Schmetterling und Taucherglocke

Schmetterling und Taucherglocke
Schmetterling und Taucherglocke – Originaltitel: Le scaphandre et le papillon – Regie: Julian Schnabel – Drehbuch: Ronald Harwood, nach der Autobiografie "Schmetterling und Taucherglocke" von Jean-Dominique Bauby – Kamera: Janusz Kaminski – Schnitt: Juliette Welfling – Musik: Paul Cantelon – Darsteller: Mathieu Amalric, Emmanuelle Seigner, Marie-Josée Croze, Anne Consigny, Max von Sydow, Isaach De Bankolé, Marina Hands, Olatz Lopez Garmendia, Niels Arestrup u.a. – 2007; 110 Minuten

Inhaltsangabe

Im Alter von 43 Jahren erleidet der schöne Frauen und teure Autos liebende Journalist Jean-Dominique Bauby einen Hirnschlag. Als er im Krankenhaus zu sich kommt, stellt er fest, dass er zwar bei vollem Bewusstsein ist, aber vollständig gelähmt und stumm (Locked-In-Syndrom). Anfangs möchte er nichts als sterben, aber dann beginnt er, über sein Leben zu reflektieren und seine Umgebung zu beobachten ...
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Kritik

Der literarischen Vorlage entsprechend, hat Julian Schnabel bei der Verfilmung von "Schmetterling und Taucherglocke" nicht auf Mitleid gesetzt, sondern auf die Identifikation mit dem Protagonisten. Die Adaptation ist kongenial, überzeugend und visuell kreativ.
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Der schöne Frauen und teure Autos liebende Chefredakteur Jean-Dominique Bauby (Mathieu Amalric), der seine Lebensgefährtin Céline (Emmanuelle Seigner) und die drei Kinder Théophile, Céleste und Hortense (Théo Sampaio, Fiorella Campanella, Talina Boyaci) wegen einer anderen Frau verlassen hat, bricht im Alter von zweiundvierzig Jahren bei einer Autofahrt zusammen. Als er fast drei Wochen später im Krankenhaus von Berck-sur-Mer in der Normandie aus dem Koma erwacht, begreift er nach und nach, dass er zwar bei vollem Bewusstsein ist, aber vollständig gelähmt und stumm. Die Ärzte Cocheton und Lepage (Gérard Watkins, Patrick Chesnais) erklären ihm, dass er aufgrund eines Hirnschlags an einem Locked-In-Syndrom leidet.

Nach kurzer Zeit wird ihm auch noch das rechte Auge zugenäht, weil die Ärzte befürchten, dass sich sonst auf der Hornhaut ein Geschwür bilden könnte.

Anfangs möchte Jean-Dominique Bauby nichts als sterben, aber dann beginnt er, über sein Leben zu reflektieren und seine Umgebung zu beobachten. Seine Gedanken dazu sind teils ernst, teils humorvoll, mitunter auch sarkastisch oder trotzig. Mitunter erinnert er sich an frühere Erlebnisse, etwa den Ausflug nach Lourdes mit seiner damaligen Geliebten Joséphine (Marina Hands) oder wie er dem Geschäftsmann Lucien (Jean-Pierre Cassel) seinen Platz in einem Flugzeug überließ, das dann von Terroristen gekapert wurde. Einmal stellt er sich vor, wie die Kaiserin Eugénie de Montijo (Emma de Caunes) hinter seinen Rollstuhl tritt und er aufsteht, um sie zu küssen.

[…] er lässt seinen Geist streifen, erschafft sich eine neue Welt aus Erinnerung und Fantasie. Er lernt, im Inneren zu schlemmen und zu lieben, reist an die Orte zurück, an denen er gewesen ist, zu den Menschen, die ihm wichtig waren, geistert durch Traumwelten. Bauby ist bei Bewusstsein, und Bewusstsein ist alles; er ist in einer Taucherglocke gefangen, aber sein Verstand ist und bleibt ein Schmetterling. (Susan Vahabzadeh, Süddeutsche Zeitung, 26. März 2008)

Wenn die attraktive Physiotherapeutin Marie Lopez (Olatz Lopez Garmenida) ihr Gesicht wenige Zentimeter vor das linke Auge des Patienten hält und ihm Zungenübungen vormacht, wirkt das ausgesprochen erotisch auf ihn, und er denkt: „Das ist unfair.“

Schließlich druckt die Logopädin Henriette Durand (Marie-Josée Croze) das Alphabet mit den nach der Häufigkeit ihres Vorkommens in der französischen Sprache sortierten Buchstaben auf eine Tafel und liest ihm die Buchstaben der Reihe nach vor, bis Jean-Dominique das linke Augenlid bewegt, um einen bestimmten Buchstaben auszuwählen. Das ist für ihn die einzige Möglichkeit, sich auszudrücken, auch wenn ihn Céline mit den Kindern oder sein Freund Laurent (Isaach De Bankolé) besuchen. Sein verwitweter Vater (Max von Sydow) spricht übers Telefon zu ihm und lässt sich die Antworten von Henriette Durand durchgeben. Auf seine Geliebte Inès (Agathe de La Fontaine) wartet Jean-Dominique vergeblich. Einmal, als Céline an seinem Bett sitzt, ruft sie an und erklärt ihm schluchzend, sie bringe es nicht fertig, ihn so zu sehen.

Jean-Dominique nimmt sich vor, ein Buch darüber zu schreiben, wie er sich in seiner „Taucherglocke“ fühlt. In monatelanger Arbeit diktiert er der geduldigen Lektorin Claude Medibil (Anne Consigny) Buchstabe für Buchstabe seine Autobiografie.

Am 9. März 1997, drei Tage nachdem das Buch „Schmetterling und Taucherglocke“ erschienen ist, stirbt Jean-Dominique Bauby.

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Der amerikanische Maler Julian Schnabel (* 1951) verfilmte die Autobiografie „Schmetterling und Taucherglocke“ von Jean-Dominique Bauby.

Der Drehbuchautor Ronald Harwood sah seine Aufgabe allerdings nicht in einer wirklichkeitsgetreuen Dokumentation, sondern er nahm sich die Freiheit der Fiktion. Das beginnt damit, dass Jean-Dominique Bauby in Wirklichkeit nur zwei Kinder hatte, nicht drei wie im Film. Weitgehend fiktiv ist auch die Darstellung der Mutter dieser Kinder, die im Film Céline heißt und von Emmanuelle Seigner gespielt wird. Julian Schnabel und Ronald Harwood zeigen in „Schmetterling und Taucherglocke“ eine Frau, die den Patienten täglich besucht, während er vergeblich auf seine Geliebte wartet. Freunde von Jean-Dominique Bauby wie Bernard Chapuis ärgern sich darüber und betonen, dass Sylvie, die Mutter seiner beiden Kinder, in Wirklichkeit sehr viel seltener im Krankenhaus gewesen sei, während seine Geliebte Florence Tag für Tag an seinem Bett gesessen habe. In ihren Armen soll er auch gestorben sein, während sich Sylvie zum Zeitpunkt seines Todes in den USA aufgehalten habe. Unbestritten ist allerdings – und das halte ich für sehr viel wichtiger –, dass die Darstellung des Locked-In-Syndroms in „Schmetterling und Taucherglocke“ auch nach Meinung von Fachleuten realistisch ist.

Der Film „Schmetterling und Taucherglocke“ beginnt mit einer Weißblende: Jean-Dominique Bauby kommt zu sich und nimmt verschwommen wahr, was sich im Gesichtsfeld vor seinem gelähmten Körpers bewegt. In der ersten halben Stunde des Films sehen wir alles aus den Augen des unter dem Locked-In-Syndrom leidenden Patienten, der nichts außer dem linken Auge bewegen kann. Wir hören seine Gedanken und erleben schließlich auch seine Träume, Erinnerungen und Vorstellungen. Die Szenen, in denen Jean-Dominique als Patient oder in seinen Erinnerungen zu sehen ist, werden allmählich länger. Die letzten Minuten des Films werden wieder ausschließlich aus seiner Perspektive dargestellt. Bild- und Tonstörungen symbolisieren dabei das Sterben.

Der literarischen Vorlage entsprechend, haben Ronald Harwood (Drehbuch) und Julian Schnabel (Regie) nicht auf Mitleid gesetzt, sondern auf die Identifikation der Zuschauer mit dem Protagonisten. „Schmetterling und Taucherglocke“ ist kein Rührstück, keine larmoyante Klage über ein besonders grauenhaftes Schicksal, sondern eine sensible, sehr bewegende Reflexion des Patienten über sein Leben. Wie im Buch gibt es weder Kitsch noch falsche Sentimentalität. Die kongeniale Adaptation der literarischen Vorlage zeichnet sich nicht zuletzt durch die Kraft und Kreativität der visuellen Darstellung aus.

Der Film ist von geradezu überwältigender Schönheit, von einem ungeheuren visuellen Einfallsreichtum, den Schnabel und sein Kameramann hier freisetzen. Wenn einer bei den eben vergebenen Oscars den Preis für die beste Kameraarbeit verdient gehabt hätte, dann Janusz Kaminski […]. Was wir hier von ihm zu sehen bekommen, ist wie von einem andern Stern. Dabei geraten all die Effekte des Spezialobjektivs, die Zustände eines mäandrierenden Bewusstseins mit ihrer Semiotik von Unschärfe und Fokussierung, die Lichtabfälle und die Überstrahlungen an den Bildrändern nie zum Selbstzweck. (Christoph Egger, Zürcher Zeitung, 28. Februar 2008)

Eine wunderschöne, rührende und sehr tröstliche Geschichte, die Schnabel zu einem ungeheuer vitalen Kunstwerk verdichtet […]
Dass „Schmetterling und Taucherglocke“ fast gänzlich aus visueller Spielerei besteht, subjektiver Kamera, Unschärfen, seltsamen mit gekippten Linsen erzeugten Wölbungen, das klingt zunächst einmal anstrengend […] Warum dieser Film, so überladen mit Effekten, dann doch kein enervierendes Monstrum ist, kann man fast nicht erklären. Außer vielleicht mit der fließenden Leichtigkeit, die er hat. Eigentlich ist das Locked-In-Syndrom Stoff für eine Horrorgeschichte, doch der Ton, den Schnabel setzt, ist von Anfang an das genaue Gegenteil, es ist ein sehr musikalischer Film, leicht und märchenhaft.
(Susan Vahabzadeh, Süddeutsche Zeitung, 26. März 2008)

„Schmetterling und Taucherglocke“ wurde für vier „Oscars“ nominiert (Regie, Drehbuch, Kamera, Schnitt), ging jedoch am Ende leer aus.

Vor „Schmetterling und Taucherglocke“ hatte Julian Schnabel die beiden Filme „Basquiat“ (1996) und „Before Night Falls“ (2000) gedreht.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2008 / 2010

Jean-Dominique Bauby
Jean-Dominique Bauby: Schmetterling und Taucherglocke
Locked-In-Syndrom

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