gespielt hatte. Oder ich ging systematisch den Inhalt aller Bücher durch, die ich je gelesen hatte, und wiederholte im Gedächtnis mein Englischvokabular. Nachts begab ich mich auf Nahrungssuche. Ich stöberte in den Kellern umher und in den Brandresten der Wohnungen, fand dort ein bisschen Grütze, da ein paar Stückchen Brot, Wasser in Wannen oder Eimern und Krügen. Bei diesen Wanderungen kam ich immer wieder an der verkohlten Männerleiche vorbei, die auf der Treppe unterhalb meines Verstecks lag – meinem einzigen Gefährten in dieser Zeit, dessen Anwesenheit ich nicht fürchten musste.

Die Untergrundgruppe, die ihm geholfen hat, wird von der Gestapo enttarnt. Man warnt ihn, dass er in seinem Versteck nicht mehr sicher sei. Schließlich irrt er verdreckt und jeder menschlichen Beziehung beraubt, nur noch vom puren Überlebenswillen getrieben, durch die zerschossenen Straßenzüge des ausgestorbenen Ghettos und versteckt sich in der Ruine eines mehrstöckigen Hauses auf dem Dachboden. Verzweifelt sucht er in den leeren Wohnungen nach etwas Trink- und Essbaren. Da steht plötzlich ein Wehrmachtsoffizier vor ihm und fragt: „Was suchen Sie hier?“ Szpilman starrt den Deutschen an. Als Hauptmann Wilm Hosenfeld herausfindet, dass es sich bei dem aufgestöberten Mann um einen Pianisten handelt, befiehlt er ihm, auf einem Flügel im Zimmer nebenan etwas zu spielen. Dann begreift er, dass er einen Juden vor sich hat, aber er erschießt ihn nicht, sondern lässt sich sein Versteck zeigen und geht dann, ohne ein Wort zu sagen.

In den nächsten Tagen richten die Deutschen einen Kommandostab in den noch brauchbaren Wohnungen der Ruine ein. Hauptmann Hosenfeld bringt Szpilman heimlich einen Laib Brot. Und als dieser sich nach der Bedeutung des Artilleriefeuers erkundigt, berichtet ihm der Offizier, dass die Russen schon ganz in der Nähe ist. „Halten Sie durch! Nur noch ein paar Wochen.“ Am 12. Dezember 1943 schenkt Wilm Hosenfeld dem Untergetauchten seinen Mantel und verabschiedet sich, denn die Deutschen verlassen Warschau und weichen der Roten Armee.

Im Frühjahr 1944 fährt ein russischer Lastwagen durch die Straße. Wladyslaw Szpilman eilt aufgeregt ins Freie und läuft den ersten Menschen, die er sieht, mit offenen Armen entgegen. Aber die schrecken vor ihm zurück: „Ein Deutscher!“ Russische Soldaten schießen auf ihn, bis sie begreifen, dass es sich um einen Polen handelt. Warum er einen deutschen Offiziersmantel trage, fragen sie ihn. Weil ihm kalt sei, antwortet er.

Nach dem Krieg trat Wladyslaw Szpilman wieder als Pianist auf und avancierte zum Musikdirektor von Radio Warschau.

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Wladyslaw Szpilman brachte seine grauenvollen Erlebnisse gleich nach dem Krieg zu Papier und veröffentlichte sie 1946 (Smierc miasta / Der Tod einer Stadt). Kaum jemand interessierte sich damals dafür.

Das änderte sich, als der Econ-Verlag Wladyslaw Szpilmans Autobiografie 1998 unter dem Titel „Das wunderbare Überleben“ in deutscher Sprache herausbrachte.

Roman Polanski urteilte über das erschütternde Zeitdokument: „Die Beschreibung besticht durch eine erstaunliche, manchmal fast kaltblütige, wissenschaftliche Objektivität und Differenziertheit. In seinem Buch kommen gute Polen vor und böse, genauso wie es gute und böse Juden gibt, und gute und böse Deutsche …“ 2002 verfilmte Roman Polanski Wladyslaw Szpilmans Erinnerungen: „Der Pianist“.

Inzwischen gibt es Wladyslaw Szpilmans Autobiografie auch als Taschenbuch unter dem Titel „Der Pianist. Mein wunderbares Überleben“ (Ullstein, 2002).

Will Hosenfeld wurde 1895 als Sohn eines Lehrers in Hessen-Nassau geboren. 1914 meldete er sich freiwillig zum Kriegsdienst. Nach dem Ersten Weltkrieg heiratete er Annemarie Krummacher, die Tochter eines Malers der Künstlergemeinde Worpswede und wurde Lehrer. Im April 1933 schloss er sich der SA an, 1935 erwarb er die Mitgliedschaft in der NSDAP. Während des Zweiten Weltkriegs kam er als Offizier in das besetzte Warschau. Dort schrieb er im Sommer 1942 in sein Tagebuch: „Wenn das wahr ist, was in der Stadt erzählt wird, und zwar von glaubwürdigen Menschen, dann ist es keine Ehre, deutscher Offizier zu sein, dann kann man nicht mehr mitmachen.“ Er beann, Einzelnen zu helfen. Darunter war Wladyslaw Szpilman. Im Januar 1945 geriet der Vater von fünf Kindern in sowjetische Kriegsgefangenschaft und wurde in Minsk monatelang verhört. Nach einem halben Jahr Isolationshaft erlitt er einen Schlaganfall. Wegen angeblicher Geheimdiensttätigkeit verurteilte man ihn zu fünfundzwanzig Jahren Zwangsarbeit. Erfolglos bemühte sich Annemarie Hosenfeld um seine Freilassung. Er starb 1952 im Alter von siebenundfünfzig Jahren in in einem Lager in Stalingrad.

Im Auftrag des Militärgeschichtlichen Forschungsamts gab Thomas Vogel eine ausführlich kommentierte Auswahl aus dem Nachlass Will Hosenfelds heraus: Wilm Hosenfeld. „Ich versuche jeden zu retten“ (1194 Seiten, Deutsche Verlags-Anstalt, München 2004).

 

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2002
Textauszüge: © Econ Verlag

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