Nói albinói

Nói albinói

Nói albinói

Originaltitel: Nói albinói (Noilalbinoi) – Regie: Dagur Kári – Drehbuch: Dagur Kári – Kamera: Rasmus Videbak – Schnitt: Daniel Dencik – Musik: Dagur Kári und Orri Jonsson mit "slowbow" – Darsteller: Tómas Lemarquis, Throstur Leo Gunnarsson, Elin Hansdóttir, Anna Fridriksdóttir, Hjalti Rögnvaldsson, Guðmundur Ólafsson u.a. – 2003; 90 Minuten

Inhaltsangabe

Der 17-jährige Nói ist ein kahlköpfiger Albino. Der Außenseiter lebt in einer isländischen Kleinstadt, und weil er keine Perspektive hat, weiß er nicht, warum er Klassenarbeiten schreiben soll. Nachdem er von der Schule geflogen ist, versucht er sich als Totengräber. In Iris, der Tochter des Buchhändlers, findet er schließlich eine Freundin. Die beiden träumen von einem besseren Leben in einer wärmeren Gegend ...
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Kritik

"Nói albinói" ist eine knorrige, lakonische Außenseiterballade in blassen, kühlen Farben. Dagur Kári erzählt nur das Nötigste und lässt Raum für die Vorstellungen der Zuschauer.
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Der siebzehnjährige, hagere und kahlköpfige Albino Nói Kristmundsson (Tómas Lemarquis) lebt bei seiner tütteligen Großmutter (Anna Friðriksdóttir) in einem Haus in Bolungarvik, einer abgelegenen, tief verschneiten Kleinstadt an einem isländischen Fjord. Von seiner Mutter erfahren wir nichts. Sein Vater (Throstur Leó Gunnarsson) lebt allein, arbeitet als Taxifahrer und erwartet von seinem Sohn, dass er etwas aus sich macht, obwohl er selbst sich längst aufgegeben hat und alkoholkrank ist. Aber Nói hat keine Perspektive und sieht deshalb nicht ein, warum er den Schulunterricht besuchen und Klassenarbeiten schreiben soll. Dumm ist er nicht: Rubik’s Würfel, von dem auf dem Tisch des Schulpsychologen ein Exemplar herumliegt, dreht er innerhalb einer Minute richtig zusammen. Nói ist ein sanfter Rebell, er mag sich nicht anpassen. Statt in der Schule hängt er beim Buchhändler (Hjalti Rögnvaldsson) herum oder er trinkt im Café der Tankstelle ein Maisbier. Als der Mathematiklehrer Alfreð (Guðmundur Ólafsson) wegen Nói mit seiner Kündigung droht, bleibt dem wohlmeinenden Rektor (Throstur Leo Gunnarsson) nichts anderes übrig, als Nói zu relegieren.

Daraufhin versucht Nói sich als Totengräber, aber er tut sich schwer, in dem tief gefrorenen Boden Gräber auszuheben.

Eines Tages steht er an der Ladentheke der Tankstelle einer neuen Bedienung gegenüber. Sie heißt Iris (Elín Hansdóttir) und ist die Tochter des Buchhändlers. Auf Wunsch ihres besorgten Vaters kam sie aus der Großstadt zurück. Nói und Iris werden Freunde. Gemeinsam träumen sie von einem besseren Leben in einer wärmeren Gegend, etwa unter Palmen, wie auf einem der Bilder der Spielzeugkamera, die Nói von seiner Großmutter geschenkt bekam.

Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.

Um den Traum zu verwirklichen, geht Nói mit dem Gewehr seiner Großmutter zur Bank und verlangt von der Kassiererin (Ásdís Thoroddsen) die Herausgabe des Geldes. Sie kennt den skurrilen Außenseiter, hält den Überfall für ein neues Spiel von ihm und ruft den Bankdirektor (Páll Loftsson), der dem Klassenkameraden seines Sohnes David (Greipur Gislason) unaufgeregt das Gewehr abnimmt. Nach dem missglückten Banküberfall hebt Nói stattdessen sein Sparbuch-Guthaben ab. Von dem Geld kauft er sich einen neuen Anzug. Dann stiehlt er ein Auto und fährt damit zur Tankstelle, doch Iris kann sich nicht entschließen, bei ihm einzusteigen. Nói fährt allein los. Aber die geplante Reise endet bereits am Stadtrand: Er fährt sich im Schnee fest und wird verhaftet.

Sein Vater holt ihn aus dem Gefängnis.

Als Nói sich wieder einmal in sein Kellerversteck zurückgezogen hat, wird der Ort von einer Lawine verschüttet. Er sitzt im Dunkeln und kann die Bodenklappe nicht mehr öffnen. Aber die Feuerwehr findet ihn rechtzeitig und zieht ihn heraus. Vom Haus stehen nur noch die Grundmauern. Für seine Großmutter, seinen Vater, den Rektor, den Buchhändler, Iris und fünf weitere Bewohner der Stadt kommt jede Hilfe zu spät.

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„Nói albinói“ ist der erste Kinofilm des isländischen Regisseurs Dagur Kári (*1973). Es handelt sich um eine knorrige, lakonische Außenseiterballade in blassen, kühlen Farben. (Rot überflutet das Bild nur ein einziges Mal – und das ist schockierend. Es geschieht, als Nói versehentlich einen Kessel voll Blut umkippt und seinen Vater und seine Großmutter damit bespritzt.) Dagur Kári erzählt nur das Nötigste. Wir erfahren weder, was aus Nóis Mutter geworden ist, noch erhalten wir eine psychoanalytische Erklärung für sein Verhalten. Die Auslassungen lassen Raum für die Vorstellungen der Zuschauer. Hin und wieder gibt es in „Nói albinói“ auch komische Szenen, etwa wenn die Großmutter Nói am Morgen weckt, indem sie an das Fenster neben seinem Bett tritt und ein Gewehr abfeuert. Ob das tragische Lawinenunglück am Ende für Nói die Chance eröffnet, fortzugehen und ein neues Leben zu beginnen, bleibt offen.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2006

Dagur Kári: Dark Horse

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