Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins

Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins
Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins - Originaltitel: The Unbearable Lightness of Being - Regie: Philip Kaufman - Drehbuch: Jean-Claude Carrière und Philip Kaufman, nach dem Roman "Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins" von Milan Kundera - Kamera: Sven Nykvist - Musik: Leos Janacek - Darsteller: Daniel Day-Lewis, Juliette Binoche, Lena Olin, Derek de Lint, Erland Josephson, Daniel Olbrychski, Donald Moffat, Tomek Bork, Stellan Skarsgard, Bruce Myers, Pavel Slaby, Pascale Kalensky, Jacques Ciron, Anne Lonnberg u.a. - 1987; 175 Minuten

Inhaltsangabe

Seit die Ehe des Prager Gehirnchirurgen Tomas vor zehn Jahren geschieden wurde, ist er ein überzeugter Junggeselle, der zwar mit vielen Frauen schläft, aber keine bei sich übernachten lässt. In einer 200 km von Prag entfernten Kleinstadt fällt ihm eine junge Frau auf. Sie heißt Teresa und arbeitet als Bedienung. Zehn Tage später steht sie vor der Tür seiner Wohnung in Prag ...
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Kritik

Der von Philip Kaufman inszenierte Film gibt die poetische, nachdenkliche, melancholische Atmosphäre des Romans "Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins" wieder und ist eine der wenigen kongenialen Literaturverfilmungen.
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Tomas (Daniel Day-Lewis) ist ein hervorragender Gehirnchirurg in einem Prager Krankenhaus, dem alle eine glänzende Karriere zutrauen. Vor zehn Jahren wurde er nach zwei Jahren Ehe geschieden. „Er hatte damals begriffen, dass er nicht dazu geboren war, an der Seite welcher Frau auch immer zu leben, und dass er nur als Junggeselle ganz er selber sein konnte.“ Für seinen Sohn, der bei der Mutter blieb, zahlte er zwar regelmäßig Unterhalt, kümmerte sich aber weiter nicht um ihn.

Als sein Chefarzt wegen eines komplizierten Falls 1965 in eine 200 km von Prag entfernte Kleinstadt gerufen wird, jedoch wegen eines akuten Ischiasleidens nicht selbst reisen kann, springt Tomas für ihn ein. Im Hallenbad des Kurorts fällt Tomas eine junge Frau (Juliette Binoche) auf. Er folgt ihr und setzt sich in der Wirtsstube, in der sie als Bedienung arbeitet, an einen Tisch. Dort schlägt er sein Buch auf und bestellt einen Cognac. Teresa, so heißt die Frau, liest gerade Tolstois Roman „Anna Karenina“. Beim Lesen vergisst sie ihr eigenes unbefriedigendes Leben. Selten trifft sie in der Provinz jemand anderen mit einem Buch in der Hand. Deshalb ist sie von dem Gast fasziniert. Als sie frei hat, sieht sie ihn auf einer Parkbank sitzen und lesen. Rasch holt sie ihr Buch und setzt sich neben ihn. Nach einer Stunde bricht er auf, um nach Prag zurückzufahren, und sie begleitet ihn zum Bahnhof. Traurig verabschiedet sie sich von ihm. Nun gibt es wieder niemand mehr, mit dem sie reden kann.

Zehn Tage später steht sie vor der Tür seiner Wohnung in Prag. Er bittet sie herein, und weil sie erkältet ist, untersucht er sie. Plötzlich nimmt er sie in die Arme, und sie lieben sich. In der Nacht bekommt sie Fieber. Tomas lässt die Grippekranke eine Woche lang in seinem Bett schlafen, während er sich in einen Sessel kauert oder über Nacht im Krankenhaus bleibt.

Danach reist Teresa wieder ab, und Tomas überlegt, ob er sie zurückrufen soll oder nicht. Wie soll er wissen, welche Alternative besser ist? „Es ist unmöglich zu überprüfen, welche Entscheidung die richtige ist, weil es keine Vergleiche gibt. Man erlebt alles unmittelbar, zum ersten Mal und ohne Vorbereitung. Wie ein Schauspieler, der auf die Bühne kommt, ohne vorher je geprobt zu haben. Was aber kann das Leben wert sein, wenn die erste Probe für das Leben schon das Leben selber ist? … Jeder Schüler kann in der Physikstunde durch Versuche nachprüfen, ob eine wissenschaftliche Hypothese stimmt. Der Mensch aber lebt nur ein Leben, er hat keine Möglichkeit, die Richtigkeit der Hypothese in einem Versuch zu beweisen.“

Teresa nimmt Tomas die Entscheidung ab: Sie ruft ihn nach einiger Zeit von einem Prager Bahnhof aus im Krankenhaus an, und am Abend des nächsten Tages trifft er sich mit ihr. Verblüfft stellt er am anderen Morgen fest, dass er neben einer Frau geschlafen hat. Zwar geht der Don Juan jeden Tag mit einer anderen ins Bett, aber er bleibt nie über Nacht und hat bisher auch keine Frau bei sich übernachten lassen. Auf diese Weise wahrt er eine gewisse Distanz, und um zu vermeiden, dass eine Geliebte seine Freiheit einschränkt, hält er sich an die „Dreierregel“: „Entweder sieht man eine Frau in kurzen Abständen, aber dann nicht öfter als dreimal, oder man verkehrt jahrelang mit ihr, dann allerdings nur unter der Bedingung, dass mindestens drei Wochen zwischen den Verabredungen liegen.“ Übrigens jagt Tomas nicht einer Idealfrau nach, sondern es kommt ihm auf die Vielfalt der Sexualität an. Mit Liebe hat das seiner Meinung nach ohnehin nichts zu tun: „Die Liebe mit der Sexualität zu verbinden, war einer der bizarrsten Einfälle des Schöpfers.“ So wie er denkt auch die Künstlerin Sabina (Lena Olin), die er seit längerem alle paar Wochen besucht: Sie schätzt es, dass er ihre Freiheit nicht in Frage stellt. Sabina pflegt das Chaos in ihrer Wohnung, denn es hilft ihr dabei, sich nicht in bestimmte Dinge, Orte oder Menschen zu verlieben.

Tomas bittet schließlich Sabina, für Teresa einen Job in Prag ausfindig zu machen. Teresa beginnt im Fotolabor einer Illustrierten zu arbeiten, wird aber bald schon selbst als Pressefotografin eingesetzt.

Die „schwindelerregende Liberalisierung des Kommunismus“ in der Tschechoslowakei durch Alexander Dubcek beunruhigt die Führungen der anderen osteuropäischen Staaten.

Im Gespräch mit Bekannten versichert Tomas, dass ihm Politik „ziemlich egal“ sei. Aber er denkt über die während des „Prager Frühlings“ entmachteten Stalinisten nach. „Die Verbrecherregime wurden nicht von Verbrechern, sondern von Enthusiasten geschaffen, die überzeugt waren, den einzigen Weg zum Paradies gefunden zu haben. … Später stellte sich dann heraus, dass es kein Paradies gab und die Enthusiasten folglich Mörder waren.“ Tomas meint, die Stalinisten seien vielleicht ahnungslos, auf keinen Fall jedoch unschuldig gewesen. Dabei verweist er auf König Ödipus, der seine Eltern nicht kannte und zufällig seinen Vater erschlug und mit seiner Mutter schlief. Als er begriff, was er getan hatte, fühlte er sich trotz seiner Unwissenheit schuldig und stach sich die Augen aus. „Die Moral hat sich geändert seit Ödipus“, bedauert Tomas. Heute würde sich niemand mehr die Augen ausstechen. Seine Gedanken fasst er in einem Leserbrief zusammen, der tatsächlich in einer Zeitung veröffentlicht wird.

Nach einigen Jahren heiraten Tomas und Teresa. Trauzeuge ist Pawel, ein früherer Patient des Bräutigams, der stets von einem dressierten Schweinchen namens Mephisto begleitet wird. Als das Hochzeitspaar unvermittelt zu lachen anfängt, bricht der Standesbeamte mit den Worten „In diesem Land ist nichts mehr heilig!“ die Zeremonie ab.

Eines Nachts schreckt Teresa neben Tomas im Schlaf hoch. In ihrem Albtraum waren Tomas und sie bei Sabina. Er liebte die Künstlerin, und Teresa musste dabei zusehen. Um den Schmerz aushalten zu können, stach sie sich Nadeln unter die Fingernägel. Einige Wochen später fleht sie Tomas an: „Nimm mich zu ihnen mit. Zu den anderen Frauen. Ich werde sie für dich ausziehen und baden.“ Immer wieder versucht Tomas sie davon zu überzeugen, „dass die Liebe und der Liebesakt zwei verschiedene Dinge sind“ und seine sexuellen Abenteuer ihre Liebe in keiner Weise bedrohen. Sex ist für ihn nichts Verpflichtendes, sondern ein sportliches Vergnügen. Wenn er sich Fußballspiele ansähe, käme auch niemand auf den Gedanken, dass dies etwas mit seiner Liebe zu Teresa zu tun haben könnte. Sie versteht ihn, aber sie kann ihre Eifersucht nicht unterdrücken und fühlt sich sehr unglücklich, denn sie sehnt sich danach, dass er nicht nur ihre Person, sondern auch ihren Körper für „einzigartig und ersetzlich“ hält.

Im August 1968 marschieren die Mitglieder des Warschauer Pakts ein, um den „Prager Frühling“ zu beenden. Teresa fotografiert, wie sich die Menschen vor die sowjetischen Panzer stellen, und es gelingt ihr, ausländischen Korrespondenten 50 Filme zuzustecken, damit die Bilder veröffentlicht werden.

Sabina emigriert nach Genf. Dort lernt sie vier Jahre später Franz (Derek de Lint) kennen. Der Universitätsdozent nimmt sie auf seinen Vortragsreisen mit. In Genf schläft er nicht mit ihr, weil er nicht innerhalb einer Stunde vom Bett seiner Geliebten ins Ehebett wechseln möchte. Das fände er erniedrigend für seine Frau Marie-Claude.

Ein Zürcher Chefarzt, der Tomas bei einem internationalen Kongress kennen lernte, ruft beinahe täglich an und bietet ihm eine Anstellung in seinem Krankenhaus an. Schließlich geht Tomas auf das Angebot ein und verlässt mit Teresa die Tschechoslowakei. Teresa nimmt eine Auswahl Fotos von den Straßenkämpfen in Prag mit, doch niemand in Zürich will sie drucken. Das Thema sei nicht mehr aktuell. Man rät ihr, es mit Nacktfotos oder mit Bildern für die Gartenrubrik einer Zeitschrift zu versuchen. Sabina steht ihr Modell und fordert dann auch Teresa auf, sich auszuziehen. Plötzlich steht Franz in der Tür. Er hat seiner Frau gestanden, dass er seit einem dreiviertel Jahr eine Geliebte hat und will bei Sabina einziehen. Als er am nächsten Tag wiederkommt, findet er eine ausgeräumte und verlassene Wohnung vor: Sabina verteidigt ihre Freiheit, zieht nach Paris und drei Jahre später nach Amerika. (Franz kommt durch einem Raubüberfall in Bangkok ums Leben. „Der tote Franz gehört nun endlich seiner rechtmäßigen Ehefrau, wie er ihr nie zuvor gehört hat. Marie-Claude bestimmt alles, sie übernimmt die Organisation des Begräbnisses, sie verschickt die Todesanzeigen, sie kauft die Kränze, sie lässt sich ein schwarzes Kleid schneidern, das in Wirklichkeit ein Hochzeitskleid ist. Ja, erst das Begräbnis des Gatten ist für die Gattin die wahre Hochzeit! Die Krönung ihres Lebens, der Lohn für all ihr Leiden!“)

Ein halbes Jahr nach der Emigration findet Tomas in der Wohnung statt Teresa einen Zettel von ihr: „Für dich ist das Leben so leicht, für mich so schwer. Ich gehe wieder zurück in das Land der Schwachen.“ Sie hat es nicht mehr ausgehalten und ist mit ihrer Hündin Karenina zurück nach Prag gefahren. Endlich hat Tomas seine Freiheit wieder. Doch sie wird ihm rasch unerträglich. Obwohl er weiß, was der Schritt bedeutet, folgt er Teresa fünf Tage später nach Prag. Bei der Einreise in die Tschechoslowakei nimmt ihm ein Beamter den Pass ab.

Das Krankenhaus, in dem er früher tätig war, stellt ihn wieder ein. Nach einiger Zeit fordert ihn sein Chef auf, sich schriftlich von seinem Leserbrief über Ödipus zu distanzieren. Das sei eine rein bürokratische Angelegenheit, aber die Polizeibehörden der neuen Regierung bestünden darauf. Tomas hat den Artikel längst vergessen und hält ihn für unwichtig, aber als er merkt, wie die Kollegen über ihn tuscheln, verweigert er den Widerruf. Auch das vorbereitete Papier eines Beamten aus dem Innenministerium weist er zurück. Wenn er unterschriebe, würde er sich feig und ehrlos fühlen. Da verzichtet er lieber auf seine Karriere. Zunächst erhält er einen neuen Arbeitsvertrag in der Provinz. Um nicht jeden Morgen 80 km weit fahren zu müssen, sucht er sich nach einem Jahr ein näher gelegenes Krankenhaus und nimmt dafür in Kauf, dass er nicht mehr als Hirnchirurg arbeiten kann, sondern wie jeder gewöhnliche Arzt vorwiegend Aspirin verschreibt. Schließlich verliert er auch diesen Job und er beginnt Fenster zu putzen, während Teresa als Bardame in einem Prager Außenbezirk noch etwas Geld hinzuverdient.

Tomas ist nicht unglücklich, denn durch die neue Tätigkeit lernt er viele Frauen kennen. „Ich dachte, du bist meinetwegen zurückgekommen. Warum schläfst du dann mit anderen Frauen“, klagt Teresa.

Eines Abends sagt ein Sechzehnjähriger zu Teresa: „Sie haben schöne Beine.“ Dabei sieht er hinter dem Tresen nur ihren Oberkörper. Obwohl der Ausschank alkoholischer Getränke an Minderjährige verboten ist, bestellt er Cognac. Sie schenkt ihm stattdessen Limonade ein. Aber ein anderer Gast behauptet, er habe beobachtet, dass sie auch Alkohol mit ins Glas getan hat. Da mischt sich ein Dritter ein und bringt den lästigen Mann zum Schweigen. Er stellt sich Teresa als Ingenieur vor. Nicht um sich an Tomas zu rächen, sondern um ihre Eifersucht abzutöten, besucht Teresa ihren Helfer und gibt sich ihm hin. Danach kommen ihr allerdings Zweifel, ob er den Vorfall in der Bar inszenierte, um ihr Vertrauen zu gewinnen. Vielleicht handelt es sich sogar um einen Spitzel.

Wieder möchte sie weg. Sie überredet Tomas, mit ihr aufs Land zu ziehen. Sie verkaufen ihr Auto, den Fernseher und das Radio und erwerben dafür von einem Bauern, der in die Stadt gezogen ist, ein kleines Haus mit einem Garten. Es liegt in einem Dorf, für das Tomas‘ früherer Patient Pawel als Vorsitzender der Genossenschaft zuständig ist. Tomas und Teresa machen sich in der Gemeinde nützlich: Er fährt einen Lastwagen, und sie hütet mit Karenin die Kühe.

Verzweifelt überlegt Teresa, ob sie Karenin besser liebt als Tomas, denn ihre Liebe zu dem Hund ist selbstlos; sie verlangt nichts von ihm, kennt keine Eifersucht und akzeptiert ihn so, wie er ist. Karenin beginnt zu hinken. Es handelt sich um Krebs im fortgeschrittenen Stadium. Der Hund leidet immer stärker unter Schmerzen, bis Tomas ihn einschläfert.

Einem Knecht, der sich vor Schmerzen krümmt, renkt Tomas die Schulter wieder ein. Glücklich über die rasche Hilfe schlägt der Knecht seinem Retter vor, mit Teresa und Pawel in die nächste Stadt zu fahren, um dort zu trinken und zu tanzen.

Sabina, die inzwischen wie eine Tochter bei einem älteren Ehepaar in den USA lebt, erfährt aus einem Brief, dass Tomas und Teresa bei der Heimfahrt aus der Stadt mit dem Lastwagen wegen defekter Bremsen von der regennassen Straße abkamen. Sie waren sofort tot.

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Der von Philip Kaufman inszenierte Film „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“ ist eines der seltenen Beispiele einer kongenialen Literaturverfilmung. Und das, obwohl weder die zahlreichen inneren Monologe, noch die eingeschobenen Essays oder die kunstvoll verschachtelte Konstruktion des Romans von Milan Kundera filmisch umsetzbar sind. Philip Kaufmann und Jean-Claude Carrière versuchten das auch gar nicht, sondern sie konzentrierten sich auf die beiden komplementären Liebespaare (Tomas und Teresa, Sabina und Franz) und bündelten deren Geschichte in einem einzigen chronologischen Handlungsstrang. Es gelang ihnen sogar, einen Teil der philosophischen Gedanken Milan Kunderas ohne Bruch in die Handlung zu integrieren. Auf diese Weise – und mit wunderbaren Schauspielern – entstand ein Film, der die poetische, nachdenkliche, melancholische Atmosphäre des Romans „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“ wiedergibt.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2002

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