Leo Perutz : Nachts unter der steinernen Brücke

Nachts unter der steinernen Brücke
Nachts unter der steinernen Brücke. Ein Roman aus dem alten Prag Originalausgabe: Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt/M 1953 Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2011 (8) ISBN: 978-3-423-13025-7, 269 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Die Handlung spielt in den letzten Jahr­zehnten des 16. und in den ersten Jahr­zehnten des 17. Jahrhunderts in der Prager Judenstadt und auf dem Hradschin. Als Romanfiguren tauchen Personen auf, die tatsächlich lebten. Leo Perutz erzählt in seinem melancholischen Roman "Nachts unter der steinernen Brücke" eine zeitlose Geschichte über Macht und Geld, Liebe und Rache. Im Mittelpunkt steht eine geheimnis­volle Liebe zwischen Kaiser Rudolf II. und Esther, der schönen Ehefrau des jüdischen Geschäftsmannes Mordechai Meisl ...
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Kritik

Erst in der zweiten Hälfte des Buches "Nachts unter der steinernen Brücke" begreift der Leser, dass er nicht eine Sammlung von Erzählun­gen, sondern einen Roman vor sich hat. Leo Perutz hat die Kapitel aller­dings nicht chronologisch angeordnet.
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Der entwendete Taler

Rudolf, der Sohn des Kaisers Maximilian II., reitet allein vom Hradschin in Prag zu seinem Schlösschen Benatak. Dabei verirrt er sich und stößt in einem Wald auf drei wegen ihres funkelnden Glanzes von Weitem sichtbare Haufen aus Gold, Silber und Kupfer, die von zwei gewaltigen Gestalten bewacht werden. Wem der Schatz gehöre, fragt der Erzherzog furchtlos. Er sei für Mordechäus Meisl bestimmt, lautet die Antwort. Verärgert darüber, dass dieser Reichtum Eigentum eines Juden werden soll, nimmt Rudolf einen Silbertaler an sich. Einer der Wächter droht Rudolf zu schlagen, aber der andere hält ihn davon ab und sagt zum Sohn des Kaisers:

„Behalte den Taler, behalte ihn nur! […] Du wirst nicht Glück, noch Frieden haben, bis er nicht in den Händen dessen ist, für den er bestimmt ist.“

Danach verschwinden die beiden Wächter zusammen mit den Haufen aus Gold, Silber und Kupfer.

Am nächsten Tag erhält Rudolf die Nachricht, dass sein Vater erkrankt ist. Auf dem Rückweg nach Prag stürzt sein Pferd, und er muss auf einem Bauernfuhrwerk mitfahren, bei dem allerdings eine Achse bricht. Nach seiner Ankunft im Hradschin erfährt er, dass es dort brannte und sein Lieblingshund entlief. Da weiß er, dass ihm der Taler tatsächlich Unglück bringt und beschließt deshalb, das Geldstück dem Juden Mordechai Meisl zu übergeben.

Es gelingt ihm allerdings nicht, den Mann aufzuspüren. Niemand kennt einen Mordechai Meisl. Kurzerhand wirft Rudolf den Taler von der Steinernen Brücke. In diesem Augenblick rudert ein Fischer vorbei, und der Taler landet in dessen Kahn. Der Mann wundert sich und steckt die Münze schließlich in seine Manteltasche. Rudolf folgt dem Boot am Ufer und beobachtet, wie ein Fremder dem Fischer den Fang, den Hut und den Mantel abkauft und dieser bei dem Handel den Taler vergisst. Als Fischer verkleidet, besucht der Fremde seine Geliebte.

Am nächsten Morgen schwingt er sich aus dem Fenster der jungen Frau und klettert an einem Birnbaum hinunter. Dass der schäbige Mantel in den Ästen hängen bleibt, kümmert ihn nicht. Ein Fuhrmann holt das Kleidungsstück mit dem Stiel seiner Peitsche herunter und verhökert es an einen jüdischen Trödler.

Rudolf besorgt sich rasch in einer Garküche ein Ei, einen Apfel und ein Stück Brot. Damit betritt er den Laden und bittet darum, hier sein Frühstück verzehren zu dürfen.

Nach einer Weile kommt ein Junge herein, legt dem Trödler zwei Münzen hin und fängt an, die Taschen der neu hereingekommenen Kleidung zu durchsuchen.

„Er zahlt mir“, erklärte der Altkleiderhändler dem jungen Erzherzog, der ihn fragend angeblickt hatte, „zwei Dickpfennige, wenn er sie hat, aber nicht alle Tage hat er sie. Und dafür gehört ihm alles, was er in den Taschen der Kleider findet, die ich an diesem oder an dem vorangegangenen Tag gekauft habe. Was er findet? Immer die gleichen Dinge. Ein Stück Brot oder Fladen, Nüsse, einen Apfel oder eine Kohlrübe, ein Stück Bindfaden, einen Knopf, einen Nagel, ein leeres Fläschchen […]

Als das Kind den Silbertaler findet, jubelt es und macht einen Freudensprung.

„He, du! Was wirst du mit dem Geld beginnen?“, fragte der junge Erzherzog, der in Sorge war, dass er dem Taler noch weiter folgen müsst‘. „Wirst du dir neue Schuhe kaufen? Eine neue Mütze? Einen Rock?“
Der Knabe blieb stehen und sah ihn an.
„Nein, Herr“, gab er zur Antwort. „Mein Vater – sein Andenken sei gesegnet – hat mich gelehrt: Aus einem Schuh kann man nicht zwei machen, und eine Mütze bleibt immer nur eine Mütze. Aber aus einem Taler können leicht zwei werden.“

Die Frage nach seinem Namen hört der Junge schon nicht mehr, aber der Trödler beantwortet sie: Der Junge heißt Mordechai Meisl.

Die Pest in der Judenstadt

An einem Abend im Herbst 1589 sind die beiden Musikanten Koppel-Bär und Jäckele-Narr unterwegs zum jüdischen Friedhof in Prag. Sie hoffen dort ein paar Kupferpfenninge zu finden, die fromme Besucher mitunter dort für die Armen auf Grabmäler legen.

Bevor sie den Friedhof erreichen, spielt Jäckele-Narr noch für Blümchen, die fünfjährige Tochter des Flickschusters Gerson Chalel, ein Lied. Aber das Mädchen ist am Vortag Opfer einer Pestepidemie in der Judenstadt geworden.

Nachdem Koppel-Bär und Jäckele-Narr auf dem Friedhof die Geister toter Kinder gesehen haben, suchen sie den Rabbi Judah Löw auf. Der ahnt, dass die Pest wütet, weil es einen Sünder in der Gemeinde gibt. Er fordert die beiden Musikanten auf, nochmals zum Friedhof zu gehen und die Kinder zu fragen, wer der Sünder sei. Blümchen kann zwar die Frage nicht beantworten, sagt aber, Ursache der Seuche sei die „Sünde Moabs“. Der Stammvater der Moabiter wurde durch Inzest gezeugt und zeugte seinerseits einige seiner Kinder durch Ehebruch.

Der Rabbi Löw ruft die Gemeinde zusammen, erklärt, es befände sich eine Ehebrecherin unter den Anwesenden und fordert die Sünderin auf, sich zu melden. Als niemand vortritt, verflucht er die Frau. Aber auch durch den Fluch wird niemand identifiziert. Deshalb lässt der Rabbi die beiden Musikanten einen der Geister vom Friedhof zu sich locken und verwandelt das Gespenst vorübergehend in ein Kind zurück. Das antwortet auf die Frage des Rabbi, wer die Sünde begangen habe, durch die das große Sterben über die Stadt kam:

„Das weiß nächst Gott nur einer und der bist du.“

Da begreift der Rabbi, wer schuld an der Pest ist. Er geht zur Moldau. Unter der steinernen Brücke gräbt er einen Rosmarinstrauch aus und wirft ihn ins Wasser.

In der Nacht stirbt die schöne Esther, die Ehefrau des jüdischen Handelsherrn Mordechai Meisl. Zur gleichen Zeit schreckt Rudolf II., der seinen verstorbenen Vater inzwischen als Kaiser abgelöst hat, mit einem lauten Stöhnen aus dem Schlaf hoch. Der Pest fällt jedoch niemand mehr zum Opfer; die Seuche ist vorbei.

Nachts unter der steinernen Brücke

Nachdem der Kaiser Nacht für Nacht von Esther geträumt hatte, verabschiedete sie sich im Traum von ihm:

„Lass mich, halt mich nicht, ich kann nicht bleiben, ich muss fort.“

Rudolf II. schreckte aus dem Schlaf hoch und stöhnte so laut, dass sein Leibkammerdiener Philipp Lang nach ihm schaute.

Genau zur gleichen Zeit erwachte auch Mordechai Meisls Ehefrau Esther.

„Geträumt!“, flüsterte sie. „Und immer, Nacht für Nacht, der gleiche Traum! Ein schöner Traum, aber, gelobt sei der Schöpfer, doch nur ein Traum.“

Der Engel Asael

Der Engel Asael, ein Maggid, sucht den Rabbi Judah Löw auf. Sie reden über die Macht der Worte. Der Rabbi erinnert sich, wie er dem jungen Rudolf II. durch einen Zauberspruch des Leben rettete. Wuk von Rosenberg war von höchstem böhmischen Adel und missgönnte Rudolf die Krone. Als dieser durch die Judenstadt ritt, trug Wuk von Rosenberg einem Diener auf, sich auf einem der Hausdächer zu verstecken und einen schweren Stein auf den Kaiser zu schleudern. Rabbi Löw sah den Stein und verwandelte ihn während des Flugs in ein Schwalbenpaar.

Asael kritisiert, dass der Rabbi durch sein Eingreifen den göttlichen Plan gestört habe und klärt ihn darüber auf, dass Rudolf damals eine schöne junge Frau unter den Schaulustigen am Straßenrand aufgefallen war und der Jüdin einen seiner Diener nachgeschickt habe. Der verlor sie jedoch aus den Augen, und Rudolf fand nicht heraus, wer das Mädchen war. Schließlich ließ er den Rabbi Löw kommen. Der begriff aufgrund der Beschreibung, dass es sich um Mordechai Meisls Ehefrau Esther handelte und weigerte sich, ihren Namen preiszugeben. Der erboste Kaiser drohte, die Juden nicht nur aus Prag, sondern aus dem ganzen Land zu verjagen. Um seine Glaubensgenossen zu schützen, pflanzte der Rabbi unter einer steinernen Brücke einen Rosenstock für Rudolf und einen Rosmarinstrauch für Esther. Von da an vereinigten sich die beiden Nacht für Nacht im Traum – bis Rabbi Löw den Rosmarinstrauch ausgrub und in die Moldau warf.

Die Sarabande

Der derbe kroatische Hauptmann Lorenz Baron Juranic befindet sich unter den Gästen eines Balls des böhmischen Kanzlers Zdenko von Lobkowitz in dessen Prager Stadthaus und umwirbt die jüngste der drei Töchter des Herrn von Berka. Der junge, aus Venezien stammende Graf Collalto, der ebenfalls ein Auge auf das Mädchen geworfen hat, versucht seinen Rivalen zu provozieren, aber das gelingt ihm nicht. Daraufhin stellt er dem Tanzenden ein Bein und bringt ihn zu Fall. Der Baron fordert ihn zum Duell, und sie verabreden sich im Kinskyschen Garten zum Degengefecht.

Collalto hat gegen den geübten Offizier keine Chance. Der lässt ihn zwar am Leben, verlangt dafür jedoch, dass der Graf den Rest der Nacht tanzt. Juranic hat außer zwei Fackelträgern fünf kroatische Musiker mitgebracht, die nun eine Sarabande spielen, während die Gruppe durch die Straßen zieht.

Das Tanzen erschöpft Collalto. Nur wenn sie an einer Marienstatue oder einem anderen christlichen Symbol vorbeikommen, kann er sich kurz verschnaufen, denn dann bleiben die streng religiösen Musikanten kurz stehen, um zu beten. Also strebt Juranic die Judenstadt an. Dort werde es keine Pause mehr geben, meint er. Aber als Collalto um Hilfe schreit, schaut der Rabbi Löw aus dem Fenster und beschwört ein Ecce-homo-Bild herauf. Davor kniet auch Baron Juranic nieder. Reuevoll klagt er sich selbst an und erbarmt sich des jungen Grafen.

Des Kaisers Tisch

Der mittellose Jurastudent Peter Zaruba von Zdar und der reiche Gutsherr Georg Kapliř von Sulavice gehen im Frühsommer 1598 durch Prag. Seit einem Jahr sind sie verwandt: Peters Schwester Anna ist mit Georgs Bruder verheiratet.

Georg ist auf dem Weg zum Hradschin, wo er mit dem Kammerdiener Philipp Lang über ausstehende Zahlungen des Hofes sprechen möchte. Er schlägt Peter vor, mitzukommen und stellt ihm ein Essen an des Kaisers Tafel in Aussicht. Aber gerade das schreckt Peter ab, denn es heißt, seine zwar verarmte aber adelige Familie werde Böhmen wieder zur Freiheit verhelfen, falls kein Familienmitglied von des Kaisers Tisch esse.

Nachdem sich die beiden Männer getrennt haben, kehrt Peter in einem Gasthaus ein, dessen Wirt vier Hauptgänge und acht kleinere Schüsseln für drei böhmische Groschen anbietet. Das preiswerte Essen ist vorzüglich.

Als die beiden verschwägerten Herren sich am Nachmittag wiedertreffen, ist Georg verärgert, denn der Kaiser befindet sich in Zahlungsschwierigkeiten, und der antisemitische Gutsherr soll sich deshalb ausgerechnet an einen Juden wenden, an Mordechai Meisl. Er sei zwar von Johann Osterstock an die Offizierstafel des Hofes eingeladen worden, berichtet Georg weiter, habe aber kaum etwas gegessen. Und er beschreibt kurz, was es gab. Es handelt sich um das gleiche Menü wie im Gasthaus!

Peter stellt den Wirt zur Rede, und der gesteht, dass er regelmäßig die Reste der kaiserlichen Tafel anbietet und deshalb trotz des niedrigen Preises auf seine Kosten kommt. Peter ist verzweifelt: Unwissentlich hat er die böhmische Freiheit verspielt!

Er lebt noch mehr als 20 Jahre, bis sich die Prophezeiung erfüllt: Nach der Schlacht am Weißen Berg wird Peter Zaruba von Zdar mit 24 anderen böhmischen Aristokraten in Prag hingerichtet.

Der Maler Brabanzio

Der leidenschaftliche Kunstsammler Rudolf II. wird auf eine Skizze des Malers Vojtech alias Adalbert Brabanzio aufmerksam. Incognito, in der Tracht eines öffentlichen Schreibers, sucht der Kaiser den Künstler auf, der sein Atelier in der Werkstatt seines Bruders, eines Flickschusters, betreibt. An der Wand hängt ein Gemälde, dessen Wert Rudolf sofort erkennt. Allerdings hat er kein Geld bei sich. Er wird also erst am nächsten Morgen seinen Kammerdiener Červenka schicken können, damit dieser es für ihn kauft.

Vom Können des Malers überzeugt, rät Rudolf ihm, sich bei Hof zu bewerben. Brabanzio will davon jedoch nichts wissen, denn es hat sich längst herumgesprochen, dass der Kaiser Rechnungen nur selten pünktlich und vollständig bezahlt.

Während Rudolf sich noch in der Werkstatt aufhält, kommt Mordechai Meisl herein. Er versucht schon seit einigen Tagen, seine verstorbene Frau Esther so zu beschreiben, dass der Künstler sie malen kann. Die Worte des Juden inspirieren Rudolf, und er zeichnet gedankenverloren die Frau, mit der er früher jede Nacht im Traum zusammen war. Als er die Skizze ansieht, hält er sie für misslungen, denn sie wird der Schönen nicht gerecht. Achtlos lässt er das Blatt liegen und geht.

Der Luftzug, der durch das Öffnen der Türe entsteht, weht die Zeichnung zu Mordechai Meisl.

„Das ist sie ja“, rief er. „Warum habt Ihr mir nicht gesagt, dass Ihr’s schon gemacht habt? Ihr lasst mich reden, sagt kein Wort. Ja, das ist sie, das ist sie. Mein Täubchen! Meine Seele!“

Begeistert drückt der jüdische Handelsherr dem Künstler acht Gulden in die Hand.

Als Červenka am nächsten Morgen zur Werkstatt des Flickschusters kommt, um das vom Kaiser begehrte Gemälde zu kaufen, ist dessen Bruder nicht mehr da und auch die Bilder sind fort. Brabanzio hat sich mit den acht Gulden, die er von Mordechai Meisl bekam, auf den Weg nach Venedig gemacht. (Dort wird er bald darauf an einer Seuche sterben.)

Der vergessene Alchimist

Obwohl Kaiser Rudolf II. nicht über genügend finanzielle Mittel verfügt, um die laufenden Ausgaben zu bestreiten, verschuldet er sich durch den Ankauf von Kunstwerken noch mehr.

In der Hofküche ebenso wie in der Kleider- oder Silberkammer wird gestohlen. Der Kammerdiener Philipp Lang lässt es zu, solange er einen Anteil der Beute erhält.

Rudolf hofft, dass es Alchimisten gelingt, Gold zu erzeugen. Der vor zwei Jahren angestellte Hofalchimist Jakobus van Delle hat sich bisher vergeblich darum bemüht, sagt jedoch zu, dass er dem Kaiser am St.-Wenzel-Tag einen Barren Gold übergeben werde, und als der Kaiser halb im Spaß fragt, ob er seinen Kopf darauf verwette, bejaht Jakobus es.

Kurz vor dem St.-Wenzel-Tag weiß der Alchimist, dass er den Goldbarren nicht liefern kann. Er befürchtet deshalb, dass ihn der Kaiser deshalb köpfen lassen wird.

Anton Brouza, der Hofnarr Kaiser Maximilians, der von dessen Nachfolger als Ofenmeister beschäftigt wird und sich mit dem Alchimisten angefreundet hat, verhilft diesem am Abend vor dem St.-Wenzel-Tag zur Flucht mit einer Strickleiter, die er dem kaiserlichen Mundschenk, dem Grafen Colloredo, gestohlen hat. Als Jakobus das letzte Stück springt, verletzt er sich am Bein. Brouza versteckt ihn deshalb in dem kleinen abgelegenen Haus, das er von Kaiser Maximilian geschenkt bekam.

Am St.-Wenzel-Tag schreckt Jakobus van Delle bei jedem Geräusch auf und rechnet damit, dass die kaiserlichen Schergen kommen, um ihn auf den Richtplatz zu führen. Aber es geschieht nichts. Erst nach 17 Tagen wird seine Flucht bemerkt, und auch dann unternimmt niemand etwas, denn der Kaiser hat den Alchimisten längst vergessen.

Anton Brouza erzählt Jakobus van Delle, was er von Philipp Lang erfuhr: Der Kaiser hat einen neuen, erfolgreicheren Goldmacher in seinen Diensten. Jakobus geht davon aus, dass es sich dabei ebenfalls um einen Alchimisten handelt, und weil er es nicht erträgt, dass einem anderen gelungen ist, was er vergeblich versuchte, schneidet er sich die Pulsadern auf und verblutet [Suizid].

Tatsächlich hat Rudolf sich auf Anraten Philipp Langs auf eine geschäftliche Partnerschaft mit dem reichen Juden Mordechai Meisl eingelassen, der nun die Hofhaltung finanziert und dafür durch einen Majestätsbrief Privilegien bekam. Auch der korrupte Kammerdiener Lang verdient gut bei dem Geschäft, denn er zweigt ein Fünftel, manchmal sogar ein Viertel der Summen für sich ab.

Der Heinrich aus der Hölle

Rudolf II. erwacht aus einem Albtraum. Weil Philipp Lang bei der Obsternte auf seinem Gut in Melnik ist, lässt der Kaiser den Kammerdiener Červenka kommen, und der holt schließlich den Oberstallmeister Adam Sternberg und den Geheimsekretär Hanniwald. Außerdem, so befiehlt der Kaiser, soll der Mundschenk Graf Colloredo eine Karaffe Wein bringen.

Dass Graf Colloredo einem Schlaganfall erlag, hat Rudolf vergessen. Er wundert sich deshalb darüber, dass Graf Vojtech Bubna den Wein bringt. Der neue Mundschenk ist ihm nicht geheuer, denn der Kaiser meint, der Mann sehe wie der General Bernhard Rußwurm aus, den er vor einigen Jahren im Jähzorn erschießen ließ. Er argwöhnt, der Teufel habe dessen Gestalt angenommen und beruhigt sich erst, nachdem Graf Bubna ein Paternoster gebetet, die Namen der Apostel aufgezählt und Glaubensartikel zitiert hat.

Nun erzählt Rudolf von den Albträumen, die ihn seit zwei Nächten plagen. Eine Krähe, ein Kuckuck und eine Hummel fordern ihn auf, aus der Kirche auszutreten. Andernfalls müsse er auf einen geheimen Schatz verzichten und stattdessen die Krone seinem Bruder Matthias übergeben, unter dessen Herrschaft ein Krieg ausbrechen würde. Rudolf hält die drei Tiere für Abgesandte Satans und berät nun mit den Männern in seinem Schlafzimmer, welche Antwort er geben soll.

„Die Gewalt, mit der der böse Feind und Widersacher sich so hoffärtig brüstet, ist nicht gar groß“, sagte jetzt der Hanniwald. „Nur in seiner Hölle hat er Gewalt, auf Erden nicht. Sein Drohen ist eitel, ist Teufelstrug und Teufelsgespinst. Und um seinem Netz und Fallstrick zu entgehen, bedarf es weltlicher Klugheit wahrlich nicht, sondern dass wir uns nicht eines Fingers breit von dem Herrn Jesus, der uns erlöst hat, hinwegbegeben, das allein tut not.“

Bald darauf trifft der kaiserlich-marokkanische Gesandte Muley Mehemed mit seiner Gefolgschaft in Prag ein. Als er vom Kaiser empfangen wird, sind auch der böhmische Kanzler Zdenko von Lobkowitz und der Oberkämmerer Graf Nostiz anwesend. Ein Mönch fungiert als Dolmetscher. Rudolf glaubt in dem Gesandten Heinrich Twaroch zu erkennen, einen ehemaligen Futterknecht in den kaiserlichen Stallungen, der wegen Diebstahls zum Tod verurteilt worden war. Dass der Delinquent vor der Hinrichtung die Gitterstäbe des Kerkers durchgefeilt hatte und geflohen war, verschwieg man dem Kaiser. Weil Rudolf erneut glaubt, den Teufel in einer Verkleidung vor sich zu haben, sagt er zur Verwunderung der Umstehenden zu dem Gesandten:

„Ich will dir auch meine Antwort nicht versagen“, fuhr der Kaiser mit erhobener Stimme fort. „Geh zurück zu dem, der dich gesendet hat, und sag ihm, dass ich mich nicht eines Fingers breit von dem Herrn Jesus, der ums erlöst hat, hinwegbegeben werde.“

Damit ist die Audienz beendet.

Am Abend sucht der marokkanische Gesandte, als Handwerker verkleidet, einen Gärtner im Dorf Nusle auf. Dem erzählt er, dass ihn der Kaiser empfangen und als Einziger erkannt habe. Bei dem Gesandten handelt es sich tatsächlich um Heinrich Twaroch. Er floh nach Marokko und trat zum Islam über. Der Gärtner ist sein Vater.

Das verzehrte Lichtlein

Mordechai Meisl hadert mit seinem Schicksal. Er besitzt zwar Geld im Überfluss und wird jeden Tag reicher, aber seine geliebte Frau starb, und er hat keinen Sohn als Erben.

Vom Kaiser erhielt er Schutz- und Privilegienbriefe; kein Gericht darf seine Person oder sein Gut antasten, auf Reisen ist er vom Kutschen- und Pferdezoll befreit. Dafür finanziert er dessen Hofhaltung, und nach seinem Tod steht dem Kaiser die Hälfte des Nachlasses zu.

Mordechai Meisl hustet Blut. Der Tod ist nah. Der jüdische Handelsherr kommt sich vor wie das Lichtlein, das Rabbi Löw eines Nachts durch ein Zauberwort am Verlöschen hinderte, damit er in seinen Büchern weiterlesen konnte.

War er, der Mordechai Meisl, nicht auch solch ein verzehrtes Lichtlein, das lange schon erloschen sein sollt‘ und dennoch weiterbrannte? Warum lässt Gott mich nicht erlöschen? […] Wozu bedarf Gott meiner noch in dieser Welt?

Der kaiserliche Kammerdiener Philipp Lang besucht den todkranken Handelsherrn und heuchelt Anteilnahme. In Wirklichkeit kann er es kaum erwarten, bis der Jude stirbt, denn der Hof benötigt das Erbe dringend. Lang will dafür sorgen, dass der Kaiser nicht nur die Hälfte des Nachlasses bekommt, sondern alles – oder fast alles, denn er selbst wird sich auch einen Anteil sichern.

Mordechai Meisl fragt seinen Besucher, warum der Kaiser nicht verheiratet sei und keine Kinder habe. Lang vertraut ihm an, dass Rudolf einer geheimnisvollen Geliebten treu geblieben sei, die mit einem anderen Mann verheiratet war und plötzlich starb. Das berührt Mordechai Meisl auf seltsame Weise.

Vor seinem nahen Tod würde er sich gern beim Kaiser persönlich für die empfangenen Gnaden bedanken. Lang argwöhnt, dass der Jude von seinen Veruntreuungen erfahren haben könnte und sich beim Kaiser beschweren wolle. Aber auch, als er im Verlauf des weiteren Gesprächs begreift, dass seine Sorge unbegründet ist, vertröstet er Meisl auf später.

Dass Lang ihn hinhalten will, bis er gestorben ist, entgeht dem Handelsherrn nicht. Er verkleidet sich deshalb als Knecht des Judenmetzgers Schmaje Nossek und begleitet diesen bei einer Fleischlieferung für die beiden Löwen, den Adler und andere wilde Tiere auf dem Hradschin, denn er weiß, dass der Kaiser bei der Fütterung stets anwesend ist.

Meisl beobachtet, wie der Kaiser auf dem Weg zu den Käfigen von einem Mädchen angesprochen wird, das dieser zunächst für einen Gärtner- und dann für einen Küchenjungen hält. Eva von Lobkowitz, die Tochter eines Feldobristen, bittet den Herrscher, wenigstens einen Teil des Lösegeldes für ihren in türkische Gefangenschaft geratenen alten Vater zu zahlen, denn die Mittel der Familie reichen nicht aus. Rudolf geht nicht darauf ein.

„Rudolf hilf!“ Der Ruf des Mädchens trifft Meisl ins Herz, denn genau das Gleiche rief auch seine Frau, als sie starb. Nun begreift er, dass sie die geheimnisvolle Geliebte des Kaisers war.

Um sich zu rächen, beschließt er, den Rest seines Lebens darauf zu verwenden, seinen gesamten Besitz so zu verteilen, dass für den Kaiser nichts mehr übrig bleibt.

Der Branntweinkrug

Die beiden betagten Musikanten Jäckele-Narr und Koppel-Bär spielen zu Beginn des Neuen Jahres bei einer Hochzeit in der Judenstadt, aber als nach Mitternacht eine Schlägerei anfängt, verschwinden sie. Im Hinausgehen stiehlt Koppel-Bär einen mit Branntwein gefüllten Krug.

Als sie an der Altneuschul vorbeikommen, hören sie Stimmen: Die Geister der Verstorbenen rufen die Namen der Menschen, die in diesem Jahr sterben werden. Auch Jakob, Sohn des Juda, genannt Jäckele-Narr, ist darunter. Koppel-Bär ist entsetzt. Aber dann hören die beiden Männer den Namen Mordechai, Sohn des Samuel, und es heißt, dass es sich um einen armen Mann handele, der nichts sein eigen nenne. Da glauben Jäckele-Narr und Koppel-Bär nicht länger, dass sie Geisterstimmen hören, denn Mordechai Meisl gilt als einer der reichsten Handelsherrn in Prag. Die Musikanten vermuten, dass ihnen der Goldsticker Libmann Hirsch einen Streich spielen will.

Sie beruhigen sich und finden auch den Branntweinkrug unversehrt wieder, den Koppel-Bär vor Schreck fallen ließ.

Der Stern des Wallenstein

Um 1606. Auch der Hofastronom Johannes Kepler leidet unter den finanziellen Schwierigkeiten des Hofes in Prag. Er beschwert sich beim kaiserlichen Geheimsekretär Hanniwald darüber, dass er aus Not mitunter astrologische Fragen gegen Bezahlung beantworten müsse, obwohl das mit Wissenschaft nichts zu tun habe. Beispielsweise werde Albrecht Wenzel Eusebius von Waldstein in Kürze vorbeikommen und sich vermutlich nach dem Stand der Gestirne bei seiner Geburt erkundigen.

Der 23-jährige Adelige, den das Fröschequaken im Teich hinter Keplers Haus stört, will sich jedoch nicht die Nativität berechnen lassen, sondern interessiert sich für die Planetenkonstellation in der nächsten Nacht. Kepler klärt ihn darüber auf, dass nicht Mars – wie von Waldstein erhofft –, sondern Venus im Bereich des Sternbilds Wagen sein werde.

Waldstein hätte lieber „Mars“ gehört, denn er ließ sich überreden, bei einem geplanten Überfall auf Mordechai Meisl den Anführer zu machen.

Barvitius, ein bei Philipp Lang in Ungnade gefallener und entlassener früherer Geheimer Rat, ist der Kopf einer Diebesbande. Georg Leitnizer, ein Student ohne Abschluss, riet ihm, Prag zu verlassen, bevor Philipp Lang ihm weiteren Schaden zufügen könne. Um sich für die Flucht ausreichend mit finanziellen Mitteln einzudecken, hat Barvitius diesen letzten Coup in Auftrag gegeben. Er will den Juden, der angefangen hat, wie ein Verrückter Geld zu verschenken, entführen und ein hohes Lösegeld erpressen.

Georg Leitnizer fordert Waldstein auf, am Abend vor dem Haus der Schneiderwitwe zu stehen, in dem er wohnt. Man werde ihn abholen und zu Barvitius bringen, sagt er.

Ein Kutscher hält, steigt vom Bock und öffnet den Wagenschlag. Sobald Waldstein Platz genommen hat, verbindet ihm jemand die Augen, und die Fahrt beginnt. Nach einer halben Stunde erreichen sie ein Anwesen. Erst im Inneren darf er die Augenbinde abstreifen. Aber nicht Barvitius steht vor Waldstein, sondern eine begehrenswerte Frau, die offenbar vorhat, mit ihm zu schlafen.

„Dass Ihr mich recht versteht: Für eine Nacht!“ fiel ihm die allerschönste Dame ins Wort […] „Für eine Nacht, mein Herr Hauptmann, merkt Euch das wohl! Denn ich will frei sein und mit mir tun können, was mir beliebt.“

Als am Morgen der Hahn kräht, erkennt Waldstein an diesem und anderen Geräuschen, dass er sich bei seiner verwitweten Nachbarin Lucrezia von Landeck befindet, einer der reichsten Erbinnen des Königreichs Böhmen. Die lange Kutschfahrt diente nur dazu, ihn zu täuschen. Weil er ihr Geheimnis kennt, will Lucrezia ihn zunächst erschießen, aber dann schlägt sie ihm vor, zu heiraten, denn als ihr Ehemann wird er ihre Ehre schützen.

In Waldsteins Zimmer bei der Schneiderwitwe wartet Georg Leitnizer auf ihn. Ob er gewarnt worden sei, fragt der ehemalige Student. Barvitius und die anderen Bandenmitglieder wurden nämlich in der Nacht verhaftet.

Dankbar für das Horoskop, das ihn nun reicher machen wird als das geplante Verbrechen, schickt Waldstein dem Hofastronomen fünf ungarische Golddukaten. Und Johannes Kepler versteht erneut, dass die Astrologie mehr einbringt als die Astronomie. Endlich kann er wieder Medizin für seine kranke Frau kaufen.

Das Gespräch der Hunde

Im Winter 1609 kauft der fromme Jude Berl Landfahrer einem Soldaten einen Zobelmantel ab. Dass das Kleidungsstück aus der Beute eines Einbruchs stammt und es wegen einer Serie von Diebstählen seit kurzem verboten ist, etwas von Soldaten zu erwerben, weiß Berl nicht, aber es schützt ihn auch nicht vor Strafe: Er wird festgenommen und soll am nächsten Morgen zusammen mit zwei Straßenkötern hingerichtet werden.

Während Berl betet, kläffen die beiden Hunde und jagen sich durch die Gefängniszelle. Berl schimpft, erreicht damit jedoch nichts. Also will er mit der Kraft der Kabbala für Ruhe sorgen. Er schreibt einen Zauberspruch in den Staub, irrt sich jedoch bei einem Buchstaben und scheitert mit seinem Vorhaben, die Hunde zum Schweigen zu bringen. Stattdessen versteht er jetzt ihre Sprache.

Der verwaiste weiße Pudel des verstorbenen Mordechai Meisl berichtet dem miteingesperrten Bauernköter, dass sein Herr kurz vor dem Tod noch einmal 80 Gulden bekam. Die wollte Meisl dem unglücklichen Berl Landfahrer zukommen lassen, aber der war unterwegs und der Todkranke konnte nicht warten, bis er zurückkam. Deshalb vergrub er das Geld und forderte den Pudel auf, Berl zu dem Ort zu führen. Der Hund war damit allerdings überfordert: Er konnte Berl nicht aufspüren.

Da meldet dieser sich zu Wort und gibt sich zu erkennen. Der Pudel will ihm gleich am nächsten Morgen das Versteck zeigen. Berl klärt die Hunde darüber auf, dass sie alle drei zusammen hingerichtet werden sollen.

Im Morgengrauen tauchen statt des Henkers die beiden Judenräte Rebb Amschel und Rebb Simcha auf. Sie eröffnen Berl, dass der Judenrat ein Bußgeld von 150 Gulden für ihn bezahlt habe und er deshalb jetzt frei sei.

Statt sich darüber zu freuen, verbringt Berl Landfahrer den Rest seines Lebens mit der Suche nach dem Pudel, der aus der Gefängniszelle floh, sobald die Türe geöffnet wurde.

Die Hunde schnappten nach ihm und rissen sich los, und der Berl Landfahrer lief den Hunden nach, und die Kinder liefen dem Berl Landfahrer nach, und die Erwachsenen schüttelten die Köpfe und sagten: „Der arme Berl Landfahrer! Er hat in jener Nacht in der Zelle vor Angst seine Menschenseele verloren!“

Die Getreuen des Kaisers

Am 11. Juni 1621, neun Jahre nach dem Tod des Kaisers, ein halbes Jahr nach der Schlacht am Weißen Berg, in der die Truppen der Katholischen Liga die böhmischen Stände besiegten, werden 27 Personen des Herren-, Ritter- und Bürgerstandes auf dem Altstädter Ring als Hochverräter hingerichtet.

Die böhmischen Stände hatten ihre verbrieften alten Rechte und Freiheiten verloren. Der letzte böhmische König, den man den Winterkönig nannte, war auf der Flucht, und in der Prager Burg residierte ein kaiserlicher Kommissär. Um den Besitz der Kirchen, die man den Protestanten und den „böhmischen Brüdern“ weggenommen hatte, stritten sich jetzt die Jesuiten mit den Dominikanern und den Augustinern. Die protestantischen Prediger hatte man des Landes verwiesen. Wer an dem Aufruhr von 1618 teilgenommen hatte, ja, wer auch nur im Verdacht stand, ihn gutgeheißen oder die Rebellen begünstigt zu haben, wurde eingekerkert, und wenn er mit dem Leben davonkam, so verfiel doch sein Hab und Gut dem Fiskus.

Am Abend treffen ehemalige Hofbedienstete im Gasthaus „Zum silbernen Hecht“ aufeinander: der Ofenmeister Brouza, der Kammerdiener Červenka, der Barbier Svatek, der Lautenspieler Kasparek und der Schlossermeister Georg Jarosch. Sie hören dem Gerichtsdiener Johann Kokrda zu, der von den Hinrichtungen am Morgen berichtet. Es stellt sich heraus, dass auch Wondra, der Wirt, der die Gaststätte vor einem Jahr von seinem Vater übernahm, im Alter von 16 Jahren als Pfefferstoßer in der kaiserlichen Küche gearbeitet hatte.

Die Herren unterhalten sich über die alte Zeit, und Červenka erzählt, wie Kaiser Rudolf II. an Durst, Hitze, Kopf- und Gliederschmerzen, Zittern, Müdigkeit, Schwäche und Angstzuständen litt. Doktor Jessenius, der Arzt, der ihn behandelte, hielt es für erforderlich, dass der bettlägerige Kaiser zwischendurch einmal aufstand, und weil dieser zu schwach war, um sich selbst zu erheben, zog er ihn hoch. Daraufhin sagte Rudolf II. ihm vorher, er werde am Galgen enden, weil er Hand an den Kaiser gelegt habe. – An diesem Morgen erfüllte sich die Prophezeiung auf dem Altstädter Ringplatz.

Das Gespräch kommt auf den Goldmacher, von dem Kaiser Rudolf II. sich am Ende hintergangen fühlte.

„‚Mein Goldmacher‘, hat Seine Majestät geklagt, ‚ist gestorben, hat das Geheimnis seiner Kunst mit sich ins Grab genommen und mir von seinem Gold nicht eine halbe Unze zurückgelassen.'“
„Wer war der Goldmacher Seiner Majestät, der so zur Unzeit gestorben ist?“, fragte der Schlossermeister.
„Das hättet Ihr“, gab ihm der Červenka zur Antwort, „den Philipp Lang fragen müssen, bevor er sich mit einer Schnur um den Hals aus dieser Welt geschlichen hat. […]“

Der Lautenspieler meint, dieser letzte Goldmacher des Kaisers habe nie existiert, aber Brouza protestiert:

„Ich weiß, wer des Kaisers Goldmacher gewesen ist, ja, schaut mich nur an, ich, der Brouza, weiß es. Und wenn ich Euch seinen Namen nennen wollte, so würde es großes Verwundern und Kopfschütteln bei Euch geben.“

Die anderen drängen Anton Brouza, ihnen den Namen zu verraten, und Georg Jarosch spendiert ihm sogar einen Schweinebraten, aber der ehemalige Hofnarr und Ofenmeister erklärt, dass er geschworen habe, das Geheimnis zeitlebens zu bewahren. Erst im Himmel könne er es lüften.

nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe)

Fängt man „Nachts unter der steinernen Brücke“ zu lesen an, glaubt man, eine Sammlung von Erzählungen vor sich zu haben, in denen zwar die eine oder andere Figur mehrmals auftaucht, die ansonsten aber nicht zusammenhängen und nicht einmal chronologisch angeordnet sind. Erst in der zweiten Hälfte begreift man allmählich, dass es sich bei „Nachts unter der steinernen Brücke“ doch um einen aus 14 Kapiteln und einem Epilog bestehenden Roman handelt, dessen Bestandteile sich vom Leser zu einer fortlaufenden Geschichte zusammensetzen lassen.

Es ist, wie Sie sehen werden, ein Roman mit einem etwas eigenwilligen Aufbau. Die einzelnen Kapitel sehen aus und lesen sich wie selbständige Erzählungen, und es dauert einige Zeit, ehe man darauf kommt, dass man Kapitel einer eigentlich ziemlich straffen Romanhandlung vor sich hat, die aber nicht chronologisch erzählt wird. So ist der Beginn der Handlung erst im letzten, dem vierzehnten Kapitel zu finden, während das erste seinen Stoff aus der Mitte der Handlung holt. Und doch erscheint mir diese Anordnung nicht willkürlich, sondern als die einzig denkbare und mögliche. (Leo Perutz 1951 in einem Brief an Paul von Zsolnay, zit.: Nachwort von Hans-Harald Müller zu „Nachts unter der steinernen Brücke“)

In meiner habe ich versucht, die Kapitel in eine einigermaßen chronologische Reihenfolge zu bringen. Leo Perutz hat sie allerdings folgendermaßen angeordnet:

  1. Die Pest in der Judenstadt
  2. Des Kaisers Tisch
  3. Das Gespräch der Hunde
  4. Die Sarabande
  5. Der Heinrich aus der Hölle
  6. Der entwendete Taler
  7. Nachts unter der steinernen Brücke
  8. Der Stern des Wallenstein
  9. Der Maler Brabanzio
  10. Der vergessene Alchimist
  11. Der Branntweinkrug
  12. Die Getreuen des Kaisers
  13. Das verzehrte Lichtlein
  14. Der Engel Asael
  15. Epilog

 

Die Episoden spielen in den letzten Jahrzehnten des 16. und in den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts in der Prager Judenstadt und auf dem Hradschin. Als Romanfiguren tauchen Personen auf, die tatsächlich lebten, so Rudolf II. von Habsburg (1552 – 1612) und sein Bruder Matthias (1657 – 1619), die von 1576 bzw. 1612 bis zu ihrem Tod römische Kaiser waren, der Astronom Johannes Kepler (1571 – 1630), der einflussreiche Kammerdiener Philipp Lang von Langenfels (um 1560 – 1609), der Feldherr Wallenstein (eigentlich: Albrecht Wenzel Eusebius von Waldstein, 1583 – 1634), der Prager Rabbi Judah Löw (um 1520 – 1609) und der Hofbankier Mordechaj ben Samuel Meisl (1528 – 1601).

Leo Perutz erzählt in seinem melancholischen Roman „Nachts unter der steinernen Brücke“ eine zeitlose Geschichte über Macht und Geld, Liebe und Rache.

Diese ergänzt er durch eine Rahmenhandlung, die drei Jahrhunderte später in Prag spielt: Die zu diesem Zeitpunkt 15 Jahre alte Romanfigur des Erzählers hört die einzelnen Geschichten von seinem Hauslehrer stud. med. Jakob Meisl, einem Nachkommen Mordechai Meisls. Mit dem Abriss des jüdischen Stadtviertels verschwinden auch die Reste von „Meisls Gut“ (so der Arbeitstitel des Manuskripts). Der Lehrer weist seinen Schüler darauf hin, dass Wallenstein durch ein Missverständnis zu seinem Reichtum gekommen sei und nur deshalb zu einem mächtigen Feldherrn werden konnte. In Bezug auf die Schlacht am Weißen Berg meint er:

„Und da kannst du wieder sehen, wie die Geschichteprofessoren am Gymnasium und die Herren die die Geschichtsbücher für die Schulen verfassen, wie die alle zusammen nichts wissen und nichts verstehen. Sie werden dir erzählen und haargenau beweisen, dass die böhmischen Aufständischen die Schlacht am Weißen Berge verloren haben, weil auf der anderen Seite der Tilly kommandierte und weil ihr Feldherr, der Graf von Mansfeld, in Pilsen geblieben war, oder weil sie ihre Artillerie nicht richtig postiert hatten und weil ihre ungarischen Hilfstruppen sie im Stiche ließen. Das ist alles Unsinn. Die böhmischen Aufständischen haben die Schlacht auf dem Weißen Berg verloren, weil der Peter Zaruba damals im Wirtshausgarten nicht den Verstand gehabt hat, den Wirt zu fragen: ‚Wie kannst du zwölf solche Portionen für drei böhmische Groschen geben […]?'“

Mit der Arbeit an „Nachts unter der steinernen Brücke“ begann Leo Perutz (1882 – 1957) 1924 in Wien. Das erste Kapitel veröffentlichte er 1925 in der Literaturzeitschrift „Der Neue Merkur“. 1938 emigrierte er nach Tel Aviv. Im April 1943 wandte er sich dem Manuskript wieder zu, und am 15. März 1951 teilte er Freunden aus Tel Aviv mit, der Roman sei fertig. Weil sein Verleger Paul Zsolnay in Wien kurz nach dem Zweiten Weltkrieg keinen Roman in deutscher Sprache veröffentlichen wollte, der zum Teil in einem jüdischen Ghetto spielt, erschien die Erstausgabe des Romans „Nachts unter der steinernen Brücke“ 1953 in der Frankfurter Verlagsanstalt.

Inzwischen gibt es Neuausgaben und Übersetzungen von „Nachts unter der steinernen Brücke“. Unter dem Titel „Zwischen Traum und Wirklichkeit“ wird eine von Mijou Kovacs und Timna Brauer gesprochene gekürzte Hörbuch-Fassung angeboten (Bearbeitung: Mijou Kovacs, Musik: Elias Meiri, 50 Minuten, Wien 2007, ISBN 978-3-7085-0170-3).

Neun Wiener Komponisten – Oskar Aichinger, Akos Banlaky, René Clemencic, François-Pierre Descamps, Christof Dienz, Lukas Haselböck, Paul Koutnik, Wolfram Wagner, Gernot Schedlberger – vertonten ebenso viele Kapitel aus „Nachts unter der steinernen Brücke“ und Kristine Tornquist schrieb das Libretto dazu. „Nachts“ wurde 2009 an neun Abenden vom sirene Operntheater unter Leitung von Kristine Tornquist in einer ehemaligen Brotfabrik in Wien uraufgeführt.

Literaturhinweis:
Karin Becker: Mit antikem Material moderne Häuser bauen. Zur narrativen Konzeption von Leo Perutz‘ historischem Roman „Nachts unter der steinernen Brücke“ (Magisterarbeit 2006, Aisthesis-Verlag, Bielefeld 2007, 140 Seiten, ISBN 978-3-89528-623-0).

 

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2013
Textauszüge: © Paul Zsolnay Verlag

Leo Perutz: Der schwedische Reiter

Petra Roek - Fragt nicht warum. Hildegard Knef
"Fragt nicht warum. Hildegard Knef" ist mehr eine Chronik als eine Biografie, denn Petra Roek erwähnt zwar eine Fülle von Ereignissen, beschäftigt sich jedoch kaum mit den Charakteren der Hauptpersonen. Positiv hervorzuheben sind die z. T. erstmals veröffentlichten Fotos.
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Mehr als zwei Jahrzehnte lang las ich rund zehn Romane pro Monat und stellte sie dann mit Inhaltsangaben und Kommentaren auf dieser Website vor. Zuletzt dauerte es schon zehn Tage und mehr, bis ich ein neues Buch ausgelesen hatte, und die Zeitspanne wird sich noch verlängern: Aus familiären Gründen werde ich das Lesen und die Kommunikation über Belletristik deutlich reduzieren.