Alice Schwarzer : Eine tödliche Liebe. Petra Kelly und Gert Bastian

Eine tödliche Liebe. Petra Kelly und Gert Bastian
Eine tödliche Liebe. Petra Kelly und Gert Bastian Originalausgabe: Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 1993 ISBN: 3-462-02288-1, 181 Seiten Aktualisierte Neuausgabe: Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2001 ISBN 3-462-03040-X, 189 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Alice Schwarzer schrieb dieses Buch aus Empörung über die unkritische Berichterstattung der Medien über den Tod der Friedensaktivistin Petra Kelly und des Generals a. D. Gert Bastian. Ihrer Meinung nach handelte es sich dabei nicht um einen erweiterten Suizid, sondern im Fall der Frau um einen Mord, denn sie geht davon aus, dass Petra Kelly nicht sterben wollte. Diese These begründet Alice Schwarzer mit einer eingehenden Analyse der Beziehung der beiden Persönlichkeiten.
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Kritik

"Eine tödliche Liebe. Petra Kelly und Gert Bastian" ist ein packendes, gedankenreiches und dramaturgisch geschickt aufgebautes Sachbuch von Alice Schwarzer.

Petra Kelly (Kurzbiografie)

Am 1. Oktober 1992 hielt der General a. D. Gert Bastian seiner vierundvierzig Jahre alten schlafenden Geliebten Petra Kelly in dem ihr gehörenden Reihenhaus in Bonn-Tannenbusch eine zweischüssige Pistole an die Schläfe und tötete sie. Danach lehnte sich der Neunundsechzigjährige im Flur an die Wand und schoss sich die zweite Kugel in den Kopf. Als seine Ehefrau Charlotte Bastian am 19. Oktober von einem Griechenland-Urlaub nach München zurückkehrte, wunderte sie sich darüber, dass sie weder ihren Mann noch dessen Geliebte telefonisch erreichen konnte. Besorgt bat sie ehemalige Nachbarn des Paares, hinzufahren und nachzusehen. Rosemarie Lötters und ihre beiden Söhne fanden die Leichen.

Rasch verbreitete sich die Vermutung, es habe sich um einen erweiterten Suizid gehandelt. Das wurde auch von der zuständigen Staatsanwaltschaft in einer Presseerkärung am 4. März 1993 bestätigt. Darüber empört sich Alice Schwarzer in ihrem Buch „Eine tödliche Liebe. Petra Kelly und Gert Bastian“, denn sie geht davon aus, dass Petra Kelly gegen ihren Willen starb und von Gert Bastian ermordet wurde.

Nein, Petra Kelly wollte ganz gewiss nicht sterben! (Seite 22)

Die 46-jährige Trägerin des „Alternativen Friedensnobelpreises“ hatte tausend Pläne und wollte 1994 ins Europa-Parlament. Sie ist nie gefragt worden, ob sie sterben will. Sie ist gegen ihren Willen getötet worden.“ (Seite 25)

Petra Kelly wurde gegen ihren Willen erschossen. (Seite 43)

Gert Bastian hat Petra Kelly aus Rache und Hass getötet. (Seite 171)

Um ihre These glaubhaft zu machen, charakterisiert Alice Schwarzer den ehemaligen General und die Friedensaktivistin und setzt sich aufgrund der verfügbaren Informationen intensiv mit der im Winter 1980/81 begonnen Beziehung der beiden auseinander. Dabei stützt sie sich nicht zuletzt auf Gespräche mit Gert Bastians Witwe Charlotte und seiner Tochter Eva, mit Petra Kellys bester Freundin Erika Heinz und ihrer Mutter Margarete Kelly. Die facettenreiche Darstellung der beiden Persönlichkeiten wird noch übertroffen von der tiefgehenden Analyse ihrer gegenseitigen Abhängigkeit.

Alice Schwarzer schildert in „Eine tödliche Liebe“, wie Petra Kelly von Termin zu Termin hetzt und bis zur Erschöpfung arbeitet, selten vor dem Morgengrauen ins Bett kommt und kaum mehr als fünf Stunden schläft.

Wovor flieht Petra Kelly mit dieser Arbeitswut? (Seite 140)

Die Autorin glaubt, dass Petra Kelly alles zu nah an sich heranließ und durch die pausenlose Aktivität zugleich ihre psychischen Probleme ausblendete.

Petra Kelly kann nur schwer Distanz halten. Das geht ihr in Beziehungen so, in der Partei und beim Elend dieser Welt. (Seite 127)

Sie kann einfach keinen Abstand halten. Nicht von den Angriffen auf ihre Person. Nicht von den Leiden dieser Welt. Und nicht von Bastian. (Seite 137)

Petra Kelly, deren Mutter erst siebzehn war, als sie geboren wurde, wuchs bei ihrer verwitweten Großmutter Kunigunde Birle in Günzburg auf. Alice Schwarzer, die als Kind bei ihren Großeltern in Wuppertal-Elberfeld wohnte, hält das für prägend.

Petra Kelly ist als Kind nicht gedemütigt, sondern ernst genommen worden; und sie ist nicht das Kind von Eltern oder einer Mutter, sondern das einer Großmutter. (Seite 81)

Kein Zweifel: Omis bedingungslose, selbstlose, adorierende Arbeit für Petra prägt deren Verständnis von Liebe nachhaltig. Sie wird ein Leben lang die Tendenz haben, von ihren Lieben totale Aufopferung und Akzeptanz zu erwarten. (Seite 87)

Petra Kelly sei aus der Rolle der zu versorgenden Tochter nie herausgekommen, behauptet Alice Schwarzer. Sie schildert die Politikerin als eine Frau, die auch als Vierzigjährige noch zum Kind regrediert, wenn ein Mann wie Gert Bastian bereit ist, sie zu bemuttern. Sobald Gert Bastian übers Wochenende zu seiner Ehefrau und den beiden Kindern nach München fliegen will, gerät sie in Panik: Sie kann nicht allein sein.

[…] statt die Freiheit zu wagen, setzt sie auf Abhängigkeit. Sie entwickelt immer fieberhaftere Aktivitäten für sich und für ihn. (Seite 147)

Eine bezeichnende Episode schildert Alice Schwarzer in „Eine tödliche Liebe“: Am 22. März 1992 nimmt Gert Bastian seine Geliebte mit nach München, bringt sie ins Hotel und will dann so rasch wie möglich zu seiner Familie. Obwohl er gegenüber der Verabredung mit seiner Frau bereits um Stunden verspätet ist, verlangt Petra Kelly von ihm, dass er ihr erst noch Obst kauft. Beim Überqueren der Straße läuft Bastian vor ein Auto. Während er mit einem zertrümmerten Schienbein ins Krankenhaus gebracht wird, ruft Petra Kelly ihre beste Freundin in Calw westlich von Stuttgart an und erwartet von ihr, dass sie sofort zu ihr nach München kommt. Erika Heinz nimmt eigens drei Wochen Urlaub und trifft am nächsten Tag gegen Mittag ein.

Draußen ist Kelly die coole, souveräne Politikerin, drinnen ist sie nicht selten ein klammerndes Kind. Bekommt sie ihren Willen nicht, schreit sie, knallt die Türen und schließt sich aus Wut ein.
Bastian scheint diese kindliche Seite durch seine väterliche Fürsorge zu verstärken. (Seite 138)

Eine starke Frau spielt die Schwache. Eine starke Frau geht mit starken Männern ins Bett und macht sich da für sie klein (fast alle Briefe und Zettel an Gert Bastian sind unterschrieben mit Formulierungen wie: „Dein armes kleines Petralein“). (Seite 111)

Der Kavalier alter Schule ist Kellys Ängsten und ihrem Appell an sein Mitleid und seine Fürsorge – Du musst mich lieben, ich bin so arm und so hilflos! – ganz ausgeliefert. Ihre Hilflosigkeit belastet ihn. Aber sie schmeichelt ihm auch. Er beginnt selbst zu glauben, dass sie ohne ihn nicht mehr existieren kann.
Kellys Mischung aus Bedürftigkeit und Tyrannei fällt übrigens gerade bei Bastian auf fruchtbaren Boden. Seine 1981 gestorbene Mutter fesselte ihn mit genau dem gleichen Wechselbad der Gefühle an sich. Er ist es gewohnt, herrisch geliebt zu werden, ohne aufzumucken. Petra Kelly kommt, als Mutter Bastian geht. (Seite 145f)

Alice Schwarzer vermutet, dass Petra Kelly und Gert Bastian seit Mitte der Achtzigerjahre keinen Sex mehr miteinander hatten. Aber die gegenseitige Abhängigkeit nahm wohl zu.

Der lebenstüchtige und fürsorgliche Bastian ist seit langem nicht nur ihr stolzer Begleiter bei Kongressen, Empfängen und Essen mit Vaclav Havel oder Jane Fonda, er gleitet auch mehr und mehr in die Rolle ihres Beschützers, Managers und Hausdieners. Er betreut und bedient sie rund um die Uhr, wie wir es sonst nur umgekehrt – von einer Frau für einen Mann – gewohnt sind. (Seite 27)

Eigene Interessen hat der Ex-General schon lange nicht mehr, er geht ganz auf in den ihren, wie eine Frau. (Seite 150)

Sie macht aus dem General ihren Lakaien. (Seite 110)

Gert Bastian kam nicht mehr von Petra Kelly los, weil er den Polittourismus an ihrer Seite nicht missen wollte, vor allem aber wegen seiner Überzeugung, dass sie ohne ihn nicht mehr lebensfähig sei.

Zweifellos verstärkt die paternalistische Fürsorge von Gert Bastian die Hilflosigkeit von Petra Kelly. Das Zusammentreffen der beiden erweist sich als fatal: Sie wird immer ohnmächtiger, er immer allmächtiger. Er entwickelt Allmachtsfantasien. Ohne ihn ist sie nichts. Sie wird zu seinem Geschöpf. Ihr Leben ist in seiner Hand. (Seite 153)

Einmal klagte er seiner Tochter Eva, dass er durch die Hölle gehe, und am 29. November 1990 gestand er dem mit ihm und Petra Kelly befreundeten, aus Tibet stammenden Arzt Palden Tawo:

„Ich kann nicht mehr. Wenn es überhaupt nicht mehr geht, dann gehe ich und nehme Petra mit. Ich erschieße sie im Schlaf und dann mich.“ (Seite 155)

Alice Schwarzer glaubt, dass Petra Kelly und Gert Bastian sich am Ende hassten. Er hasste sie, weil er nicht von ihr loskam, und sie hasste ihn, weil sie seine von ihrem Psychoterror hervorgerufene Schwäche ebenso wenig ertrug wie ihre eigene Abhängigkeit.

Die Geschichte dieser „tödlichen Liebe“ ist besonders und exemplarisch zugleich. Sie zeigt, dass Petra Kelly und Gert Bastian nicht nur an ihrer Frauenrolle und Männerrolle, sondern vor allem auch an der Halbherzigkeit ihres Ausbruchs aus dieser Rolle gescheitert sind, an der Halbherzigkeit ihrer Emanzipation. Da hat eine Frau es nicht ausgehalten, stark zu sein und einen Mann zu dominieren, ohne sich permanent dafür zu entschuldigen und klein zu machen. Und da hat ein Mann es nicht ausgehalten, schwach zu sein und sich einer Frau unterzuordnen, ohne Aggressionen deswegen zu bekommen – bis hin zum tödlichen Hass. (Seite 170)

Wären die Geschlechter vertauscht gewesen, hätte es keine Tragödie gegeben, meint Alice Schwarzer. Ein Mann, der mehr nimmt als er gibt, und eine Frau, die selbstlos für ihn da ist, entspräche den Rollenvorstellungen und führe deshalb nicht zu Konflikten.

Ein männliches Ich und ein weibliches relatives Wesen – so sind wir es gewohnt, so ist die Welt in Ordnung. Nur – hier war es umgekehrt. (Seite 173)

Mit einem Artikel in der „Zeit“ vom 10. September 1993 unter der Schlagzeile „Ein Buch der zu schnellen Antworten“ reagierte Till Bastian auf „Eine tödliche Liebe“. Er warf Alice Schwarzer vor, so zu tun, als sei sie dabei gewesen und verwahrte sich gegen die Behauptung, sein Vater habe Petra Kelly ermordet.

Man muss die von Alice Schwarzer in „Eine tödliche Liebe“ aufgestellte These, Gert Bastian habe Petra Kelly aus Hass ermordet, nicht teilen. Umgekehrt sind auch Zweifel an der offiziellen Darstellung erlaubt, der zufolge es sich um einen erweiterten Suizid handelte. Wir wissen nicht, warum Gert Bastian seine Geliebte erschoss. Vielleicht sah er in seiner Verzweiflung keinen anderen Ausweg, als den Selbstmord, und dass er Petra Kelly mit in den Tod nahm, könnte auch aus Mitgefühl geschehen sein. Wenn es stimmt, dass er sie nicht dazu befragt hatte, maßte er sich dabei allerdings an, die Entscheidung für sie zu treffen.

Auch wenn man sich Alice Schwarzers Hauptthese nicht zu eigen macht, liest man „Eine tödliche Liebe. Petra Kelly und Gert Bastian“ mit Gewinn, denn es handelt sich um ein packendes, gedankenreiches und dramaturgisch geschickt aufgebautes Sachbuch. Alice Schwarzer beginnt die Darstellung mit dem Tod des Paares, und bevor sie sich mit der Reaktion der Öffentlichkeit darauf auseinandersetzt, schildert sie das letzte halbe Jahr der kaputten Beziehung. In der Mitte des Buches sind Kurzbiografien von Gert Bastian und Petra Kelly zu finden. Und in der zweiten Hälfte analysiert Alice Schwarzer das symbiotische Verhältnis der beiden. Mit einem „Geständnis“ über ihre eigene Prägung durch die dominante Großmutter und den „unmännlichen“ Großvater beschließt sie ihr empfehlenswertes Buch.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2010
Textauszüge: © Verlag Kiepenheur & Witsch

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