Birkenau und Rosenfeld

Birkenau und Rosenfeld

Birkenau und Rosenfeld

Originaltitel: La petite prairie aux bouleaux – Regie: Marceline Loridan-Ivens – Drehbuch: Jean-Pierre Segent, Elisabeth D. Prasetyo, Jeanne Moreau, Marceline Loridan-Ivens – Kamera: Emmanuel Machuel – Schnitt: Catherine Quesenmand – Darsteller: Anouk Aimée, August Diehl, Zbigniew Zamachowski, Marilu Marini, Elise Otzenberger, Claire Maurier, Monique Couturier, Nathalie Nerval, Keren Marciano, Mireille Perrier u.a. - 2003; 90 Minuten

Inhaltsangabe

Von einem 2003 in Paris stattfindenden Treffen einiger Juden, die den Holocaust überlebt haben, reist Myriam Rosenfeld erstmals seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs nach Krakau. Dort hat man sich inzwischen geschäftstüchtig auf jüdische Touristen eingestellt. Myriam Rosenfeld, die 1943 als 15-Jährige nach Auschwitz-Birkenau verschleppt worden war, durchstreift das Gelände des ehemaligen Vernichtungslagers und erinnert sich ...
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Kritik

"Birkenau und Rosenfeld", das ist kein Geschichtsunterricht, sondern ein leiser, ruhiger und eindringlicher Film über das Erinnern, der viel Raum für die Empfindungen und Gedanken des Zuschauers lässt.
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Die Filmemacherin Myriam Rosenfeld (Anouk Aimée) – eine immer noch schöne, elegant gekleidete Dame Anfang siebzig – fliegt von New York nach Paris, um an einem Treffen von Juden teilzunehmen, die den Holocaust überlebt haben. Einige der anwesenden Frauen kennt sie, und sie umarmen sich voller Freude über das Wiedersehen. Während der Veranstaltung gewinnt Myriam Rosenfeld in einer Tombola eine Reise nach Krakau. Eigentlich wollte sie nie wieder an den Ort des Grauens zurück, aber nun entschließt sie sich, die Reise anzutreten.

Im ehemaligen Judenviertel von Krakau hat man sich seit dem Zusammenbruch des Warschauer Pakts auf jüdische Touristen eingestellt, die aus aller Welt – vor allem aus den USA – kommen, um Auschwitz zu besuchen: In allen Gassen gibt es angeblich jüdische Cafés und Restaurants. Zaghaft fragt Myriam Rosenfeld den Kellner in einem der Touristencafés, ob er Jude sei. Unwirsch antwortet er: „Ich bin Pole! Und Katholik!“ Wenn sie einen Juden sprechen wolle, müsse sie in das Café gegenüber gehen: dort gebe es noch einen.

Der polnische Jude, den sie im Café „Alef“ antrifft, heißt Gutek (Zbigniew Zamachowski). Aufgrund der Erfahrung erkennt er in Myriam Rosenfeld auf den ersten Blick eine Überlebende des Vernichtungslagers, und er vermittelt ihr ein Zimmer in der benachbarten Pension.

Durch eine Tür im Zaun, die einen Spalt breit offen steht, zwängt Myriam Rosenfeld sich auf das Gelände des früheren Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau, das seit 1947 ein Museum ist. – Ihr Großvater Isaac Rosenfeld hatte mit seiner Frau, den vier Töchtern und zwei Söhnen in Krakau gelebt. Sein jüngerer Sohn, Salomon, war mit seiner Familie nach Frankreich ausgewandert. Dort wurden er und seine fünfzehnjährige Tochter Myriam 1943 von der französischen Miliz festgenommen und nach Auschwitz deportiert. Im Gegensatz zu ihrem Vater überlebte Myriam Rosenfeld die Shoa und wurde Anfang 1945 befreit.

Sie findet die Baracke wieder, in der sie untergebracht war, erinnert sich an die Leidensgefährtinnen, die auf den Pritschen über, unter und neben ihr lagen. Sie flüstert: „Ihr seid keine Gespenster, Françoise!“ Im früheren Waschraum wird sie von zwei Museumsbesucherinnen gestört, aber die beiden Mädchen bemerken die im Schatten stehende Frau gar nicht; sie schauen sich nur kurz um und meinen enttäuscht, dass es hier nichts mehr zu sehen gebe. Sie vermissen das Gefühl des Grauens, das sie hier wie in einem Erlebnispark erwartet haben.

Gutek verdient sich ein Zubrot, indem er das Leben von Juden rekonstruiert, die vor Auschwitz in Krakau gelebt hatten. Mit Hilfe seiner Aufzeichnungen findet er heraus, wo die frühere Wohnung der Familie Rosenfeld ist, und Myriam lässt sich von ihm hinführen. Die junge Polin, die ihnen öffnet, befürchtet zunächst Entschädigungs-Ansprüche. Erst als Gutek ihr versichert, dass niemand vorhabe, ihr etwas streitig zu machen, darf Myriam Rosenfeld sich in der Wohnung umsehen. Sie deutet auf eine Vase auf dem Kaminsims, aber die Polin behauptet, davon gebe es viele. Myriam nimmt ein Foto heraus, das in diesem Zimmer von ihrem Großvater aufgenommen worden war und auf dem die Vase deutlich zu erkennen ist. Das ist für die Bewohnerin jedoch kein Grund, darauf zu verzichten.

Bei ihren Streifzügen durch das Gelände von Auschwitz-Birkenau begegnet Myriam Rosenfeld einem jungen deutschen Fotografen. Er heißt Oskar (August Diehl) und versucht schon seit acht Wochen, „objektive Spuren“ zu finden. Ob die Überlebende ihm dabei helfen könne? Myriam Rosenfeld, die nach dem „Unsichtbaren“ sucht, weist ihn zunächst ab, denn sie möchte sich bei ihren eigenen Erinnerungen nicht stören lassen. Oskar gibt jedoch nicht auf, und schließlich lässt sie sich von ihm begleiten, obwohl es sich bei ihm um den Enkel eines SS-Offiziers handelt, der an der Vernichtung der Juden beteiligt gewesen war. Oskar erfuhr das erst von seinem Vater, kurz bevor dieser 2002 im Alter von sechzig Jahren an Krebs starb. Nun versucht er, die Vorgänge von damals zu verstehen.

Gemeinsam gehen Oskar und Myriam Rosenfeld am Abend in eine Diskothek, wo sie eine junge Frau beobachten, die unbeschwert tanzt und nicht von schlimmen Erinnerungen gequält wird.

Als Myriam Rosenfeld mit Oskar zu den Ruinen der Krematorien kommt, gesteht sie sich endlich etwas ein, was sie jahrzehntelang verdrängte: Im Oktober 1944 hatte sie mit anderen Gefangenen zusammen eine Grube ausgehoben, in der Leichen verbrannt wurden, als die Kapazität der Krematorien nicht ausreichte.

„Ich lebe noch“, ruft Myriam Rosenfeld trotzig über das Gelände von Auschwitz-Birkenau.

Nach einigen Tagen bringt Oskar sie zum Bahnhof, und sie reist wieder ab.

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Marceline Loridan-Ivens – ihr Mädchenname lautete Rozenberg – wurde 1928 in Polen geboren. Die jüdische Familie wanderte 1940 nach Frankreich aus und lebte dort in einem Dorf im Vancluse. 1943 wurden Marceline und ihr Vater festgenommen und nach Auschwitz-Birkenau deportiert, von wo die inzwischen Siebzehnjährige im Juli 1945 zurückkehrte – ohne ihren Vater, der den Holocaust nicht überlebt hatte.

Sie wurde schließlich die Ehefrau und wichtigste Mitarbeiterin des Dokumentarfilmers Joris Ivens (eigentlich: George Henri Anton Ivens, 1898 – 1989). Ihre letzte gemeinsame Arbeit trug den Titel „L’histoire du vent“ („Geschichte des Windes“). Erst nach dem Tod ihres Mannes am 28. Juni 1989 in Paris war es Marceline Loridan-Ivens möglich, selbst einen Film zu drehen. Sieben Jahre brauchte sie für die Finanzierung ihres Vorhabens, das sie im Alter von 75 Jahren verwirklichte: „La petite prairie aux bouleaux“ („Birkenau und Rosenfeld“).

In dem Drehbuch geht es mir nicht darum, die Vergangenheit wieder lebendig werden zu lassen (wer könnte das schon), sondern der Suche im Erinnern seinen Stellenwert einzuräumen. (Marceline Loridan-Ivens)

„Birkenau und Rosenfeld“, das ist weder Geschichtsunterricht noch Erklärung, sondern ein leiser, ruhiger und eindringlicher Film, der viel Raum für die Empfindungen und Gedanken des Zuschauers lässt. Marceline Loridan-Ivens kommt ohne große Worte aus, und nur wenige Sequenzen werden mit Musik untermalt.

Anouk Aimée (* 1932), die in „Birkenau und Rosenfeld“ das Alter Ego von Marceline Loridan-Ivens spielt (und in der deutschen Fassung von Hannelore Elsner synchronisiert wird), berichtet in einem Interview über die Dreharbeiten:

Marceline Loridan-Ivens […] führte nicht im üblichen Sinn Regie. Doch mir genügte es, sie durch Birkenau gehen zu sehen. Wir sprachen gar nicht viel, doch wir empfanden viel. Ich sah, wie sie sich an diesem Ort bewegte. Das war beeindruckend, denn sie war nicht unter uns, sie war in der Vergangenheit.

Noch nie zuvor durfte in dem 1947 eingerichteten Staatlichen Museum Auschwitz-Birkenau ein Spielfilm gedreht werden. Selbst Steven Spielberg hatte das Lager für seinen Film „Schindlers Liste“ nachbauen müssen.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2006

Auschwitz
Holocaust

Hallgrímur Helgason - Rokland
"Rokland" ist eine sarkastische Gesellschaftsgroteske von Hallgrímur Helgason mit skurrilen Figuren, schrägen Ideen und locker-verqueren Aphorismen. Das liest sich recht unterhaltsam, bleibt aber trivial.
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