Ephraim Kishon : Drehn Sie sich um, Frau Lot!

Drehn Sie sich um, Frau Lot!
Originalausgabe: Look Back Mrs Lot! (1961) Drehn Sie sich um, Frau Lot! Übersetzung: Friedrich Torberg Albert Langen Georg Müller Verlags GmbH, München Taschenbuch: dtv, München 1964 ISBN 3-423-00192-5, 175 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

In den 36 Satiren des Bandes "Drehn Sie sich um, Frau Lot!" spottet Ephraim Kishon über den ausufernden Bürokratismus, die Sprachverwirrung in dem Völkergemisch und andere Unzulänglichkeiten des Lebens in Israel.
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Kritik

"Nicht als ob der Staat Israel keine Fehler hätte. Aber wir lieben ihn mitsamt seinen Fehlern, so, wie die Kanadier Kanada lieben, die Portugiesen Portugal und die Engländer Frankreich." (Einführung)

Der israelische Autor Ephraim Kishon (1924 – 2005) schrieb in den Fünfzigerjahren Satiren für die Zeitung Ma’ariv. Einige davon wollte er für eine Buchausgabe ins Deutsche übersetzen lassen, aber der Verleger, der bereits zwei Bühnenwerke Kishons in der Bundesrepublik veröffentlicht hatte, konnte sich nicht vorstellen, dass es dafür genügend Leserinnen und Leser gab. Als sich jedoch die englische Übersetzung in den USA als Bestseller erwies, brachte die Albert Langen Georg Müller Verlags GmbH 1961 eine deutsche Ausgabe unter dem Titel „Drehn Sie sich um, Frau Lot!“ heraus. Das Buch verkaufte sich millionenfach und begründete den außergewöhnlichen Erfolg Ephraim Kishons vor allem in Deutschland.

In dem Band „Drehn Sie sich um, Frau Lot!“ hat Ephraim Kishon sechsunddreißig Satiren und Grotesken zusammengefasst, in denen ein Ich-Erzähler menschliche Schwächen aufs Korn nimmt und über den ausufernden Bürokratismus, die Sprachverwirrung in dem Völkergemisch und andere Unzulänglichkeiten des Lebens in Israel spottet. Dabei nimmt er eine eher konservative Haltung ein und lässt keinen Zweifel daran, dass er sein Land schätzt.

Einmal lässt der Ich-Erzähler sich von einem Bekannten zu einer Partie „jüdisches Poker“ überreden, das er noch nicht kennt. Man benötigt dazu keine Karten, sondern jeder der beiden Spieler denkt sich eine Zahl aus, und wer die höhere hat, gewinnt den auf dem Tisch liegenden Einsatz. Die beiden Gegner geraten in Rage.

„Komm heraus, du Stinktier!“, zischte ich in Josseles Gesicht. Jossele beugte sich über den Tisch und zischte zurück:
„1683!“
Eine haltlose Schwäche durchzitterte mich.
„1800“, flüsterte ich kaum hörbar.
„Gedoppelt!“, rief Jossele und ließ die vier Pfund in seiner Tasche verschwinden.
„Wie gedoppelt? Was soll das heißen?!“
„Nur ruhig. Wenn du beim Poker die Selbstbeherrschung verlierst, verlierst du Hemd und Hosen“, sagte Jossele lehrhaft.
„Jedes Kind kann dir erklären, dass meine Ziffer als gedoppelte höher ist als deine. Und deshalb –“
[…]
Der Einsatz betrug jetzt zehn Pfund.
„Deine Ansage, bitte!“, knirschte ich.
Jossele lehnte sich zurück und gab mit herausfordernder Ruhe seine Ziffer bekannt:
„4“
„100 000!“, trompetete ich.
Ohne das geringste Zeichen von Erregung kam Josseles Stimme:
„Ultimo!“ Und er nahm die zwanzig Pfund an sich.
Schluchzend brach ich zusammen. Jossele strich mir tröstend über den Scheitel und belehrte mich, dass nach dem so genannten Hoyleschen Gesetz derjenige Spieler, der als erster „Ultimo“ ansagt, auf jeden Fall und ohne Rücksicht auf die Ziffer gewinnt. (Seite 12f)

Es dauert einige Zeit, aber dann begreift der Ich-Erzähler die Feinheiten des jüdischen Pokerspiels:

„Zwanzig Pfund!“ Aufwimmernd legte ich mein letztes Geld in die Hände des Schicksals […]
„Ultimo“, sagte er und streckte die Hand nach dem Goldschatz aus.
Jetzt war es an mir, seinen Griff aufzuhalten.
„Einen Augenblick“, sagte ich eisig. „Ben Gurion!“
Und schon hatte ich die vierzig Pfund bei mir geborgen.
„Ben Gurion ist noch stärker als Ultimo“, erläuterte ich.
„Aber es wird spät. Wir sollten Schluss machen, Jachabibi.“ (Seite 13)

In der Satire „Unternehmen Babel“ schreibt Ephraim Kishon:

In Israel werden mehr Sprachen gesprochen, als der menschlichen Rasse bisher bekannt waren […]
Die offizielle Sprache unseres Landes ist das Hebräische. Es ist auch die Muttersprache unserer Kinder – übrigens die einzige Muttersprache, welche die Mütter von ihren Kindern lernen. (Seite 15)

„Professor Honig macht Karriere“ ist eine Satire betitelt, in der Ephraim Kishon herausstellt, dass ein hochqualifizierter Lehrer in Israel kaum von seinem Gehalt leben kann. Dr. Dr. Imanuel Walter Honig stammt aus Frankfurt am Main und hat sich an mehreren internationalen Eliteuniversitäten einen hervorragenden Namen als Wissenschaftler gemacht.

Im Alter von fünfzig Jahren verwirklicht er einen Traum und zieht mit seiner Ehefrau Emma, den beiden Kindern, seinem Vater und den Schwiegereltern nach Israel. Dort findet er auch bald eine Stelle als Lehrer an einer Mittelschule. Um das knappe Salär aufzubessern, verfällt er nach einiger Zeit auf die Idee, in den Pausen mit einem Bauchladen herumzugehen und den Schülern Süßigkeiten zu verkaufen. Das wird allerdings von der Schulleitung nicht gern gesehen. Als man ihn zurechtweist, gibt er das Lehramt auf und konzentriert sich zusammen mit dem Pedell, der früher englische Literatur unterrichtete, auf den Süßwarenhandel. Von den Einnahmen können er und seine Familie recht gut leben.

Auch wenn ein Neueinwanderer längst ein vollberechtigter Bürger Israels geworden ist, bleibt sein von Vorurteilen belasteter Magen ungarisch, holländisch, türkisch oder was auch immer und gewöhnt sich nicht an „Schaschlik, Sum-Sum, Wus-Wus“ (so der Titel dieser Satire).

„Im Zeichen des Kreuzworträtsels“: Einmal liegt der Ich-Erzähler am Strand und schützt sich mit einer Zeitung vor einem Sonnenbrand. Da überfällt ihn eine Gruppe Jugendlicher, nimmt ihm die Zeitung weg und macht sich über das Kreuzworträtsel her, das er selbst lösen wollte.

Das war zuviel. Nicht genug, dass dieses verwahrloste Pack mich des Sonnenschutzes beraubt – jetzt wollen sie mir auch die einzige kleine Freude verderben, die ich auf Erden noch habe. Kreuzworträtsellösen ist mein einziges, geliebtes Hobby. (Seite 71)

Held eines Romans von Dostojewskij, elf Buchstaben, beginnend mit einem Aleph?

„Der Tod des Handlungsreisenden?“, fragte ein weibliches Bandenmitglied, wurde aber belehrt, dass dies mehr als elf Buchstaben wären.
„König Lear?“
„Mach dich nicht lächerlich. Es muss doch mit einem Aleph anfangen.“ (Seite 71f)

Der Ich-Erzähler erträgt es nicht länger und ruft der Horde zu: „Raskolnikow!“ Dieser Name beginne aber nicht mit einem Aleph, wenden die Jugendlichen ein. Er lässt sich das Rätsel zeigen und stellt fest, dass sie als südamerikanische Hauptstadt mit vier Buchstaben fälschlicherweise „Air’s“ eingetragen haben. Sie meinten wohl Buenos Aires, aber das passt von der Zahl der Buchstaben nicht. Er korrigiert und schreibt „Rima“, weil er ein R für „Raskolnikow“ benötigt. Das sei die Hauptstadt von Peru, erklärt er den Umstehenden.

„Nicht Lima?“, fragte der unverschämte Rotkopf. Er wurde von den anderen sofort niedergebrüllt, was kein geringes Vertrauensvotum für mich bedeutete. Ich konnte jetzt getrost daran gehen, die durch Rima nötig gewordenen Änderungen vorzunehmen. Als Erstes wurde das auf acht senkrecht aufscheinende „Volk“ in „Publ“ verwandelt […] (Seite 72)

Als ich fertig war, lag mir die israelische Jugend zu Füßen. Was waren das doch für prächtige Geschöpfe, diese lernbegierigen, weltaufgeschlossenen Mädels und Jungen, auf die wir mit Recht so stolz sind. (Seite 73)

Als der erste Supermarkt in Tel Aviv eröffnet wird, beherrschen sich der Ich-Erzähler und seine Ehefrau – „die beste Ehefrau von allen“ – drei Tage lang mit eiserner Disziplin. Dann halten sie es nicht mehr aus, nehmen aber vorsichtshalber nicht ihre Brieftaschen mit, sondern nur Rafi, ihren Erstgeborenen, denn einige Nachbarn gingen an einem einzigen Einkaufsnachmittag bankrott. Zufällig hat die Ehefrau noch etwas Geld in ihrer Handtasche und legt deshalb elf Dosen Sardinen in den Einkaufswagen. Dann findet er ein Bündel Banknoten in der Hosentasche, nachdem er unlängst lange gesucht hatte. Irgendwann verwechseln sie ihren Einkaufswagen und schieben einen noch volleren weiter. Rafi ist mehrmals verschwunden. Einmal bringt er eine Pyramide aus fünfhundert Kompottkonserven zum Einsturz, dann entdecken die Eltern ihn am ehemaligen Eierverkaufsstand.

„Wem gehört dieser Wechselbalg?“, schnaubte der Obereierverkäufer, gelb vor Wut und Eidotter. „Wer ist für dieses Monstrum verantwortlich?!“
Wir erteilten ihm die gewünschte Auskunft via facti, indem wir unseren Sohn eilig abschleppten […] (Seite 91)

Unseren aus sechs Wagen bestehenden Zug zur Kassa zu dirigieren, war nicht ganz einfach, weil das Kalb, das ich an den letzten Wagen angebunden hatte, immer zu seiner Mutter zurück wollte. (Seite 92)

Der Ich-Erzähler und seine Ehefrau staunen über die Geschicklichkeit, mit der die Angestellten an der Kasse alles in braune Papiersäcke verpacken. Als sie gezahlt haben, vermissen sie Rafi erneut. „Einen blonden Buben?“, fragt der Verkäufer und zieht Rafi aus einem der Papiersäcke. Sie kriegen noch 2700 Pfund zurück. Der Kassierer hatte angenommen, sie hätten den Jungen hier gekauft.

In „Verirrt in Jerusalem“ kritisiert Ephraim Kishon, dass man sich in den Straßen und Gassen der Stadt nur schwer zurechtfindet.

Sehr viele Dinge können in Israel sehr leicht gefunden werden, aber die Straßen sind nicht darunter. Es gibt Straßen, die überhaupt keinen Namen haben, und wenn sie einen haben, dann gibt es keine Tafel, die ihn nennt. (Seite 103)

Auch auf die jüdischen Feiertage kommt Ephraim Kishon zu sprechen:

Der fröhlichste jüdische Feiertag heißt Purim und gilt der Erinnerung an den Triumph der Königin Esther über den bösen Haman. Es war das einzige Mal in unserer Geschichte, dass ein Antisemit aufgehängt wurde, noch ehe der Pogrom stattgefunden hatte. Dieses einmalige Ereignis wird von unseren Kindern durch ungeheure Lärmentfaltung gefeiert, die sich direkt gegen das Trommelfell der Eltern richtet.
Überhaupt können die Kinder zu Purim machen, was sie wollen. Sie verkleiden sich als Erwachsene [und] benehmen sich dementsprechend […] (Seite 132)

Mit der Bauwut der Israeli beschäftigt Ephraim Kishon sich in „Der Blaumilch-Kanal“:

Den Einwohnern Israels ist eine gefährliche Manie gemeinsam: sie wollen unbedingt das Land aufbauen. Aber da die Juden bekanntlich ein arbeitsscheues Volk sind, bauen sie zum Beispiel in drei Tagen ein Haus fertig, um den Rest der Woche faulenzen zu können. Sollte sich ein Leser auf Grund der Lektüre dieses Buchs zu einem Besuch des Staates Israel entschließen, so wird er dort mit eigenen Augen sehen, dass wir an einem chronischen unheilbaren Baufieber leiden. Niemand wundert sich, wenn irgendein Narr sich’s in den Kopf setzt, mitten in der Wüste eine Stadt zu errichten. Wir haben sogar eine ganz hübsche Anzahl solcher Narren. Und folglich eine ganz hübsche Anzahl von Städten mitten in der Wüste. (Seite 136)

In Israel leben Menschen, die aus den verschiedensten Ländern der Erde gekommen sind. Auf eine der Folgen weist Ephraim Kishon in „Der Blaumilch-Kanal“ hin:

In Bath Jam befindet sich eine Irrenanstalt, und es ist keine geringe Leistung, dort Aufnahme zu finden. Wenn anderswo ein Mensch plötzlich zu gackern beginnt, nimmt man an, dass er den Verstand verloren hat. In Israel nimmt man an, dass er ein Neueinwanderer aus der südlichen Mandschurei ist, der sich in seiner Muttersprache verständlich zu machen sucht. Und wenn er sich Spinat ins Gesicht schmiert, darf man die Möglichkeit nicht ausschließen, dass es sich hier um eine alte bolivianische Volkssitte handelt. Ein Wahnsinniger muss schon etwas wirklich Erstklassiges bieten, um in Israel aufzufallen. (Seite 136)

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2005
Textauszüge: © Albert Langen Georg Müller Verlags GmbH
Die Seitenangaben beziehen sich auf die dtv-Ausgabe.

Ephraim Kishon (Kurzbiografie)

Ursula Wiegele - Arigato
Ursula Wiegele veranschaulicht in ihrem Roman "Arigato" politische und gesellschaftliche Verwerfungen im Alpe-Adria-Raum. Dabei versetzt sie sich in die noch etwas kindliche Wahrnehmung, Sprache und Denkweise der Ich-Erzählerin.
Arigato