Hape Kerkeling : Ich bin dann mal weg

Ich bin dann mal weg
Ich bin dann mal weg. Meine Reise auf dem Jakobsweg Originalausgabe: Malik Verlag, München 2006 ISBN: 978-3-89029-312-7, 347 Seiten Piper Taschenbuch, München / Zürich 2009 ISBN: 978-3-492-25175-4, 347 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

In seinem Buch "Ich bin dann mal weg" erzählt Hape Kerkeling von seinen Erlebnissen im Sommer 2001 auf dem Jakobsweg. Anfangs ist er nicht sicher, ob er die Strapazen der 800 km langen Wanderung aushält. Drei Wochen lang zieht er es vor, allein zu wandern, dann sehnt er sich nach Gesprächen und gewinnt schließlich neue Freundinnen. Zwischendurch lässt er sich auf Begegnungen mit skurrilen Sonderlingen ein. Biedere Deutsche, heuchlerische Katholiken und mannstolle Brasilianerinnen hält er bis zum Schluss auf Distanz.
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Kritik

"Ich bin dann mal weg" ist eine Mischung aus Tagebuch und Reisebericht. Hape Kerkeling schreibt humorvoll und unterhaltsam, selbstironisch, mitunter nachdenklich, erwähnt auch Zweifel, psychische und physische Schwierigkeiten. Die gewonnenen Einsichten sind allerdings nicht besonders tiefschürfend.
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Als Hape Kerkeling im Alter von siebenunddreißig Jahren einen Hörsturz erleidet und ihm außerdem die Gallenblase entfernt werden muss, besinnt er sich und beschließt, auf dem Jakobsweg nach Santiago de Compostela zu pilgern.

Über Monate nicht auf die innere Stimme zu hören, die einem das Wort „PAUSE!“ förmlich in den Leib brüllt, sondern vermeintlich diszipliniert weiterzuarbeiten, rächt sich halt – indem man einfach gar nichts mehr hört. (Seite 14)

Zu den strenggläubigen Katholiken zählt Hape Kerkeling sich zwar nicht, aber er hat sich vorgenommen, auf der langen Wanderung über Gott, den Sinn des Lebens und sich selbst nachzudenken.

Ich würde mich selbst zum Beispiel als eine Art Buddhist mit christlichem Überbau bezeichnen! Klingt theoretisch komplizierter, als es in der Praxis ist! (Seite 20)

Als Kind hatte ich nie den leisesten Zweifel an der Existenz Gottes, aber als vermeintlich aufgeklärter Erwachsener stelle ich mir heute durchaus die Frage: Gibt es Gott wirklich?
Was aber, wenn dann am Ende dieser Reise die Antwort lautet: Nein, tut mir sehr leid. Der existiert nicht. Da gibt es NICHTS. Glauben Sie mir, Monsieur!
Könnte ich damit umgehen? Mit nichts? (Seite 21)

Anscheinend weiß ich ja nicht mal so genau, wer ich selbst bin. Wie soll ich da herausfinden, wer Gott ist?
Meine Frage muss also erst mal ganz bescheiden lauten: Wer bin ich? (Seite 22)

Ich will wissen, was dieser Weg mit mir macht oder auch nicht. Dann weiß ich es wenigstens. (Seite 115)

Anfang Juni 2001 fliegt Hape Kerkeling nach Bordeaux und fährt von dort mit dem Zug nach Saint-Jean-Pied-de-Port, dem Ausgangspunkt des achthundert Kilometer langen Camino Francés, der klassischen Route des Jakobsweges.

„Ich bin dann mal weg!“ Viel mehr habe ich meinen Freunden eigentlich nicht gesagt, bevor ich gestartet bin. Ich wandere halt mal eben durch Spanien. (Seite 11)

[…] könnte ich jetzt bei einer heißen Tasse Kakao und einem saftigen Stück Käsekuchen gemütlich zu Hause auf meiner roten Lieblingscouch liegen. Stattdessen hocke ich bei erstaunlich kühlen Temperaturen in einem namenlosen Café am Fuß der französischen Pyrenäen in einem winzigen mittelalterlichen Städtchen namens Saint-Jean-Pied-de-Port. (Seite 11)

Die Wanderung wird mich über den Camino Francés, eine der Europäischen Kulturstraßen, über die Pyrenäen, quer durch das Baskenland, die Navarra, die Rioja, Kastilien-Leon und Galicien nach etwa 800 Kilometern direkt vor die Kathedrale von Santiago de Compostela führen. (Seite 12)

Wenn ich nur an den langen Fußmarsch denke, könnte ich mich jetzt schon vierzehn Tage ausruhen. (Seite 12)

Am 10. Juni macht Hape Kerkeling sich mit einem knallroten, elf Kilogramm schweren Rucksack auf den Weg von Saint-Jean-Pied-de-Port nach Roncesvalles. Statt im Schlafsaal der Pilgerherberge zu übernachten, lässt er sich dort nur seinen Pilgerausweis stempeln und nimmt sich ein einfaches Hotelzimmer.

Die örtliche Pilgerherberge war mir für die erste Nacht dann doch etwas zu – na ja, sagen wir – gesellig. (Seite 20)

Eine Nacht in der Pilgerherberge in Santo Domingo de la Calzada, wo ihm das Bett neben der Tür zur Toilette zugewiesen wurde, genügt ihm vollauf.

Pilgerherbergen sind für Leute gedacht, die kein Geld haben. Überhaupt kein Geld.
Billiger kann man nicht Urlaub machen, denn die Pilgerherbergen kosten nichts […]
Ich hab es schon zu meiner Schulzeit gehasst, in Jugendherbergen zu schlafen […]
Ich kann mir ein Hotel erlauben, also werde ich ab jetzt auch wieder in Hotels schlafen. Ich kann und will hier nicht den Armen spielen. Hans Peter! Sei du selbst! Das hier bist du nicht! (Seite 86)

Die Anstrengung ist gewaltig. Weil seine Knie nach kurzer Zeit stark schmerzen, wählt Hape Kerkeling für die Etappe von Pamplona nach Viana den Zug.

Eigentlich beginne ich die Pilgerreise jeden Tag aufs Neue. Hab nicht das Gefühl, eine Reise zu machen, sondern tausend kleine Reisen. Jeden Tag muss ich mich neu motivieren. (Seite 115)

Meine Träume werden von Nacht zu Nacht intensiver und in mir arbeitet es, als hätte jemand das Getriebe geölt. (Seite 141)

Nachdem er sich in Logroño ins Pilgerbuch eingetragen hat, hört er hinter sich zwei Schwaben an der Stempelstelle:

„Desch gibt’s doch ned, da het doch hier dadsächlich oiner mit Hape Kergeling underschriebbe! No, der het Humor!“
Tja, ich seh mir, glaub ich, selber kaum noch ähnlich! […] Ich liebe das! Jetzt halten die mich für irgendwen, aber nicht für den, der ich bin. Oder bin ich es gar nicht mehr? (Seite 66)

Immer wieder beobachtet Hape Kerkeling Paare, die sich nicht auf einen gemeinsamen Wanderrhythmus einigen können, deshalb in Streit geraten und getrennt weitergehen. Er selbst wandert zunächst allein und vermeidet Kontakte mit anderen Pilgern.

Hab aber auch überhaupt keine Lust, mich irgendwelchen anderen Pilgern anzuschließen. Die meisten wirken erzkatholisch und scheinen sich ihrer Sache so sicher zu sein, dass ich mich frage, warum die überhaupt pilgern. Die werden als die gleichen Menschen die Reise beenden, als die sie sie begonnen haben; falls sie es denn bis nach Santiago schaffen. (Seite 44)

Es bleibt allerdings nicht aus, dass er mit anderen Pilgern, denen er mehrmals begegnet, ins Gespräch kommt. Die redselige Brasilianerin Claudia hat es auf ihn abgesehen, aber er bleibt auf Distanz. Mit Anne aus Liverpool würde er sich gern unterhalten, aber in diesem Fall verhält sich die Frau abweisend. Ein Stück weit geht er mit der Kanadierin Lara. In Calzadilla de la Cueza lernt er die Holländerin Jose kennen. Sie pilgert zwar mit einer Freundin, aber die beiden laufen einige Tage lang getrennt. Jose hatte politische Wissenschaften studiert und promoviert, aber dann ließ sie sich zur Krankenschwester ausbilden und arbeitet nun in einem Krankenhaus in Amsterdam, und zwar in einer Station für Krebspatienten im Endstadium. Das füllt sie aus.

Ein Ehepaar aus Remscheid, beide Ende fünfzig, fällt Hape Kerkeling auf. Ingeborg bestimmt rücksichtslos, wo es langgeht, und ihr Mann Gerd fügt sich resigniert. Ihnen schließt sich Ute an, eine Österreicherin, „eine krebsrot gebrannte Bohnenstange, die immer über beide Backen grinst“ (Seite 163).

Sie kommen mir vor wie die Figuren, die ich für Drehbücher und Sketche entwickle. Ich habe fast das Gefühl, die drei könnten meine Erfindung sein. (Seite 179)

Nach drei Wochen vermisst Hape Kerkeling dann doch die Möglichkeit, längere Gespräche zu führen.

Noch nie in meinem Leben war ich bisher so lange alleine und das, was mir noch vor ein paar Tagen am Alleinsein gefallen hat, geht mir langsam gehörig auf den Keks. (Seite 208)

Doch als ihn die beiden Schwedinnen Evi und Tina, die er schon vor Tagen kennenlernte, in León zum Abendessen einladen, sagt er ab.

Weiß nicht, ob die zwei das verstehen, so enttäuscht wie sie dreinschauen. Ich versteh es ja selber kaum. (Seite 200)

Am nächsten Morgen trifft er Evi erneut, nutzt die Gelegenheit, sich für die Absage zu entschuldigen und lädt sie in ein Straßencafé ein. Sie hat Probleme mit den Füßen und ließ deshalb Tina allein weiterlaufen. Evi kommt aus Gällivare in Lappland. Zehn Jahre lang arbeitete sie als Chefpurserin auf einem skandinavischen Kreuzfahrtschiff. Dann hielt sie die reichen Leute nicht mehr aus, flog nach Brasilien und kümmerte sich dort um Straßenkinder. Vor einem Jahr brach sie sich auf dem Jakobsweg ein Bein und musste vorzeitig nach Hause. Seither studiert sie in Stockholm Sozialpädagogik. Nun versuchte sie die Pilgerwanderung erneut, aber sie wird das Vorhaben wohl auch dieses Mal abbrechen müssen.

Zufällig stoßen in León auch Anne, Jose und Lara zu Evi und Hape Kerkeling. Die meisten von ihnen kennen sich schon. Anne und Lara haben wegen der Vorschriften bereits ins refugio zurückkehren müssen, als Evi Annes neuseeländische Pilgerfreundin Sheelagh herbeiwinkt. Sheelagh ist Mitte vierzig und in Wellington für die städtebauliche Planung zuständig.

Evi muss die Wanderung tatsächlich beenden und beschließt, am nächsten Tag mit dem Zug von León nach Santiago de Compostela zu fahren.

Nachdem Hape Kerkeling sich von Evi verabschiedet hat, wandert er allein weiter.

Alles, was mir in meinem bisherigen Leben so passiert ist, kommt hier auf dem Weg wieder zum Vorschein und die vielen Verzweigungen scheinen jetzt alle hier zusammenzulaufen. (Seite 203)

Er erinnert sich, wie er bei einem Comedy-Festival im Hamburger „Logo“ Otto Waalkes und dessen erste Ehefrau Manou kennenlernte, von dem sechzehn Jahre älteren Komiker anderen Prominenten vorgestellt wurde und bei Otto und Manou übernachten durfte.

Otto führt den Debütanten in die große Gesellschaft ein. (Seite 58)

Später, als Hape Kerkeling bereits selbst zu den häufig im deutschen Fernsehen auftretenden Comedians gehörte, saß er bei einem Bankett nach einer Theaterpremiere in Berlin neben einer Staatssekretärin des französischen Kultusministeriums. Sie fragt ihn nach seinem Beruf, und er antwortete: „Komiker“. Da meinte sie geringschätzig, berühmt könne er nicht sein, sonst würde sie ihn kennen. Welche deutschen Komiker sie denn aufzählen könne, fragte er zurück, und sie musste zugeben, nur einen einzigen zu kennen. Dessen Name sei ihr zwar entfallen, aber sie erinnere sich noch, wie er die Königin von Holland nachmachte. Das sei er gewesen, sagte Hape Kerkeling. Daraufhin hielt ihn die Französin für einen miesen Hochstapler.

Er denkt während der Wanderung auf dem Jakobsweg daran, wie er Silvester 1989 mit Freunden in Prag feierte.

Seine beiden Freundinnen Carina und Christine überredeten ihn vor einigen Jahren, sie nach Frankfurt am Main zu begleiten und mit ihnen und drei anderen Frauen an einem Reinkarnationsseminar teilzunehmen. Am dritten und letzten Tag erlebte Hape Kerkeling heftig zitternd, wie er gegen Ende des Zweiten Weltkriegs als junger Franziskanermönch in einem Kloster bei Breslau lebte. Durch die Denunziation eines Kohlenhändlers kam auf, dass dort ein jüdisches Ehepaar mit zwei kleinen Kindern versteckt war. Die Nationalsozialisten holten die Untergetauchten ab; der Abt, der junge Franziskanermönch und die anderen Mönche wurden zum Tod verurteilt und erschossen.

In Ägypten wäre Hape Kerkeling beinahe an einer Vergiftung gestorben.

1985 saß er in einem Straßencafé auf der Königsallee in Düsseldorf, als unvermittelt eine ältere Dame auf ihn zustolperte, einen Tisch umstieß, ihm vor die Füße stürzte und starb.

Zu den Themen, über die Hape Kerkeling auf dem Jakobsweg nachdenkt, gehört auch die Homosexualität.

Fast jeder geht in unserer Gesellschaft automatisch davon aus, dass sein Gegenüber hetero zu sein hat. Warum um Himmels willen heiraten Menschen in aller Öffentlichkeit? Und warum nehmen Frauen nach wie vor meistens den Namen des Ehepartners an? Was ist das anderes als das öffentliche Bekenntnis zur eigenen Sexualität und das klare Geständnis: Damit ihr es jetzt alle wisst, wir schlafen zusammen! […]
Auch die Art und Weise, wie die katholische Kirche mit Homosexualität und vielen anderen wichtigen Themen nicht umgeht, ist unmenschlich und geprägt von skandalöser Doppelmoral.
Ich weiß, dass ich mich mit meiner natürlichen Neigung in völligem Einklang mit der Welt und mir befinde! […]
[…] gibt es eine amüsante Parallele zwischen der schwulen Subkultur und der katholischen Kirche; nirgendwo sonst im Abendland gibt es nach wie vor eine so strikte Geschlechtertrennung. (Seite 110f)

Was mich sehr freut, sind die Aussagen zweier Mütter, die mir erklären, dass mein öffentliches Bekenntnis zur Homosexualität auch dazu beigetragen hätte, dass sie sich mit ihren Söhnen, wie es sich gehört, versöhnt hätten. (Seite 207)

„Irgendwo im Nirgendwo hinter León“ (Seite 221) kommt ihm ein seltsamer Kerl entgegen.

Auf einer sanften Erhebung mitten in dieser Science-Fiction-Pampa, die Nachmittagssonne knallt mir auf den Pelz, kommt mir ein älterer braun gebrannter Mann mit weißem Bart und Brille entgegen. Ein komischer abgerisser Vogel in weißem Hemd und schwarzer Hose. Er sieht nicht aus wie ein Obdachloser, sondern wie jemand, der sein Gedächtnis verloren hat und nun durch diese menschenleere Gegend irrt […]
[…] aber betrunken ist er nicht! Ich schaue auf seine sockenlosen Füße, sie sind blutig wund gelaufen und die Schnürsenkel seiner verdreckten Designer-Schuhe hängen lose herunter. Seine Lippen sind aufgesprungen und voller Blasen. Er hat kaum noch Zähne im Mund […]
Er sieht zwar abgerissen aus, aber die dreckigen Schuhe sind neu und teuer. Die schwarze Jeanshose ist ein Markenartikel und sitzt wie angegossen. Das fleckige Hemd hängt zwar zerknittert aus der Hose, ist aber auch nicht billig gewesen. Genauso wenig seine Brille. Wer ist dieser Typ? (Seite 223f)

Der spanisch sprechende Mann behauptet, sechsundfünfzig Jahre alt zu sein, aber Hape Kerkeling hält ihn für älter. Er komme aus Cusco in Peru, sagt er, heiße Americo Montinez, die Indios, deren Schamane er sei, würden ihn allerdings Ruco Urco nennen.

„Und was machst du hier?“, frage ich.
„Urlaub“, lautet die verblüffende Replik.
„Urlaub? Ohne Koffer, ohne Rucksack?“, frage ich. „Brauche ich nicht“, sagt er, „ich hab viel, viel Geld dabei. Wenn ich was brauche, kaufe ich was.“ (Seite 224)

In einer Kneipe provoziert Ruco Urco seinen Begleiter mit der Behauptung, die drei besten Bücher der Welt seien „Die Blechtrommel“, „Momo“ und „Mein Kampf“. Da versteht Hape Kerkeling keinen Spaß. Es kommt beinahe zu einer Prügelei. Nachdem er dem grinsenden Südamerikaner klar und deutlich seine Meinung über Hitler gesagt hat, lässt er ihn sitzen und geht allein weiter. Aufgrund des Vorfalls begreift er, dass man die Wut herauslassen muss, wenn man nicht an der Galle erkranken will.

In einem winzigen Ort zwanzig Kilometer vor Astorga liest Hape Kerkeling an der Mauer einer Grundschule: „Yo y Tú“ (ich und du). Das löst etwas in ihm aus. Am nächsten Tag schreibt er in sein Tagebuch:

Das, was ich gestern erleben durfte, kann ich weder erzählen noch aufschreiben. Es bleibt unsagbar. Schweigend und ohne jeden Gedanken zwölf Kilometer zu laufen kann ich nur jedem empfehlen […]
Ich stehe mitten in den Weinbergen und fange aus heiterem Himmel an zu weinen. Warum, kann ich gar nicht sagen.
Erschöpfung? Freude? Alles auf einmal? Weinen in den Weinbergen!? Ich muss gleichzeitig darüber lachen.
Ja, und dann ist es passiert! Ich habe meine ganz persönliche Begegnung mit Gott erlebt.
„Yo y Tú“ war die Überschrift meiner Wanderung und das klingt für mich auch wie ein Siegel der Verschwiegenheit. In der Tat, was dort passiert ist, betrifft nur mich und ihn. (Seite 240)

In Astorga sieht Hape Kerkeling Anne und Sheelagh wieder. Während Sheelagh noch einen Tag bleibt, laufen Hape und Anne weiter. Er hält es für erforderlich, ihr zu versichern, dass er kein sexuelles Interesse an ihr habe, sondern schwul sei. Da berichtet sie ihm von einigen unangenehmen Erfahrungen auf dem Jakobsweg, die erklären, warum sie sich anfangs auch ihm gegenüber so abweisend verhielt.

Anne ist dreiundvierzig und kommt aus Liverpool. Die promovierte Biologin verbrachte acht Monate in Dharamsala, dem nordindischen Zufluchtsort des Dalai Lhama. Dort erteilte sie tibetischen Mönchen Englischunterricht und nutzte die Gelegenheit, sich von einem Rinpoche in der buddhistischen Lehre unterweisen zu lassen. Sie war beruflich auch in Nepal, Afghanistan, Mittelamerika, Florida und Kanada. 1989 absolvierte sie ein mehrmonatiges Praktikum an der Humboldt-Universität in Berlin. Erst vor ein paar Monaten kam sie von einem halbjährigen Forschungsprojekt in Nicaragua zurück. Annes Schwester leidet an Morbus Crohn, einer Darmkrankheit, über die noch zu wenig bekannt ist. Um die Forschung zu fördern, lässt Anne ein Mal pro Woche eine Zeitung in Birmingham über ihre Pilgerwanderung berichten und zu Spenden aufrufen.

Anne hat Hape Kerkeling zwar einmal im BBC-Programm gesehen, ahnt jedoch nicht, dass seine Show „in Deutschland zur besten Sendezeit von Millionen Menschen gesehen“ wird (Seite 251), und er verschweigt es ihr, doch als ihn in Rabanal zwei schwäbische Ehepaare um Autogramme bitten, wird sie misstrauisch.

In der Kirche von Rabanal entdeckt Hape Kerkeling Ruco Urco. Aufgeregt stellt er ihn Anne vor, die nicht glauben wollte, was er ihr über seine Begegnung mit dem Südamerikaner erzählte. Sie kennt ihn bereits, allerdings unter einem anderen Namen. Während er sich Hape Kerkeling gegenüber als Americo Montinez bzw. Ruco Urco ausgab und behauptete, mit seiner Frau und zwei Töchtern in Peru zu leben, sagte er Anne, er heiße Jorge und wohne mit Frau und Sohn in Ecuador. Obwohl er beteuert, nur Spanisch zu verstehen, spricht er mitunter akzentfrei englisch und deutsch. Anne und Hape Kerkeling werden nicht klug aus dem skurrilen Kerl.

Als sie sich El Acebo nähern, begrüßt ein junges, in einer bemalten Bretterbude hausendes Hippie-Paar die Pilger und wünscht ihnen, ihr „innerer Jesus“ möge erwachen. Überall hängen christliche Kreuze und Marienbilder. Hinter der Hütte entdeckt Hape Kerkeling einen Schäferhundwelpen, der an einer ein Meter kurzen Kette in der prallen Sonne angebunden ist. Hape lässt sich eine Schüssel geben, füllt sie mit Wasser und stellt sie dem halb verdursteten Hund hin. Die heuchlerischen Hippies, aber auch gedankenlose Pilger machen ihn zornig.

Diese Leute kotzen mich an! Die Amerikaner und Australier, die später vor dieser Bruchbude zu uns stoßen, finden nur Worte der Bewunderung für die einfältigen Blumenkinder. Ich frage unsere Mitpilger daraufhin, ob sie den kleinen Hund an der Kette gesehen hätten […] „Oh yes, it’s so cute.“ Süß sei der, finden diese oberflächlichen Hobbywallfahrer. Der Ort sei himmlisch und die Leute seien ganz wundervoll. Idioten! (Seite 264)

In El Acebo beobachtet Hape Kerkeling eine kabarettreife Szene. Es geht um sprachliche Missverständnisse zwischen einer Amerkanerin und einer Argentinierin.

Die Argentinierin streichelt der Amerikanerin […] zärtlich über den Bauch und fragt auf Englisch: „How is the baby?“ – Wie geht’s dem Baby?
Die Amerikanerin ist total verwirrt und fragt zurück: „Baby?“ – Welches Baby?
Die Argentinierin sagt: „But you said to me in Spanish: Estoy embarazada!“ – Aber du sagtest doch zu mir auf Spanisch, du seiest schwanger.
Die Amerikanerin bestätigt auf Spanisch: „Si! He dicho: Estoy embarazada.“ – Ja, ich habe gesagt: Ich bin schwanger.
Dann fragt die Argentinierin etwas verwirrt zur Sicherheit in Englisch nach: „So you are embaressed?“ Eigentlich wollte sie aber auf Englisch sagen. Du bist also schwanger? Auf Englsich bedeutet „embarassed“ aber bekanntlich peinlich berührt.
Die Amerikanerin verzieht das Gesicht und kapiert endlich: „Ah! I thought embarazada means embarassed!“ – Ach! ich dachte embarazada heißt peinlich berührt!
Und die Argentinierin versteht aber: „Ach! Ich dachte schwanger heißt schwanger! Und hält die Amerikanerin, ohne ihre eigene Unfähigkeit auch nur zu wittern, jetzt für eine komplette Idiotin. (Seite 275)

Während Hape Kerkeling eine Etappe allein pilgert, entdeckt er einen ausgesetzten Hund und nimmt ihn mit. Anne und Sheelagh sind verblüfft, als sie ihn damit sehen. In Ponferrada bringen sie den Hund zur Polizei und warten, bis ihn ein vertrauenswürdiger Mitarbeiter des Tierasyls mit einem Lieferwagen abholt.

In La Faba wird Hape Kerkeling am 12. Juli von acht Tirolern erkannt, und während er die gewünschten Autogramme gibt, schwärmt einer der Innsbrucker von Auftritten des Komikers im Fernsehen. Auf diese Weise erfährt Anne, dass es sich bei ihrem neuen Freund um einen berühmten Entertainer handelt.

Nachdem Hape Kerkeling sich schroff von einer holländischen Pilgerin namens Rita trennte, die im Valle de las Brujas behauptete, Geister zu hören, trifft er in einem Wald vor Portomarin auf Sheelagh, die sich verirrt hat. Kurz darauf stürzt Sheelagh und schürft sich das Gesicht und die Knie auf.

Je näher Anne, Sheelagh und Hape Kerkeling dem Ziel kommen, desto häufiger denken sie an das bevorstehende Ende ihrer Pilgerreise.

Natürlich haben wir alle drei Furcht vor dem Ankommen, denn wir sind durch und durch zu Pilgern geworden und das könnte ruhig ewig so weitergehen. Wenn wir am Ziel sind, ist es einfach vorbei; das Wesen des Pilgerns ist nun einmal der Weg. (Seite 329)

Am 20. Juli erreichen sie Santiago de Compostela. Der Jakobsweg endet auf der der Plaza de Obradoiro. Vier Tage verbringen Anne, Sheelagh und Hape Kerkeling am Wallfahrtsort. Am 25. Juli reisen sie ab. Sheelagh fliegt frühmorgens nach Madrid, um von dort nach Neuseeland zurückzukehren. Anne nimmt Hape Kerkeling im Leihwagen mit nach Vigo, wo er in einen Zug nach Porto steigt. Der Abschied fällt schwer.

In Santiago de Compostela kaufte Hape Kerkeling drei Pilgerglöckchen und schenkte zwei davon seinen Freundinnen.

„Jedes Mal, wenn einer von uns das Glöckchen klingelt, werden die anderen es spüren. Wir werden aneinander denken und in unserer Vorstellugn wieder auf dem Weg sein.“ (Seite 341)

Ein Jahr später berichtet Hape Kerkeling in der Fernsehsendung „Maischberger“ über seine Pilgerreise und lässt zum ersten Mal seit damals sein Pilgerglöckchen klingeln. Danach findet er auf seiner Mailbox eine Nachricht von Sheelagh. Deren in Hamburg lebende Tochter Phoebe sah zufällig die Sendung und rief ihre Mutter an. Die nächste Nachricht auf der Mailbox stammt von Anne, die inzwischen von Sheelagh telefonisch über das Klingeln des Pilgerglöckchens informiert wurde.

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In seinem Buch „Ich bin dann mal weg“ erzählt Hans Peter („Hape“) Kerkeling (* 1964) von seinen Erlebnissen im Sommer 2001 auf dem Jakobsweg. Anfangs ist er nicht sicher, ob er die Strapazen der achthundert Kilometer langen Wanderung aushält, und ein paar Etappen legt er denn auch im Bus zurück, weil seine Knie zu sehr schmerzen. Aber dann findet er seinen Rhythmus. Drei Wochen lang zieht er es vor, allein zu wandern, dann sehnt er sich nach Gesprächen und freundet sich schließlich mit der Schwedin Evi, der Neuseeländerin Sheelagh und der Engländerin Anne an. Zwischendurch lässt er sich auf Begegnungen mit skurrilen Sonderlingen ein. Biedere Deutsche, heuchlerische Katholiken und mannstolle Brasilianerinnen hält er bis zum Schluss auf Distanz, beobachtet sie allerdings und sammelt dabei Material für seine Sketche.

„Ich bin dann mal weg. Meine Reise auf dem Jakobsweg“ basiert auf umfangreichen Notizen, die Hape Kerkeling während der sechswöchigen Wanderung anfertigte. Dementsprechend ist der Inhalt wie ein Tagebuch mit Orts- und Datumsangaben aufgebaut. Illustriert ist das Buch mit schwarz-weißen Schnappschüssen von Hape Kerkeling. Die Darstellung ist humorvoll und unterhaltsam, persönlich und selbstironisch, mitunter auch nachdenklich. Hape Kerkeling stilisiert sich nicht zum Helden, sondern erwähnt auch Zweifel, psychische und physische Schwierigkeiten. Ein wenig kokettiert er damit, wie er als einfacher Pilger wandert, in billigen Pensionen übernachtet und seinen neuen Freundinnen zu verbergen versucht, wie berühmt er in Deutschland ist. Obwohl „Ich bin dann mal weg“ mit Anekdoten gewürzt ist, stellt sich beim Lesen der gleiche Effekt wie bei der Vorführung fremder Urlaubsdias ein: Man spürt, wie bewegend die Erinnerungen für den Erzähler sind, ohne sie in dieser Intensität nachvollziehen zu können.

Im Fall einer Pilgerwanderung erwartet man nicht nur einen Reisebericht, sondern auch neue Einsichten. Die sind in „Ich bin dann mal weg“ allerdings nicht besonders tiefschürfend.

Mein Pilgerweg lässt sich nun wie eine Parabel meines Lebensweges deuten. Es war eine schwierige Geburt […] Am Anfang des Weges und in meiner Kindheit finde ich schwer zu meinem Tempo. Bis zur Mitte des Lebensweges begleiten mich, bei aller dazugewonnenen positiven Erfahrung, Irrungen und Wirrungen und ich gerate ab und zu aus dem Tritt. Aber etwa ab der Hälfte des Weges marschiere ich frohgemut dem Ziel entgegen […]
Jeder einzelne Wandertag war ebenso strukturiert wie der gesamte Camino. Das Detail ist das Abbild des Ganzen. Eins ist in Allem und Alles ist in Einem.
Morgens komme ich schwer in die Puschen, mittags finde ich dann mein Lauftempo und gegen Abend marschiere ich müde, aber gelassen und entschlossenen Schrittes dem Ziel entgegen und habe auch noch an Kraft gewonnen. (Seite 342)

Jeder Mensch sucht nach Halt. Dabei liegt der einzige Halt im Loslassen. (Seite 343)

Tue, wonach du dich fühlst, solange du nicht die Lust verspürst, die Kreissparkasse in Neuss zu überfallen und die pummelige Filialleiterin als Geisel zu nehmen! […] Vertraue dir, solange du dich gut fühlst und niemand anders dadurch schlecht. (Seite 269)

Auch die Reinkarnationstheorie muss man ernsthaft durchdenken. Es wäre ja durchaus vorstellbar, dass man, obwohl man sich nicht daran erinnert, schon Tausende Male gelebt hat […] Vielleicht sind wir in jedem Leben – unter Beibehaltung eines immanenten Kerns – jedes Mal ein ganz anderer respektive andere […]
Jedes Leben könnte wie eine Art Hindernisparcours funktionieren. Der Reiter ist die Seele, das Pferd der Körper und der Parcours das Leben. Zehn Hindernisse oder besser Prüfungen sind vorgegeben, die man zu bewältigen hat, und das ist unabänderlich. Aber die Reihenfolge und die Zeit, in der wir sie angehen, sind uns vollkommen freigestellt […]
Die Art und Weise, wie wir die zehn Hindernisse nehmen, wird dann von einer himmlischen Jury bewertet […]
Fast jedes Leben lässt sich doch am Ende auf ein Dutzend entscheidende Prüfungen reduzieren, die es ausgemacht haben. (Seite 311f)

Totale gelassene Leere ist der Zustand, der ein Vakuum entstehen lässt, das Gott dann entspannt komplett ausfüllen kann. (Seite 241)

Gott ist „das eine Individuum“, das sich unendlich öffnet um „alle“ zu befreien […]
Der Schöpfer wirft uns in die Luft, um uns am Ende überraschenderweise wieder aufzufangen. Es ist wie in dem ausgelassenen Spiel, das Eltern mit ihren Kindern spielen. Und die Botschaft lautet: Hab Vertrauen in den, der dich wirft, denn er liebt dich und wird vollkommen unerwartet auch der Fänger sein.
Und wenn ich es Revue passieren lasse, hat Gott mich auf dem Weg andauernd in die Luft geworfen und wieder aufgefangen. Wir sind uns jeden Tag begegnet. (Seite 344f)

„Ich bin dann mal weg. Meine Reise auf dem Jakobsweg“ hielt sich fast zwei Jahre lang auf Platz 1 der Bestsellerlisten. 3 Millionen Exemplare sollen bereits verkauft worden sein. Damit gilt „Ich bin dann mal weg“ als erfolgreichstes deutschsprachiges Sachbuch seit „Götter, Gräber und Gelehrte“. Angelina Maccarone schrieb das Drehbuch für die geplante Verfilmung des Buches „Ich bin dann mal weg“, die 2010 ins Kino kommen soll.

„Ich bin dann mal weg. Meine Reise auf dem Jakobsweg“ gibt es auch als Hörbuch, gelesen von Hape Kerkeling (Roof Music, Bochum 2006, 6 CDs, ISBN: 3-938781-37-8).

Julia von Heinz verfilmte das Buch mit Devid Striesow als Hape Kerkeling.

Originaltitel: Ich bin dann mal weg – Regie: Julia von Heinz – Drehbuch: Jane Ainscough, Sandra Nettelbeck, Christoph Silber nach dem Buch „Ich bin dann mal weg“ von Hape Kerkeling – Kamera: Felix Poplawsky – Schnitt: Alexander Dittner, Georg Söring – Musik: Alex Geringas, Joachim Schlüter – Darsteller: Devid Striesow, Martina Gedeck, Karoline Schuch, Katharina Thalbach, Annette Frier, Herwig Andres u.a. – 2015; 90 Minuten

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2009 / 2014
Textauszüge: © Piper Verlag

Jakobsweg

Annika Büsing - Nordstadt
In ihrem Debütroman "Nordstadt" beschäftigt sich Annika Büsing mit zwei vor allem psychisch verletzten 25-Jährigen. Man kann "Nordstadt" als Gesellschaftsroman lesen, auch wenn es sich um eine konfliktreiche Liebesbeziehung dreht, deren Ausgang in der Schwebe bleibt. Das Besondere an "Nordstadt" ist die authentisch wirkende lakonische Stimme der Ich-Erzählerin mit einer Sprache zwischen Gosse und Poesie. Stilsicher porträtiert Annika Büsing damit die Romanfiguren und lässt uns die Konflikte intensiv miterleben.
Nordstadt